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Titel: Boomer gegen Millennials? Wir haben keinen Generationen-, sondern einen Klassenkonflikt
Datum: 29. Oktober 2024 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Demografische Entwicklung, Generationenkonflikt, Strategien der Meinungsmache, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Jens Berger
Mittlerweile vergeht kaum eine Woche, in der nicht in irgendeinem Medium vom angeblichen „Generationenkonflikt“ fabuliert wird. Die Alten lebten auf Kosten der Jungen, so heißt es dann. Dabei feiern dann Stereotype fröhliche Urständ. Der Boomer befeuert – ganz nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ – mit seinem SUV und seinem nicht nachhaltigen Konsum den Klimawandel, während der faule Millennial das „Work“ in der Work-Life-Balance vergisst und dem Boomer damit seine Rente kaputtmacht. Alles Unsinn – erzählt, um fragwürdige Politik „alternativlos“ erscheinen zu lassen. Das Motto hierbei lautet „Teile und herrsche“. Davon sollten wir, egal ob alt oder jung, uns nicht ins Bockshorn jagen lassen. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Dass alle Klischees falsch sind, ist leider auch eines. Es ist sicher richtig, dass die Wahrscheinlichkeit, dass hinter dem Steuer eines teuren SUVs ein älterer Herr sitzt, relativ groß ist. Und ja, auch die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Betrieb ein Millennial die Überstundenliste anführt, ist nicht gerade die größte. Doch woran liegt es? Sind alle Boomer selbstbezogene Egoisten und alle Millennials faule Lebenskünstler? Natürlich nicht, die Ausprägungen, die unsere Stereotype bilden, sind vor allem gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen geschuldet.
Schaut man sich beispielsweise die Verteilung der Einkommen und Vermögen nach Altersgruppen an, sieht man, dass die Gruppe der 50- bis 65-Jährigen unangefochten an der Spitze steht. Nicht „der Boomer“, sondern der Wohlhabende fährt häufig einen teuren SUV. Hedonismus und klimaschädliches Verhalten ist keine Frage des Alters, sondern des sozioökonomischen Status. Laut einer Oxfam-Studie sind wohlhabende Menschen in Deutschland für 15-mal so viel CO2-Emissionen verantwortlich wie ärmere Menschen. Korrelation und Kausalität – will man der Erzählung folgen, dass ältere Hedonisten die Lebensgrundlage künftiger Generationen zerstören, so sollte man dem Kind auch den richtigen Namen geben. Nicht die Alten oder die Boomer, sondern die Reichen sind es, die in diesem Kontext ein Problem darstellen.
Umgekehrt verhält es sich bei der angeblichen Faulheit der Jugend. Es ist natürlich richtig, dass jüngere Generationen den Wert einer sinnstiftenden Verteilung von Arbeit und Freizeit kennen; aber nicht nur sie, auch Ältere und sogar die vielzitierten Boomer sind schon lange nicht mehr die tumben Arbeitstiere, wie es das Klischee besagt. Doch auch dies ist keine Frage, die sich im luftleeren Raum abspielt. So mancher Boomer wäre froh, wenn in seinem Betrieb die Personaldecke so dicht wäre, dass er sich mehr Freizeit gönnen oder gar in Teilzeit arbeiten könnte. So mancher Millennial wäre hingegen froh, wenn er überhaupt einen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob hätte, in dem er Überstunden machen könnte. Dass junge Menschen in ihrem Erwerbsleben häufig zu wenig in die Rentenkassen einzahlen, hat wenig mit Faulheit oder einer übersteigerten Orientierung auf das Privatleben zu tun, sondern ist schlicht eine Folge prekärer Arbeitsverhältnisse, die auch in hochqualifizierten Jobs leider häufig gang und gäbe sind. Es waren übrigens auch nicht Millennials, die das Rentensystem ausgehöhlt haben, sondern alte weiße Männer mit grauen Haaren, die als Politiker, Lobbyisten und Meinungsmacher die Axt ans Umlagesystem gesetzt haben.
Durch die Gasse der Vorurteile muss die Wahrheit ständig Spießruten laufen. Die Grundlagen des häufig erzählten Generationenkonflikts sind vor allem das – Vorurteile; Vorurteile, die von unbequemen Wahrheiten ablenken. Aber welcher Meinungsmacher will schon gerne etwas über die immer groteskere Schere der Einkommen und Vermögen, politischen Lobbyismus oder prekäre Jobs erzählen? Bei den großen Problemen unserer Zeit geht es nicht um Alt und Jung und noch weniger um Alt gegen Jung, sondern um Arm und Reich oder besser Arm gegen Reich. Wir haben keinen Generationen-, sondern einen Klassenkonflikt. Entlarvend sind in diesem Zusammenhang die in diesen Geschichten immer wieder propagierten „Lösungen“ für den angeblichen Generationenkonflikt, haben sie doch gar nichts mit der Generationenfrage, dafür jedoch verdammt viel mit der Vermögensfrage und der angestrebten weiteren Verteilung von unten nach oben zu tun.
