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Titel: Rudolf Dressler – sozialer Mahner der SPD gestorben
Datum: 13. Januar 2025 um 16:01 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, SPD
Verantwortlich: Redaktion
Ein Fels in der Brandung, wenn es um die Verteidigung des Sozialstaats, ein unermüdlicher Schaffer, wenn es um dessen Ausbau zum Wohle der Arbeitnehmer ging – das war Rudolf Dressler, verstorben am 8. Januar, 84-jährig. Damit ist die SPD einen unermüdlichen Mahner losgeworden, die Sozialorganisationen einen leidenschaftlichen Unterstützer. Rudolf Dressler: ein Sozial-Demokrat in des Wortes verpflichtender Bedeutung. Deshalb verfasste Hermann Zoller keinen Nachruf, sondern einen Blick auf das konkrete Denken und Handeln von Rudolf Dressler – erstaunlich aktuelle Stellungnahmen.
Geboren wird Rudolf Dressler am 17. November 1940 in Wuppertal-Sprockhövel, erlernt den Beruf des Schriftsetzers, wird freier Mitarbeiter mehrerer Zeitungen. Gewerkschaftliches Engagement ist eine Selbstverständlichkeit für ihn. Von 1969 bis 1981 ist er Vorsitzender des Betriebsrats bei der Westdeutschen Zeitung. Das Vertrauen der Mitglieder macht ihn von 1974 bis 1983 zum Mitglied des Hauptvorstandes der Industriegewerkschaft Druck und Papier (heute Teil von ver.di).
Dressler ist Mitautor des 1974 erschienenen Buches „Sozialplan und Interessenausgleich nach dem BetrVG1972“, Mitherausgeber ist er bei dem „Schwarzbuch Wirtschaftskriminalität” (1987). Mehrere Jahre ist Dressler ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht Düsseldorf und am Oberverwaltungsgericht für das Land NRW.
Zum Mitglied des Deutschen Bundestages wurde Rudolf Dressler 1980 gewählt im Wahlkreis Wuppertal 1, zuletzt mit 53,1 Prozent. Als parlamentarischer Staatssekretär in der Regierungszeit von Helmut Schmidt und später als langjähriger stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion war Dressler für die SPD eine wichtige sozialpolitische Stimme. Dressler galt als angriffslustig und als einer, der die Dinge auf den Punkt bringt – beispielsweise, als er 1988 in einer Bundestagsdebatte die Gesundheitsreform der Regierung Kohl aus seiner Sicht kommentierte: „Sie schließt sich nahtlos an Ihre unsoziale Steuerreform an. Den Kleinen wird genommen und den Großen wird gegeben.“
Nach der gewonnenen Bundestagswahl 1998 gingen viele davon aus, dass er Arbeitsminister wird. Doch Kanzler Gerhard Schröder entschied sich für Walter Riester. Rudolf Dressler war ein scharfer Kritiker der „Hartz-Reformen, die Bundeskanzler Schröder gegen den innerparteilichen Widerstand und die Proteste der Gewerkschaften durchsetzte. Hartz IV sei verantwortlich für den „Absturz“ der SPD, kommentierte Dressler.
Interesse zeigte Dressler schon immer für die Entwicklung Israels. 19 Jahre war in der Bundestagsfraktion zuständig für Israel. So überrascht es nicht, dass er der Botschafter Deutschlands in Israel wurde – vom 1. September 2000 bis 31. August 2005. 2013 wurde Dressler mit dem Heinz-Galinski-Preis der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ausgezeichnet. Nach seinen eigenen Angaben war er der Schöpfer der Formulierung, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson sei.
Im Mai 2007 spekulierte Dressler aus Unzufriedenheit mit der Sozialpolitik der SPD über einen Übertritt zur Linkspartei – verwarf einige Monate später aber diesen Gedanken. Im Februar 2023 gehörte Dressler zu den Erstunterzeichnern einer von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Petition, die zum Ende der militärischen Unterstützung der Ukraine aufruft.
