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Titel: „Rechter Internationalismus“ oder Souveränität? Die AfD und der Amtsantritt von Donald Trump

Datum: 22. Januar 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Wahlen
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Mit dem Amtsantritt als 47. Präsident der Vereinigten Staaten gehen international Erwartungen und Befürchtungen einher. Wenn man sich das Stimmungsbild in der deutschen politischen Klasse und der Mainstreammedienlandschaft anschaut, dann überwiegen bei weitem die Befürchtungen. Jenseits dieser Befürchtungen gibt es eine Partei, die den erneuten Amtsantritt von Donald Trump als neuen Präsidenten kaum erwarten konnte, die AfD. Das führt in Folge zu programmatischen Widersprüchen bei der AfD und bringt zugleich eklatante Doppelstandards im politischen und medialen Mainstream ans Licht. Von Alexander Neu.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zum offiziellen Amtsantritt Trumps reiste gleich eine ganze AfD-Delegation nach Washington. Zwei Wochen zuvor, am 9. Januar 2025, fand sogar ein als „Interview“ bezeichnetes Gespräch zwischen Elon Musk, US-Milliardär und Vertrauter des künftigen US-Präsidenten D. Trump, und Alice Weidel, Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD, statt. Musk nutzte für das „Interview“ die ihm gehörende Plattform X.

Die Mainstreammedien und die politischen Parteien befanden sich in heller Aufregung. Nicht nur, dass der von ihnen ungeliebte Trump der neue US-Präsident sein würde und somit die transatlantischen Beziehungen erneut vor existenziellen Herausforderungen stehen könnten. Nein, dass dieser Trump und seine Leute auch noch eine privilegierte Beziehung mit der nicht weniger ungeliebten deutschen Partei AfD eingehen könnten – ein transatlantischer Super-GAU bahnt sich an.

Skandalisierung des Musk-Weidel-Gesprächs als Indiz für blank liegende Nerven

Allein die politische und mediale Skandalisierung dieses Musk-Weidel-Gespräches zeigt, wie groß die Befürchtungen sind und wie blank die Nerven vor den möglicherweise großen Veränderungen in den deutsch-US-amerikanischen Beziehungen liegen.

Aber der eigentliche Skandal ist nicht das Gespräch selbst oder sein Inhalt, da es nämlich auffallend inhaltsarm war und durchgängig eher den Charakter einer Café-Plauschrunde oder eines ersten Rendezvous denn eines Interviews aufwies – abgesehen von der ahistorischen und wirklich dümmlichen Aussage A. Weidels, Hitler sei ein Kommunist gewesen.

Es gilt nun, den eigentlichen Skandal um dieses Gespräch herauszuarbeiten, da dieser wirkliche Skandal ein Beispiel dafür ist, warum der Westen vom Rest der Welt zunehmend kritisch bis ablehnend betrachtet wird.

Der eigentliche Skandal im Kontext dieses Gesprächs bestand nämlich in der erneuten Demonstration der Anwendung von Doppelstandards, genau gesagt zweier gewichtiger Doppelstandards:

Erster Doppelstandard – Deutschland als Subjekt: Die deutsche Außenpolitik ist nun wirklich kein Musterknabe in Fragen der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer, der UNO-Charta nach souveräner Staaten. Die nichtmilitärische Intervention aufgrund von moralisch erhobenem Zeigefinger und als Moral verkappter Interessenpolitik hat die Souveränität als grundlegendes Recht der UNO-Charta in den letzten drei Dekaden massiv erodieren lassen. Dies umfasst auch die Einmischung in den Wahlkampf von Drittstaaten, um möglichst eine genehme Regierung gewählt zu bekommen. Hier nun ein wirklich wunderbares, weil erstaunlich primitives Beispiel der Doppelmoral: Der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz rief im April letzten Jahres mit zwei weiteren europäischen Regierungschefs in Form eines Gastbeitrages in der Zeitung Le Monde ziemlich unverblümt die französischen Wähler auf, für den Amtsinhaber Emmanuel Macron zu stimmen. Dieser Aufruf wurde explizit ideologisiert mit der Schicksalsfrage der EU und dem Krieg Russlands verbunden: „Demokratie, Souveränität (sic!), Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ versus Diktatur, Autokratie und Krieg. Ja, tatsächlich stand auch der Begriff „Souveränität“ in dem Gastbeitrag – einen Hang zur Ironie kann man den drei Regierungschefs nun wirklich nicht absprechen. Denn genau dieser Aufruf an die französischen Wähler stellt ja einen eklatanten Souveränitätsbruch dar – nämlich die direkte Einmischung in deren Wahlverhalten. Ob diese Kuriosität nun den drei sozialdemokratischen Verfassern nicht klar oder ob es ihnen schlichtweg egal war, sei dahingestellt. Fakt ist: Wer im Glashaus sitzt, sollte nun mal nicht mit Steinen werfen – selbst dann nicht, wenn man glaubt, die Moral in Reinform zu verkörpern.

