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Titel: Innenministerium will nicht offenlegen, wie viele Journalisten der Verfassungsschutz derzeit überwacht
Datum: 19. Dezember 2024 um 11:00 Uhr
Rubrik: Überwachung, Innere Sicherheit, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
Verantwortlich: Florian Warweg
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat auf Anfrage mitgeteilt, dass in seinem elektronischen Aktensystem 317 Dokumente mit dem Namen des NachDenkSeiten-Redakteurs Florian Warweg gespeichert sind. Eine Offenlegung der Dokumente wird mit Verweis auf „unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand” verweigert. Vor diesem Hintergrund und angesichts weiterer in diesem Jahr bekannt gewordener Fälle wollten die NachDenkSeiten wissen, ob Nancy Faeser, die als Innenministerin für die Rechts- und Fachaufsicht des BfV verantwortlich ist, über Informationen verfügt, wie viele Journalisten derzeit vom deutschen Inlandsgeheimdienst beobachtet werden. Von Florian Warweg.
Wie alles begann …
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist, auch wenn der Name dies zu vertuschen versucht, der deutsche Inlandsgeheimdienst. Dessen wichtigste Aufgabe ist laut Artikel 3 des sogenannten „Bundesverfassungsschutzgesetzes“ die „Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind“.
Allerdings gehört seit 2021 die Ausspähung von Gesinnungsvergehen der Bundesbürger unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu einem der Hauptbetätigungsfelder des inländischen Geheimdienstes. Ermöglicht wurde dies durch die Schaffung eines neuen Aufgabenbereichs mit dem Orwell’schen Namen: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Unter dieser Kategorie werden sogenannte „Staatsdelegitimierer“ gefasst, also Personen, die aus Sicht des Verfassungsschutzes die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage stellen oder „verächtlich machen“. Begründet wurde die Einrichtung dieses „Phänomenbereiches“ im Jahr 2021 mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Auf der Seite des „Verfassungsschutzes“ heißt es dazu:
Allerdings ist bis heute völlig unklar, welche Taten und Personen unter diese bewusst schwammig gefasste Kategorie „Delegitimierung des Staates“ fallen. Dies lässt in Folge einen politischen Missbrauch befürchten, insbesondere dass journalistische Kritik an der Regierung bereits als „staatsdelegitimierend“ vom BfV gewertet werden könne.
Ein Beispiel für die daraus resultierende behördliche Willkür ist der Fall der Journalistin Aya Velazquez, die sich mit Recherchen und Kritik an den Corona-Maßnahmen sowie der Veröffentlichung der ungeschwärzten RKI-Protokolle einen Namen gemacht hat. Sie hatte Anfang 2024 beim Verfassungsschutz mit Verweis auf den neuen „Phänomenbereich“ nachgefragt, ob sie beobachtet wird. Ihre Nachfrage wurde, nach einigen Verzögerungstaktiken, vom deutschen Inlandsgeheimdienst bejaht und erklärt, insgesamt gäbe es 815 (!) Einträge mit ihrem Namen in der elektronischen Datenbank der Behörde. Der Grund für die Beobachtung der Journalistin? Ein Blog-Artikel von Mai 2022 sowie ein Telegram-Posting von Juni 2022:
„Wir beobachten zurück“
In Reaktion auf diese Auskunft hat die Journalistin zusammen mit weiteren Unterstützern eine neue Webseite ins Leben gerufen: wirbeobachtenzurueck.de. Dabei handelt es sich um einen Antragsgenerator, mit dem sich jeder interessierte Bundesbürger „innerhalb von Minuten rechtssichere Auskunftsanträge an sämtliche deutsche Nachrichtendienste erstellen lassen kann – mit einem Fokus auf den neuen Phänomenbereich“. Angeregt durch diese Initiative nutzte der Verfasser dieser Zeilen den „Feiertag“ am 3. Oktober, um entsprechende Anfragen an den Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst in die Wege zu leiten:
Wofür "Feier"tage à la 3. Oktober doch gut sein können: Habe jetzt endlich die Zeit gefunden, angeregt durch die Initiative von @aya_velazquez & Team, entsprechende Anfragen an den #Verfassungsschutz @BfV_Bund, LfV in #Berlin & BND zu starten. Die gehen morgen per Einschreiben… https://t.co/QsGpY4XFxQ pic.twitter.com/x2xTEXWd4B
— Florian Warweg (@FWarweg) October 3, 2024
Nach einer Eingangsbestätigung am 23. Oktober erhielt ich dann am 10. Dezember ein auf den 5. Dezember datiertes Antwortschreiben vom Verfassungsschutz. In diesem wurde mir mitgeteilt, dass im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) keine Daten zu meiner Person gespeichert seien, aber die Suche im elektronischen Aktensystem des Verfassungsschutzes „317 Dokumente“ mit meinem Namen ergeben hätte. Eine Offenlegung der Natur der Dokumente sei allerdings wegen des damit angeblich verbundenen Aufwandes nicht möglich („…eine Sichtung der Dokumente würde einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verursachen“).
