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Titel: Insolvenzen – ist die Lage schon so „dramatisch“ wie zu Zeiten der Finanzkrise?
Datum: 17. Januar 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Wichtige Wirtschaftsdaten, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Der Niedergang der deutschen Wirtschaft hat viele Facetten. Besonders hervor sticht jedoch das Thema Insolvenzen, und das nicht nur wegen des in dieser Frage dilettierenden Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck. Vielmehr hatte während der Coronakrise die damals noch schwarz-rote Bundesregierung die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt, was zu der paradoxen Situation führte, dass trotz Wirtschaftseinbruch die Zahl der Insolvenzen 2021 einen historischen Tiefststand erreichte. Dies ist zwar schon gut drei Jahre her, doch nach wie vor herrscht in der Öffentlichkeit bei dem Thema heillose Verwirrung. Von Thomas Trares.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Deutlich wurde dies einmal mehr in der vergangenen Woche, als das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) meldete, dass es in Deutschland im vierten Quartal 2024 so viele Firmenpleiten gab wie seit 15 Jahren nicht mehr. „IWH-Insolvenztrend: Höchstwert bei Firmenpleiten seit Finanzkrise“, lautete die Schlagzeile. Gegenüber der Presse sagte der Leiter der Insolvenzforschung am IWH, Steffen Müller: „Wir hatten zu Zeiten der Finanzkrise 2009 um die 1.400 insolvente Personen- und Kapitalgesellschaften pro Monat. Jetzt haben wir das Niveau wieder erreicht.“ Und weiter bemerkte er: „Wir sind in der Größenordnung, wo einzelne Monate durchaus 20-Jahres-Hochs abgeben.“
„Insolvenzwelle“ bleibt aus
Einen Tag danach veröffentlichte auch der Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) eine Pressemitteilung zum gleichen Thema, die jedoch genau das Gegenteil aussagte. Dort stellte der VID gleich in der Überschrift fest, dass die Pleiten in Deutschland zwar zugenommen haben, die „Insolvenzwelle“ aber auch im Jahr 2024 ausgeblieben ist. Bereits kurz vor Weihnachten sagte VID-Präsident Christoph Niering mit Blick auf die Insolvenzen: „Anstieg, ja – dramatische Entwicklung, nein!“ Und er ergänzte: „Von den Rekordjahren 2004 und 2009 mit in der Spitze 39.213 Unternehmensinsolvenzen werden wir auch im Jahr 2025 sehr weit entfernt sein.“
Mehr Verwirrung geht also nicht. Doch wie lassen sich diese unterschiedlichen Darstellungen ein- und desselben Sachverhalts erklären? Grund dafür ist, dass beide Institutionen unterschiedliche Daten verwenden. Während das IWH nur das Insolvenzgeschehen bei den Personen- und Kapitalgesellschaften berücksichtigt, bezieht sich der VID auf die breiter gefassten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, das auf die sogenannten Regelinsolvenzen abstellt. Diese umfassen zusätzlich zu den vom IWH erfassten Personen- und Kapitalgesellschaften auch noch die Gruppe der Kleinstunternehmen wie auch bestimmte natürliche Personen wie Selbstständige oder ehemals selbstständig Tätige sowie privat haftende Gesellschafter und Einzelunternehmer.
Vergleich mit Finanzkrise hinkt
Der fundamentale Unterschied zwischen dem Insolvenzgeschehen heute und jenem vor 15 Jahren liegt nun darin, dass zu Zeiten der Finanzkrise deutlich mehr dieser Kleinstunternehmen in die Insolvenz geschlittert waren. Während es heute etwa 500 pro Monat sind, waren es damals mehr als doppelt so viele. Entsprechend lag auch die Zahl der Regelinsolvenzen während der Finanzkrise deutlich höher als heute. So stehen den 32.700 Fällen von 2009 heute „nur“ rund 22.400 Pleiten gegenüber. Den bisherigen Höchstwert gab es übrigens in der Rezession 2004 mit 39.200, den Tiefstwert während der Coronakrise mit knapp 14.000 Fällen. So gesehen trifft die Aussage des VID durchaus zu, dass das Insolvenzgeschehen derzeit von den Rekordjahren 2004 und 2009 noch weit entfernt ist.
Was der VID jedoch nicht berücksichtigt, ist, dass die Statistik seinerzeit von vielen Kleinstunternehmen aufgebläht war, die gesamtwirtschaftlich kaum ins Gewicht fallen. Dagegen wird das Insolvenzgeschehen heute vor allem von Großunternehmen geprägt. Bei diesen jedoch lag die Zahl der Insolvenzen im Dezember 2024 um 24 Prozent höher als ein Jahr zuvor und gar um 54 Prozent höher als in einem durchschnittlichen Dezember der Jahre 2016 bis 2019. Laut IWH war damit bei den Großinsolvenzen das Niveau des Finanzkrisenjahres 2009 wieder erreicht. Ähnlich sieht dies auch die auf Insolvenzen spezialisierte Unternehmensberatung Falkensteg. Diese hat bei den Unternehmen mit mehr als zehn Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr 364 Pleitefälle gezählt, ein Zuwachs gegenüber 2023 um fast ein Drittel.
