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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Syrien gestern und heute – Betrachtungen einer Korrespondentin
Datum: 16. Dezember 2024 um 12:23 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Militäreinsätze/Kriege, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Kennen Sie „Wimmelbilder“? Kinder und Erwachsene lieben „Wimmelbilder“. Kinder lieben sie, weil sie stundenlang darauf sehen und immer wieder Neues entdecken können. Erwachsene lieben sie, weil sie Kinder auf diese Weise zumindest eine Zeitlang ruhigstellen können. Beliebte Themen für „Wimmelbilder“ sind Häfen, Weihnachts- oder Wochenmärkte, Bauernhöfe; Zirkuszelte oder Jahrmärkte. Es gibt „Wimmelbilder“ aus Städten und aus verschiedenen Jahrhunderten, es gibt sie als Bücher, Kalender, im Internet, als Plakate oder als Teppiche für Kindergärten. Gemeinsam ist allen, dass sie Phantasiebilder sind, die mit der Wirklichkeit nichts (mehr) zu tun haben. Als „Wimmelbild“ können Sie sich vorstellen, was derzeit von Medien und Politikern der westlichen Hemisphäre und ihren Partnern im östlichen Mittelmeerraum und in der arabischen Golfregion über Syrien produziert wird. Von Karin Leukefeld.
Da gibt es Analysen, Perspektiven, Wunsch- und Gefahrenkataloge, Ratschläge und jede Menge Debatten. Es gibt unzählige Interviews, Reiseaktivitäten und Treffen, mit denen aktuell Bilder eines zukünftigen Syrien produziert werden, die sich die Öffentlichkeit stundenlang ansehen und darin immer wieder Neues entdecken kann. Die Drahtzieher dessen, was in Syrien derzeit geschieht, versuchen derweil, mit einem bunten Strauß voller Wundertüten die Syrer zumindest eine Zeitlang ruhigzustellen. Das gilt vor allem für die Syrer, die an ihrem Land festgehalten haben, trotz Mangel und trotz eines Krieges, den keiner von ihnen wollte.
Diese Drahtzieher sind Staaten und deren Führungspersonal, die sich auf Einladung Jordaniens am Wochenende in Akaba trafen. Da waren arabische Staaten vertreten, die 2011/12 den Aufstand in Syrien mit Geld und Waffen politisch und medial befeuerten. Da waren die USA und die EU vertreten, die Syrien mit einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen (Sanktionen) seit 2011 (EU) und seit 2019 (USA „Caesar Gesetz“) so sehr schädigten, dass kein Wiederaufbau möglich war. Die Wirtschaft des Landes wurde durch illegale Besatzung und Plünderung syrischer Rohstoffe und syrischen Territoriums so sehr geschädigt, dass Vertreibung, Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption und Schmuggel die gesamte Gesellschaft an den Rand menschlicher Lebensmöglichkeiten zwangen.
Nun rollen eben diese Staaten für die international als Terrororganisation gelistete Hay’at Tahrir al-Sham alias Nusra-Front alias Al Qaida in Syrien den roten Teppich aus und stellen ein Ende der einseitigen wirtschaftlichen Sanktionen in Aussicht. Abu Mohammed al Jolani, auf den die USA ein Kopfgeld von 10 Millionen US-Dollar ausgesetzt hat, wird ermahnt, eine zukünftige Regierung müsse den Prinzipien entsprechen, „auf die wir uns alle geeinigt haben, dass die neue Führung in Syrien diese einhalten muss“, so die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, die an dem Treffen in Akaba teilnahm. Diese Prinzipien seien „Stabilität, Souveränität und territoriale Integrität Syriens (….) Auch der Respekt von Minderheiten, keine Radikalisierung, der Aufbau von (staatlichen) Institutionen, eine einheitliche Regierung – das bedeutet alle Gruppen Syriens – und die Rechenschaftspflicht für begangene Verbrechen“ müssten berücksichtigt werden. Ob Frau Kallas dabei auch an die Verbrechen von HTS und der Nusra-Front gedacht hat?
