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Titel: Parlamentswahl in Georgien: Von der Rationalität der Wähler
Datum: 31. Oktober 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Länderberichte, Medienkritik, Wahlen
Verantwortlich: Redaktion
Die Präsidentin Georgiens stellt sich erneut gegen die eigene Regierung. Salome Surabischwili behauptet, bei der Parlamentswahl am vergangenen Wochenende habe es massive Wahlfälschung gegeben. Sie unterstützt daher nicht nur die Proteste der Opposition, sondern ruft zu Protest auf. Die Tagesschau berichtet, die georgische Staatsanwaltschaft habe inzwischen Ermittlungen wegen Wahlmanipulation eingeleitet. „Verdacht auf Wahlfälschung. Georgische Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein“, ist der Beitrag überschrieben und im Teaser heißt es „Nach der Parlamentswahl in Georgien sprachen die Präsidentin und die Opposition von Betrug. Tausende Menschen demonstrierten in der Hauptstadt. Nun will die Staatsanwaltschaft den Verdacht auf Wahlfälschung untersuchen.“ Von Gert-Ewen Ungar.
In den russischen Nachrichten klingt die Nachricht etwas anders. Dort wird berichtet, Surabischwili sei von der Staatsanwaltschaft einbestellt worden, um ihren Vorwurf zu belegen. Das sind natürlich auch Ermittlungen, die Tagesschau hat nicht gelogen. Später im Artikel rückt sie die Information sogar gerade. „Die regierungskritische Präsidentin Salome Surabischwili sei für morgen zur Befragung einbestellt worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit“, heißt es weiter unten im Text, aber wer liest das dann noch, wenn er meint, die Nachricht verstanden zu haben? Und die lautet ganz fraglos: In Georgien wurde die Wahl geklaut.
Die Tagesschau hat dem Vorgang einen neue Bedeutung gegeben und ihn ins westliche Narrativ eingebaut, das sie bedient. Journalistisch ist das natürlich unlauter, aber es ist symptomatisch.
Die Georgier haben sich gegen die EU entschieden. Das kann gar nicht sein, denn die EU steht für Demokratie, Freiheit und Wohlstand, beteuert man in Brüssel, Berlin und in den Redaktionsräumen des Mainstreams. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird der Popanz des Wahlbetrugs aufgebaut.
Eigentlich gibt es aber wenig Anlass, das Wahlergebnis anzuzweifeln. Die seit 2012 regierende Partei „Georgischer Traum“ verfolgt eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaft wuchs im vergangenen und wächst im laufenden Jahr um 7,5 Prozent. Seit ihrer Regierungsübernahme sank die Arbeitslosigkeit von 26,7 auf 14,5 Prozent. Das ist zwar immer noch sehr hoch, stellt aber dennoch eine deutliche Verbesserung dar. Verbessert hat sich auch die Kaufkraft, die Inflation ist mit 1,1 Prozent niedrig. Mit anderen Worten, der Wohlstand nimmt in Georgien zu. Zugegeben, von einem Lebensstandard wie in den Metropolen Russlands oder Chinas sind die Georgier noch weit entfernt, aber der eingeschlagene Weg ist richtig. Er ist vor allem im Interesse der Bürger. Die Wähler haben diesen Weg daher mit ihrem Votum bestätigt. Das Wählerverhalten ist absolut rational.
Dieser wirtschaftliche Erfolg Georgiens wurzelt in einer pragmatischen, souveränen Politik. Georgien trägt die Russlandsanktionen nicht mit und baut seine Beziehungen zu China kontinuierlich aus. Das Handelsvolumen zwischen Russland und Georgien wächst. Ein chinesisches Konsortium baut einen Tiefseehafen an der georgischen Schwarzmeerküste. Georgien wird zu einem wichtigen Warenumschlagplatz im chinesischen Neuen-Seidenstraßen-Projekt.
