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Titel: Wegen schlechter Führung: Kanzleramt wird zwangsgeräumt!
Datum: 5. Dezember 2024 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Sozialstaat
Verantwortlich: Redaktion
Heute wird in Berlin und Hamburg gegen eine vergeigte Wohnungspolitik im Zeichen von Platzmangel und Mietwucherei demonstriert. Zeitgleich parliert in der Hauptstadt Ministerin Geywitz mit Verbandsvertretern, als Ersatz für einen durch ihren Chef abgeblasenen Gipfel am Nikolaustag. Das Treffen habe sich mit dem Aus der Ampel erledigt, heißt es, so wie vielleicht auch die Mietpreisbremse. Vonovia und Co. bauen darauf. Von Ralf Wurzbacher.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Wohnst Du noch oder bebst Du schon – vor Wut auf Deinen Vermieter? Der schon wieder mehr Geld haben will für etwas, das Du jetzt schon nicht mehr bezahlen kannst. Wer heute in einer deutschen Großstadt lebt, gibt in vielen Fällen ein Drittel seines monatlichen Einkommens für ein Dach über dem Kopf aus. Für den Durchschnittsberliner ist das sogar die Regel: 32 Prozent seiner Einkünfte gehen direkt für die Kaltmiete drauf, und obendrauf kommen noch Heizung, Strom und sonstige Nebenkosten. Damit liegt die Hauptstadt ganz vorne im bundesweiten Vergleich, gemeinsam mit München, wo aber im Mittel deutlich mehr verdient wird. Wobei es in der Isarmetropole „besonders teure Mikrolagen“ mit 35 Prozent „Mietkostenquote“ gibt. Wer es sich leisten kann …
Oder eben nicht. Während die Ausgaben fürs Wohnen von einem Allzeithoch zum nächsten jagen, zählt Deutschland immer mehr Menschen ohne feste Bleibe. Schätzungsweise 50.000 Obdachlose verbringen selbst die Nacht im Freien, während 600.000 Wohnungslose zum Schlafen wenigstens in einer Notfalleinrichtung, in Heimen, Frauenhäusern, bei Freunden oder Familienmitgliedern unterkommen. In die Zehntausende geht inzwischen auch die jährliche Zahl der Zwangsräumungen, 2021 waren es mehr als 29.000. Allein in Nordrhein-Westfalen sind es täglich knapp 24. Zuletzt sorgte ein Fall in Esslingen nahe Stuttgart für Schlagzeilen. Ein Mann setzte ein Haus in Brand, erschoss den Sohn seines Vermieters, dann sich selbst. In einem Beitrag zum Thema beschreibt der Berliner Mieterverein die Stimmungslage von Betroffenen: „Herzrasen, Bluthochdruck, Schlafstörungen – wer zwangsgeräumt wird, durchlebt einen Albtraum.“
Protest in Berlin und Hamburg
Anders die Profiteure. Dieser Tage machte die Meldung die Runde, wonach die beiden größten deutschen Wohnungskonzerne – Vonovia und LEG – im kommenden Jahr erneut die Mieten anheben wollen, um „mindestens vier Prozent“. Beide Unternehmen haben die kurze Krise mit zwischenzeitlich sinkenden Immobilienpreisen gut verkraftet und streichen wieder gewohnt satte Profite ein. Vonovia rechnet mit einem operativen Gewinn von 2,65 Milliarden Euro im auslaufenden Jahr und peilt für 2028 bis zu 3,5 Milliarden Euro an. Bei den Anlegern knallen bestimmt die Champagnerkorken, am Anleger im Yachthafen von Saint Tropez …
Neid hilft jedoch nicht weiter, aber vielleicht ja Widerstand. Für den heutigen Donnerstag haben Dutzende Mieterverbände und -vereine zu Protestaktionen in Berlin und Hamburg mobilisiert. An der Spree ist für 13:30 Uhr eine Kundgebung vor dem Deutschen Institut für Bautechnik in der Kolonnenstraße in Schöneberg geplant. An der Elbe wird neben einer Kundgebung auch eine Demonstration mit anschließendem Podiumsgespräch auf Initiative des Bündnisses „Offensiv für Wohnraum“ stattfinden. „Die Bilanz der Ampel ist erschütternd, mietenpolitisch wurde weniger als gar nichts während der nun vorzeitig auslaufenden Legislatur umgesetzt“, äußerte sich Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein in der Presse. Nicht einmal die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen zum Schutz der Mieterinnen und Mieter würden umgesetzt. Die Forderungen der Aktiven: „Mieten deckeln! Umwandlungen und Zwangsräumungen verbieten! Eigenbedarf beschränken! Vorkaufsrecht reaktivieren!“ Ihr Credo: „Es braucht grundsätzliche Veränderungen.“