Zweiter Doppelstandard – Deutschland als Objekt: Das deutsch-US-amerikanische Verhältnis. Dass es kein Verhältnis auf Augenhöhe ist, dürften sogar eingefleischte Transatlantiker nicht ernsthaft verneinen können. Dass es jedoch darüber hinaus ein Vasallenverhältnis sei, artikulieren die USA ganz selbstbewusst und ohne Scham – siehe beispielsweise die Äußerung des US-Geostrategen Zbigniew Brzezinski in seinem in der außen-, sicherheits- und geopolitischen Fachliteratur anerkannten Standardwerk „Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft“: Der gesamte eurasische Kontinent sei „von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät, von denen einige allzu gern noch fester an Washington gebunden wären“ (4. Auflage, 2001, S. 41).

[Ich habe diese Aussage bewusst hier als O-Ton eingebaut, um allen, die geneigt sein könnten, mir verschwörungstheoretische Aussagen anzudichten, die US-Quelle unter die Nase zu halten. Insgesamt lohnt es, US-Quellen sich so ganz unvoreingenommen anzuschauen. Eine wahre Fundgrube ist der Congressional Research Service, vergleichbar mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages.]

Ein Vasallenverhältnis kann ein breites Spektrum von Abhängigkeits- und Unterwerfungsmomenten beinhalten. Grundlegend ist, dass der Vasall nicht in Gänze seine Politik frei gestalten kann, sondern diese auf die Interessen des ihm übergeordneten Hegemonen ausrichten respektive sich diesem unterwerfen muss. So zum Beispiel der US-Druck auf die EU, Sanktionen gegen Russland zu massiven eigenen Kosten zu verhängen. Für alle Mainstreamverschwörungstheoretiker hier die Erklärung des damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden aus dem Jahre 2014:

Wir haben Putin die ganze Zeit über vor eine einfache Wahl gestellt: Er soll die Souveränität der Ukraine respektieren oder sich zunehmenden Konsequenzen aussetzen. Dadurch konnten wir die wichtigsten Industrieländer der Welt dazu bewegen, Russland echte Kosten aufzuerlegen. Das wollten sie natürlich nicht. Aber wiederum waren es die amerikanische Führung und der Präsident der Vereinigten Staaten, die darauf bestanden und Europa oft fast in Verlegenheit bringen mussten, aufzustehen und wirtschaftliche Einbußen hinzunehmen, um Kosten aufzuerlegen.“ (Original).

Dass also die USA – in welchem Ausmaß auch immer – die deutsche Politik „mitgestalten“, ist anhand sachlicher Analyse nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Mit anderen Worten, es handelt sich um ein Souveränitätsgefälle zwischen den USA und Deutschland. Dass nun Teile der deutschen politischen Klasse und die Mainstreammedien wegen des Musk-Weidel-„Interviews“ aufheulen, es sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands, wirkt angesichts der eingeübten Einmischungspraxis, ob als Subjekt oder Objekt, mehr als skurril: Beispielgebend hierfür die Äußerung des noch amtierenden Bundeskanzlers O. Scholz: „Bundestagswahl 2025: Scholz nennt Musks Einmischung ‘inakzeptabel‘“ (17.01.2025 | 12:14 – ZDF).