Die immer bereiten Medien verbreiten „Siegesbilder“ aus Damaskus. Hunderttausende sollen am ersten Freitag nach dem „Sturz des Regimes“ in und um die Omajjaden-Moschee in der Damaszener Altstadt gefeiert haben. Die engen Straßen und Gassen um das ehrwürdige Gebäude seien am Vorabend mit Menschenmassen gefüllt, wie man sie sonst nur vor dem Krieg an jedem Wochenende dort sehen konnte, berichten Anwohner. Hunderttausende sollen am Freitagabend dem Feuerwerk zugejubelt haben, das über dem Omajjaden-Platz vor dem Opernhaus gezündet wurde, während im Hintergrund das „Four Season“-Hotel wie eine Festung erleuchtet war. Eine Festung ist das Hotel allerdings, denn es wurde mit einer hohen Mauer und Stacheldraht umgeben und ist nur durch eine Sicherheitsschleuse zu betreten. Das „Four Season“ beherbergt seit 2012 die Organisationen der Vereinten Nationen, die in Syrien Hilfe für notleidende Menschen organisieren. Aus Sicherheitsgründen müssen die Vereinten Nationen sich wie in einer Festung verschanzen.
Die Filmaufnahmen der vielen Journalisten, die über die Türkei – mit den „Rebellen“ aus Idlib – nach Damaskus gelangten oder die über den Libanon und die verlassene syrische Grenze ins Land strömten, ähneln sich vermutlich auch deswegen, weil sie schnell produziert werden müssen. Die Redaktionen drängen auf immer mehr und neue Bilder, die internationalen Trendsetter-Sender wie BBC, CNN und Al Jazeera haben Reporter, Kameraleute und Techniker in Stärke von Fußballteams nach Damaskus geschickt, sie scheinen rund um die Uhr zu arbeiten. Sie werden nicht müde, die Fahnen der „Rebellen“ zu zeigen, die überall und massenweise an Geschäfte und an die Bevölkerung verteilt wurden – eine Fahnenfabrik an unbekanntem Ort war offenbar auf die große Nachfrage vorbereitet worden und hatte große Mengen produziert.
Immer wieder werden Bilder des Gefängnisses in Sednaya gezeigt, dessen Tore wie die aller Gefängnisse beim Vormarsch der „Rebellen“ geöffnet wurden. Die Überlebenden – nach unterschiedlichen Angaben in Sednaya bis zu 4.300 – wurden ihrer neuen Freiheit überlassen. Manche Familien, die jahrelang auf die Freilassung ihrer gefangenen Angehörigen gehofft hatten, warteten vergeblich auf deren Rückkehr und fanden sie in Leichenhäusern. Andere irrten durch die leeren Zellen des unheimlichen Gebäudes oder durchwühlten achtlos zerstreute Dokumente und Personalausweise auf der Suche nach Informationen. Immer dabei waren die Kameras internationaler Fernsehsender und sie zeigten Menschen, die am Boden kauerten, Menschen, die müde ins Leere starrten oder voller Entsetzen und Trauer angesichts ihrer toten Angehörigen zusammenbrachen. Wo Hilfe und Zuspruch gebraucht wurde, gab es Kameras und Mikrophone. Syrien, HTS in Damaskus, das Grauen von Sednaya verkauft sich gut. Alles ist Sensation.
Als Schulen und Universitäten am Sonntagmorgen – in der arabischen Welt ist das der Wochenanfang – wieder öffnen, sehen die Schüler verlegen zu, wie die neue Fahne gehisst wird, vor der sie nun Aufstellung nehmen müssen. Eine Lehrerin erscheint vor ihren Grundschülern mit der neuen Fahne als Schultertuch.
Alles Übel wird auf Bashar al-Assad abgeladen, der unter unklaren Umständen das Land ohne ein Wort verlassen hat. Er habe mit seiner Familie in Moskau „humanitäres Asyl“ erhalten, teilt das russische Außenministerium mit. Um sein Verschwinden ranken sich zahlreiche Medienberichte, die, basierend auf namentlich nicht genannten Quellen, wissen wollen, wie sein Rücktritt, sein Abgang sich zugetragen haben soll. Die Schwäche der Armee wird analysiert oder wahlweise auch deren Spaltung. Die Baath-Partei, die mit ihren Institutionen anderes politisches Leben schließlich erstickte, soll sich aufgelöst haben, heißt es. Alle müssten für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, heißt es. Die jahrzehntelange Unterdrückung sei vorüber, Syrien werde „neu geboren“.
