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Titel: Das Zeitfenster für eine mögliche Sanierung von Nord Stream schließt sich
Datum: 14. Januar 2025 um 12:47 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Ressourcen
Verantwortlich: Jens Berger
In einem gestern erschienenen Interview mit der Berliner Zeitung forderte der sächsische Ministerpräsident Kretschmer erneut, aufgrund der hohen Energiepreise eine Wiederaufnahme der russisch-deutschen Gaslieferungen ins Auge zu fassen. Das Timing des Interviews mag dem Wahlkampf geschuldet sein, viel Zeit bleibt der Politik nämlich nicht. In der letzten Woche übergab ein Schweizer Gericht die Entscheidungsgewalt, was mit Nord Stream 2 passieren wird, de facto fünf westeuropäischen Energiekonzernen, die als Großgläubiger Forderungen gegen die Gazprom-Tochter haben, der Nord Stream 2 noch gehört. Sollte es keine Einigung geben, werden die Pipelines wohl im Frühsommer im Rahmen eines Konkursverfahrens versteigert. Bislang gibt es nur einen Interessenten und der ist ausgerechnet ein US-Investor und Trump-Vertrauter, der die US-Kontrolle über den europäischen Gasmarkt sichern will. Wenn die Bundesregierung also die Option künftiger russischer Gaslieferungen über die Ostsee bewahren will, müsste sie bald handeln. Doch das ist unwahrscheinlich. Von Jens Berger.
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Wenn über Nord Stream und die Zukunft der Ostseepipelines gesprochen wird, herrscht leider oft eine gewisse begriffliche Verwirrung, die vor allem darin begründet ist, dass die beiden Pipelineprojekte Nord Stream und Nord Stream 2 nicht separat betrachtet werden. Das ist aber in diesem Kontext wichtig, da es große Unterschiede sowohl bei der technischen, der ökonomischen, aber auch der rechtlichen Situation gibt.
Nord Stream 1
Betrachten wir zunächst die Pipeline Nord Stream, manchmal auch Nord Stream 1 genannt. Nord Stream nahm 2011 seinen Betrieb auf und gehört der Nord Stream AG, die im Schweizer Kanton Zug ansässig ist. Die Nord Stream AG gehört zu 51 Prozent dem russischen Unternehmen Gazprom AG, an dem wiederum der russische Staat mit 50 Prozent die Mehrheitsbeteiligung hält. Die restlichen 49 Prozent Besitz an der Nord Stream AG teilen sich heute nach einigen Umstrukturierungen die ehemals deutsche Wintershall Dea GmbH (15,5 Prozent), die ihrerseits im September 2024 von BASF an das britische Unternehmen Harbour Energy verkauft wurde. Weitere 15,5 Prozent gehören dem deutschen Energiemulti E.ON AG. Das niederländische Staatsunternehmen Gasunie sowie die französische Engie, an der der französische Staat mit 24,1 Prozent beteiligt ist, sind mit jeweils 9,0 Prozent an der Nord Stream AG beteiligt.
Der Nord Stream AG gehören die beiden Röhren der Nord-Stream-Pipeline. Beide Röhren wurden durch den Anschlag am 26. September 2022 schwer beschädigt und sind seitdem außer Betrieb. Die Nord Stream AG selbst ist jedoch nicht Gegenstand amerikanischer oder europäischer Sanktionen, und auch wenn sie derzeit nur die beschädigten Transportrohre verwaltet, ist sie auch nicht insolvent oder gar im Konkurs. Rechtlich und ökonomisch gäbe es also zunächst einmal keine zwingenden Gründe, warum die beiden Stränge von Nord Stream 1 nicht wieder in Betrieb gehen könnten.
Technisch sieht dies jedoch anders aus. Über das Ausmaß der Schäden gibt es unterschiedliche Angaben, wobei zahlreiche Quellen eine Sanierung und Wiederinbetriebnahme technisch durchaus für möglich halten. Nur weil eine Sanierung technisch möglich ist, heißt dies jedoch nicht, dass dies auch rechtlich umsetzbar wäre. Wenn beispielsweise die Schäden so groß sind, dass man die beschädigten Rohre durch Umleitungen überbrücken müsste, wären dafür neue Zulassungsverfahren nötig, bei denen auch die Anrainerstaaten grünes Licht geben müssten. Sicher – wir bewegen uns hier vollends im Konjunktiv, aber nach Lage der Dinge stehen die Chancen für eine Wiederinbetriebnahme der Stränge von Nord Stream 1 derzeit selbst dann eher schlecht, wenn eine kommende Bundesregierung dieses Vorhaben unterstützen würde.