Dressler und die SPD
Rudolf Dressler hat seiner Partei immer auf die Finger geschaut und unerbittlich die Fehlentscheidungen an den Pranger gestellt. So erschien am 9. März 2018 in verdi PUBLIK (02/2018) von ihm der Artikel „Vom Betrachten der Wirklichkeit“. Es ging darin um das Mitgliedervotum über einen Eintritt in eine „Große Koalition“. Den Vertrag für diese Koalition hatte die Partei als „durchschlagenden Verhandlungserfolg“ zu verkaufen versucht. Nach einem Blick in dieses Papier diagnostizierte Dressler „Ernüchterung“ – und belegte seine Einschätzung:
„Erstes Beispiel: Die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung wird uns als historische Errungenschaft angepriesen. Offensichtlich haben alle SPD-Unterhändler verdrängt, dass es Sozialdemokraten waren, die 2005 die gleichgewichtige Finanzierung beseitigt haben. Anders ausgedrückt: CDU und CSU haben es der SPD lediglich erlaubt, ihren krassen Fehler von vor 13 Jahren – sagen wir klar, was es gewesen ist: eine sozialpolitische Schweinerei – endlich auszumerzen.
Zweites Beispiel: Das Niveau der gesetzlichen Altersrente soll bis 2025 bei 48 Prozent stabilisiert werden. Im Jahre 2004 war es die SPD (im Verein mit den Grünen), die mit der Einführung des sogenannten Nachhaltigkeitsfaktors die Senkung des Rentenniveaus auf zunächst 46, dann bis 2030 auf 43 Prozent zugelassen hat. Auch in diesem Fall erlaubt die Union mit dem Koalitionsvertrag von 2018 die Korrektur einer SPD-Maßnahme, und das auch nur vorläufig, bis 2025.
Genauso verhält es sich – noch ein Beispiel – mit der Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund, die den Arbeitgebern jetzt erschwert werden soll. Diese schlimme Gesetzgebung war der Einstieg in die Agenda-Politik des Kanzlers Gerhard Schröder im Jahre 2000. Mit einem einzigen Satz hat der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, die mit der Agenda-Gesetzgebung herbeigeführte Katastrophe beschrieben: „Die Hartz-Gesetze haben den Weg nach unten frei gemacht.”
Schließlich, ein letztes Beispiel, die Ausweitung der Anerkennung von Kindererziehungszeiten – von CDU und CSU durchgesetzt unter dem Kampfbegriff “Mütterrente” – zu Lasten der Beitragszahler/innen in der gesetzlichen Rentenversicherung: eine versicherungsfremde Sozialleistung in Milliardenhöhe wird aus Sozialversicherungsbeiträgen bezahlt. So begrüßenswert das Gesetz unter sozialen Gesichtspunkten auch sein mag, so ungerecht und nicht zu akzeptieren ist – aus dem gleichen sozialen Blickwinkel – seine Finanzierung aus dem Vermögen der Rentenversicherung, statt dafür alle Steuerzahler/innen heranzuziehen.
Spätestens an dieser Stelle sei an ein Wort Kurt Schumachers erinnert, des ersten SPD-Vorsitzenden nach dem Zweiten Weltkrieg: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.” Diese Wirklichkeit zeigt die großen Bruchstellen in der SPD, zeigt in vielen Regionen SPD-Wahlergebnisse hinter der AfD, zeigt den Verlust von rund zehn Millionen Wählerinnen und Wählern seit dem rot-grünen Wahlsieg 1998. Wenn wir die politische Wirklichkeit betrachten und bereit sind, die seit mindestens 15 Jahren von der SPD kultivierte Neigung zu überwinden, politische Probleme zu verdrängen, dann können wir uns auch Analysen wohlmeinender Beobachter des Zeitgeschehens nähern.“
Dressler contra Blüm
Norbert Blüm, viele Jahre Bundesarbeitsminister, hatte in Rudolf Dressler einen Gegenspieler, der es ihm nicht leicht machte. Ihre kämpferischen Rededuelle hatten es in sich. Rudolf Dressler sagte Jahre später über seinen langjährigen Freund Blüm:
„Wir beide haben uns in 20 Parlamentsjahren nichts geschenkt. Aber trotz mancher Härte und Schärfe in der Sprache hat es nie an gegenseitigem Respekt gemangelt.“
Es war ein Spiel über Bande, die Entschlossenheit, den Sozialstaat zu verteidigen. Diesem Grundverständnis verdanken wir zum Beispiel die gesetzliche Pflegeversicherung. „Der aufrechte Gang aber war stets sein Wegbegleiter“, so hat Dressler in einem Nachruf auf seinen Freund Blüm geschrieben.
