Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Michael von der Schulenburg: „Geschichtlich gesehen ist es unser Krieg und nicht Putins“
Datum: 20. Januar 2025 um 14:30 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Europäische Union, Militäreinsätze/Kriege, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich: Redaktion
Eingeladen von der Denkfabrik „Eurasien Gesellschaft“ hielt der langjährige UN-Diplomat und aktuelle EU-Abgeordnete (BSW) Michael von der Schulenburg Mitte Januar einen Vortrag zur Zukunft der EU. Viele Jahrzehnte für die UN in den weltweiten Krisengebieten tätig, präsentierte er seine Vorschläge für eine nachhaltige Lösung im Ukraine-Krieg und für die Zukunft des europäischen Kontinents: Annäherung an die BRICS statt weiterem Verharren im US-Vasallentum. Die Bilanz seiner Zeit im EU-Parlaments fiel gnadenlos aus. Die EU sei zu einem „Monster“ geworden, welches sich auf Ideologien, moralische Überheblichkeit und Kompromisslosigkeit stütze. Die EU ignoriere dabei vollkommen die Realitäten. Von Éva Péli.
„Europas Schicksal wird sich in Asien entscheiden und nicht transatlantisch“
Der pensionierte UN-Diplomat mit jahrzehntelanger Erfahrung in vielen Konfliktgebieten sprach bei der Eurasien Gesellschaft über die Außen- und Sicherheitspolitik der EU sowie über ihre geopolitischen Ziele. Seiner Rede gab er den Titel: „Sieben Gründe, warum 2025 kein gutes Jahr für die EU sein könnte“. Von der Schulenburg arbeitete über 34 Jahre für die Vereinten Nationen und für die OSZE, unter anderem als Assistent des UN-Generalsekretärs in Haiti, Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, Syrien, auf dem Balkan, in Somalia, Sierra Leone und in der Sahelzone. Die NachDenkSeiten waren vor Ort und filmten den Vortrag exklusiv für unsere Zuschauer.
Die EU sehe sich auf Augenhöhe mit China und den USA als Militärmacht, Deutschland fordere sogar Nuklearwaffen. Doch die Welt habe sich verändert und es passiere genau das Gegenteil dessen, was sich die EU vorstellt, so von der Schulenburg. Er kennt beide Seiten. Seit 2024 vertritt er im EU-Parlament das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), ist aber selber kein Mitglied der Partei, wie Moderator Alexander Neu von der Eurasien Gesellschaft betonte. Die EU ist dabei, sich aufzulösen, so von der Schulenburg. Die Zukunft Europas sieht er im Osten, mit den BRICS-Staaten.
Unser Krieg
Ein Schwerpunkt seines Vortrags war der Ukraine-Krieg, den er so einschätzte: „Geschichtlich wird dieser Krieg als unser Krieg gesehen, nicht als Putins Krieg.“ Da sei er ziemlich sicher. Es handele sich um eine „Zeitenwende“ für Europa, aber nicht im Sinne von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Verantwortlich dafür macht er die „erschreckend realitätsferne Politik“. Das erkläre, warum das EU-Parlament 13 Seiten lange Resolutionen herausgibt, ohne die Wörter Frieden und Verhandlungen zu erwähnen. Der BSW-Abgeordnete verwies dabei unter anderem auf die Resolution des EU-Parlaments zur „Verstärkung der unerschütterlichen Unterstützung der EU für die Ukraine angesichts des Angriffskriegs Russlands“ vom 26. November 2024. Die dabei verwendete kompromisslose Sprache habe er „nicht einmal im Iran-Irak-Krieg“ von 1980 bis 1988 erlebt, in dem er für die UNO vermittelte. Merkwürdig findet er die Radikalität, um die Demokratie zu verteidigen.
Die EU wolle in der Ukraine einen Siegfrieden gegen Russland, sagte er. Das sei „total unrealistisch“. Er verwies darauf, dass nur noch die EU davon spreche und selbst in der Ukraine die Zahl der Deserteure zunehme.
Vasallen ohne Herren
Diese Haltung der EU ist laut von der Schulenburg „fast ein Kriegsverbrechen“. Er weiß nach eigenen Worten aus Erfahrung in Kriegsgebieten, dass „in den letzten Monaten des Krieges die Hälfte aller Soldaten umkommen“. „Hier sind jetzt die Vasallen ohne die Herren und wollen noch ganz besonders aggressiv sein“, so der Parlamentarier. Doch in der Wirklichkeit würden US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin über die Zukunft des Krieges und damit auch der EU entscheiden.
Der BSW-Abgeordnete findet erschreckend, dass darüber Leute reden und entscheiden, die von den Folgen nicht betroffen seien, „die haben keinen Sohn, der im Krieg ist, keine Tochter, die vergewaltigt wird, kein Haus, das zerstört wird, die müssen ihre Heimat nicht verlassen“.
Die EU werde immer weniger attraktiv, sagte von der Schulenburg. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verhalte sich, als wäre sie die „Präsidentin der Vereinigten Staaten von Europa“. So habe sie auf den Auftritt des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als EU-Ratspräsident im Parlament mit einer „Hassrede“ reagiert. Dabei sei sie „die Angestellte und er ist doch der Chef“.