Nehmen wir die Rentendebatte. Seit es die NachDenkSeiten gibt, klären wir – vor allem unser Herausgeber Albrecht Müller – über die Denkfehler in der Rentendebatte auf und kritisieren die dreiste Manipulation mit der „demografischen Entwicklung“. So als wäre das alles noch nicht tausendmal gesagt worden, wird auch heute noch Panikmache mit der Demografie betrieben. Natürlich ist es nicht unproblematisch, wenn nun die geburtenstarken Jahrgänge der Boomer vom Erwerbsleben ins Rentenalter wechseln. Natürlich kommen in den nächsten Jahren auf einen Rentner weniger Beitragszahler. Das heißt aber nicht, dass damit dem Umlageverfahren nun der Kollaps droht. Und das heißt schon gar nicht, dass die von den meisten Meinungsmachern in diesem Kontext propagierte Umstellung der Rente auf ein „kapitalgedecktes“ System eine Antwort auf die übertriebenen Probleme wäre. Ganz im Gegenteil. Auf die jetzigen Rentner und die Boomer, die schon bald in Rente gehen, hätten die propagierten „Reformen“, wie die Aktienrente, keinen großen Einfluss. Ganz anders sähe es indes für die Jungen aus, deren Rentenansprüche dadurch zum Spielball der Finanzmärkte würden.
Würde man die ganze Rentendebatte also auf den angeblichen Generationenkonflikt reduzieren, wäre die Frontline genau andersherum als vielfach erzählt. Dem Boomer könnte es eigentlich herzlich egal sein, welche neoliberalen Grausamkeiten man sich für die Millennials und ihre Altersvorsorge ausdenkt. Zum Glück sind die Boomer dann aber doch nicht so egoistisch und wissen, dass nach ihnen nicht die Sintflut, sondern ihre Kinder und Enkel kommen. Und die wollen – trotz aller Erzählungen über Generationenkonflikte – auch nicht Spielball der Finanzmärkte werden, sondern allen voran später einmal eine sichere Rente bekommen. Ein – rein egoistisches – Interesse an einer Privatisierung des Altersvorsorgesystems haben eigentlich nur die Anbieter derartiger Produkte und diejenigen, die von stetiger Nachfrage und damit steigenden Preisen für Finanzanlagegüter profitieren – also die Reichen, egal ob alt oder jung. Wenn der Schleier der Meinungsmache sich legt, wird einiges gleich viel klarer.
Ähnlich verhält es sich bei der Klimadebatte. Wenn der kleine Häuslebesitzer sich nun für eine Wärmepumpe verschulden muss und seinen sparsamen, betagten Diesel gegen ein sauteures E-Auto eintauschen soll, ist damit dem Klima – wenn überhaupt – nur in homöopathischen Dosen geholfen. Wie man auf die Idee kommen kann, dass diese Fragen etwas mit dem angeblichen Generationenkonflikt zu tun haben könnten, bleibt offen. Es ist ohnehin nicht zu erkennen, was die Klimadebatte und die daraus folgende Klimapolitik nun so großartig mit der Generationenfrage zu tun haben sollen. Die steile These, der älteren Generation sei es egal, in welcher Welt ihre Kinder und Enkel leben, ist schließlich nichts anderes als unhaltbare Meinungsmache.
Auch bei der Klimafrage verläuft die Frontlinie eher zwischen Arm und Reich als zwischen Alt und Jung. So steht beispielsweise der Transformation hin zu einer möglichst klimafreundlichen Energieerzeugung ja nicht die gemeinsame Front der Boomer und Alten gegenüber, sondern das neoliberale Dogma der Schwarzen Null, das Investitionen irrigerweise als Belastung kommender Generationen brandmarkt. Nicht der Strom aus Kohlekraftwerken, sondern der Kredit für Windkraftanlagen oder Solarparks schädigt nach diesem Dogma künftig Generationen. Verrückt.
Man fokussiert sich auf die Ausgabenseite und ignoriert die Einnahmenseite. Dabei muss man schon mit dem Klammerbeutel gepudert sein, um die Lösung nicht zu sehen. Die Energiewende kostet Geld, die Vermögenden in Deutschland haben Geld. Man muss nur eins und eins zusammenzählen. Doch unsere Meinungsmacher ziehen lieber die Quadratwurzel aus einer imaginären Zahl, betten sie in eine holomorphe Integralformel ein und bekommen einen Generationenkonflikt als Antwort. Bei diesem absurden Spiel sollten wir nicht mitmachen.
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