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Titel: Kuba muss mit einem mörderischen Nachbarn zurechtkommen

Datum: 27. Oktober 2024 um 14:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Innere Sicherheit, Länderberichte, Terrorismus
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Man stelle sich folgendes Szenario vor: An einem frühen Morgen steht ein Mann vor der US-Botschaft in Havanna, begießt eine mitgebrachte US-Flagge mit Brennstoff und versucht, sie zu verbrennen. Dann feuert er mit einem Schnellfeuergewehr 23 Schüsse auf die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach seiner Festnahme gesteht er in einem Interview, er hätte selbstverständlich auch auf den Botschafter oder andere Menschen geschossen, wenn sie aus dem Gebäude gekommen wären. Nun, der „weltweite“ Aufschrei der US-Regierung wäre weithin hörbar gewesen, CNN & Co. hätten dies rund um die Uhr verbreitet, Kuba wäre scharf kritisiert und Sanktionen wären verhängt worden, der kubanische Staat wäre verklagt worden, weil er die Unversehrtheit der Botschaft, also die Sicherheit des Territoriums nicht gewährleistet hat. Von Edgar Göll.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Aber die Realität war umgekehrt und eine völlig andere, sie verlief folgendermaßen: Ein solcher terroristischer Angriff geschah an einer Hauptstraße in der Hauptstadt der USA, in Washington/DC, auf die Botschaft der Republik Kuba! Am 30. April 2020 verübte der damals 42-jährige und in Kuba geborene Alexander Alazo, in eine US-Fahne gehüllt, einen Anschlag. Zunächst versuchte er, auf der Straße vor der Botschaft Kubas eine kubanische Fahne zu verbrennen, die er mit der Aufschrift „Trump 2020“ bekritzelt hatte. Dann feuerte er mit einem automatischen Sturmgewehr 32 Schüsse auf die diplomatische Vertretung Kubas ab, in der sich sieben Personen aufhielten. Die US-Behörden hatten ihm zuvor politisches Asyl gewährt. Nach seiner Festnahme ordnete der zuständige Richter Michael Harvey vom Bezirksgericht des Districts of Columbia die Inhaftierung des Täters an, weil dieser „eine Gefahr für die Gesellschaft“ darstelle. Demgegenüber nahmen rechtsextreme exilkubanische Medien wie das in Miami publizierte Onlineportal ADN Cuba diesen offensichtlich gefährlichen Täter Alazo jedoch in Schutz. Er hatte vor seiner Tat direkte Verbindungen zu rechten Exilkubanern vor Ort aufgenommen. Sie behaupteten, dass er „geistig verwirrt“ und deshalb schuldunfähig sei.

Jetzt, vier Jahre später, übernahm die US-Justiz diese ominöse Version nun auch offiziell. Ende September 2024 ordnete Bezirksrichterin Amy Berman Jackson die Freilassung Alazos ab dem 15. Oktober an. Alazo ist also seit einer Woche wieder unbehelligt in Freiheit. „Das langfristige Ziel ist es, dass er gesund wird und mit Ihnen und Ihren Kindern zusammenleben kann“, sagte die Richterin zu Alazos Frau. Und die ehemalige Bundesverteidigerin Sabrina P. Shroff, die den Täter „pro bono“ vertrat, meinte gar: „Herrn Alazo ging es nicht gut, als er diese Tat beging. Ein Strafverfahren gegen ihn hätte nie eingeleitet werden dürfen. (…) Solange er behandelt wird, ist Herr Alazo für niemanden eine Gefahr“, zitierte die Washington Post sie dazu.

Kubas klare Reaktion

Daraufhin warf das kubanische Außenministerium der US-Regierung vor, wieder einmal ein „toleranter Komplize von Terrorismus und Gewalttaten“ gegen Kuba zu sein. Der Anschlag „auf einer zentralen Straße der US-Hauptstadt gegen einen diplomatischen Sitz würde in jedem anderen Land als terroristischer Akt eingestuft werden“, heißt es in einer am 4. Oktober veröffentlichten Erklärung. Die US-Regierung habe sich aber „geweigert, diese Tat als Terroranschlag einzustufen, und hatte offensichtlich zu keinem Zeitpunkt die Absicht, den Täter als Terroristen zu verfolgen, obwohl dessen Handlungen gemäß der US-Gesetze ausdrücklich so bezeichnet werden“. Außerdem hätten die Justizbehörden „Beweise für Alazos Verbindungen zu Gruppen mit Sitz in Südflorida“, die mehrfach „aggressiv gegen Kuba vorgegangen waren und Gewalt und Terrorismus gefördert hatten“, ignoriert.