Daran zeigt sich aber auch das Dilemma, in dem die EU steckt. Die EU fordert von ihren Bündnispartnern die Umsetzung der Russlandsanktionen und eine konfrontative Gangart gegenüber China. Faktisch fordert die EU vom Beitrittskandidaten Georgien, dass das Land den eingeschlagenen Weg verlässt, auf Wachstum, Wohlstand und Souveränität verzichtet und sich den Vorgaben aus Brüssel unterordnet. Keine Regierung, die sich dem Wohl der eigenen Bevölkerung und den Interessen des eigenen Landes verpflichtet fühlt, kann diesen Weg einschlagen. Das müsste man eigentlich auch in Brüssel und bei der Tagesschau verstehen, denn auch das ist absolut rational. Die EU macht sich mit ihren Forderungen nicht nur unattraktiv, mit der Drastik ihrer Reaktion auf Widerstände schreckt sie ab.
Als die georgische Regierung im Sommer ein Gesetz erlassen hat, nachdem sich vom Ausland finanzierte NGOs und Medien registrieren lassen müssen, zeigte Brüssel den Georgiern deutlich, was sie von souveränen Entscheidungen hält: nichts. Sie forderte die Rücknahme des Gesetzes, legte den Beitrittsprozess zur EU auf Eis und drohte mit Sanktionen. Schon damals stellte sich Präsidentin Surabischwili gegen die Regierung und machte von ihrem Veto-Recht Gebrauch, was den Prozess hinauszögerte.
Dabei gab es für das Gesetz einen guten Grund, denn die georgische Regierung sah es als erwiesen an, dass sich eine ausländische Macht über NGOs in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischt und die Wahlen beeinflusst. Gemeint war damit allerdings nicht Russland, sondern die EU.
Die brüske Reaktion aus Brüssel führte jedem Bürger Georgiens vor, was eine weitere Annäherung an die EU bedeutet: Verzicht auf Souveränität, dauernde Einmischung sowie Unterordnung unter Brüsseler Diktat. Das Spektakel wiederholte sich dann im Herbst, als Georgien ein Gesetz erließ, mit dem das öffentliche Bewerben von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften untersagt wurde. Auch das Thema LGBT und Identitätspolitik werden von westlichen NGOs instrumentalisiert und zur Einmischung sowie Spaltung von Gesellschaften genutzt. Aus diesem Grund ist auch dieses Verbot verständlich.
Wenn man nur für einen Moment die georgische Perspektive einnimmt, wird deutlich, wie unattraktiv die EU inzwischen ist. In ihrer Selbstdarstellung und in der Vermarktung nach außen steht sie für Freiheit, Demokratie, Wachstum und Wohlstand. Aus der georgischen Perspektive bleibt von diesen Slogans an inhaltlicher Substanz nichts übrig.
Der EU ist Souveränität zuwider, mit der Demokratie steht sie auf Kriegsfuß und aufgrund der Konfrontation gegenüber China und Russland bleibt auch von ihrem Wachstums- und Wohlstandsversprechen nichts übrig. Die Wähler in Georgien haben das erkannt und eine absolut rationale Wahlentscheidung getroffen.
Dass man sich in der EU damit nicht abfinden will und zu einer Verschwörungserzählung greift, nach der es zu Wahlbetrug und russischer Einflussnahme gekommen ist, sagt nichts über Georgien, aber viel über den geistigen Zustand der EU aus. Weder die Politik noch die mit ihr verbundenen Medien sind zu dem Eingeständnis fähig, dass die EU aus gutem Grund jeden Glanz verloren hat. Man biegt sich die Realität so zurecht, dass sie zur Selbstwahrnehmung passt. Die Berichterstattung der Tagesschau zur Wahl in Georgien gibt dafür ein gutes Beispiel.
Gerade in Georgien hat die EU gezeigt, dass sie einer Autokratie, zu der sie sich eigentlich in Opposition sieht, weit ähnlicher ist als dem Bild vom Leuchtturm der Demokratie, für den sie sich selbst hält. In Georgien wurde das verstanden, in Brüssel und Berlin ist man von dieser Erkenntnis noch sehr weit entfernt.
Titelbild: George Khelashvili/shutterstock.com
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