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Titel: „Räuberpistolen“ – Annullierung der Präsidentschaftswahl in Rumänien als Blaupause für die anstehende Bundestagswahl?
Datum: 14. Januar 2025 um 14:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wahlen
Verantwortlich: Florian Warweg
Im Dezember 2024 hatte das Verfassungsgericht die Präsidentschaftswahlen in Rumänien mit Verweis auf eine angeblich russische Beeinflussungskampagne auf TikTok annulliert. Jetzt haben Recherchen ans Licht gebracht, dass in Wirklichkeit nicht „russische Agenten“, sondern die NATO-freundliche Präsidenten- und Regierungspartei PNL höchstselbst die Kampagne initiiert und bezahlt hatte. Mutmaßlich, um ein Instrument zu haben, im Falle einer für sie schlecht laufenden Wahl diese rückgängig machen zu können. Völlig unbeeindruckt von diesen Erkenntnissen fordert derweil der EU-Kommissar a.D. Thierry Breton, „falls nötig“, auch die Bundestagswahl nach rumänischem Vorbild zu annullieren. Die NachDenkSeiten fragten nach der Bewertung der Bundesregierung. Diese sieht in den neuen Erkenntnissen nur „Räuberpistolen“. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Massenproteste und neue Erkenntnisse zu den Hintermännern der angeblich „russischen“ TikTok-Kampagne
Am vergangenen Wochenende gingen in Rumänien tausende Menschen auf die Straße, um gegen die umstrittene Annullierung der Präsidentschaftswahlen vom 24. November 2024 zu demonstrieren und die Rücknahme dieser Entscheidung zu fordern.
In Rumänien wird der Rücktritt des amtierenden Präsidenten Klaus Johannis gefordert. Ihm wird vorgeworfen, mit konstruierten Manipulationsvorwürfen für die Annullierung der Präsidentschaftswahl gesorgt zu haben. Habt Ihr das in der @tagesschau gesehen?pic.twitter.com/OJA5rtPx4M
— Hirnschluckauf (@Hirnschluckauf) January 13, 2025
Hintergrund der Proteste sind unter anderem Recherchen des renommierten Investigativportals Snoop. In dem bereits Ende Dezember veröffentlichten Bericht wird detailliert dargelegt, dass die angeblich von russischen Geheimdiensten gesteuerte TikTok-Kampagne für den NATO-kritischen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu in Wirklichkeit von der amtierenden liberalkonservativen Präsidenten- und Regierungspartei Partidul Național Liberal (PNL) initiiert und bezahlt worden sei. Mutmaßlich, um damit ein Instrument zu haben, um im Falle eines nicht genehmen Wahlausgangs diesen mit Verweis auf „russische Einflussnahme“ revidieren zu können. Was dann auch im Dezember mit Verweis auf „geheimdienstliche Erkenntnisse“ geschah.
Die Recherchen von Snoop stehen damit diametral der offiziellen Behauptung des rumänischen Geheimdienstes SRI entgegen, welche die Grundlage für die Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Annullierung der Wahl darstellte, der zufolge die TikTok-Kampagne von Russland gesteuert worden sei.
Snoop zitiert in dem Bericht aus der von der Ständigen Wahlbehörde Rumäniens bei der Nationalen Steuerverwaltung beantragten vertraulichen Untersuchung des Sachverhalts. Laut der Untersuchung war die Wahlkampagne von einer Marketingfirma namens Kensington Communication organisiert und von der transatlantisch ausgerichteten Präsidentenpartei PNL mit mehr als einer Million Leu (entspricht rund 210.000 US-Dollar) bezahlt worden. Kensington nutzte in Folge eine Plattform namens Fameup, um rund 130 Influencer mit spezifischen Skripten und Richtlinien zur Unterstützung von Georgescu zu koordinieren. Nach einem ersten Dementi gab Kensington schlussendlich auch zu, für die Wahlkampagne verantwortlich zu sein. Man sei jedoch selbst Opfer eines Hackerangriffs geworden, der die Kampagne zugunsten von Georgescu verändert habe.
Die Enthüllung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Präsidentenpartei hat den ihr unterstehenden Geheimdienst bewusst eingesetzt, um eine für sie schlecht laufende Wahl mit Hilfe von inszenierten und von ihr bezahlten Beweisen einer angeblich belegten „russischen Einmischung“ wiederholen zu können. Damit hat sie den einzig als NATO-kritisch geltenden Kandidaten Georgescu auch zunächst erfolgreich ausgebremst. Der aktuelle Präsident Johannis gilt hingegen als begeisterter NATO-Anhänger und hatte vor dem Rückzug seiner Kandidatur im Juni 2024 sogar versucht, Generalsekretär des Bündnisses zu werden. In seiner insgesamt zehnjährigen Amtszeit war eines seiner Hauptanliegen, den Luftwaffenstützpunkt „Mihail Kogalniceanu“ bei Constanta zur größten NATO-Basis Europas auszubauen. Eines der wenigen politischen Ziele, die er tatsächlich erfolgreich umgesetzt hat.
