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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Nach und nach wird es still
Datum: 15. November 2024 um 15:30 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Kultur und Kulturpolitik
Verantwortlich: Redaktion
In wenigen Tagen ist es wieder so weit: In unserer krisengeschüttelten Republik beginnt die Adventszeit. Überall öffnen Weihnachtsmärkte zur Freude der Menschen. Selbstverständlich darf an diesen festlichen Orten die Musik nicht fehlen. Doch seit Jahren, und dieses Jahr erneut, ist diese Idylle getrübt, und zwar wie so oft aus monetären Gründen. Die bisher allzu mächtige Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) fordert viel zu hohe Gebühren, klagen die Marktorganisatoren, die damit vor großen Problemen stehen. Auch an anderen Orten gesellschaftlicher Teilhabe droht womöglich Stille einzukehren, zum Beispiel in Tanzschulen. Es ist Zeit, die gierige, uneinsichtige Verwertungsgesellschaft zurückzupfeifen. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Der Christkindlesmarkt steht symbolisch für viele Märkte im Land
Stellen Sie sich den Nürnberger Christkindlesmarkt mal ohne Musik vor. Diese Stille sollte beinah wirklich einkehren – wegen heftig ausfallender Gebühren, erhoben von der GEMA. Der davon bedrohte Christkindlesmarkt steht im Übrigen symbolisch für die vielen Märkte in unserem Land, die die GEMA allesamt auf dem Schirm hat. Zum Nürnberger Markt gehört unbedingt eine Bühne, sie ist ein kultureller Reichtum, ein Muss. In Nürnberg sorgen dieses Jahr an die 90 Chöre – Kinder-, Erwachsenen- und Posaunenchöre – für eine einzigartige Stimmung und für viel Musik. Nebenbei: All diese Darbietungen sind freiwillig. Eine Bezahlung gibt es nicht, ist aus der Stadtverwaltung zu erfahren. Soll heißen, dass kein finanzieller Beweggrund der Akteure besteht, kein monetärer Vorteil. Doch was schert das die GEMA, die will 30.000 Euro sehen, was vonseiten der Stadt Nürnberg auf Widerstand stößt:
Nicht „nachvollziehbar”: Stadt Nürnberg übt heftige Kritik an GEMA wegen Christkindlesmarkt. Diese Entscheidung habe auch „erhebliche Auswirkungen“ auf den Nürnberger Christkindlesmarkt, heißt es aus dem Rathaus. Bei Anwendung des aktuellen Tarifs müssten die Veranstalter des Christkindlesmarkts demnach eine Gebühr von nahezu 30.000 Euro entrichten. Nürnbergs Wirtschafts- und Wissenschaftsreferentin Dr. Andrea Heilmaier äußerte deutliche Kritik am Vorgehen der GEMA. „Das Vorgehen der GEMA ist weder nachvollziehbar noch kooperativ. Natürlich setzen wir uns für eine faire Vergütung der Künstlerinnen und Künstler ein, aber auch kommunale Veranstalter brauchen eine tragbare Gebührenstruktur, unabhängig von ihrer Größe“, so Heilmann. Diese Haltung der GEMA schade den Veranstaltern und Bürgern. „Wir werden daher weitere Schritte prüfen, wie vollständig GEMA-freie Musik. Hier würde die GEMA dann gar keine Gebühren mehr erhalten“, so die Ankündigung.
Die Sturheit der Verwertungsgesellschaft wird noch belohnt
Das Problem „Gebührenhöhe“ besteht landesweit, doch selbst der Deutsche Städtetag, immerhin Vertreter unserer Kommunen, beißt auf GEMA-Granit:
Nach „intensiven Verhandlungsbemühungen“ der Bundesvereinigung der Musikveranstalter (BVMV) und des Deutschen Städtetags mit der GEMA, um eine Gebührenregelung für kommunale Weihnachtsmärkte, hatte sich im September 2024 „keine Bereitschaft” seitens der GEMA gezeigt, einen eigenen Tarif für Weihnachtsmärkte zu etablieren.
Die Sturheit der Verwertungsgesellschaft wird schließlich sogar noch belohnt. Dass ein Sponsor „einspringt“, damit es wie verlangt in der GEMA-Kasse ordentlich klingelt, wird, wie ich finde, fatalistisch gefeiert:
Im Streit um die hohen GEMA-Gebühren für Weihnachtsmärkte kommt dem Nürnberger Christkindlesmarkt jetzt ein Sponsor zu Hilfe: Um die Kosten des Rechteverwerters auf ein „für die Stadt erträgliches Maß zu reduzieren“, unterstütze Lebkuchen Schmidt, zugleich seit dem vergangenen Jahr Hauptförderer des Markts, das Bühnenprogramm mit einem Großteil der anfallenden Kosten. Das hat die Stadt Nürnberg am Dienstag (12. November 2024) verkündet. Somit werde es am Christkindlesmarkt auch in diesem Jahr wieder ein Bühnenprogramm mit bekannten Weihnachtsliedern geben.
