Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Syrische Stelle für Menschenrechte“ usw.: Die Rückkehr der Syrien-Propaganda
Datum: 9. Dezember 2024 um 16:16 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innere Sicherheit, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Tobias Riegel
In manchen deutschen Medien ist momentan eine Rückkehr von Vokabular aus der Syrien-Propaganda zu beobachten: Fragwürdige Ausdrücke wie der „Krieg gegen das eigene Volk“, die „Syrische Stelle für Menschenrechte“ oder die „gemäßigten Rebellen“ sind wieder präsent in Nachrichtentexten. Was noch aussteht, ist der erneute Bezug auf Weißhelme, Fassbomben, Giftgas oder Bana aus Aleppo. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Hier soll kurz auf einzelne, nun in manchen deutschen Nachrichtentexten wiederkehrende Begriffe eingegangen werden: Die „Syrische Stelle für Menschenrechte“ sitzt weder in Syrien, noch ist sie eine offizielle „Stelle“, noch kümmert sie sich universell um Menschenrechte: Sie ist eine parteiische Initiative, die sich ganz überwiegend der Meinungsmache gegen die Assad-Regierung gewidmet hat. Trotzdem wird die „Stelle“ aktuell wieder verstärkt von deutschen Medien zitiert (unter anderen hier) – immerhin ihr „Sitz in Großbritannien“ wird mittlerweile oft dazugesagt.
„Befreiung“ und „Krieg gegen das eigene Volk“: Der CDU-Politiker Norbert Röttgen sprach aktuell im Deutschlandfunk von einem „Tag der Befreiung“ für Syrien, der durch den Durchmarsch der Islamisten nun stattgefunden habe. Außerdem nutzten Röttgen sowie sein Interviewpartner Christoph Heinemann vom Deutschlandfunk den Ausdruck vom „Krieg gegen das eigene Volk“, den Assad geführt habe. Auch bei der ZDF-heute-Sendung vom Sonntag hieß es, „Assad führte Krieg gegen das eigene Volk“.
Zu dieser seit 2011 genutzten Floskel ist zu sagen: Die überwiegend islamistischen Kämpfer, gegen die Assad in Syrien Krieg geführt hat, waren meiner Meinung nach zu keinem Zeitpunkt durch „das Volk“ legitimiert, sondern vor allem durch eine massive internationale Medienkampagne. Ob sie je eine Mehrheit der Syrer vertreten haben, ist mehr als ungewiss. Mit dieser Aussage wird ein vorhandener großer Unmut gegenüber Assad in Teilen der syrischen Bevölkerung vor 2011 nicht in Abrede gestellt.
Auch die aktuelle Freude über Assads Sturz bei vielen Syrern soll nicht diffamiert werden – die Frage ist aber, ob der für den Sturz extrem hohe Preis gerechtfertigt war und ob das Land sich unter den neuen Machthabern in eine bessere Richtung bewegen wird. Hier sind sehr starke Zweifel angebracht. Außerdem: Die großen Gefahren, die mit dem Regime-Change in Syrien verbunden waren und noch sind, waren bereits 2011 absehbar.
Jetzt neu: „Pragmatische Radikale“
Der momentan zentrale Akteur in Syrien, Muhammad al-Jawlani (alternative Schreibweise: Muhammad al-Dschaulani), wurde noch 2017 als Terrorist vom FBI gesucht. Seither habe er sich aber von Terrornetzwerken distanziert, heißt es. Für die jetzt siegreichen Kämpfer gibt es bereits eine neue Wortschöpfung: „pragmatische Radikale“.
Die aktuellen unübersichtlichen Machtverhältnisse in Syrien sollen hier nicht Thema sein. Aber im Laufe der Jahre wurden die gegen Assad kämpfenden, teilweise radikal-islamistisch gesonnenen „Rebellen“ unter anderem auch von wechselnden Partnern „des Westens“ wie Golfstaaten oder der Türkei unterstützt – und auch direkt durch den US-Geheimdienst CIA, wie etwa die New York Times 2016 in diesem Artikel beschrieben hat. Thomas Röper beschreibt in diesem Artikel die sogenannte Operation Sycamore, Seymour Hersh ist bereits 2014 in diesem Artikel auf Waffenlieferungen von Libyen nach Syrien unter Beteiligung von US-Geheimdiensten eingegangen. Hersh schreibt:
„Die Obama-Regierung hat nie öffentlich zugegeben, dass sie eine Rolle bei der Einrichtung des von der CIA als ‚Rattenlinie‘ bezeichneten Kanals nach Syrien gespielt hat. Die Anfang 2012 genehmigte ‚Rattenlinie‘ diente dazu, Waffen und Munition aus Libyen über die Südtürkei und die syrische Grenze an die Opposition zu schleusen. Viele derjenigen in Syrien, die die Waffen schließlich erhielten, waren Dschihadisten, von denen einige mit Al-Qaida in Verbindung standen.“
Dazu kommt, dass zahlreiche der islamistischen Kämpfer gegen Assad gar keine Syrer waren, es sich also zumindest bei den syrischen IS-Kämpfern und auch bei anderen syrischen Milizen zum Teil mutmaßlich um ausländische Söldner gehandelt hatte. Kann man solche Truppen als „das syrische Volk“ bezeichnen?