Das kubanische Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten erinnert zudem daran, dass Kuba damit erneut und nachweislich ein Opfer des organisierten Terrorismus sei, der vom US-Territorium aus finanziert und ausgeführt werde. Die Gesamtzahl der Opfer durch die Terroranschläge und verdeckten Angriffe gegen das sozialistische Kuba seit 1959 werden mit 3.478 kubanischen Todesopfern und 2.099 behinderten und verletzten Kubanern angegeben. Wiederholt verlangte die kubanische Regierung von der US-Regierung ein ernsthaftes, verantwortungsvolles und ehrliches Verhalten, wenn ein Akt dieser Art gegen die kubanische Botschaft und das dort eingesetzte kubanische Personal begangen wird. Das aber blieb und bleibt ohne jegliche Resonanz.

Besonders makaber kommt noch hinzu, dass die Protestnote Kubas zwei Tage vor dem Jahrestag des Terroranschlags auf ein ziviles [kubanisches, Anm. Red.] Verkehrsflugzeug vom 6. Oktober 1976 erfolgte. Im Auftrag der Ex-CIA-Agenten Luis Posada Carriles und Orlando Bosch hatten zwei venezolanische Söldner damals Sprengsätze im Cockpit der Maschine platziert. Sie wurden kurz nach dem Start in Barbados gezündet. Beim Absturz dieses zivilen Flugzeugs kamen 57 kubanische, fünf nordkoreanische und elf Passagiere aus Guayana ums Leben. Während dieser brutale Terroranschlag in den USA, dem Land der Täter, und anderen westlichen Staaten erfolgreich vergessen gemacht wird, können die Hinterbliebenen und Betroffenen diese Tragödie nicht verdrängen.

Schlimm war, dass die dafür verantwortlichen Terroristen danach bis zu ihrem Tod unbehelligt in den USA lebten. Und so wurde an dem folgenden Sonntag der Opfer auf Veranstaltungen in den Hauptstädten von Kuba, Barbados, Guyana sowie Trinidad und Tobago, also in Havanna, Bridgetown, Port of Spain und Georgetown gedacht. Im Rahmen dieser Gedenkfeierlichkeiten forderten die Außenminister Sandra Husbands (Barbados), Amery Browne (Trinidad und Tobago) und Hugh Todd (Guyana) die USA darüber hinaus auf, Kuba endlich von ihrer Liste der angeblichen Sponsoren des Terrorismus zu streichen und die seit über 60 Jahren gegen die Bevölkerung des Inselstaates verhängte Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade zu beenden. Sie machten damit deutlich, dass solche Terroranschläge ein extremes Element der insgesamt kriminellen und terroristischen US-Politik gegen Kuba darstellen und all dies endlich beendet gehöre.

Die US-Blockade als versuchter Völkermord gegen das kubanische Volk

Eine ähnlich klare Einschätzung, diesmal juristisch untermauert, kam vor knapp einem Jahr von einem internationalen Tribunal, das unter der Koordination des Völkerrechtlers Prof. Norman Paech im Europäischen Parlament durchgeführt worden ist. In dem Urteil dieses Tribunals heißt es:

Die Blockade hat direkt und indirekt zum Verlust zahlreicher Menschenleben geführt, und die Entscheidung der USA, diese Blockade aufrechtzuerhalten, solange das kubanische Volk nicht beschließt, sich zu beugen, zeigt, dass die USA entschlossen sind, Maßnahmen aufrechtzuerhalten, die darauf abzielen, langfristig die physische Zerstörung zumindest eines Teils des kubanischen Volkes zu bewirken. Eine solche Haltung könnte den Tatbestand des Völkermordes erfüllen.“

Mit der folgenden Schlussfolgerung des Brüsseler Tribunals werden die UN-Resolutionen, die unzähligen Appelle internationaler und nationaler Gremien sowie wissenschaftliche Analysen vollumfänglich bestätigt:

Da die zahlreichen Sanktionen und die US-Gesetze, auf denen sie beruhen, rechtswidrig sind, müssen sie aufgehoben werden. Die USA müssen für den Schaden aufkommen, der dem kubanischen Staat, seinen Unternehmen und Bürgern entstanden ist.“

