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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 24. Februar 2012 um 8:58 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Gauck
  2. Drei Meldungen zur derzeitigen Lage
  3. Steuern: Deutschland schont Vermögen
  4. Simon Johnson – Zu groß für die Gefängniszelle
  5. Griechenland
  6. Helga Spindler: Stunde der Technokraten
  7. Hunderttausenden Haushalten wird der Strom gesperrt
  8. Produktion in Gefängnissen als günstige Alternative: Bayerns Strafanstalten sind Vorreiter in Sachen Knast-Ökonomie
  9. Hartz IV-Amazon Skandal: Saure Gurke verliehen
  10. Henryk M. Broder – Das schäbige Spiel der Linken mit Beate Klarsfeld
  11. Überhöhte Provisionen? Maschmeyer soll aussagen
  12. Gedenken an Naziopfer – Zuerst Deutsche!
  13. Verschwesterung mit Ex-Feindin
  14. ARD + ZDF und Verleger: Online-Frieden?

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Gauck
    1. »Gauck ist der Kandidat der Springer-Presse«
      SPD, Grüne und FDP haben sich in der Präsidentenfrage für die reaktionärste Variante entschieden. Ein Gespräch mit Albrecht Müller
      Quelle: Junge Welt
    2. Franz Walter – Die zwei Gesichter des Ostens
      […] Und nun gilt als Präsidentschaftskandidat des Volkes und der Parteien, beide geeint in wilhelminisch anmutender Eintracht – zu der auch immer gehört, dass die Linkspartei nicht mit an den Tisch darf – Joachim Gauck. Dabei hat sich niemand sonst aus der Reihe der dauerparlierenden Symposiums- und Akademieeliten des Landes in letzter Zeit so herablassend über Bürgerproteste aller Art ausgelassen wie er. Kaum jemand hat die Ursachen für die Sozialproteste so wenig begriffen. Nur wenige haben wie Gauck in den bedrückenden Jahren der FDP-Clownerien zwischen 2001 und 2009 so unverhohlen Sympathie für diese Verfallsform des bürgerlichen Liberalismus bekundet und dies noch als Freiheitsmanifestationen missinterpretiert.
      Gauck ist unzweifelhaft der kongeniale Kandidat dieser Freidemokraten, die sich mit guten Gründen zuletzt dem Orkus der politischen Randständigkeit näherten. So war es auch keineswegs Zufall, dass sich bei den Pro-Gauck-Initiativen im Netz 2010 und ebenfalls am vergangenen Wochenende Multiplikatorenprofis aus dem Umfeld der FDP tummelten, die zuletzt nicht viel zu lachen hatten. […]
      Ist es ihnen [der SPD] gleichgültig, wenn künftig von einem Bundespräsidenten wie aus der Zeit gefallene Tadel über fehlgeleitete 68er, linksliberale Diktatur-apologeten, Fantasten der Ostpolitik, über den Frevel jeglicher Sozialismusvorstellungen und mögliche Koalitionen mit „Linken“ anzuhören sind? Es sind dies die Botschaften des alten, klassisch konservativ-liberlaen Bürgertums der fünfziger bis siebziger Jahre, die Gauck im Gestus des auserwählten Freiheitskünders repetiert. Und das soll das Elixier für die bundespräsidiale Ansprache der Jahre 2012 bis 2017 sein? […]
      Vor allem: Wer hätte das in den Jahren von Adenauer bis Kohl gedacht, dass mit der Pastorentochter Angela Merkel und dem Pastor Joachim Gauck das alte protestantische Pfarrhaus noch einmal mit Aplomb in das Zentrum von Macht und Deutung in Deutschland zurückkehren würde. Dafür schien sich dieses Milieu als Legitimationsstifter des Wilhelminismus bis 1914 und der deutschnationalen Rechten bis 1933 doch zu sehr diskreditiert zu haben. Der Anspruch des protestantischen Pfarrhauses, die Bildungsbürgerlichkeit schlechthin in Deutschland zu verkörpern und dem Staat die wichtigsten Professoren, Generäle, Diplomaten, Gymnasiallehrer und Richter zu liefern, hatte durchweg etwas Elitäres. Dieses Milieu hatte wenig Interesse an der sozialen Lage der schlechter gestellten Gesellschaftsschichten, es stand im feindlichen Kontrast zur politischen Linken und gerierte sich jederzeit dünkelhaft gegen den Sozial- und Volkskatholizismus. […]
      Gleichwohl: Es bleibt schwer vorstellbar, dass ihm Antworten oder Impulse gelingen auf die neuen sozialen Fragen in einer tief gespaltenen und von unten bis zur Mitte entkollektivierten, deutungsarmen Gesellschaft in einem von oben dekretierten, transnationalen Oligarchiesystem. Aber um diese Fragen wird es gehen müssen.
      Quelle: Der Freitag
    3. Bodo Ramelow – Der analoge Kandidat
      Joachim Gauck ist ein Relikt der analogen Zeit – kein Wunder, dass gerade die Netzgemeinde über seine Nominierung erbost ist. Sieben Gründe gegen den sogenannten Konsenskandidaten.
      Quelle: The European
    4. Ein Alptraum von Freiheit
      Die Gauck-Maschine walzt alles platt – Ein Kommentar von Uli Gellermann
      Quelle: Weltnetz TV
    5. Eine kleine Ergänzung zu den Hinweisen des Tages, vom 23.02.2012, Punkt 1b:
      Von unserem Leser S.T.:
      Sie haben ausdrücklich Recht und bei aller berechtigten Kritik an Gauck, sollte mit den Stasi-Vorwürfen vorsichtig umgegangen werden. Gegen die Vorwürfe, die Peter-Michael Diestel damals im Freitag vom 28.04.2000 erhob hatte ihn mit Wolfgang Ullmann (*1929-†2004) ein doch recht achtsamer Bürgerrechtler in Schutz genommen.
      Die ist freilich nicht als sakrosankt zu nehmen. Aber ich denke, mensch ist gut beraten, derartige Vorwürfe mit Vorsicht zu genießen: Gerade weil es auch ganz andere Kampagnen gab (Sie erinnerten z. B. an Rau), d. h. der Redlichkeit halber sollte bei Gauck die gleiche Messlatte gelten, die mensch auch an andere anlegt (selbst wenn solch eine ethische Einstellung von Gauck nicht zu erwarten wäre).
      Allerdings gibt es noch einen kleinen Pferdefuß. Sie schrieben:

      “Insofern sollte Joachim Gauck alle Möglichkeiten haben seine Sicht der Dinge darzustellen”.

      Das ist richtig, aber dazu hatte Gauck lange genug Zeit. Daher halte ich es für nicht unangemessen, wenn ein gewisser Druck aufgebaut wird, Gauck in diesem Sachverhalt zur Klärung zu drängen (was freilich nicht bedeutet, ihn medial zum Abschuss freizugeben).
      Völlig unabhängig von MfS-Geschichte halte ich es aber für weit problematischer, was u. a. den von Ihnen verlinkten Artikeln von Franziska Augstein (Freiheit, wie Gauck sie versteht) und Hans-Jochen Tschiche “Gauck ist die falsche Person” über den Status des “Bürgerrechtlers” zu entnehmen ist. Ergänzend siehe den entsprechenden Punkt bei Jacob Jung “Der Gauck, die Netzgemeinde und die anderen“.
      Denn dem gegenüber präsentierte meine Lokalzeitung Gauck als “Bürgerrechtler”. Das ist, worüber eigentlich zu diskutieren wäre.
      Und ich fürchte, es wird die Ironie der Geschichte sein, dass wir später über Gauck lesen werden: Er war ein DDR-Bürgerrechtler, der zum Bundespräsidenten wurde. Mit ihm allerdings einer, der den Titel weit weniger verdient, als andere …