(Quelle: Infranken.de)
Der Trick mit der „Gesamtfläche“
Ganz im Gegensatz zu der Behauptung, ja Anmaßung der Berliner Institution mit Monopolstellung, dass die Gesamtfläche eines Marktes für die Gebührenerhebung maßgeblich (und somit berechtigt) sei, möchte ich am Beispiel der Bühne in Nürnberg entschieden anders argumentieren. Die direkt vor der Kirche aufgebaute Bühne ist keine große. Sie wird auch nicht mit einer wuchtigen Beschallungsanlage betrieben. Ich stand im vergangenen Jahr mitten im Publikum auf der eher kleinen Freifläche um die Bühne herum. Dieser Bereich maß geschätzt etwa fünf Prozent des gesamten Christkindlesmarktes! Ich entfernte mich vom Bühnenbereich, schlenderte über den Markt und hörte vom Bühnenprogramm nichts mehr. Von Vollbeschallung für das gesamte Publikum konnte keine Rede sein. Und doch soll der gesamte Platz berechnet werden? Ich beobachte, dass ein Monopolist genauso denkt, auch wenn Städte damit gezwungen werden, auf Musik zu verzichten:
Gesamte Fläche bestimmt Höhe der GEMA-Gebühren. Die Kosten für Musik auf Weihnachtsmärkten berechnet die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, kurz Gema, bereits seit 2011 anhand der Größe der gesamten Veranstaltungsfläche. Laut Gema hatten einige Weihnachtsmärkte in der Vergangenheit die Größen dieser Flächen falsch angegeben. Deshalb wurde in vielen Fällen nachgemessen, was zur Kostensteigerung in einigen Städten führte. Deshalb wurde bereits im vergangenen Jahr vielerorts auf Musik verzichtet.
(Quelle: NDR)
Wie in Nürnberg, so auch anderswo
Ein Computerbildschirmfoto macht deutlich, dass das Nürnberger Drama auch in anderen Kommunen aktuell ist:
Weiteres Kulturgut von Kulturverwerter bedroht: Tanzschulen
Tanzschulen sind ebenfalls Andockstationen der GEMA – und geraten womöglich demnächst weiter in Schieflage, denn die Gebührenlast ist schon jetzt enorm. Ein Beispiel aus Berlin:
Berlins Tanzschulen kommen ins Schwitzen – die GEMA will ab dem nächsten Jahr mehr Gebühren kassieren. „Wir zahlen jährlich schon einen hohen fünfstelligen Betrag“, sagt Sebastian Keller (37) von der renommierten Tanzschule Dieter Keller in Steglitz. Die Musikrechte-Gesellschaft GEMA hat in Deutschland eine Monopolstellung, legt die Preise für die Nutzung der Musik fest. Die Abgabe, die Sebastian Keller zahlt, berechnete sich bisher nach der Größe der Tanzfläche. „Doch zukünftig wollen sie 4,5 Prozent von unserem Netto-Umsatz haben. Das wäre noch einmal deutlich mehr als bisher“, sagt er. „Das ist ein Unding. Das können wir niemals auffangen, selbst wenn wir die Preise für die Tanzkurse erhöhen werden. Denn je mehr Umsatz, desto höher die Abgabe.“ Um die drohenden Mehrkosten aufzufangen, werden die Preise für Tanzkurse und Übungspartys ab 2025 deutlich angehoben werden müssen, sonst kann keine Tanzschule überleben.
20 Euro mehr für einen Kurs wären dann zu viel für einige Teilnehmer
Die Tanzschule in Steglitz steht wie der Christkindlesmarkt in Nürnberg symbolisch für eine abgehobene Praxis und für gierige Geldeintreibung. Tanzlehrer Keller rechnet vor:
Ein Kurs für Erwachsene kostet in der Tanzschule Keller 77 Euro, für Kinder- und Jugendliche 57 Euro. Dafür können sie oft tanzen kommen, wie sie wollen. „Ich rechne mit 20 Euro mehr pro Kurs“, sagt Keller. Das aber will er unbedingt vermeiden.
