NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Stimmen aus Ungarn: Kiew treibt Gaspreis in die Höhe

Datum: 10. Januar 2025 um 9:01 Uhr
Rubrik: Energiepolitik, Länderberichte, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich:

Die europäischen Gaspreise sind auf den höchsten Stand seit anderthalb Jahren gesprungen, nachdem Kiew beschlossen hatte, den Transit von russischem Gas über die Ukraine nach Europa am 1. Januar einzustellen. Dies bedroht zwar nicht die Versorgung Ungarns – russisches Pipelinegas kommt seit zwei Jahren über die Türkei und den Balkan zu uns –, aber auch wir werden den Preisanstieg spüren. Ein Beitrag von Gábor Stier, aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.

Kiew hat den Ende 2024 auslaufenden Vertrag mit Gazprom über die Durchleitung von Gasexporten nach Europa nicht verlängert, sodass am 1. Januar 2025 nach „Jamal“ und „Nord Stream“ auch die vorletzte große Ost-West-Pipeline, die Pipeline „Druschba“ (Freundschaft), die russisches Gas nach Westeuropa transportiert, stillgelegt wurde. Übrig bleibt der balkanische Zweig der „Turkstream“-Pipeline, die „Balkan Stream“, die die Ukraine umgeht und über das Schwarze Meer, die Türkei, Bulgarien und Serbien nach Ungarn führt.

Die jetzige Entscheidung wird sich auf den europäischen Gasmarkt auswirken, auch wenn sie nicht unerwartet kam. Wolodymyr Selenskyj hat wiederholt erklärt, dass sein Land nicht zulassen wird, dass Russland Milliarden von US-Dollar mit ukrainischem Blut verdient. Es ist ihm egal, dass die Ukraine dadurch noch verletzlicher und ärmer wird und dass sie durch die Aussetzung des Transits weit mehr zu verlieren hat als Russland selbst. Der Anteil der russischen Exporte, die vor dem Ausbruch des Krieges fast 40 Prozent der europäischen Importe ausmachten, ist bis 2023 mittlerweile auf unter zehn Prozent gesunken.

Dies hat zu einer Situation auf dem europäischen Gasmarkt geführt, in der sich die Positionen aller beteiligten Parteien verschlechtert haben. Während die Ukraine als Beitrittskandidat in die EU eilt, hat sie die europäische Wirtschaft mit einer weiteren Entscheidung erneut in eine schwierige Lage gebracht. Dies gilt insbesondere für Mitteleuropa. Kiew hat auch gegen das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine verstoßen, das unter anderem die Aufrechterhaltung der Energietransportrouten vorsieht.

Die Slowakei ist von der Entscheidung am unmittelbarsten betroffen. Im Falle Moldawiens handelte Gazprom wegen unbezahlter Rechnungen, bevor der ukrainische Transit unterbrochen wurde. Chisinau war nicht vorbereitet darauf, Gas über Bulgarien und Rumänien zu beziehen – aber auch die Ukraine ist betroffen. Ihre mageren Einnahmen werden durch Transitgebühren in Höhe von fast einer Milliarde US-Dollar geschmälert, und wenn die Haupteinnahmequelle des ukrainischen Gastransportunternehmens Gas TSO wegfällt, wird das Unternehmen von ukrainischen Firmenkunden höhere Netznutzungsgebühren verlangen. Das führt zu einer Vervierfachung der Inlandstarife.

Ukraine schießt sich selbst ins Knie

Es ist aber auch nicht gut für die Ukraine, wenn der ukrainische Unternehmenssektor noch verwundbarer und nicht mehr wettbewerbsfähig wird. Nach Berechnungen der internationalen Nachrichtenagentur Reuters bedeutet diese Entscheidung für die ukrainische Industrie zusätzliche Kosten in Höhe von 38,2 Millionen US-Dollar pro Jahr, ein sehr empfindlicher Verlust in der aktuellen Situation. Folglich kann die Versorgung der Bevölkerung mit Erdgas nur mit erheblicher ungarischer Hilfe realisiert werden – vorausgesetzt, die Pipeline, deren Schutz nicht mehr im primären Interesse Russlands liegt, wird nicht angegriffen. Vielleicht erklärt dies, warum Selenskyj nur den Transit von Gazprom zu blockieren gedenkt.