Nord Stream 2
Vollkommen anders sieht die rechtliche und ökonomische Situation für das neue, nie in Betrieb genommene Pipelineprojekt Nord Stream 2 aus. Nord Stream 2 gehört der Nord Stream 2 AG, die ebenfalls im Schweizer Kanton Zug sitzt, aber anders als die Nord Stream AG eine 100-prozentige Tochter der russischen Gazprom AG ist und internationalen Sanktionen unterliegt. Die zu Nord Stream 1 unterschiedlichen Besitzverhältnisse sind übrigens Folge einer Entscheidung des polnischen Kartellamts, das eine „marktbeherrschende Stellung“ beteiligter europäischer Energiekonzerne verhindern wollte. Anstatt sich an der Nord Stream 2 AG zu beteiligen, haben die europäischen Partner (die österreichische OMV, die damals finnische und mittlerweile vom deutschen Staat verstaatlichte Uniper, die damals deutsche und heute britische Wintershall Dea, die britisch-niederländische Shell AG und die französische Engie) ihre „Beteiligung“ an dem Pipelineprojekt in Form von Krediten beigesteuert. Mit jeweils 950 Millionen Euro haben sie sich zu 50 Prozent an den Gesamtbaukosten in Höhe von 9,5 Milliarden Euro beteiligt.
Die Kredite sind nach dem Anschlag mittlerweile von den fünf westeuropäischen Unternehmen abgeschrieben worden, zumal die Nord Stream 2 AG durch die Sanktionen de facto zahlungsunfähig ist und auch das Mutterunternehmen Gazprom aufgrund der Sanktionen die ausstehenden Kreditrückzahlungen selbst dann nicht leisten könnte, wenn es dies wollte. Die Nord Stream 2 AG ist also massiv verschuldet, verzeichnet keine Geschäftseinnahmen und ist daher Gegenstand eines im Kanton Zug vom Kantonsgericht verhandelten Konkursverfahrens. Ziel dieses Verfahrens ist es, eine Einigung zwischen den Gläubigern und der Nord Stream 2 AG zu erzielen. Wenn dies nicht gelingt, muss das Gericht den Konkurs eröffnen und sämtliche Aktiva der AG werden öffentlich versteigert – die einzigen wirklich nennenswerten Aktiva der Nord Stream 2 AG sind die beiden Pipelinestränge, von denen einer – ähnlich wie die beiden Nord-Stream-1-Stränge – beim Anschlag schwer beschädigt wurde und der andere nach öffentlich zugänglichen Informationen wohl nicht bzw. nur leicht beschädigt ist und zumindest theoretisch ohne große Sanierungsmaßnahmen in Betrieb genommen werden könnte.
Doch auch wenn die Lage aus technischer Sicht bei Strang B von Nord Stream 2 wohl relativ positiv aussieht, steht einer denkbaren Betriebsaufnahme hier – anders als Nord Stream 1 – die rechtliche Lage im Weg. Bundeswirtschaftsminister Habeck stoppte am 22. Februar 2022 – zwei Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine – das Zertifizierungsverfahren für die Nord Stream 2 AG. Im Rahmen der Zertifizierung wurde übrigens der über deutsches Hoheitsgebiet verlaufende Teil der Nord-Stream-2-Röhren an eine Schweriner Tochtergesellschaft übertragen, die im Januar 2023 aufgelöst wurde. Welchen Einfluss dies auf die Besitztitel der Röhren hat, ist unklar. Festzuhalten bleibt jedoch, dass eine Inbetriebnahme des intakten Stranges B von Nord Stream 2 nicht ausgeschlossen ist und – den politischen Willen vorausgesetzt – „lediglich“ am noch fehlenden deutschen Zertifizierungsverfahren und den laufenden Sanktionen der EU und der USA gegen die Nord Stream 2 AG scheitern würde. Dies sind keine Hindernisse, die auf alle Zeit bestehen müssen.
Anders sieht es beim schwer beschädigten Strang A von Nord Stream 2 aus. Selbst wenn man diese Röhre sanieren könnte, ist es vollkommen ungewiss, ob diese Röhre auch rechtlich in Betrieb genommen werden könnte. Seit Inbetriebnahme von Nord Stream 1 haben sich nämlich auch die Richtlinien geändert und die EU hat Anrainerstaaten weitreichende Möglichkeiten gegeben, ihrerseits Einfluss auf das Genehmigungsverfahren zu nehmen. Dass Polen und die skandinavischen Anrainerstaaten einer möglichen Sanierung und Inbetriebnahme von Strang A von Nord Stream 2 ihre Zustimmung verweigern würden, darf als gesetzt angenommen werden.
All diese Diskussionen könnten jedoch in wenigen Wochen ohnehin überflüssig sein. Wenn es vor dem Kantonsgericht in Zug nämlich zu keiner Einigung der Gläubiger mit der Nord Stream 2 AG kommt, werden beide Röhren versteigert. Russische Bieter dürften durch die Sanktionen de facto von der Versteigerung ausgeschlossen sein und dass europäische Konzerne ein gesteigertes Interesse daran haben, in der jetzigen Lage eine derart politisch explosive Entscheidung zu fällen, darf ebenfalls bezweifelt werden. Bleiben Glücksritter und strategische Investoren aus Ländern übrig, die selbstbewusster beim Energiepoker auftreten und deren Ziele nicht unbedingt mit niedrigen Energiepreisen in Deutschland im Einklang stehen. Die Rede ist vom US-Investor Stephen P. Lynch – der Kollege Florian Warweg berichtete dazu.