„Wir wollen, dass Tanzen allen zugänglich bleibt und nicht, dass es nur den Königskindern vorbehalten ist“, sagt Sebastian Keller. „Wir haben eine gesellschaftliche Verpflichtung. Würde es die Tanzschulen nicht mehr geben, würde ein kulturelles Gut wegfallen.“
Gegenwind kommt auf: Eine Petition für eine Reform der GEMA
Die Deutsche Tanzschulinhaber Vereinigung hat in diesem Herbst eine Petition „Reform der Tarifstruktur und Vertragspraxis der GEMA/verbesserte Kontrolle durch das Deutsche Patent- und Markenamt vom 24.09.2024“ eingereicht. Deutlich sprechen die Initiatoren die inakzeptable Lage an, allen voran die eigenwillige wie fragwürdige Praxis der GEMA:
Mit der vorliegenden Petition möchten wir den Gesetzgeber darauf aufmerksam machen, dass die GEMA ihre Monopolstellung gegenüber den auf die Musiknutzung zu angemessenen Bedingungen angewiesenen Verbänden vorsätzlich und konsequent missbraucht und dass die vom Gesetzgeber zur Kontrolle der Verwertungsgesellschaften eingesetzte Aufsichtsbehörde beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) seiner Aufgabe nicht nachkommt. Die GEMA hat den Pfad der jahrelang praktizierten, vertrauensvollen Zusammenarbeit und Partnerschaft verlassen und versucht nun, den Nutzern ihre Bedingungen unter Androhung gerichtlicher Schritte zu diktieren. Ihr Ziel ist es offensichtlich, die Verbände (Nutzervereinigungen) zu umgehen und möglichst auszuschalten, um mit den Endnutzern einzeln nach ihren Konditionen abrechnen zu können, wobei die bisherigen Pauschalverträge mit den Verbänden wegfallen sollen.
Die Liste der in der Petition formulierten Reformforderungen ist wichtig und überfällig.
Wissen Sie, was die GEMA-Vermutung ist? Veranstalter und Musiker, die durchweg eigene, GEMA-freie Werke aufführen, wissen davon ein Lied zu singen. Und ja, es ist unbedingt beizupflichten, diese anmaßende Vermutung einschließlich der „Beweisumkehr“ abzuschaffen:
Die sogenannte GEMA-Vermutung besagt, dass davon auszugehen ist, dass bei Musiknutzungen grundsätzlich GEMA-geschützte Musik verwendet wird, was den Veranstalter zwingt, das Gegenteil zu beweisen. Angesichts der zunehmenden Nutzung von Creative Commons Werken und der Veröffentlichung von GEMA-freier Musik durch junge Urheber sowie der aktuellen Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI), die zeigt, dass KI-generierte Musikwerke einen immer größeren Anteil der Musiklandschaft einnehmen, ist diese Regelung nicht mehr zeitgemäß. KI-komponierte Musik wird oft ohne Nutzung traditioneller Musikrechte erstellt und veröffentlicht, was die GEMA-Vermutung weiter infrage stellt.
(Quelle: bdt-ev)
Nachtrag: Musikschaffende und Texter müssen vergütet werden, wenn ihre Werke öffentlich aufgeführt werden, ja. Die gegenwärtige Praxis bezeichne ich aber als maßlose und uneinsichtige Eintreibung von Geldern, was in dieser Höhe nicht gerecht ist. Im Gegenteil, überall wird hingelangt. Die Fantasie, vorstellig zu werden und üppige Gebühren auf abenteuerlichen Berechnungsgrundlagen zu verlangen, ist bei den Profis der Verwertungsgesellschaft sehr ausgeprägt. Ein Lied davon können nicht nur Betreiber von Märkten, Tanzschulen, Kindergärten sowie die Kirchen singen, ja auch bei privaten Feiern lauscht die große GEMA an der Tür und hält die Hand auf.
Wenn aber ihre Forderungen so umfassend und so hoch sind, dass letztlich vielleicht gar keine Musik mehr erklingt, kein Tanzbein geschwungen wird, dann ist auch den Musikschaffenden, den Mandanten der GEMA nicht geholfen.
Information: Die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte” (GEMA) ist eine deutsche Verwertungsgesellschaft. Diese ist für die Durchsetzung der Urheberrechte von mehr als 90.000 Mitgliedern und etwa zwei Millionen Mandanten im Ausland, Komponisten, Textdichter, Musikverleger sowie ihrer Rechtsnachfolger verantwortlich. Die GEMA kontrolliert, wann und wo in der Öffentlichkeit urheberrechtlich geschützte Werke gespielt werden und fordert dafür Gebühren ein.
Titelbild: Oksana Yermoshenko/shutterstock.com
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