Assad und das Giftgas
Auf die nun wieder anklingenden Vorwürfe gegen die Assad-Regierung, „Giftgas gegen das eigene Volk“ eigesetzt zu haben, ist Karin Leukefeld in zahlreichen Artikeln auf den NachDenkSeiten eingegangen – etwa hier oder hier oder hier oder hier. Die Beiträge zeigen, dass viele der Giftgas-Vorwürfe gegen die Assad-Regierung auf einer sehr fragwürdigen Basis stehen.
In diesem Artikel soll keineswegs das Handeln der Familie Assad pauschal verteidigt werden oder die inakzeptable Tatsache, dass eine Familie jahrzehntelang ein Land mit harter Hand beherrschte. Sehr wohl werden hier aber die Mittel scharf kritisiert, die nun zu Assads Sturz geführt haben und die (voraussehbar) seit 2011 Millionen Menschen entweder getötet, verwundet oder vertrieben haben. Diese Kritik trifft auch jene deutschen Journalisten und Politiker, die diese Politik verteidigt haben.
Ein „Tag der Befreiung“?
Die Gegner Assads haben nun gewonnen, alles jetzt Folgende kann man nun nicht mehr ihm oder den Russen anlasten – man darf gespannt sein, wie die deutschen Journalisten, die seit 2011 auch radikale Islamisten in Syrien indirekt als gemäßigte Rebellen oder gar als syrische „Opposition“ dargestellt haben, sich nun verhalten werden, da diese an der Macht sind. Ihre indirekte Mitverantwortung an der Zerstörung des Landes in der Vergangenheit, an den daraus entstandenen Flüchtlingsströmen auch nach Deutschland und an den Verwerfungen in der näheren Zukunft werden deutsche Journalisten und Politiker wohl kaum eingestehen. Im Gegenteil: Die jetzige Wiederholung von Vokabular aus der Hochzeit des syrischen „Bürgerkriegs“ durch manche Akteure ist meiner Meinung nach auch ein Versuch, die Propaganda von damals als bis heute „gültig“ aussehen zu lassen und damit das eigene Verhalten weißzuwaschen.
Nun herrschen überwiegend Islamisten über ein teils zerstörtes und zerstückeltes Syrien – und das soll „ein Tag der Befreiung“ (Norbert Röttgen im DLF) oder eine „positive und lang erwartete Entwicklung“ (Kaja Kallas auf X) oder eine „gute Nachricht“ (Kanzler Scholz) sein?
Wer hat den Krieg ab 2011 (auf Basis vorhandenen starken Unmuts gegen Assad in Teilen der syrischen Bevölkerung) aktiv zusätzlich angefacht und seither mit Propaganda und Kriegsmaterial am Leben erhalten? Der säkulare Vielvölkerstaat Syrien wurde seitdem zerstört und zerstückelt. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Landes ist real. Selbst (oder gerade) wenn die nun dominierenden Dschihadisten-Gruppen so moderat sein sollten, wie sie jetzt dargestellt werden, kann es noch zu Machtkämpfen mit radikaleren Gruppen kommen.
„Die Syrer“ feiern Assads Sturz
Man sieht nun viele Bilder in deutschen Nachrichtensendungen, auf denen „die Syrer“ in Deutschland feiern. Bei vielen Syrern, die sich im Ausland befinden, erscheint das nachvollziehbar. Ich weiß aber nicht, wie aussagekräftig diese Bilder für die Situation in Syrien selbst sind: Jene Syrer in dem multi-religiösen Vielvölkerstaat, die jetzt Angst vor Islamisten haben, werden sich wahrscheinlich vorerst nicht zu erkennen geben.
Droht nun eine neue Welle von Flüchtlingen aus Syrien für Deutschland? Oder werden nun, da Syrien „befreit“ ist, viele der nach Deutschland geflüchteten Syrer in ihre Heimat zurückkehren? Der Wahlkampf um diese Frage läuft hierzulande schon.
Titelbild: Mr Changezi / shutterstock.com
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=125971