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Titel: Kanzlerkandidat Merz, der Krieg und ein applaudierendes Publikum
Datum: 23. Oktober 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
„Wenn es notwendig ist, werden wir sie auch mit militärischen Mitteln verteidigen“, so der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz. Mit „sie“ meint der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende von BlackRock „unsere Freiheit“. Natürlich geht es um eine Verteidigung gegen Russland. Merz sagte es bei einem Auftritt in Baden-Württemberg, das Publikum applaudiert. Ein weiteres Dokument, das zeigt: Nicht nur eine unverantwortliche Politik, sondern auch Ignoranz aufseiten vieler Bürger bedingen den Konfrontationskurs mit Russland. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Zwei Minuten und fünf Sekunden geht das Video, das den Abgrund zeigt. Den Abgrund aus unverantwortlicher, ja: demagogischer Politik einerseits und Ignoranz in der Bevölkerung andererseits.
Für den Kanzlerkandidaten der CDU ist es ein Heimspiel. Merz steht auf der Bühne und kann ungestört reden. Längst auf Betriebstemperatur, redet der erfahrene Politiker über Russland, die Ukraine und die „wahren“ Zusammenhänge. Eine gefällige Erzählung, wie man sie aus den Produktionsstätten der transatlantischen Realitätsmanufakturen kennt, entfaltet sich vor dem Publikum. Hier die Ukraine, dieses freiheitsliebende Land, das sich „nicht unterordnen will“ und „offen wird für Europa“. Dort das böse Russland. In der „unmittelbaren Nachbarschaft“ Russlands entstehe „Freiheit“, „Offenheit und Demokratie und Marktwirtschaft“ – aber genau das wolle Russland verhindern.
In Merz’ Erzählwelt kommt das dreckige Spiel geostrategischer Interessen des Westens nicht vor. Da gibt es nur die Ukraine als autonom agierendes Land, das eben zur Freiheit strebt. Merz mag vieles vorzuwerfen sein – aber dass einer wie er „naiv“ ist, dass einer wie er an die Eindimensionalität dieser hier in den Raum gestellten transatlantischen „Wahrheit“ glaubt, ist unglaubwürdig.
Man achte darauf, wie Merz vorträgt. Seine Tonlage, die Intonation: Merz spricht wie ein Märchenonkel, der vor Kindern eine Fabel erzählt und versucht, sie in den Bann der Erzählung zu ziehen. „Das sind doch keine Nazis. Das weiß Putin auch, dass das keine Nazis sind in der Ukraine. Es ist doch alles nur vorgeschoben“, sagt Merz und tut damit so, als gäbe es in der Ukraine keine Nazis. Das Publikum scheint an seinen Lippen zu kleben und nimmt im Folgenden die Kernbotschaft des ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden von BlackRock auf. Putin „bedroht uns“, sagt Merz und schlüpft in die Rolle des wackeren Kämpfers. „Wir dürfen vor dieser Bedrohung auch keine Angst haben“, sagt Merz und bedient dann das Phrasenschwein: „Angst, meine Damen und Herren, ist ein schlechter Ratgeber“ – und Fischers Fritz fischt frische Fische, könnte man hinterherschieben.
Das intellektuelle Niveau erreicht den Tiefpunkt. Gemeinplätze und banale „Weisheiten“ bietet Merz dem Publikum auf eine Weise, als stünde vor ihm eine Gruppe von Zehnjährigen, denen es gilt, die Welt zu erklären. „In Ruhe überlegen“ und „kluge Entscheidungen“ gelte es zu treffen, nicht „unbedacht reagieren“.
Herr ja! Was soll man dazu sagen?! Ist im Prinzip richtig – aber Demagogie ist trotzdem übel! „Allen autoritären Staats- und Regierungschefs“ müsse gesagt werden:
„Wir lassen uns von euch unsere Freiheit nicht nehmen! Und wir werden sie verteidigen in unserer Demokratie! Und wenn es notwendig ist, werden wir sie auch mit militärischen Mitteln verteidigen.“
Es wäre interessant zu erfahren, wie sich das Publikum zusammensetzt, wie die Altersstruktur und die Bildungshintergründe aussehen. Das ist an dieser Stelle nicht bekannt. Aber was klar zum Vorschein kommt, ist: Applaus! Das Publikum applaudiert. Die Anwesenden applaudieren Aussagen, die in ihrer substanziellen Dürftigkeit den Verstand beleidigen. Applaus für eine „Wahrheit“ ohne Unterbau. Applaus für eine „militärische Verteidigung“ gegen Russland – was bei Lichte betrachtet bedeuten würde: Krieg mit einer Atommacht zu führen.
Versteht das Publikum überhaupt, für was es an dieser Stelle seinen Applaus spendet? Begreifen die Adressaten wirklich nicht, wen Merz meint, wenn er von „wir“ im Zusammenhang mit einem militärischen Kampf spricht? Verstehen die Zuhörer wirklich nicht, dass mit „wir“ sie selbst oder zumindest ihre Kinder gemeint sind, die gegebenenfalls im Schützengraben zu liegen haben? Erkennt das Publikum denn wirklich nicht, dass ein Politiker wie Merz, der von einem „wir“ spricht, doch nicht sich und seine Kinder meint, die in einem heißen militärischen Krieg an der vordersten Frontlinie „unsere“ „Freiheit“ verteidigen werden?
Wer die Wählerschaft der CDU kennt, weiß, dass es sich dabei eher nicht um Ungebildete handelt. Sie sollten – zumindest intellektuell – begreifen, was ihnen hier ihr Spitzenkandidat zumutet. Die Rede ist von Krieg.
Titelbild: beast01 / Shutterstock
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