    6. Kein Beleg für technische Manipulation des Gauck-Votings
      Der MDR hat am 20.02.2012 bei MDR.DE ein Voting zum Thema “Ist Gauck der richtige für das Amt?” veranstaltet. Dieses Voting sollte ein Stimmungsbild vermitteln und hat sich in seinem Verlauf kurz vor 19.00 Uhr binnen kurzer Zeit in drastischer Weise verändert.
      Wegen der Sorge, dass dies das Ergebnis einer Manipulation von außen sein könnte, hat sich die Online-Redaktion entschieden, das Voting vorsorglich aus dem Netz zu nehmen.
      Der naheliegende Verdacht einer technischen Manipulation konnte inzwischen ausgeschlossen werden. Der MDR wird den Vorgang aber umfassend weiter untersuchen.
      Quelle: MDR

      Anmerkung JB: Der MDR beweist mit seinem lächerlichen Vorwurf einer technischen Manipulation und dem Dementi dieses Vorwurfs in Verbindung mit einer Ankündigung, „den Vorgang aber umfassend weiter [zu] untersuchen“ einmal mehr, dass er nicht einmal rudimentäre Kenntnisse vom Internet hat. Am 20.02 machte der viel gelesene Blogger Fefe um 19:01 Uhr seine Leser auf die MDR-Umfrage aufmerksam. Da muss der MDR keinen Untersuchtungsausschuss einberufen, um zu erklären, warum ab 19:00 Uhr die Teilnahme am Voting sprunghaft anstieg. Als die NachDenkSeiten am nächsten Tag über die Löschung der Umfrage berichteten, wussten wir jedoch nicht, dass Fefe seine Leser auf die Umfrage aufmerksam gemacht hat. Das gelöschte Ergebnis ist dank dieser Posse zwar interessant, aber sicher nicht repräsentativ.

  2. Drei Meldungen zur derzeitigen Lage
    EU-Kommission erwartet Rezession in Euro-Ländern
    Die EU-Kommission erwartet in diesem Jahr für den Euroraum eine Rezession. Wie die Behörde in Brüssel mitteilte, rechnet sie für 2012 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent. Während in Deutschland und Frankreich das Wachstum um jeweils 0,6 und 0,4 Prozent zulegen kann, schrumpft in Italien die Wirtschaft um 1,3 Prozent. In Griechenland fällt die Rezession mit einem Minus von 4,4 Prozent stärker aus als bislang prognostiziert.
    Ifo-Geschäftsklimaindex erneut gestiegen
    Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich im Februar zum vierten Mal in Folge verbessert. Der Geschäftsklimaindex, der wichtigste Gradmesser für die deutsche Konjunktur, stieg von 108,3 Punkten im Januar auf 109,6 Punkte, wie das Münchner Ifo-Institut mitteilte. Das Ifo-Institut fragt monatlich etwa 7.000 Firmen, wie sie ihre aktuelle Lage und die Erwartungen für die nächsten sechs Monate bewerten.
    Konjunkturflaute sorgt für Rückgang der Steuereinnahmen
    Erstmals seit 17 Monaten sind im Januar die Steuereinnahmen von Bund und Ländern gesunken. Nach Zahlen des Bundesfinanzministerium lag das Minus im Vergleich zu Anfang 2011 um Sondereffekte bereinigt bei 0,4 Prozent. Der Trend der monatlich steigenden Einnahmen sei zunächst gebrochen, hieß es. Als Ursachen gelten der gestiegene Arbeitnehmer-Freibetrag und die Konjunkturflaute zum Ende des vergangenen Jahres.
    Quelle: DLF Mittagsnachrichten

    Anmerkung WL: Diese drei Meldungen kamen hintereinander in den DLF-Mittagsnachrichten. Sie beschreiben recht gut unsere derzeitige Lage: Da wird auf der einen Seite die Bedrohung durch eine Rezession in den Euro-Ländern bestätigt und gleichzeitig die schwachen Wachstumserwartungen als positiv gewertet (Siehe dazu: Der Placeboeffekt des Relativismus als politisches Erfolgsmodell). Dann wird wieder mit den „Pulsfühlern“ des Geschäftsklimas Stimmung gemacht. Und schließlich wundert man sich, dass mit dem Einbrechen der Konjunktur die Steuereinnahmen zurückgehen. Allein aus dieser Tatsache müsste man doch erkennen, dass die wirkungsvollste Form des Sparens eben nicht das Sparen selbst, sondern eine gute Konjunktur ist.