Doch „jede Politik, die nicht auf der Realität fußt, ist eine verfehlte Politik“. Der Referent bedauerte, dass Brüssel keinen Friedensvorschlag gemacht hat für die Lösung des Konflikts in der Ukraine und sagte: „Die EU hat den Krieg gewählt.“
Frieden ein Unwort
Die EU sei eigentlich als ein Friedensprojekt gedacht, erinnerte er. „Wenn man heute jedoch im Europäischen Parlament ist, ist das Wort Frieden fast ein Unwort. Diplomatie ist ein Unwort. Verhandlungen sind ein Unwort.“ Man sehe im Krieg eine Chance, das zu tun, was ohne Krieg nicht möglich wäre.
Er erinnerte an die Verpflichtungen aller Länder, die in der UN-Charta festgeschrieben sind: alle Konflikte durch Verhandlungen friedlich zu lösen. Wäre die UN-Charta eingehalten worden, wäre es nicht zu diesem Krieg gekommen, sagte der ehemalige hohe Beamte der UNO mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Nach seinen Worten arbeitet er zusammen mit anderen Autoren an einer Denkschrift über „Die EU als Friedensmacht“.
Er sieht als eines der Probleme, dass es heute keine „Politiker von Format“ gibt. Der Abgeordnete hat den Eindruck, dass sich die EU auflöst, vor allem wegen ihrer „unrealistischen, verfehlten und arrogant aufgeblähten Politik“.
EU als globale moralische Instanz
Die EU habe verpasst zu formulieren, was ihre Interessen und ihre Rolle in der Welt sei, beklagte er. Die geografische Lage und die Demografie sind aus seiner Sicht ausschlaggebende Faktoren, denn „man kann sie nicht verändern, man kann nur auf sie reagieren“. Ohne ausreichende Kenntnisse dieser Gebiete ist es nicht möglich, Realpolitik zu betreiben, ist er überzeugt.
Von der Schulenburg zeigte eine Weltkarte mit den größten Konfliktpunkten seit 1992. Die meisten Unruhen gibt es demnach südlich und östlich von Europa – in Afrika, im Nahen Osten, auf dem Balkan und in der Ukraine. Und aus diesen Ländern kommen die meisten Flüchtlinge, denen der Westen Waffen liefert, so der Politiker. Diese Brennpunkte schneiden Europa von dem Rest der Welt ab, von Handelsrouten und Ressourcen.
Dabei ist Europa mit seiner schrumpfenden Bevölkerungszahl und dem Bedarf an Rohstoffen und Waren auf den Osten und Süden angewiesen. Aber die EU sehe sich weiterhin als die globale moralische Instanz: Geschätzt 70 Prozent der Resolutionen des EU-Parlaments hätten nichts mit der EU zu tun. Dabei macht die EU etwa 5,5 Prozent – die NATO 10 Prozent – der Weltbevölkerung aus.
Eine kleine Gruppe von Menschen maße sich an, über einen Großteil der Weltbevölkerung entscheiden zu können, kritisierte er bei der Veranstaltung. Das EU-Parlament ist laut von der Schulenburg „ein Monster“ geworden und die NATO ist ein Machtinstrument der ehemaligen Kolonialmächte, hauptsächlich weißer Menschen. Der Helfer-Instinkt ist aus seiner Sicht auch eine Form der Überheblichkeit.
Gebrochenes Völkerrecht
Der Parlamentarier verwies darauf, dass die Sanktionen gegen Russland – inzwischen wurde bereits das 15. Paket beschlossen – laut der UN-Charta nicht erlaubt sind. Aber auch vor dem Februar 2022 wurde in Donbass Völkerrecht gebrochen, durch den Krieg Kiews gegen die eigene Bevölkerung, erinnerte er. Putins sicherheitspolitische Forderungen seien während der Jahre ignoriert worden. Hätte man die UN-Charta eingehalten, wäre es nicht zu diesem Krieg in der Ukraine gekommen, so der ehemalige hochrangige Diplomat. Aber „wir glauben unserer Propaganda“, fügte er hinzu und fragte: „Wie sind wir dazu gekommen, dass wir, eine Gruppe von Menschen, die Welt dominieren?“
Die Welt sei heute anders. Bemerkenswert findet er, dass Russland und die Türkei als die größten Bindeglieder zwischen Europa und Asien auf der Seite des Globalen Südens sind. Von der Schulenburg, der seit 1992 in leitender Position in Friedensmissionen war, findet erstaunlich, dass sich die BRICS-Staaten auf die UN-Charta berufen. Sie würden die Anerkennung der Souveränität und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einfordern. Sie streben es ihm zufolge nicht an, ein Militärbündnis zu werden und setzen nicht auf eine „regelbasierte Weltordnung“. Dann stellte er nachdenklich die Frage: „Sind wir den BRICS-Staaten nicht viel näher?“
Er bedauerte, dass im EU-Parlament über die BRICS nicht diskutiert wird, da werde nur von der „Achse des Bösen“ geredet, also von Russland, Iran, Nordkorea sowie China. Das geschehe, „weil die Eliten in Europa Angst haben“, erklärte er auf eine Frage aus dem Publikum bei der Diskussion. Doch Europas Schicksal wird in Asien entschieden und nicht transatlantisch, schlussfolgerte der Experte und betonte noch einmal: „Unsere Zukunft liegt im Osten.“
Titelbild: Tilo Gräser
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=127556