Lynch ist ein Investor, der sich auf „problematische“ Investitionen in Osteuropa, Zentralasien, Russland und der Ukraine spezialisiert hat und dabei im engen Kontakt mit der US-Regierung steht, die ihm für seine Investments, die gegen US-Sanktionen verstoßen, Ausnahmegenehmigungen erteilt. Lynch gilt als guter Vertrauter des kommenden US-Präsidenten Trump und hat sich bereits eine Ausnahmegenehmigung für den Kauf der von den USA sanktionierten Pipeline Nord Stream 2 besorgt. Wenn es keine anderen Bieter gibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass die einst 9,5 Milliarden Euro teure Pipeline für einen Spottpreis von ihm ersteigert werden kann. Nun kann man munter über die Motive von Lynch spekulieren. Er selbst deutet dabei an, den Betrieb von Nord Stream 2 – gemeint ist wohl nur der intakte Strang B – später aufnehmen zu wollen. Warum Russland einem US-Investor, der sich – politisch von den USA flankiert – russisches Eigentum unter den Nagel gerissen hat, Gas liefern sollte, ist aber unklar. Genauso unklar ist, welchen Preis Lynch von seinen möglichen Kunden nehmen würde.
Wahrscheinlicher ist es, dass es gar nicht darum geht, Nord Stream 2 wieder in Betrieb zu nehmen, sondern ganz im Gegenteil exakt dieses Vorhaben zu verhindern. Denn wenn der intakte Strang B erst einmal einem US-Investor gehört, liegt es weder in deutscher noch in russischer Hand, ob die Pipeline jemals in Betrieb gehen wird und was mit ihr passiert. Lynch könnte die Stahlröhren auch einfach demontieren lassen und an ein anderes Pipelineprojekt verkaufen. Deutschland würde dann in die Röhre schauen – so oder so.
Das Zeitfenster schließt sich
Auch wenn derzeit im Wahlkampf sowohl die Opposition vom BSW und der AfD sowie vereinzelte Unionspolitiker wie Michael Kretschmer eine mögliche Sanierung und Inbetriebnahme der Nord-Stream-Pipelines zu einem unbestimmten künftigen Zeitpunkt fordern, so werden die Weichen dafür nicht zu einem unbestimmten künftigen Zeitpunkt, sondern in den nächsten Wochen gestellt.
Für eine Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 1 sähe die Lage rein rechtlich gesehen gar nicht so schlecht aus, wenn denn tatsächlich eine Sanierung, die ohne ein neues Zulassungsverfahren auskommt, möglich wäre. Dies scheint vor allem eine politische Frage zu sein, die jedoch nicht nur in Deutschland getroffen wird. Wenn Sanierungsmaßnahmen durch die EU-Richtlinien auch von Anrainerstaaten bewilligt werden müssten, dürften die Chancen jedoch bei null stehen.
Bei Nord Stream 2 sieht es noch schlechter aus. Für den schwer beschädigten Strang A gibt es wohl keine Hoffnung mehr, da hier nicht nur die Sanktionen, sondern auch der nicht vorhandene rechtliche Rahmen den Gegnern der Pipeline zahlreiche Einfallstore bieten. Strang B könnte durchaus ohne großen finanziellen und technischen Aufwand wieder in Betrieb genommen werden, wenn die Besitzverhältnisse dies zuließen. Hier schließt sich jedoch in diesen Wochen das Zeitfenster. Sollte die Pipeline erst einmal einem US-Investor gehören, können wir wohl sämtliche Hoffnungen auf preiswertes russisches Gas endgültig abschreiben.
Freilich ließe sich dies verhindern. Über das reine Staatsunternehmen Uniper gehört der deutsche Staat schließlich selbst zu den Gläubigern der Nord Stream 2 AG. Die österreichische OMV dürfte auch ein Interesse an einer Wiederaufnahme der Gaslieferungen haben und die beiden britischen und den französischen Gläubiger könnte man sicher ausbezahlen, wenn man denn tatsächlich interessiert wäre. Aber genau das ist ja nicht der Fall. Die jetzige Bundesregierung vertritt die Position, man hätte mit der ganzen Sache nichts zu tun, dies sei eine rein privatwirtschaftliche Angelegenheit – eine fragwürdige Argumentation, da die Uniper ja – wie bereits erwähnt – ein reines Staatsunternehmen Deutschlands ist.
Und selbst im Falle einer Versteigerung der beiden Nord-Stream-2-Röhren könnte Deutschland ja zumindest theoretisch selbst mitbieten und neuer Besitzer der Pipeline werden. Sicher, das ist angesichts der derzeitigen politischen Debatte extrem unwahrscheinlich. Dass Deutschland sich von den USA emanzipiert und eine eigene Energiepolitik zum Wohle der eigenen Wirtschaft und der eigenen Bürger betreibt, ist auszuschließen. Dumm nur, dass in diesen Wochen die Weichen gestellt werden und eine Korrektur dieser selbstzerstörerischen Politik nicht mehr möglich sein wird, wenn Nord Stream 2 erst einmal in amerikanischer Hand ist.
Titelbild: Damnwell Media/shutterstock.com
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