Im „Wimmelbild“ Syrien, das der westlichen Öffentlichkeit präsentiert wird, gibt es keinen Raum für die Geschichte der Region und darin Syriens, das schon unmittelbar nach seiner Unabhängigkeit (1946) von US-Intrigen und Interventionen erschüttert wurde. Es gibt keinen Raum für die hunderttausenden Flüchtlinge, die in dem Land ein neues Zuhause fanden: Tscherkessen und Algerier im 19. Jahrhundert, Armenier Anfang des 20. Jahrhunderts. 1948 wurden zehntausende Palästinenser aufgenommen, die von zionistischen Milizen vertrieben worden waren. Weitere Palästinenser folgten nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und erneut nach dem Krieg mit Israel 1973. Nach dem US-Überfall auf Irak (2003) und dem folgenden blutigen inneren Krieg, der 2005 seinen Höhepunkt fand, wurden 1,5 Millionen Iraker in Syrien aufgenommen. Millionen Libanesen kamen nach Syrien während des Krieges 2006 und zuletzt während des israelischen Krieges, der von September bis November 2024 dauerte und mehr als 3.900 Zivilisten das Leben kostete und mehr als 16.500 verletzte. Rund 400.000 Syrer, die vor dem Krieg in Syrien in den Libanon flohen, waren in der Zeit nach Syrien zurückgeflohen.
Mit dem Jahr 2011 waren die Syrer selbst zu Flüchtlingen geworden
Damals boomte die Wirtschaft des Landes. Die Weltbank stufte Syrien unter den arabischen Staaten als fünftstärkste Ökonomie ein. Das Land hatte sich in den 10 Jahren nach 2000 unter dem jungen Präsidenten Bashar al Assad nach Westen, nach Europa geöffnet und bot sich nach dem 11. September 2001 als Partner im „Kampf gegen den Terror“ an, den die USA erklärten. Syrien ließ bereitwillig ausländische Studierende, Firmen, Organisationen, Medien einreisen. Mit der EU wurde über ein Assoziierungsabkommen verhandelt. Auf den Ölfeldern im Osten des Landes entlang der Grenze zum Irak waren sämtliche großen internationalen Öl-Unternehmen zu finden. Entlang der Straße von Damaskus nach Homs bauten internationale Autofirmen große Ausstellungs- und Verkaufshäuser. Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ, heute GIZ) sanierte aufwändig die Altstadt von Aleppo. Die syrische Regierung lud syrische Wissenschaftler und Unternehmer ein, die im Ausland lebten, und rief sie auf, in Syrien zu investieren. Besonders Ärzte bauten private Kliniken und Praxen auf und ergänzten damit die gesundheitliche Versorgung im Land.
Die Autorin hatte 2005 den Irak verlassen und war den irakischen Flüchtlingen nach Syrien gefolgt. Ein Antrag auf Akkreditierung wurde 5 Jahre lang „bearbeitet“, bis er schließlich 2010 bewilligt wurde. Als zur Jahreswende 2010/11 auf dem Tahrir-Platz in Kairo die Proteste begannen, reiste die Autorin vom Flughafen Damaskus nach Kairo, um von dort zu berichten. „Erzähl uns, was Du dort hörst und erlebst“, sagte ein Bekannter vor der Abreise. „Ich hoffe nur, dass sie dort am Ende nicht die Muslimbrüder bekommen.“ Ägypten bekam einen Präsidenten der Muslimbruderschaft. 2013 folgte ein Militärputsch unter Führung von Feldmarschall Abdel Fatteh al-Sisi, der 2014 Präsident wurde.
In Syrien begannen Demonstrationen, überall wurde diskutiert. Erste Menschen wurden bei den Protesten getötet, Angriffe auf Polizei und Armee vor allem in den Grenzgebieten zur Türkei und zu Jordanien nahmen zu. Wissenschaftler, Offiziere, Politiker, Journalisten wurden erschossen oder entführt, es herrschte Angst. Oppositionelle aus verschiedenen Parteien stellten auf einer Konferenz im Semir-Amis-Hotel im Sommer 2011 ihre Forderungen vor: Keine Gewalt, Freilassung der Gefangenen, nationaler Dialog. Etwa zeitgleich wurde in der Türkei die „Freie syrische Armee“ gegründet. Deutschland, Frankreich und Großbritannien riefen gleichzeitig ihre Botschafter zurück und schlossen Anfang 2012 ihre Botschaften in Damaskus. Eine vom Staat organisierte Konferenz für den nationalen Dialog in Syrien endete Ende 2011 ohne Ergebnis. Im nächsten Jahr, 2012, wurden Kämpfer, Waffen und Ausbilder ausländischer Geheimdienste über Jordanien und die Türkei nach Syrien geschleust, es war die CIA-Operation „Timber Sycamore“, die den Sturz des Regimes zum Ziel hatte. Die Bevölkerung war ratlos.