Mehr wirtschaftliche Substanz geht verloren
Weil das Insolvenzgeschehen heute viel stärker von Großunternehmen geprägt ist, geht dementsprechend auch mehr wirtschaftliche Substanz verloren. So stehen die von Falkensteg ermittelten 364 insolventen Großunternehmen für einen Umsatz von insgesamt 27,4 Milliarden Euro. Das sind 44 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Und auch die durch Insolvenzen verursachten Schäden sind deutlich gestiegen. Laut der Auskunftei Creditreform müssen die Gläubiger insolventer Unternehmen für 2024 mit Ausfällen von 56 Milliarden Euro rechnen, das sind fast 80 Prozent mehr als 2023 und fast dreimal so viel wie vor zehn Jahren. Darüber hinaus beziffert Creditreform die Zahl der bedrohten Arbeitsplätze für 2024 auf 320.000. Ein Jahr zuvor waren es noch 205.000.
Betroffen von Großinsolvenzen sind vor allem die deutschen Vorzeigebranchen Automobil und Maschinenbau. Beispiele hierfür sind der Wuppertaler Autozulieferer WKW mit mehr als 2.000 Beschäftigten sowie der Reutlinger Industrieausrüster Manz, der vergeblich auf Geschäfte mit Anlagen für Batteriezellfabriken gehofft hatte. Weitere prominente Fälle des vergangenen Jahres sind der Reiseveranstalter FTI, die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof, die Modefirma Esprit sowie die beiden Flugtaxi-Entwickler Volocopter und Lilium, wobei Letztere inzwischen einen Investor gefunden hat. Volocopter indes hatte vor wenigen Jahren noch als Vorzeigeprojekt der CSU-Politikerin Doro Bär für Schlagzeilen gesorgt.
Habecks Vorzeigeprojekte insolvent
Und nicht zuletzt sind auch zwei Vorzeigefirmen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von Insolvenz betroffen. So hat das auf Wasserstofftechnologie spezialisierte Hamburger Unternehmen HH2E Mitte Dezember Insolvenz in Eigenverwaltung angekündigt. Grund ist die Finanzierungsabsage des Mehrheitsaktionärs Foresight Group, der eigentlich die geplante erste Produktionsanlage für grünen Wasserstoff unterstützen sollte. Insolvent ist überdies der schwedische Batteriehersteller Northvolt, der im schleswig-holsteinischen Heide eine Batteriefabrik für E-Autos bauen wollte. Allerdings haben die Schweden in den USA Insolvenz beantragt, sodass dieser Fall nicht in die deutsche Statistik eingeht. Gleichwohl hat die Causa Northvolt ein Nachspiel, denn die Staatsbank KfW hat offenbar auf Geheiß von Habecks Wirtschaftsministerium im Herbst 2023 gut 600 Millionen Euro an Northvolt überwiesen. Dabei soll der ehemalige Northvolt-Chef Peter Karlsson Habeck bewusst ausgetrickst haben.
Fazit: Die gängige Praxis, das Insolvenzgeschehen nur anhand der vom Statistischen Bundesamt gemeldeten Regelinsolvenzen zu beurteilen, ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen birgt dieses Vorgehen die Gefahr, das tatsächliche Insolvenzgeschehen systematisch zu unterschätzen. „Pleitewelle? Das ist ‘nicht einmal Hochwasser!‘“, schrieb beispielsweise die „Wirtschaftswoche“. (10) Und in der „Börsen-Zeitung“ hieß es: „Wirtschaftskrise treibt weitere Firmen in die Insolvenz – Experten raten aber weiter zur Ruhe“.
Und zum anderen führt auch der ständige Vergleich mit den Höchstständen zu Zeiten der Finanzkrise in die Irre. Damals handelte es sich nämlich um einen krisenbedingten Ausreißer nach oben. Schon in den Folgejahren gingen die Insolvenzzahlen wieder deutlich zurück. Heute jedoch ist es eine strukturelle Krise, die sich mit den Schlagworten Deindustrialisierung, Abwanderung, Investitionsschwäche und dem Ende einer günstigen und sicheren Energieversorgung beschreiben lässt. Dies legt den Schluss nahe, dass das Insolvenzgeschehen auf absehbare Zeit hoch bleibt. Die Prognosen für 2025 jedenfalls deuten in diese Richtung: So hieß es bei der Unternehmensberatung Falkensteg: „In diesem Jahr werden wir einen weiteren Anstieg um 20 bis 25 Prozent sehen, denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern sich nicht über Nacht.“
Titelbild: thodonal88/shutterstock.com
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