Kein Haus vom Nikolaus
Wie passend: Der Protest musste selbst umziehen. Eigentlich wollte Olaf Scholz (SPD) am Freitag in Hamburg zum Wohngipfel laden, um mit Vertretern aus Politik, Bau- und Wohnungswirtschaft, von Mieterverbänden, Gewerkschaften und Förderbanken Wege aus der Wohnungskrise zu besprechen. Das hat längst schlechte Tradition. Sobald es irgendwo klemmt, wird telegen gegipfelt und danach bleibt alles wie gehabt. Erst Ende September hatte der Kanzler den „Bündnis-Tag zum bezahlbaren Wohnraum“ steigen lassen und anschließend mit einem 14-Punkte-Plan gewedelt. Der enthält zwar allerhand Absichtsbekundungen der Sorte „bauen, bauen, bauen“, aber „nichts zur Mietenfrage“, wie damals der Berliner Mieterverein bilanzierte.
Vielleicht wollte sich der Regierungschef ja ein neuerliches Pfeifkonzert ersparen, indem er den für Freitag anberaumten Gipfel kurzerhand abblies, womit auch klar ist: kein Haus vom Nikolaus. Jedenfalls wird nun Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) die Ersatzgastgeberin geben, bei einer auf zweieinhalb Stunden eingedampften „Spitzenrunde“, und das auch schon heute, am Donnerstag. Offiziell begründet wird der Vorgang mit dem vorzeitigen Ende der Koalition, der „verkürzten Legislaturperiode“ und also dem stillschweigenden Eingeständnis, in den paar verbleibenden Wochen nichts mehr gebacken zu kriegen.
Mietpreisbremse vorm Aus
Eigentlich wollten SPD, Grüne und FDP bis Jahresende wenigstens noch die sogenannte Mietpreisbremse bis 2028 verlängern, worauf man sich im Oktober nach langem Streit geeinigt hatte. Mit dem Bruch der Ampel erscheint der entsprechende Gesetzentwurf aber kaum mehr durchsetzbar. Der federführende Marco Buschmann (FDP) ist nicht mehr Bundesjustizminister, und die Union steht als Mehrheitsbeschaffer eher nicht zur Verfügung. Ohne Konsens liefe die Regelung bis Ende 2025 aus, je nach Bundesland mal früher, mal später. In Berlin etwa endet die fragliche Rechtsverordnung am 31. Mai, in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg am 30. Juni. Bei einem Aus der Mietpreisbremse drohten „unkalkulierbare Folgen“, warnte zuletzt der Präsident des Deutschen Mieterbunds (DMB), Lukas Siebenkotten. Beim Abschluss neuer Mietverträge existierten dann „keinerlei Beschränkungen“, und die ungedeckelten Angebotsmieten trieben den örtlichen Mietspiegel nach oben. „Die Kostenspirale am Wohnungsmarkt würde noch steiler nach oben gehen“, so der Verbandschef.
Dabei ist die Bremse selbst nur von beschränkter Haftkraft. Das 2015 eingeführte Instrument legt fest, dass Vermieter auf „angespannten“ Wohnungsmärkten bei neuen Verträgen die ortsübliche Vergleichsmiete im Grundsatz höchstens um zehn Prozent überschreiten dürfen. Allerdings nutzen Eigentümer eine Reihe an Schlupflöchern, um die Vorgaben zu umschiffen. Zum Beispiel läuft die Bestimmung bei möblierten Wohnungen ebenso ins Leere wie bei sogenannten Indexmieten, die sich an der Entwicklung der Verbraucherpreise orientieren. Ein Drittel der Wohneinheiten in den Metropolen würden mittlerweile möbliert angeboten, monierte zu Wochenanfang der neue Co-Vorsitzende der Partei Die Linke, Jan van Aken, und sprach dabei von „unverschämten Praktiken“. Selbst bei Verstößen gegen die Vorgaben müssten Hausbesitzer „mit keinerlei Strafe rechnen“.