Und kürzlich erst stellte der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez Parrilla den aktuellen Bericht über die Folgen der US-Blockade vor. Der Bericht berücksichtigt die materiellen Schäden und Beeinträchtigungen in Kuba von März 2023 bis April 2024. Demnach überstiegen die Schäden in diesem Zeitraum den Betrag von fünf Milliarden US-Dollar. Im Bericht werden auch die „extraterritorialen Effekte“ beschrieben, von denen Akteure und Kooperationen mit Kuba weltweit, vor allem in Westeuropa, betroffen sind. Der Bericht ist die Grundlage für eine erneute UN-Resolution zur Aufhebung der Blockade, über die die UN-Generalversammlung am 30. Oktober in New York abstimmen wird.

Die Ignoranz und Arroganz des Imperiums

Bei diesen jährlichen UN-Abstimmungen steht die US-Regierung durchweg völlig isoliert am Pranger. Trotzdem haben die USA ihre Maßnahmen gegen Kuba nicht nur nicht eingestellt oder abgeschwächt, sondern sogar noch weiter verschärft. So wurde Kuba von Präsident Trump willkürlich auf die Liste jener Staaten gesetzt, die in Washington als staatliche Förderer des Terrorismus gelten (State Sponsors of Terrorism, SSoT). Kuba und alle, die mit ihm Geschäfte machen, sind scharfen unilateralen Sanktionen unterworfen. Nun hat eine Expertengruppe der Vereinten Nationen die US-Administration dringend dazu aufgefordert, dieses Vorgehen zu prüfen. Denn die von den USA als „Terrorismus-Förderer“ gebrandmarkten Staaten und deren Bevölkerung werden dadurch zusätzlich zu den bereits verhängten Sanktionen geschädigt. So wies die UN-Expertengruppe darauf hin, dass durch die Aufnahme in die SSoT-Liste grundlegende Menschenrechte einschließlich des Rechts auf Nahrung, des Rechts auf Gesundheit, des Rechts auf Bildung, der wirtschaftlichen und sozialen Rechte, des Rechts auf Leben und des Rechts auf Entwicklung deutlich negativ beeinflusst würden. Die Benennung erfolgt unilateral durch die US-Regierung, und allein dies „verstößt gegen die grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts einschließlich des Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten, des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten und des Grundsatzes der friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten“, so die Experten der UN.

Wegen dieser Einstufung Kubas wurden von Januar 2021 bis Februar 2024 „rund 1.064 Fälle von ausländischen Banken gemeldet, in denen sie ihre Weigerung mitteilten, für kubanische Einrichtungen Dienstleistungen zu übernehmen“. Das Handeln der USA entspreche einem nachweislichen „staatlichen Sponsor des Terrorismus” (SSoT), also genau dem, was die US-Regierung völlig willkürlich und ungerechtfertigt Kuba vorwirft, zitiert die Nachrichtenagentur Prensa Latina den kubanischen Präsidenten Diaz-Canel. Die Reaktion dazu aus Washington lautete: „Die US-Strafverfolgungsbehörden verfolgen Einzelpersonen auf der Grundlage des US-Rechts und nehmen keine Anweisungen von ausländischen Regierungen entgegen“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters einen Beamten des US-Außenministeriums.

Kuba liefert zahlreiche eindeutige Beweise – und wird ignoriert

Im Laufe der 1990er-Jahre, der schwierigen „Spezialperiode“ nach dem Wegfall der Zusammenarbeit mit den realsozialistischen Staaten in Osteuropa, kam es zu einer Eskalation terroristischer Aktionen gegen Kuba. Die kubanischen Behörden legten daraufhin dem FBI zahlreiche Ordner mit Fakten und Informationen vor, um die von dort ausgehende Unterstützung der Verbrechen zu beweisen.

Hierzu gehörten Vorfälle und Akte von Vandalismus gegen Infrastruktureinrichtungen des nationalen Stromnetzes, des öffentlichen Gesundheitswesens und des Verkehrswesens, die wirtschaftliche Schäden verursachten und das Leben von Menschen gefährdeten. Dazu gehörte das Abfeuern von Brandsätzen gegen Einrichtungen in Havanna, im Mai 2019 die Entgleisung eines Güterzuges vom Container-Terminal in Mariel, die Zerstörung von Omnibussen durch Steinwürfe und das Legen von Feuer, die Verseuchung von Trinkwasserquellen, Aggressionen gegen Behörden, die Besetzung von Radiosendern und Angriffe auf diplomatische Vertretungen und kubanische Einrichtungen sowie ein Plan für einen Überfall auf eine Militäreinheit, um deren Waffen zu erbeuten.