  3. Steuern: Deutschland schont Vermögen
    Die privaten Nettovermögen in Deutschland sind viermal so hoch wie die öffentlichen Schulden. Trotzdem verzichtet der Staat auf eine nennenswerte Besteuerung großer Vermögen. Zu diesem Ergebnis kommen die Steuerexperten Prof. Dr. Lorenz Jarass und Prof. Dr. Gustav Obermair in einer Untersuchung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Die geringe Vermögensbesteuerung trage – neben Möglichkeiten zur legalen Steuervermeidung für Unternehmen – wesentlich dazu bei, dass von den Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Kapitalanlagen lediglich 22 Prozent an Fiskus und Sozialkassen fließen, von Lohneinkommen hingegen rund 45 Prozent.
    Deutsche Haushalte besaßen 2007 nach Abzug aller Schulden etwa 8,6 Billionen Euro, so die jüngste vom Finanzministerium veröffentlichte Zahl zum privaten Nettovermögen. Neuere Zahlen des Bundesverbandes Deutscher Banken bestätigen diese Größenordnung. Gut 60 Prozent des Vermögens befinden sich laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung in den Händen des wohlhabendsten Zehntels der erwachsenen Bevölkerung, während rund zwei Drittel netto nicht über nennenswerten Besitz verfügen.
    Der Staat zieht die hohen, auf einen relativ kleinen Personenkreis konzentrierten Vermögen jedoch nur in sehr geringem Umfang zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heran, konstatieren Jarass und Obermair: Die Vermögensteuer wird seit 1997 nicht mehr erhoben, die Erbschaftsteuer verschont Besitz, der als Betriebsvermögen deklariert ist, und die Grundsteuer fußt auf veralteten Einheitswerten. Nach Daten der OECD liegt das Aufkommen an vermögensbezogenen Steuern in Deutschland unter einem Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Das ist weitaus weniger als in den meisten anderen EU-Staaten, Kanada oder den USA. Diesen Zustand halten die beiden Steuerexperten für nicht akzeptabel. Zumal die Wohlhabenden dem Staat Geld liehen und dafür Zinsen bekämen, die “die Steuerzahler, also vor allem die normalen Arbeitnehmer”, bezahlen müssen. Daher haben die Wissenschaftler Reformvorschläge erarbeitet, die dem Staat jährliche Mehreinnahmen in Milliardenhöhe sichern würden:
    VERMÖGENSTEUER. Seit 1997 wird diese Steuer nicht mehr erhoben, weil das Bundesverfassungsgericht die bis dahin praktizierte Ungleichbehandlung von Immobilien und Wertpapieren gerügt hatte. So werden heute nur noch tatsächlich zugeflossene Vermögenserträge oder durch Verkauf realisierte Wertsteigerungen erfasst – von der Einkommensteuer. Nicht realisierte Wertsteigerungen und große Vermögen, die kein laufendes Einkommen erwirtschaften, bleiben steuerfrei. Genau darum geht es aber bei der Vermögensteuer: um den erzielbaren Ertrag, nicht um den erzielten. Dies hat auch das Verfassungsgericht nicht beanstandet, betonen Jarass und Obermair.
    Um die Bedenken der obersten Richter auszuräumen, müsste eine Neufassung des Vermögensteuergesetzes vor allem die Bewertung von Immobilien verändern, so die Forscher: An die Stelle der veralteten und wenig realistischen Einheitswerte sollte der aktuelle Verkehrswert als Bemessungsgrundlage treten. Die dazu nötigen Informationen lägen in den Katasterämtern vor. Und in anderen Ländern sei zu beobachten, dass ein “verwaltungs- und streitarmes Bewertungsverfahren möglich ist”, schreiben die Wissenschaftler. Gerade beim Immobilienbesitz lasse sich die Vermögensbesteuerung so ausgestalten, dass eine Umgehung – etwa durch die Wahl eines ausländischen Wohnsitzes – praktisch unmöglich ist.