Ex-EU-Kommissar Breton fordert „wenn nötig“ Annullierung der Wahl auch in Deutschland
Von diesen Erkenntnissen völlig unbeeindruckt, erklärte derweil der ehemalige EU-Kommissar Thierry Breton am 9. Januar gegenüber dem französischen Fernsehsender RMC mit Verweis auf die von ihm als gut und notwendig befundene Annullierung der Präsidentschaftswahl in Rumänien:
„Bewahren wir einen kühlen Kopf und setzen wir die Gesetze in Europa durch. Wenn die Gefahr besteht, dass sie umgangen werden, und wenn sie nicht durchgesetzt werden, könnte dies zu Einmischung führen. Wir haben es in Rumänien getan und wir werden es offensichtlich, falls nötig, auch in Deutschland tun müssen.“
Als einer der wenigen, um nicht zu sagen als einziger deutscher EU-Abgeordneter, hatte Martin Sonneborn (Die Partei) bereits im Dezember 2024 auf die Verquickungen der rumänischen Regierungspartei und des US-State Departments in der Angelegenheit der angeblichen „russischen Wahleinmischung“ hingewiesen. Für Regierungssprecher Steffen Hebestreit fällt das alles natürlich unter die Rubrik „Räuberpistole“…
Im Dezember erläuterte @MartinSonneborn, dass die Annullierung der Wahl in Rumänien nicht auf russischer Beeinflussung basiert, sondern aus den USA angestoßen wurde. Außerdem, dass TikTok schon länger eher unter US-Kontrolle steht. EU und etablierte Medien dienten als Helfer. >>> pic.twitter.com/T7QdIv3Qmv
— Mathias_M (@matze2001) January 12, 2025
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 13. Januar 2025
Frage Warweg
Nach der umstrittenen Annullierung der Präsidentschaftswahlen in Rumänien haben wir am Wochenende umfangreiche Demonstrationen gesehen, die die Rücknahme dieser Annullierung forderten. Einer der Gründe ist ja unter anderem, dass mittlerweile bekannt geworden ist, dass die angeblich russische Einflusskampagne tatsächlich von der noch amtierenden Regierungspartei initiiert und bezahlt wurde. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren, ob die Bundesregierung es immer noch als so unproblematisch und rechtsstaatlich fundiert ansieht, dass die Präsidentschaftswahlen im ersten Gang annulliert worden sind, weil das die Darstellung war, als ich hier Mitte Dezember nachgefragt hatte. Da würde mich interessieren, wie die Bundesregierung mittlerweile diese Causa bewertet.
Wagner (AA)
Herr Warweg, ich habe keinen neuen Stand. Wir kommentieren innenpolitische Vorgänge bei unseren EU-Partnern ja hier normalerweise nicht, und insofern würde ich es jetzt auch hier so handhaben. Das ist ja ein Vorgang, der sozusagen die innenpolitischen Akteure in Rumänien und die dortige Justiz betrifft. Insofern habe ich da keinen weiteren Kommentar für Sie.
Zusatzfrage Warweg
Der EU-Kommissar a. D. Thierry Breton hat kürzlich erklärt, ich zitiere ganz kurz: Wir haben es in Rumänien getan, und wir werden es offensichtlich, falls nötig, auch in Deutschland tun müssen. – Er spielte dabei auf die bereits erwähnte Wahlrücknahme aufgrund von Einflusskampagnen in den sozialen Medien an. Da würde mich nur die allgemeine Rechtslage interessieren. Würde es tatsächlich jetzt à la Thierry Breton ausreichen, dass es eine ominöse TikTok-Kampagne gibt, bei der die Quelle nicht wirklich klar ist, um die Bundestagswahlen zurücknehmen zu können oder annullieren zu können? Ich weiß nicht, wer sich auf dem Podium sprechbereit zeigt.
Regierungssprecher Hebestreit
Vielleicht kann ich Ihrer Räuberpistole insoweit etwas entgegenhalten: Das war in Rumänien meines Wissens eine Entscheidung des dortigen obersten Gerichtshofes. Das war nicht eine Entscheidung eines früheren EU-Kommissionsmitgliedes. Insofern würde ich das dann auch klar dem juristischen Sachverstand des dortigen obersten Richters überlassen und auch keine anderen Thesen in den Raum stellen.
Kall (BMI)
In Deutschland entscheidet auch das Bundesverfassungsgericht, wenn die Gültigkeit einer Bundestagswahl bzw. generell von Wahlen angegriffen wird, insofern auch hier das höchste deutsche Gericht.
Frage Jessen
Das knüpft daran an. Was Thierry Breton sagte, bezog sich ja auf die Einmischung von Elon Musk in den deutschen Wahlkampf. Sieht die Bundesregierung da in irgendeiner Weise vergleichbare Strukturen, die dann auch eine vergleichbare Überlegung, nämlich eine Annullierung von Wahlen, in irgendeiner Weise rechtfertigen würden?
Hebestreit
Ich mache das kurz: Zum jetzigen Zeitpunkt absolut nicht, nein.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 13.01.2025
Wie bewertet die Bundesregierung die komplette Annullierung der Präsidentschaftswahl in Rumänien?
Deutsche Medien ignorieren weiterhin den Skandal von Rumänien
Rumänien: NATO-Kritiker überrascht bei Präsidentschaftswahl
Rumänien hat sich verwählt, weil ein paar bezahlte TikToker nicht richtig ticken
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