Im Folgenden dokumentieren wir das gesamte Schreiben:
PS: Damit hier kein Missverständnis aufkommt. Es ist nicht so, dass deutsche Geheimdienste Journalisten nur überwachen würden. Journalisten, die nicht als „Delegitimierer“ gelten, werden durchaus wohlwollend von BfV und BND behandelt und auch entsprechend gut bezahlt. Allerdings zeigen sich die deutschen Geheimdienste nicht so auskunftsfreudig, wenn es um die Höhe der Zahlungen an Journalisten geht. Auf die Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Dezember 2022 zu Zahlungen von Bundesministerien oder Bundesbehörden „an Journalisten von ARD, ZDF, Deutschlandradio, Deutsche Welle (…und) privatrechtlich verfasster Rundfunksender, Zeitungen oder sonstiger Medienerzeugnisse“ hieß es von Seiten der Bundesregierung in Bezug auf entsprechende Zahlungen, die Beantwortung der Fragen könne in Bezug auf die deutschen Geheimdienste „aus Staatswohlgründen nicht erfolgen“:
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 18. Dezember 2024
Frage Warweg
Herr Kall, ich hatte letztens Post aus Köln im Briefkasten, in dem mir der Verfassungsschutz auf Anfrage mitgeteilt hat, dass es in seinem elektronischen Aktensystem insgesamt 317 Einträge mit meinem Namen gibt. Das reiht sich ein bisschen in die Tendenz ein, die in diesem Jahr in mehreren Fällen offensichtlich geworden ist, dass der Verfassungsschutz mehrere Journalisten beobachtet. Da würde mich interessieren, ob Frau Faeser, die in ihrer Funktion als Chefin des BMI sowohl die Fach- als auch die Rechtsaufsicht hat, einen Überblick hat, wie viele Journalisten derzeit vom deutschen Inlandsgeheimdienst überwacht werden.
Kall (BMI)
Das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitet nach seinem gesetzlichen Auftrag und seinen gesetzlichen Befugnissen, die im Gesetz über den Bundesverfassungsschutz geregelt sind, und zwar ausschließlich. Da mischt sich die Bundesinnenministerin nicht ein, sondern das ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes. Darüber legt er in seinem jährlichen Verfassungsschutzbericht auch Rechenschaft ab und hat es jetzt offenbar auch Ihnen gegenüber in der Korrespondenz getan, die Sie persönlich mit dem BfV führen. Darüber hinaus kann ich von hier aus nichts sagen.
Zusatzfrage Warweg
Nur um das zu verstehen: Dass Frau Faeser die Rechts- und Fachaufsicht hat, das haben Sie jetzt nicht geleugnet. Aber das heißt, sie interessiert sich in dieser Funktion – in dieser Aufsichtsfunktion, die sie zweifelsohne innehat – nicht unbedingt für den Geheimdienst und dessen Überwachung von mehreren Journalisten in Deutschland?
Kall (BMI)
Selbstverständlich achtet das BMI darauf, dass der Verfassungsschutz seine Aufgaben erfüllt, die Demokratie vor verschiedenen Bedrohungen zu schützen. All das ist im Verfassungsschutzgesetz geregelt, und genau diesen Aufgaben kommt der Verfassungsschutz nach. Das ist das, was man dazu sagen kann.
(Ende der Pressekonferenz)
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 18.12.2024
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