Das Deutsche Ärzteblatt vermerkte am 17. Juli 2000:
Oft rieb er sich mit seinem christdemokratischen Widerpart, Norbert Blüm, doch blieb es nicht verborgen, dass es zwischen beiden viele Gemeinsamkeiten gab. Neoliberale Ideen und wettbewerbliche Denkmuster in der Gesundheitssicherung waren ihm suspekt. Für ihn war ein aktiver Staat in der Sozialpolitik mehr als eine grundgesetzliche Verpflichtung.“
Tarifeinheit und Streikrecht
Am 17. Juni 2015 erschien von Rudolf Dressler in „verdi-Publik“ ein Artikel zur damals aktuellen Diskussion über Tarifeinheit und das Recht auf Streik.
Eherne Gesetze der SPD verletzt
Tarifeinheit – Die Politik darf nicht die Verhältnismäßigkeit von Streiks definieren
Von Rudolf Dressler
Bevor unsere zweite deutsche Republik 70 Jahre alt wird, hat es die sozialdemokratische Parteiführung geschafft, eine Reihe ehemals eherner politischer Grundsätze zu verlassen. Die Einschränkung der Leiharbeit wurde zur Ausweitung. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses als begründete Ausnahme wurde zur Normalität ohne Begründung. Die paritätische Finanzierung unserer Sozialversicherungssysteme wurde zu Lasten des Faktors Arbeit aufgegeben. Keine zwei Jahre nach Begründung der aktuellen großen Koalition wird nun unter Federführung einer sozialdemokratischen Arbeitsministerin ein Gesetz beschlossen, das es der Politik ermöglichen soll, die Verhältnismäßigkeit von Streiks zu definieren: das Tarifeinheitsgesetz!
Wenn wir uns jetzt noch erinnern, dass in der letzten Periode des Bundestages die FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger einen solchen Gesetzeswunsch der CDU/CSU verhindert hat, wird die Peinlichkeit für die SPD-Führung gewaltig. Leutheusser-Schnarrenberger hat das Begehren der Union als verfassungswidrig angesehen. Die SPD-Politikerin Nahles stört das nicht.
Das kleine Grundgesetz-Abc lehrt uns, dass es sich bei Tarifautonomie und Streikrecht um eherne Verfassungsgrundsätze handelt, die nicht verletzt werden dürfen. Auch nicht von einer großen Koalition, die sich auf 80 Prozent der Bundestagsmandate stützt. Vielleicht ist diese erdrückende Mehrheit der Grund für die schnelle Verabschiedung des Gesetzes. Die letzten Arbeitskämpfe waren besonders unangenehm. Viele Politiker zeigten sich regelrecht genervt. Schnell wurde die These vertreten, die “Daseinsvorsorge” sei beeinträchtigt – weil etliche Züge vorübergehend nicht fuhren.
Wie dürftig die Argumentation der SPD ausfällt, machte deren stellvertretender Vorsitzender Ralf Stegner deutlich mit der Erklärung, seiner Partei gehe es mit dem Tarifeinheitsgesetz „überhaupt nicht darum, das Streikrecht einzuschränken“. Vielmehr solle bewirkt werden, dass Gewerkschaften sich nicht untereinander streiten. Wie bitte? Sozialdemokraten machen neuerdings ein Gesetz, das Streit innerhalb der Gewerkschaften unterbindet? Fällt der SPD in der großen Koalition sonst nichts mehr ein?
Ukraine: Mehr Diplomatie
Der Krieg in der Ukraine hat Rudolf Dressler nicht kaltgelassen – und er fordert: „Wir müssen die Diplomatie stärker in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen; wir müssen mehr Diplomatie wagen.“ Und er vermutete: „Brandt würde direkt nach Moskau fahren, um mit Putin zu reden“ – getreu seinem Wort: „Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ So berichtet Alfons Pieper am 9. Januar im Blog der Republik.
Anmerkung: Wir denken, dass diese etwas andere Form eines Nachrufs verstanden wird als ein Beispiel dafür, wie Sozialpolitik in der Vergangenheit realisiert wurde. Die Konsequenz: Viel genauer hinschauen auf das, was den Bürgerinnen und Bürgern an „Wohltaten“ angepriesen wird. – Und sich zu engagieren.
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