Der Westen kann natürlich helfen, aber in der Zwischenzeit hat Kiew in Person von Robert Fico einen weiteren Feind gewonnen. Der slowakische Premierminister, der der größte Verlierer auf der Käuferseite ist, hat der Ukraine gedroht, dass die Slowakei, die 25 Prozent der ukrainischen Stromimporte liefert, ihr als Reaktion darauf keinen Strom mehr liefern wird. Doch Fico hat bisher keine Maßnahmen ergriffen.

Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass dieser Ausfall nicht gut für Gazprom ist, das bereits 2023 einen Verlust machte. Während es bei Öl relativ einfach ist, neue Märkte zu finden, ist das bei Gas aufgrund der für den Transport erforderlichen Infrastruktur nicht so einfach.

Während die russischen Gasexporte durch die Ukraine im Vergleich zu 2020 um 78 Prozent zurückgegangen sind, bedeutet der Verlust von weiteren 15 Milliarden Kubikmetern jährlich einen Verlust von etwa fünf Milliarden Euro, was die Einnahmen von Gazprom um 6,7 Prozent verringert. Das ist heikel, denn 2023 wird der Konzern zum ersten Mal seit 2001 mit einem Verlust bilanzieren. Das Minus von 629 Milliarden Rubel ist auf einen 27-prozentigen Rückgang der Einnahmen zurückzuführen, darunter auf einen 40-prozentigen Rückgang der Einnahmen aus dem Gasverkauf.

Am schlechtesten erging es der Slowakei mit der Schließung der „Druschba“-Pipeline. Die Slowakei hat zwar Zugang zu Gas aus dem Westen und über Ungarn, aber die Marktbeteiligten müssen für alternative Lieferungen einen Transitzuschlag von rund 177 Millionen Euro zahlen, während dem Land Einnahmen in Höhe von rund 500 Millionen Euro aus dem Transit von Gas aus der Ukraine nach Westeuropa entgehen, was den Tarif für die Netznutzung in die Höhe treibt.

Österreich gleicht das Defizit mit Gas aus Deutschland und Italien aus, aber die erhöhten Transitgebühren haben dazu geführt, dass die Gaspreise – wie in der Slowakei – sofort über den europäischen Durchschnitt gestiegen sind. Der Anstieg der Gaspreise bedeutet, dass im Grunde alle verlieren. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Gasimporte aus Russland – Flüssigerdgas (LNG) und via Pipeline – in den ersten zehn Monaten des Jahres 2024 insgesamt um 25 Prozent auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr gestiegen sind, was elf Prozent der Importe entspricht.

Kiew schadet der EU

Fico zufolge kostet die einseitige Entscheidung Kiews, den russischen Gastransit abzuschneiden, die Europäische Union Dutzende von Milliarden Euro. Ihre stillschweigende Akzeptanz sei falsch, weil sie zu Spannungen und Vergeltungsmaßnahmen führe.

Der slowakische Premierminister bezog sich auf eine von der Regierung in Bratislava in Auftrag gegebene Folgenabschätzung der slowakischen Gasgesellschaft (SPP) und schrieb, dass der Stopp des ukrainischen Gastransits den Gaspreis pro Megawattstunde an den niederländischen und deutschen Referenzbörsen um zehn bis zwölf Euro erhöhen würde. Dies, so die Berechnungen, würde für die EU-Länder zusätzliche jährliche Kosten in Höhe von 40 bis 50 Milliarden Euro direkt und weitere 60 bis 70 Milliarden Euro durch Sekundäreffekte auf die Strompreise bedeuten. Sollte der ukrainische Gastransit fortgesetzt werden, würde er Russland im gleichen Zeitraum schätzungsweise höchstens zwei Milliarden Euro einbringen, sagte er.