Tatsächlich bricht E. Musk kein Tabu, da es in Fragen der Einmischung der USA in die politischen Entscheidungsprozesse Deutschlands schlichtweg kein Tabu gibt. Dem Aufheulen liegt eine andere Motivation zu Grunde: Nicht die Tatsache, dass das US-Establishment sich in die inneren Angelegenheiten Deutschlands einmischt, ist der eigentliche Punkt, sondern wer sich mit welcher ideologischen Ausrichtung einmischt. Und da der künftige US-Präsident D. Trump und auch sein enger Vertrauter E. Musk für ein grundlegend anderes Politikverständnis stehen und eine andere politische Agenda verfolgen, die auf eine grundlegende Zäsur auch in der Außen-, Sicherheits- und Geopolitik hinauslaufen könnte, ist deren Einmischung in diesem Falle unerwünscht – plötzlich entdeckt das politische Berlin seinen Souveränitätsanspruch.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Selbstverständlich ist es das Recht der deutschen Politik, seine Sorgen oder gar seinen Unmut über einen ggf. anderen politischen Kurs der künftigen US-Administration zu äußern. Es steht tatsächlich für den politischen Westen sehr viel auf dem Spiel – übrigens auch ohne Trump. Diesen Unmut indessen als Kritik der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands zu tarnen, ist schlichtweg unredlich. Hinzu kommt: Wie sehr haben so manche deutsche Politiker auf verschiedenste Weise Donald Trump im US-Wahlkampf spüren lassen, dass man sich Joe Biden bzw. Kamala Harris als US-Präsidenten wünsche. Und genau diese Doppelstandards und Unehrlichkeit wird in der Bevölkerung auch so wahrgenommen und ist weiteres Wasser auf den Mühlen der AfD.

Die AfD und die Trump-Administration

Die Politik der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ist indessen nicht nur ein Thema der praktizierten Doppelstandards. Es ist auch ein Thema, wie zwei rechte Parteien und deren Spitzenpersonal aus zwei eng miteinander kooperierenden Staaten interagieren. Wie wird also die AfD mit der neuen Trump-Administration umgehen? Diese Frage ist deshalb von Interesse, da einerseits die ideologische Nähe zwischen D. Trump und der AfD offensichtlich ist, andererseits aber genau diese Ideologie jeweils ihre Nation im Zentrum der Interessenpolitik sieht – ist also eine „rechte Internationale“ denkbar, wenn es um substanzielle nationale Interessen geht. Die AfD legt sehr viel Wert auf die Wahrung nationaler Interessen und die Souveränität Deutschlands. Die äußere Einmischung in die Angelegenheiten Deutschlands, aber auch generell in die internen Angelegenheiten von Drittstaaten wird von der AfD explizit abgelehnt.

Hierzu ein paar Sätze aus dem Leitantrag (die Endfassung lag zum Zeitpunkt meines Beitrages noch nicht vor) des Bundestagswahlprogramms 2025 der AfD. In dem Leitantrag wird sehr dezidiert die europäische und deutsche Souveränitätsrückgewinnung und die Ablehnung der Einmischung in die inneren Angelegenheiten hervorgehoben:

Außenpolitik muss Realpolitik in deutschem Interesse sein. Voraussetzung deutscher Außenpolitik ist ein souveränes Deutschland, das Freiheit, Recht und Wohlstand sowie Sicherheit seiner Bürger garantiert. (…) Die AfD stimmt im Geiste des Vertrages von Helsinki dafür, dass sich kein Land in die inneren Angelegenheiten eines anderen einmischen darf. (…) Wir müssen unsere Souveränität ausbauen, unsere nationalen Interessen selbstbewusst formulieren und diese stringent verfolgen.