Víctor Álvarez Valle vom kubanischen Innenministerium berichtet dazu:

„Der gemeinsame Nenner dieser Taten ist, dass sie von kubanischen Bürgern mit verabscheuungswürdigem Sozialverhalten und Vorstrafen begangen wurden, die von in den USA ansässigen Personen, die mit rechtsextremen Gruppen in diesem Land verbunden sind, rekrutiert, angeleitet und finanziert wurden. Anhand ihrer Aussagen wurde festgestellt, dass diese Aktionen, die von zwei in den Vereinigten Staaten von Amerika lebenden kubanischen Staatsangehörigen organisiert wurden, darauf abzielten, in Kuba Panik zu schüren und ein Bild der Destabilisierung zu schaffen.“

Auf Basis intensiver Recherchen wurde im Dezember 2023 vom kubanischen Innenministerium ein Bericht veröffentlicht. Darin sind 61 Personen und 19 Organisationen mit Sitz in den USA aufgeführt, denen die kubanische Regierung Unterstützung von Terrorismus vorwirft. In diesem Bericht taucht auch die Gruppe „La Nueva Nación Cubana en Armas“ auf. Gegen die in der Liste aufgeführten Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet und sie werden von den kubanischen Behörden gesucht, weil sie mit der Förderung, Planung, Organisation, Finanzierung, Unterstützung oder Begehung terroristischer Handlungen im eigenen Land oder in anderen Ländern in Verbindung stehen. Mitglieder der Gruppe „La Nueva Nación Cubana en Armas“ seien für Anschläge auf Büros, Zuckerrohrfelder und Tabakfabriken in der Provinz Pinar del Río sowie „aggressive Aktionen gegen Kindergärten, Schulen, Polikliniken und Einrichtungen des Stromversorgers Organización Básica Eléctrica vor allem in der Gemeinde San Miguel del Padrón in der Provinz Havanna“ verantwortlich. Álvarez Valle gab dazu bekannt:

„Diese Personen handeln weiterhin ungestraft auf nordamerikanischem Territorium, sie finanzieren, organisieren und unterstützen gewalttätige Organisationen, um die innere Ordnung unseres Landes zu untergraben.”

Düstere Perspektiven aus dem Wilden Westen

Bei den Präsidentschaftswahlen in den USA am 5. November ist von beiden Kandidaten keineswegs eine zivilisiertere und völkerrechtskonformere Kubapolitik zu erwarten. Die Äußerungen von Kamala Harris sind vage und widersprüchlich. Und noch schlimmer, ja katastrophal könnte die Kubapolitik Donald Trumps und seines Vizekandidaten Vance aussehen. Trump hat in einer Wahlveranstaltung behauptet, wenn er Präsident werde, würde „Kuba bald anders aussehen“.

Die außenpolitischen Eliten dieser militärischen Supermacht agieren in ihrer Politik entsprechend rücksichtslos und destruktiv, ignorieren UN-Charta, Völkerrecht, den IGH und die gesamte Weltgemeinschaft. Hier sei nur an das zu einem rechtlosen, barbarischen US-Folterlager umfunktionierte Hafengelände von Guantánamo mit bis zu 700 Internierten erinnert – einem nach allgemeiner völkerrechtlicher Einschätzung seit 1902 vom US-Militär unrechtmäßig besetzten Territorium in Kuba.

Kuba erleidet die Aggressionen und Verbrechen des „Imperiums“ seit nunmehr 65 Jahren, seit seiner erfolgreich gegen den US-gestützten Diktator Batista durchgeführten Revolution von 1959. Schon damals wurde eine noch heute gültige Parole bzw. Doktrin ausgegeben. So lautete der erste Satz des US-Invasionsplans, der von US-Außen- und US-Verteidigungsministerium sowie CIA im Herbst 1959 vorgelegt und sowohl von US-Präsident Eisenhower als auch dem Nachfolger John F. Kennedy gebilligt wurde:

„Der Zweck des hier dargestellten Programms ist es, das Castro-Regime durch eines, das (…) annehmbarer ist für die USA, zu ersetzen, und zwar auf eine solche Weise, die den Anschein einer US-Intervention vermeidet.“

Titelbild: Shutterstock / Rainer Lesniewski


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