    ERBSCHAFTSTEUER. Nach einer Überschlagsrechnung der Wissenschaftler werden in Deutschland jährlich rund 200 Milliarden Euro vererbt. 2009 lag das Erbschaftsteueraufkommen bei 4,3 Milliarden Euro. Die tatsächlich gezahlte Erbschaftsteuer würde dann gerade einmal gut zwei Prozent des vererbten Vermögens entsprechen. Ein wichtiger Grund für das geringe Aufkommen ist nach Analyse der Experten, dass Betriebsvermögen und in den Betrieb verschobenes Privatvermögen meist steuerfrei bleiben. Dies gilt seit der Erbschaftsteuerreform 2009 – obwohl die “Behauptung, die Erbschaftsteuer gefährde den Fortbestand mittelständischer Unternehmen” Jarass und Obermair zufolge “durch keinen einzigen Fall belegt werden” konnte.
    Die Professoren schlagen vor, künftig alle vererbten oder verschenkten Vermögen über 100.000 Euro zu besteuern, unabhängig davon, ob es sich um Betriebsvermögen, Wertpapiere oder Privatimmobilien handelt. Damit würde das Steuerrecht enorm vereinfacht, Arbeitsplatzverluste durch Betriebsaufgaben seien aber nicht zu befürchten. Um große einmalige Zahlungen zu vermeiden, lasse sich die Steuerlast über die Jahre verteilen. Das Steueraufkommen dürfte – je nach exakter Ausgestaltung des Tarifs – im Vergleich zum heutigen Stand deutlich steigen. Die große Mehrheit der Bevölkerung würde durch den Freibetrag wie bisher keine oder kaum Erbschaftsteuer zahlen.
    Weitere Möglichkeiten, Vermögen stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen, sehen die Experten in einer Reform der Grund- und Grunderwerbsteuer sowie der Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Zudem machen sie in ihrem Gutachten Vorschläge für eine Reform der Unternehmensbesteuerung. Dabei verfolgen sie zwei Ziele: Die staatlichen Finanzen durch ein höheres Steueraufkommen zu stabilisieren und die Steuervorteile abzubauen, die Konzerne mit Auslandstöchtern gegenüber kleineren Unternehmen genießen (mehr dazu in einer PM vom 16. Januar; Link unten).
    Quelle 1: L. Jarass, G. Obermair: Steuermaßnahmen zur nachhaltigen Staatsfinanzierung [PDF – 1.1 MB]
    Quelle 2: Infografik zum Download im Böckler Impuls 3/2012
    Quelle 3: Vorschläge der Steuerexperten zur Reform der Unternehmensbesteuerung
  4. Simon Johnson – Zu groß für die Gefängniszelle
    Zu jedem funktionierenden Rechtssystem gehören unter anderem folgende grundlegende Prinzipien: Fälsche keine gerichtlichen Dokumente und lüge den Richter nicht an, oder du wirst eingesperrt. Das Brechen des Schwurs, die Wahrheit zu sagen, ist Meineid, und unwahre Dokumente vorzulegen, ist sowohl Meineid als auch Betrug. Dies sind ernste kriminelle Vergehen – aber offensichtlich nicht, wenn man sich in der Mitte des US-Finanzsystems befindet. Im Gegenteil: Die Hauptfiguren dort scheinen für ihre Verbrechen fürstlich entlohnt zu werden.
    Laut Dennis Kelleher von Better Markets ist der jüngste sogenannte “Robo-Signing”-Vergleich – in dem fünf Großbanken über ihre betrügerischen Zwangsversteigerungen im Hypothekenbereich eine “Einigung” erzielten – ein kompletter Kniefall vor der Finanzindustrie.
    Erst einmal gab es keine ernsthafte Strafverfolgung – niemand wurde eines Verbrechens angeklagt und niemand muss ins Gefängnis. In Bezug auf die Boni der betroffenen Manager ist dies das einzige, worauf es ankommt.
    Quelle: Project Syndicate