„Die Große Abrechnung“
Gemeinsam mit der wohnungspolitischen Sprecherin der Linke-Bundestagsgruppe, Caren Lay, stellte der Parteichef am Montag ein Positionspapier mit dem Titel „Die Große Abrechnung“ vor. Darin verlangen sie einen „Mietenstopp für sechs Jahre“, wobei der Zeitraum dafür genutzt werden solle, einen „bundesweiten Mietendeckel“ auf den Weg zu bringen. Außerdem müsse es eine „warme Wohnung für alle“ geben, durch ein sofortiges Verbot von Gas- und Stromsperren und langfristig „sozial gestaffelte Heizungs- und Stromkosten“. Punkt drei ihres Drei-Punkte-Programms zielt auf eine „Investitionsoffensive für den sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau“ im Umfang von 20 Milliarden Euro jährlich. „So viel wird momentan für Wohngeld ausgegeben“, heißt es in ihrem Papier. Es sei aber „auf lange Sicht nachhaltiger, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“.
Dem Bundeskanzler werfen Lay und van Aken vor, „in der Wohnungspolitik komplett versagt“ zu haben. Die Bundesregierung war einst mit dem Versprechen von 400.000 neuen Wohnungen jährlich angetreten, davon 100.000 in öffentlicher Förderung. Die Koalition riss die Latte aber drei Jahre in Folge deutlich. Mit nur 157.200 Baugenehmigungen in den ersten neun Monaten dieses Jahres wurde ein neuer Tiefpunkt erreicht. Im gleichen Zeitraum 2023 waren es 38.500 – und damit etwa 20 Prozent – mehr. Gerade in puncto bezahlbarer Wohnraum ist die Bilanz desaströs. Laut Mieterbund waren von den 2023 knapp 300.000 neu errichteten Objekten weniger als ein Drittel klassische Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel Sozialwohnungen.
Mieter im Ausverkauf
Der Niedergang setzte schon viel früher ein. Seit 2007 ist die Zahl der Sozialwohnungen von über zwei Millionen auf heute noch rund eine Million eingebrochen. Dabei hätten aktuell mehr als elf Millionen Haushalte einen Anspruch darauf. 1987, auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik, gab es allein vier Millionen Sozialwohnungen. Das ging vor allem auf die Nachkriegszeit zurück, als mehr als 50 Prozent des Neubaus dem geförderten Wohnungsbau zufielen und Bindungsfristen von bis zu 80 Jahren bestanden. Heute endet die Pflicht, zu erschwinglichen Kosten zu vermieten, nach spätestens 20 Jahren, mithin auch schon nach zwölf. Jährlich fallen Zehntausende Einheiten aus der Sozialbindung. Ab dann dürfen die Eigner abkassieren, und das machen die allermeisten.
Die Hintergründe der allgemeinen Wohnungsmisere hatten die NachDenkSeiten 2020 im Beitrag „Asozialer Wohnungsbau“ aufgezeigt. Ursächlich waren neben diversen Gesetzeseingriffen in den 1990er-Jahren vor allem der systematische Abverkauf riesiger öffentlicher Wohnungsbestände im Rahmen der mit „Sparzwängen“ propagierten Privatisierungswellen sowie der weitgehende Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau. Unter Länderhoheit und erst recht nach Einführung der sogenannten Schuldenbremse geriet die staatliche Bautätigkeit massiv ins Hintertreffen, während die großen Immobilienkonzerne ihre billigen Neuerwerbungen mit horrend aufgeschlagenen Mieten vergolden konnten.
Auf Lügen gebaut
Eine teure Aktie an der Entwicklung hält ausgerechnet die PDS als Vorgängerorganisation der Linkspartei. In ihrer Mitverantwortung wurde 2004 in Berlin die bis dahin landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW mit 65.000 Wohnungen zum Preis von 405 Millionen Euro an ein US-Konsortium verhökert. Die Beute ging später in die Hände der Deutsche Wohnen über, die inzwischen von der Vonovia geschluckt wurde. Die nennt bundesweit fast 500.000 Wohnungen ihr Eigen, Motto: „Wir geben Menschen ein Zuhause (…) zu fairen Preisen“. Da biegen sich die Dachbalken. Apropos: In Lübeck stehen seit Monaten 98 Vonovia-Wohnungen leer – wegen Einsturzgefahr.
Titelbild: Dynamoland/shutterstock.com
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