Dieser Anspruch auf ein souveränes und an nationalen Interessen orientiertes Handeln wird mit dem Hinweis auf eine interessengeleitete multivektorale Außen- und Außenwirtschaftspolitik untermauert: „Wir verfolgen daher ein interessengeleitetes Verhältnis mit den großen Mächten der Welt, mit China und den USA, genauso wie mit der Russischen Föderation.“ Interessant ist bei der Aufzählung der drei Großmächte, dass China noch vor den USA genannt und zugleich Russland durch das Adverb „genauso“ nicht hintenangestellt wird. Es liegt nahe, dass diese Formulierung keine Hierarchie erkennen lassen möchte, zumindest nicht zu Gunsten der USA.

Mehr noch, unter dem Punkt „Das Verhältnis zu ausgewählten Staaten“ wird das Verhältnis zu den USA nüchtern und im Vergleich zu den Mainstreamparteien geradezu steril formuliert. Keine transatlantischen Schicksalsbeschwörungen vom wichtigsten Partner Deutschlands und gemeinsamer Werteromantik, sondern eher ein sachlicher, bisweilen sogar ein kritischer oder gar sich distanzierender Ansatz zum deutsch-amerikanischen Verhältnis:

Gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten (USA) sind für Deutschland und Europa von wesentlicher Bedeutung, insbesondere die der wirtschaftlichen, technologischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit.

Die geopolitischen und ökonomischen Interessen der USA unterscheiden sich in zunehmendem Maße von denen Deutschlands und anderer europäischer Staaten. Ein Beispiel dafür ist die Energieversorgung, so etwa der massive Versuch der USA, die Inbetriebnahme der Nord-Stream-Ferngasleitung zu verhindern. Deutschland darf sich nicht durch weichenstellende Entscheidungen der USA gegenüber anderen Mächten in Konflikte hineinziehen lassen.“

Bleibt dieser Anspruch auf Selbstbehauptung auch unter einem ideologisch nahstehenden US-Präsidenten bestehen? Oder wird es eine neue Unterordnung unter einer Trump-Administration im Sinne einer „rechten Internationalen“, wie einst die UdSSR der sozialistische Taktgeber der linken Internationalen war, geben? Wird die AfD den Anspruch auf Augenhöhe mit und in Äquidistanz zu den USA im Vergleich mit China und Russland aufrechterhalten (können)? Oder wird sich der Selbstbehauptungsanspruch angesichts der weitgehend ideologischen Übereinstimmung der AfD mit D. Trump der neuen US-Politik unterordnen? Kurzum: Alter Wein in neuen Schläuchen oder tatsächlich eine souveräne Außenpolitik? Diese Frage lässt sich nur schwerlich beantworten, denn die AfD wird wohl auf absehbare Zeit keine Regierungsverantwortung übernehmen, sodass es nicht sehr wahrscheinlich ist, ihre Aussagen fundiert verifizieren oder falsifizieren zu können. Und auch das Weidel-Musk-„Interview“ gibt hierzu wenig Indizien, da es sich im Niveau, wie bereits oben erwähnt, doch eher um eine Café-Plauschrunde denn um ein knallhartes politisches Gespräch handelte.

Prognose

Es ist nicht davon auszugehen, dass Trump als absolutes Alphamännchen größere Konzessionen gegenüber verbündeten kleinen Staaten oder Mittelmächten machen wird. Schließlich ist sein Credo „America first“ und nicht „Partnership first“ oder „NATO first“. Auch ist er befreit von dem Druck der Rücksichtnahme hinsichtlich einer möglichen Wiederwahl für eine dritte Amtszeit. Wie wird also die AfD selbst in der Oppositionsrolle oder gar als möglicher Oppositionsführer damit umgehen? Wird die AfD im Sinne nationaler Selbstbehauptung der US-Administration widersprechen, wo deutsche Interessen berührt werden, oder wird die AfD bei solchen Themen dezent abtauchen? Die nächsten Jahre werden spannend sein – innenpolitisch wie außenpolitisch, insbesondere mit Blick auf das transatlantische Verhältnis. Jedoch gehe ich bereits jetzt davon aus, dass der neue US-Präsident bei den Menschen in Deutschland, die auf eine gedeihliche Partnerschaft auf Augenhöhe mit der neuen Trump-Administration setzen, noch viele Illusionen zerstören wird.

Titelbild: Shutterstock / Jonah Elkowitz


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