    Anmerkung JB: Es wäre besser gewesen, man hätte die Überschrift im englischen Original belassen: „Too Big to Jail“ ist ein herrliches und äußerst treffendes Wortspiel.

  5. Griechenland
    1. In der Krise links
      Wäre jetzt Wahl in Griechenland, würden die linken Parteien mehr als 40 Prozent der Stimmen kriegen. Europafeindlich sind sie nicht, aber sie wollen neu verhandeln.
      Die Umfragen lassen die Volksparteien in Griechenland zittern: Wenn am kommenden Sonntag Parlamentswahlen wären, würden die bis vergangenen November allein regierenden Sozialisten von der Pasok auf ein Rekordtief von 11 Prozent der Stimmen zusteuern. Die Konservativen wären zwar stärkste Kraft, aber sie würden mit 27 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 35 Jahren einfahren. Nur die drei großen linken Parteien wären auf dem Vormarsch und bekämen gemeinsam über 43 Prozent der Stimmen.
      Quelle: taz
    2. Crisis Appeasement: The new Greek Bailout as a ‘Euro in Our Time’ moment
      According to the official narrative, the euro was saved (again) by preventing a ‘disorderly’ Greek default and against the background of Mario Draghi’s Central Bank ‘activism’. So much for the official narrative. For in my estimation, the sight of our leaders proclaiming such victory against the Crisis has a strong whiff of the moment Neville Chamberlain returned from Munich, to tell a relieved British public that agreement had been struck and to promise them ‘Peace in Our Time’. All he had, of course, achieved, was to buy time for War to become stronger, more menacing, lethal beyond comprehension. Similarly, our European leaders only indulged in a form of Appeasement. Not of Germany (since our leaders are, for better or for worse, Germany) but of the Crisis. A Crisis that is, under the cover of inane celebrations of ‘resolution’ and ‘bailouts’, growing ever stronger, more divisive, efficient in the manner in which it eats into the very foundations of the eurozone.
      Quelle: Yanis Varoufakis
    3. Ein radikales Sparprogramm soll die griechische Wirtschaft retten
      Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in der Staatsverwaltung sollen Investitionen fördern
      Quelle: Germany Trade & Invest

      Anmerkung JB: Der Beitrag zeigt sehr detailliert die einzelnen Punkte des Sparprogramms auf. Auf der gleichen Seite findet sich auch ein detaillierte Beschreibung der spanischen Arbeitsmarktreformen.