Möglicherweise könnten aus der Situation neben der Türkei auch Ungarn und Bulgarien profitieren. Die Versorgung Ungarns ist gesichert, weil es trotz Drohungen und „freundlicher“ Abmahnung seine Transportroute unter Umgehung der Ukraine, das heißt seine südliche Versorgungsoption rechtzeitig ausgebaut hat. Hätte es dem „freundlichen“ Druck damals nicht widerstehen können, wäre es jetzt als Binnenland in einer äußerst schwierigen Situation.

Die Energieversorgung Ungarns ist also gesichert, aber die Entscheidung der Ukraine, den Transit abzuschneiden, wird zu weiteren Preissteigerungen und neuen Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit Mitteleuropas und der gesamten Europäischen Union führen. Budapest kann auch davon profitieren, dass es am Ende der Pipeline liegt, das wertet Ungarn auf. Wenn aber nur Ungarn in der EU russisches Gas kauft, und über dieses die Ukraine und die Slowakei, dann wären weder die EU noch Russland daran interessiert und Budapest kann nicht sicher sein, dass die jetzige Situation erhalten bleibt.

Mittelosteuropa muss die Folgen ausbaden

Polen, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, versucht, die Situation als Erfolg darzustellen. Fakt ist jedoch, dass die Stilllegung der „Druschba“-Pipeline Europa – und insbesondere die Staaten Mittelosteuropas – in eine noch prekärere wirtschaftliche Lage gebracht hat. Besonders betroffen sind die mitteleuropäischen Länder ohne Küsten, für die LNG eine teure Alternative darstellt.

Die Gaspreise, die allein in den letzten Wochen um rund 20 Prozent gestiegen sind, bewegen sich nach Angaben der Londoner ICE-Börse immer noch um den Höchststand vom November vergangenen Jahres. Am ersten Handelstag des neuen Jahres stiegen die Gaspreise in Europa weiter an, da das eisige Wetter in mehreren Ländern die Nachfrage nach Heizmaterial erhöht. In der Slowakei könnten die Temperaturen bis auf minus sieben Grad Celsius fallen, was die Heizungsnachfrage und damit die Gaspreise erhöhen könnte.

Laut der US-Nachrichtenagentur Bloomberg sind die Benchmark-Preise teilweise sogar über das Niveau von Oktober 2023 gestiegen. Der Benchmark-Gaspreis näherte sich 51 Euro pro Megawattstunde und erreichte damit den höchsten Stand seit seinem Höchststand im Oktober 2023. Die Analyse fügt hinzu, dass die europäischen Speicher in einem Tempo geleert werden, wie es seit Beginn der Krise im Jahr 2021 nicht mehr der Fall war, was mittel- bis langfristig zu weiterer Unsicherheit führen könnte.

Selbst wenn es in diesem Winter wahrscheinlich nicht zu einer ernsthaften Gasknappheit in Europa kommen wird, müssen dennoch etwa fünf Prozent der Nachfrage für die nächste Heizsaison ersetzt werden, was das Wiederauffüllen der Speicher schwieriger und teurer macht. Allein schon deshalb, weil trotz der Bemühungen der EU-Länder um eine Diversifizierung ihrer Bezugsquellen – unter anderem durch Deutschland, Italien und sogar Polen – die Hauptbezugsquellen für LNG die USA und Russland sind.

Nach Angaben der US-Nachrichtenagentur Bloomberg wird sich der Wettbewerb zwischen asiatischen und europäischen Ländern um Flüssigerdgas (LNG) in den Sommermonaten voraussichtlich verschärfen. Dieser verstärkte Wettbewerb bedeutet, dass die Länder gegeneinander um LNG-Lieferungen bieten müssen, was die Preise in die Höhe treiben wird. Infolgedessen müssen sich europäische Verbraucher im Jahr 2025 auf steigende Energiekosten einstellen, die zunächst Unternehmen belasten und zu Preiserhöhungen führen werden, welche sich letztlich auf die Preise von Waren und Dienstleistungen für Endverbraucher auswirken.

Der Beitrag ist ursprünglich auf Ungarisch bei Moszkvater erschienen.

Titelbild: Shutterstock / Stefan Balaz


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=126977