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Titel: Der Mindestlohn als Spielball der Interessen

Datum: 29. Januar 2025 um 10:30 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Soziale Gerechtigkeit, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Der im August 2014 erstmals in der Bundesrepublik eingeführte und seit Beginn 2015 geltende gesetzliche Mindestlohn bildet nicht nur für die Parteien ein ständiges Streitthema, er ist auch im aktuellen Wahlkampf ein – wenngleich auch untergeordnetes – Thema. Zeit, sich einmal ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema Mindestlohn zu machen. Ein Artikel von Lutz Hausstein.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Aus kapitalistischer, sprich aus Sicht des Unternehmers sind Löhne für ihn Kosten, die er seinen Arbeitern zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft zahlen muss. Macht er dies nicht und bleibt er unterhalb dessen, sind diese nicht in der Lage, ihre Arbeitsfähigkeit so weit wieder herzustellen, dass sie auch im nächsten Monat noch ihre Arbeitskraft für die Verwirklichung seiner Interessen (Umsatz, vor allem aber Gewinn) zur Verfügung stellen können. Er würde so, auch nach kapitalistischer Sicht, gegen seine eigenen Interessen verstoßen. So weit, so banal.

Die Mindestlohnkommission, die vom Gesetzgeber installiert wurde, um aller zwei Jahre die Fortentwicklung der Höhe des Mindestlohnes festzulegen, diskutierte aktuell nach einem Bericht des Handelsblattes über die generelle Grundlage der Mindestlohnhöhe. Diese hat sie nun in einer neuen Geschäftsordnung festgezurrt.

Die Diskussion zwischen den Mitgliedern drehte sich dabei um die Frage, ob für die Beschlussfassung über die Höhe neben der bisher schon genutzten Tariflohnentwicklung als weiteres Kriterium „Armutsfestigkeit“ des Mindestlohns einfließen soll. Als „armutsfest“ wird ein Einkommen dann bezeichnet, wenn es mindestens 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) beträgt. Bisher hatten sich die Arbeitgeber gegen die Zugrundelegung dieses Punktes gewehrt. Nun wurde er in die Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission aufgenommen.

Auch wenn es auf den ersten Blick nach einem begrüßenswerten Schritt aussieht – wer könnte etwas gegen einen armutsfesten Mindestlohn haben? –, führt dies dennoch zu Problemen, denn es ist deutlich zu kurz gesprungen.

Nach der gängigen Definition stellen 60 Prozent des mittleren Einkommens das Existenzminimum eines Menschen dar. Dieser Wert ist also nur ein anderer Begriff für die oben genannte Armutsfestigkeit. Die Kriterien für das Existenzminimum wiederum sieht das Bundesverfassungsgericht in der Sicherstellung sowohl der physischen Existenz, aber auch einer sozialen, kulturellen und politischen Mindestteilhabe an der Gesellschaft.

Nun gehen jedoch die Reproduktionskosten eines Arbeiters über das reine Existenzminimum hinaus. So steht es zum Beispiel außer Zweifel, dass ein regelmäßiger Urlaub erheblich dazu beiträgt, die Arbeitskraft wiederherzustellen. Legt die Mindestlohnkommission nun die Mindestlohnhöhe bei gerademal dem Existenzminimum fest, wäre ein Urlaub mit einem solchen Einkommen gar nicht möglich.

Doch nicht nur aufgrund dieses Kriteriums ist die veranschlagte Untergrenze wegen ihrer zu geringen Höhe problematisch. Regelmäßig wird ja von den immergleichen Politikern und Medien beklagt, dass Arbeit sich nicht lohnen würde, weil man fürs Nicht-Arbeiten sogar mehr (oder zumindest nicht weniger) Geld bekommen würde. Nun ist diese Behauptung zwar unter den geltenden Voraussetzungen zweifelsfrei falsch, das hat aber hier keine weitere Bedeutung.

Denn der entscheidende Punkt ist: Selbst wenn die Mindestlohnkommission den Mindestlohn nach ihrer neuen Geschäftsordnung bei 60 Prozent des Medianeinkommens festlegen würde, würde man ihn damit entlang des Grenzwertes zur Armutsgefährdung, dem Existenzminimum, zementieren. Früher oder später würden die vermeintlichen Verfechter der Arbeitnehmer-Interessen („Damit sich Arbeit wieder lohnt!“) beklagen, dass das Bürgergeld zu hoch sei, weil Arbeit kaum mehr einbrächte. Also müsse die Höhe des Bürgergeldes gesenkt werden. Das kommt der offiziell abgesegneten Begründung zur Unterschreitung des Existenzminimums für Sozialleistungen gleich. Eine Forderung, die den Grundlagen des deutschen Grundgesetzes Hohn spricht.

Um also eine soziale Mindestsicherung zu gewährleisten, die ihrem Namen überhaupt gerecht wird und die auch dem bundesdeutschen Grundgesetz Geltung verschafft, muss diese sich mindestens auf dem Grenzwert des Existenzminimums befinden. Der Mindestlohn muss demzufolge oberhalb dieses Wertes angesiedelt sein.

Beides – der Mindestlohn sowie die soziale Mindestsicherung – sind nur als gegenseitig aufeinander einwirkende Faktoren zu begreifen. Sie müssen aufeinander abgestimmt sein, da sie ansonsten immer wieder aufs Neue gegeneinander ausgespielt werden. Denn das permanente In-Konkurrenz-Setzen von Mindestlohn- und Sozialleistungsempfängern ist schon seit Jahrzehnten das Kernelement des beständigen divide et impera.

Titelbild: Steidi/shutterstock.com


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