  6. Helga Spindler: Stunde der Technokraten
    Vor zehn Jahren nahm die sogenannte Hartz-Kommission ihre Arbeit auf…
    Das deutet schon darauf hin, dass es falsch wäre, das Wirken der Hartz-Kommission als völlig identisch mit der nachfolgenden Agenda 2010 und der Hartz-Gesetzgebung unter SPD-Minister Wolfgang Clement zu sehen. Aber: Die Kommission hat diesen Gesetzen nicht nur den Namen gegeben, sie hat auch die weitere Entwicklung zu verantworten und viele soziale Schutzwälle eingerissen. Sie ist ein Lehrstück für eine moderne sozialdemokratisch-technokratische Art zu regieren – bzw. zu manipulieren, anspruchsvolle soziale Ziele zu formulieren und in Wirklichkeit auf nichts anderes zu lauern, als das Volk in kurzen »Zeitfenstern« über den Tisch zu ziehen, bewährte Sicherungssysteme zu zerstören, den Druck über die Arbeitswelt hinaus ins Privatleben auszudehnen und die Zeit der Erwerbslosigkeit zu verlängern; ein Lehrstück für das Wirken von »Spindoctoren«, Strippenziehern, Sozialtechnikern, die mit wohlklingenden Konzepten bis zum letzten Moment über ihre wahre Strategie täuschen…
    Peter Hartz soll nicht damit entschuldigt werden, daß er das nicht ganz so wollte. Aber die Konzentration auf ihn vernebelt auch, daß die Vordenker und Strategen weiter unangefochten ihre Arbeit vorantreiben, hoffähig machen in Wissenschaft und der Ausbildung junger Menschen, daß Sozialtechnokraten jedweder politischer Couleur Verwaltungen und Staat umformen. Ich persönlich hätte »Hartz I bis IV« lieber nach den Mitgliedern benannt, die wußten, was sie in dieser Kommission anschieben wollten. Oder politisch gewendet: »SCF I bis IV« nach Schröder, Clement und Fischer. Aber man kann es auch Steinmeier, Scholz, Müntefering, Steinbrück, Brandner, Trittin, Künast, Kuhn, Göhring-Eckardt, Dückert I bis IV nennen. Denen allen, samt Führungspersonal aus Gewerkschaft und Wohlfahrtsverbänden, erweist Peter Hartz einen unschätzbaren Dienst: Er hält auch weiterhin als Buhmann den Kopf für sie hin.
    Quelle: junge Welt
  7. Hunderttausenden Haushalten wird der Strom gesperrt
    Viele Haushalte in Deutschland sind nicht mehr in der Lage, ihre Stromrechnung zu bezahlen. Daher sitzen gut eine halbe Million Bürger im Dunkeln.
    Die kräftigen Preissteigerungen bei Strom und Gas stellen immer mehr Verbraucher vor Zahlungsprobleme – bis hin zur dunklen Wohnung. Wegen unbezahlter Rechnungen sei schätzungsweise 600.000 Haushalten in Deutschland 2010 der Strom abgedreht worden, teilte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf mit. Diese Hochrechnung basiere auf einer Umfrage unter lokalen Energieversorgern im bevölkerungsreichsten Bundesland.
    Quelle: WELT
  8. Produktion in Gefängnissen als günstige Alternative: Bayerns Strafanstalten sind Vorreiter in Sachen Knast-Ökonomie
    90.000qm Produktionsfläche an insgesamt 37 Standorten
    Deutschlands Gefängnisse erweisen sich immer mehr als verlängerte Werkbank für das verarbeitende Gewerbe. Wie das Wirtschaftsmagazin ‘impulse’ (Ausgabe 3/2012, EVT 23. Februar) berichtet, können allein in Bayern Unternehmen an 37 Standorten auf insgesamt 90.000qm Produktionsfläche zurückgreifen, beispielsweise um Produktionspitzen bei gleichbleibend hoher Qualität und mit Tageslöhnen zwischen 8,51 bis 14,18 Euro zu günstigen Kosten abzufedern.
    Bayerns Strafanstalten sollen laut ‘impulse’ pro Jahr mit solchen Geschäften bereits rund 45 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften…
    Die Auftraggeber schätzten den Mix aus Niedriglöhnen und hoher Qualität. Oft sei die Qualität der Produkte besser als im Billiglohn-Ausland, was Unternehmen dazu veranlasse, Fertigung aus dem Ausland wieder zurück nach Deutschland zu holen.
    Quelle: Presseportal
  9. Hartz IV-Amazon Skandal: Saure Gurke verliehen
    Die Gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe im DGB-Kreisverband Bonn / Rhein-Sieg verleiht aus Anlass des elften arbeitsmarktpolitischen Aschermittwoches vor der Bonner Agentur für Arbeit die „Saure Gurke“ an den Leiter der deutschen Logistikzentren von Amazon.de. Hiermit dokumentieren wir die Erklärung zur „Preisverleihung“: „Wir überreichen Ihnen diese Auszeichnung in der Anlage (siehe Tupperdose). Sie haben sich den Preis durch Ihre offensive Ausnutzung der Notlage von Erwerbslosen mittels der Praxis kostenloser „Einarbeitungs-Praktika“ unter geschickter Ausnutzung öffentlicher Förderpolitik diverser Jobcenter redlich verdient. Letztere tragen insoweit für diese Praktiken Mitverantwortung, ebenso für die Verfestigung und Ausweitung der betont deregulierten und miesen Arbeitsbedingungen der Logistikzentren von Amazon.
    Quelle: Gegen Hartz
  10. Henryk M. Broder – Das schäbige Spiel der Linken mit Beate Klarsfeld
    […] Das Spiel allerdings, das die Linke treibt, ist an Schäbigkeit und Zynismus nicht zu übertreffen. Ganz im Stil der 50er- und 60er-Jahre positioniert sie sich als eine Antifa-Truppe, die den „reaktionären Elementen in der BRD“ Paroli bieten will. Mit Hilfe einer Rentnerin, die von einem Lebensabend im Schloss Bellevue träumt.
    Bleibt als Trost nur der Gedanke, dass es noch schlimmer hätte kommen können. In Chile wartet Margot Honecker auf einen Ruf aus der Heimat.
    Quelle: WELT