Die jungen Leute, die heute in Syrien jubeln, sind im Krieg aufgewachsen. Sie kennen das Syrien von gestern nicht, sie kennen Mangel, Armut, Arbeitslosigkeit, sie wollen ein neues Syrien bauen. Die dschihadistischen Kämpfer, sofern sie Syrer sind, kennen das alte Syrien nicht. Sie haben gekämpft, aus welchem Grund auch immer. Der Umgang mit Waffen ist ihnen vertrauter als der Umgang mit Schulbüchern. Sie haben prägende Jahre ihres Lebens in einer Umgebung des „Heiligen Krieges“ und religiöser Herrschaft verbracht. Sie sind im Hass auf andere, besonders auf die Al-Assad-Familie aufgewachsen und geschult worden. Doch auch sie waren erschöpft, wie die Autorin in Interviews mit „Rebellen“ erfuhr, die in der Türkei und in Afrin unter türkischer Kontrolle lebten. „Wir haben unser Haus zerstört“, sagte ein Offizier der von der Türkei finanzierten und geführten Syrischen Nationalen Armee (SNA), in einem telefonisch geführten Interview (August 2022). „Uns fehlt es an Geld, wir wollen richtige Arbeit, wir wollen nach Hause“, sagte er durch einen Dolmetscher. „Wenn unsere jungen Männer versuchen, von hier nach Aleppo zu entkommen, werden sie festgenommen oder erschossen.“ Ob dieser Mann jetzt bei den vorrückenden HTS-Truppen auf Damaskus dabei war? Oder ob er im Osten des Landes – im Auftrag der Türkei – in den Reihen der SNA gegen die kurdischen Selbstverteidigungskräfte kämpfen muss?
1,5 Millionen Menschen sind in Syrien auf der Flucht
Das sagen die Vereinten Nationen. Sie fliehen aus Angst, sie fliehen, weil sie vertrieben werden. Sie fliehen, um sich und ihre Familien vor den neuen Herrschern in Sicherheit zu bringen. Im Nordosten des Landes fliehen kurdische Familien Richtung der irakischen Grenze. Aus dem südlich von Damaskus gelegenen Sayda Zeynab fliehen schiitische Syrer in Richtung Libanon oder in den Irak. Alawiten fliehen aus dem ganzen Land Richtung Libanon. Von den Golan-Höhen und aus Qunaitra fliehen Syrer nach Damaskus. Diejenigen aber, die aus der Türkei oder dem Libanon nach Syrien zurückkehren, finden oft nicht mehr als Trümmer dort, wo einst ihre Häuser standen. Schon jetzt ist das Leben in Damaskus so teuer geworden, dass viele sich die Fahrt mit dem Minibus aus den Vororten in die Stadt nicht mehr leisten können. Für sieben Fladen Brot, die unter Assad 500 Lira kosteten, müssen die Menschen nun stundenlang anstehen und 4.000 Lira bezahlen, wenn sie Glück haben, noch etwas zu bekommen.
Niemand in Syrien weiß, wie es für ihn und seine Familie weitergeht in diesem neuen Krieg, der noch wie eine politische Veränderung daherkommt. Nichts gibt es so reichlich wie Waffen in den Händen von Dutzenden Kampfverbänden. Wie geht es weiter in Syrien, dessen Menschen wie seit Jahrzehnten die Menschen im Irak, in Palästina und Libanon in den Netzen der Geopolitik gefangen sind? Welche Zukunft gibt es für Syrien, das aus geopolitischen Gründen von denjenigen mutwillig zerstört wurde, die heute von Frieden sprechen? Wird es in drei oder vier Zonen zerteilt, werden die Türkei, die USA (mit den Kurden) und Israel das Land aufteilen, wie manche Karten es beschreiben? Oder wird gar Russland die Kontrolle über den schmalen Küstenstreifen Latakia und Tartus übernehmen, wo es Marine- und Luftwaffenbasen hat?
