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Titel: Lange Gesichter in Kamalas Fankurve

Datum: 6. November 2024 um 7:45 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Strategien der Meinungsmache, Wahlen
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Die Wahlnacht in den USA blieb frei von Überraschungen. Nach den aktuellen Zahlen wird Donald Trump die Präsidentschaftswahlen deutlich gewinnen – die sieben sogenannten Battlegrounds oder Swing States, in denen US-Wahlen traditionell entschieden werden, wird Trump womöglich geschlossen holen. Das hat seit Ronald Reagan bei seinem Kantersieg 1984 über Walter Mondale kein Kandidat geschafft. So richtig überraschen konnte dies offenbar nur Journalisten und „Experten“ in Deutschland, die bis zuletzt an den von ihnen verbreiteten Harris-Hype glaubten. Nun herrscht bei ihnen Katerstimmung. Von Jens Berger.

Mit dem Zweiten sieht man besser? Für die US-Wahlen gilt das definitiv nicht. Statt objektiver Informationen wähnte man sich in der nächtlichen Wahl-Sondersendung „Nacht der Entscheidung“ im ZDF eher als unfreiwilliger Teilnehmer einer Kamala-Harris-Wahlparty. Das Team rund um Shakuntala Banerjee und Elmar Theveßen war erwartungsgemäß „voll auf Linie“ und raunte selbst um 5.00 Uhr morgens deutscher Zeit, als die New York Times in ihrem Prognosemodell die Chancen auf einen Trump-Sieg bereits mit 87 Prozent bezifferte, von einer „sicherlich noch kommenden blauen Welle“ für Harris. Da war wohl sichtbar der Wunsch Vater des Gedankens. Selbst aktuell, um 7.00 Uhr morgens, will man die Niederlage Harris’ noch nicht so wirklich wahrhaben. Derart schräge Fehleinschätzungen erlebt man sonst nur beim ESC – Germany null Punkte, man kennt es.

Bild: Projektion 7:00 Uhr NachDenkSeiten

Statt kritischer Analysen gab es im ZDF die gesamte Nacht durch „Einordnungen“ – man versuchte, dem deutschen Publikum die Welt aus Sicht der Transatlantiker der demokratischen Partei zu erklären, und ließ, auch das hat ja im deutschen Fernsehen schon Tradition, am Kandidaten Trump kein gutes Haar. Da wunderte es dann auch nicht, dass kein einziger Studiogast öffentlich zugeben wollte, für den Kandidaten Trump zu sein. Das war keine Berichterstattung, sondern Meinungsmache. Man wähnte sich eher in der Fankurve von Kamala Harris als in einer journalistisch geprägten Wahlsendung. Längere Gesichter bei Journalisten und Experten sieht man sonst nur, wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft mal wieder vorzeitig bei einem Turnier ausscheidet.

Dabei gäbe es so einiges Kritisches zu berichten. Man kann ja durchaus die Position vertreten, Trump sei ein unsympathisches Großmaul. Das würde ich sogar unterschreiben. Warum aber wählt dann die Mehrheit der Amerikaner diesen Unsympathen? Kann es vielleicht sein, dass die Demokraten auf die Sorgen und Nöte der Wähler keine Antworten haben? Die Außenpolitik spielte für die Wähler übrigens eine untergeordnete Rolle, es ging vor allem um die Wirtschaft und die Inflation. Doch welche Positionen konnte die Kandidatin Harris eigentlich im Wahlkampf transportieren? Keine? Richtig. Harris’ Wahlkampf war dadurch geprägt, sich selbst als seriöse, sympathischere Alternative zu Trump darzustellen. Das hat nicht gereicht. Antworten zu den wahlentscheidenden Themen blieb sie den Wählern schuldig.

Es ist schon eine Leistung, gegen einen Donald Trump zu verlieren. Diese Leistung schafft man natürlich nur, wenn man sich von den Inhalten, die beim Wähler ankommen, vollkommen losgelöst hat. Was hätte Harris auch sagen sollen? Dass sie die Politik von Biden 1:1 fortsetzen will? Dass sie eine Politik ganz im Sinne ihrer Großspender verfolgen wird, zu denen das Who is Who des Big Business und der Wall Street gehören? Dass sie weiterhin die Kriege der USA auf dem gesamten Globus führen will? Dass sie ohnehin nur Kandidatin wurde, weil eine aussichtsreichere Alternative aus rechtlichen Gründen keinen Zugriff auf das gewaltige Kampagnenbudget der Biden-Harris-Kampagne gehabt hätte? Das hätte sie machen können, aber dann hätte sie noch weniger Stimmen bekommen. So funktioniert Demokratie, auch wenn deutsche Experten das nicht verstehen wollen.

Quelle: RealClear Polling

Dabei gab es von Mitte August bis Anfang Oktober ja tatsächlich einen „Harris-Hype“. Doch der war nicht nachhaltig, wie sich später herausstellen sollte. Wer regelmäßig die Umfragen aus den USA – und hier vor allem aus den Battlegrounds – verfolgt hat, ist daher auch vom Ergebnis der heutigen Nacht nicht überrascht. Vor der Wahlnacht sagten die Umfragen Trump in fünf der sieben Battlegrounds bzw. Swing States einen Sieg voraus.

Wichtig für die US-Politik waren heute jedoch nicht nur die Präsidentschaftswahlen, sondern auch die Wahl der zur Disposition stehenden Senatoren. Turnusgemäß standen heute 34 der 100 Sitze im Senat zur Wahl, 23 davon wurden bislang von Senatoren der Demokraten gehalten, die vor den heutigen Wahlen mit einer einzigen Stimme Mehrheit den Senat beherrschten. Im Vorfeld gingen die Umfragen hier von drei „Pick-Ups“, also Übernahmen bislang demokratischer Sitze durch republikanische Kandidaten, aus.

In West Virginia und Ohio hat es diese „Pick-Ups“ laut den Zahlen von CNN schon gegeben, auch in Montana wird es wohl nach Auszählung aller Stimmen einen „Pick-Up“ geben. Die Republikaner haben künftig also mit 52 Sitzen die Mehrheit im Senat. Auch im Repräsentantenhaus werden die Republikaner ihre dort bereits seit 2022 bestehende Mehrheit verteidigen und sogar ausbauen können – aktuell haben sie drei Sitze demokratischer Abgeordneter hinzugewinnen können. Trump kann durchregieren, die Checks & Balances sind durch die Mehrheiten der Republikaner eingehegt.

Was diese Wahlnacht für die USA und für die Welt bedeutet, ist offen. Es ist wahrscheinlich, dass sich vor allem in Europa sicherheitspolitisch einiges ändern wird. Dazu werden die NachDenkSeiten noch einiges schreiben. Man sollte freilich nicht so naiv sein und Trump für einen „Friedenspräsidenten“ halten. Es ist jedoch zu hoffen, dass sich vor allem der Krieg in der Ukraine nun entspannt und Trump – wie versprochen – diplomatisch auf Russland zugehen und eine Friedenslösung erarbeiten wird. Und das ist doch nicht die schlechteste Entwicklung dieser Wahlnacht; auch wenn das die bellizistischen Experten, die in den Medien zu Wort kommen, sicher anders sehen.


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