Für die Christen ist klar, dass für sie – wie in der palästinensischen Stadt Bethlehem, dem Geburtsort von Jesus – Weihnachten ausfallen wird. Sie sollten auch die Glocken nicht mehr läuten, berichtet ein Pfarrer. Das hätten die neuen Verantwortlichen ihnen gesagt. „Die Muslime könnten sich gestört fühlen.“ Und wer weiß schon noch, dass die Muslime mit den Christen gemeinsam Weihnachten feierten, so wie die Christen mit den Muslimen das Eidfest, mit dem der Fastenmonat Ramadan zu Ende geht? Man feiere zu Weihnachten die Geburt von Jesus, so ein Priester etwas hilflos gegenüber einer Journalistin auf der Suche nach einer guten Perspektive. Vielleicht sei nun auch die Neugeburt Syriens zu feiern?
Die Sorgen und Nöte der Menschen sind höchstens Randnotizen in den bunten und fröhlichen „Wimmelbildern“, die Politik und Medien der Öffentlichkeit und den Syrern verkaufen.
Während die Staaten in Akaba sich drehen und wenden und schöne Worte benutzen, tut Israel das, was es am besten kann. Mit rund 500 Luftangriffen hat die israelische Luftwaffe 80 Prozent der militärischen Verteidigungsmöglichkeiten Syriens zerstört: Hubschrauber, Kampfjets, Panzer, Transportfahrzeuge, Luft-Abwehrraketen und die dazugehörigen Abschussrampen, Lagerhäuser und vieles mehr. Die kleine Marine des Landes im Hafen von Latakia wurde in Brand geschossen. Israel nutzt das Machtvakuum im Weißen Haus und in Damaskus, um sich Land anzueignen, das ihm nicht gehört. Israelische Truppen haben die syrischen Golan-Höhen komplett übernommen und die dort stationierten UNDOF-Truppen ignoriert. Sie stehen 40 km vor Damaskus und haben angekündigt, mindestens ein Jahr dort zu bleiben. In dem von ihnen besetzten Land werde der Siedlungsbau verdoppelt, hieß es am Wochenende.
Im Gazastreifen werden dafür täglich Dutzende Palästinenser getötet, ihre Häuser zerstört, Felder plattgewalzt, neue Straßen und Sicherheitsanlagen errichtet. Die Zahl der Toten stieg seit dem 7. Oktober 2023 auf 45.000, die Zahl der Verletzten auf mehr als 100.000. Im Westjordanland sterben täglich Menschen durch die Gewalt von Siedlern oder bei Razzien der Besatzungstruppen. Die UN-Organisation für Palästinenser, UNRWA, kann in dem Flüchtlingslager Jenin nicht mehr arbeiten. Wehren die sich und greifen dabei zu Waffen, wird ihre gesamte Familie zur Rechenschaft gezogen und ihr Haus wird zerstört.
Der Südlibanon wurde mit weißem Phosphor und abgereicherten Urangeschossen verwüstet, der Überfall auf Syrien könnte die Vorstufe zu einem Überfall auf Irak und Iran sein. Netanyahu spricht von der Umstrukturierung der Region in einen „Neuen Mittleren Osten“ und liefert damit den USA, EU und NATO, was sie schon lange wollten. Hauptsache, die Störenfriede Hamas, Hisbollah, Assad und Syrien sind beseitigt, Iran und Russland wurden aus der Region zurückgedrängt.
US-Außenminister Blinken räumt ein, die USA seien im Gespräch mit der Terrororganisation HTS. Das gleiche gilt für Großbritannien, wie der britische Verteidigungsminister erklärt. Geir Pederson, UN-Sonderbeauftragter für Syrien, hofft bei seiner Ankunft im „Four Season“-Hotel in Damaskus, dass die Sanktionen gegen Syrien bald aufgehoben werden. Eine Forderung, die zwar vom UN-Sonderberichterstatter für die Auswirkungen von einseitigen Sanktionen seit Jahren erhoben wurde, die von der UN offiziell aber in all den Jahren nicht zu hören war.
„Dann kommen all die NGOs, es gibt Projekte und Wiederaufbau und Arbeit für die Syrer“, überlegt eine Bekannte in Damaskus. Das sei nicht die schlechteste Variante, selbst wenn HTS bleibe. Wahrscheinlicher aber sei, dass Syrien sich in ein neues Libyen oder Somalia verwandeln werde. „Die streiten sich um Macht und Kontrolle und sind bewaffnet bis an die Zähne“, meint sie. „Dann gnade uns Gott.“
Titelbild: Mohammad Bash/shutterstock.com
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