    Anmerkung JB: Diese, nur noch widerlich zu nennende, Polemik des Rechtspopulisten Broder, stellt selbst für Artikel des Meinungsressorts der WELT einen neuen intellektuellen Tiefpunkt dar – und das will schon was heißen. Bemerkenswert ist auch, in welch schäbiger Art und Weise Henryk M. Broder, der immer einer der Ersten ist, wenn es darum geht, der Linken eine Nähe zum Antisemitismus anzudichten, über eine Frau herzieht, die ihr ganzen Leben der Verfolgung von NS-Verbrechern gewidmet hat. Broder zeigt hier einmal mehr, wessen Geistes Kind er eigentlich ist.

    dazu auch: Das schäbige Spiel der “Welt” mit Beate Klarsfeld von Frank Kopperschläger

  11. Überhöhte Provisionen? Maschmeyer soll aussagen
    Der frühere AWD-Chef Carsten Maschmeyer soll im Gerichtsverfahren eines Anlegers gegen den Konzern persönlich vor Gericht aussagen. Es geht um überhöhte Provisionen.
    Quelle: NDR

    Anmerkung MB: Er kann sich ja Herrn Wulf als Anwalt nehmen …

  12. Gedenken an Naziopfer – Zuerst Deutsche!
    Ein Staatsakt in preußischer Tradition kann nicht verdecken, was dieses Land wirklich benötigt: Migranten endlich zu deutschen Staatsbürgern zu machen. […]Dennoch ist all dies wohlfeil, weil es sich eben nur um ein anrührendes Ritual, nicht aber um jenen echten, das heißt politischen Staatsakt handeln wird, der den Betroffenen erst wirkliche Genugtuung und echte Sicherheit als BürgerInnen der Bundesrepublik garantieren könnte: eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts vom Abstammungs- zum Geburtskriterium.
    Erst dieser echte Staatsakt, diese parlamentarische Entscheidung, wäre ein wirksames Signal an das breite Spektrum der bundesdeutschen Rechten – von der bildungsbürgerlichen Leserschaft Thilo Sarrazins zu den entstehenden konservativen Zirkeln in CDU/CSU über die Grau- beziehungsweise Braunzonen von LeserInnen der Jungen Freiheit bis zur jetzt um “Bürgerlichkeit” bemühten NPD und den diversen Cliquen der Neonazis -, dass ihre Agitation sinnlos ist.
    Quelle: taz

    dazu auch: Obwohl sie zu uns gehören
    Das Gedenken an die Opfer rechtsextremer Anschläge wirkt kraftlos und kalt. […]
    Und die Öffentlichkeit? Die Morde liegen lange zurück und weit auseinander, es gibt keine aktuellen Fotos von Toten und weinenden Angehörigen. Und keine Lichterketten, keine Kundgebungen, keinen »Aufstand der Anständigen«. Alles wirkt kraftlos und seltsam abgeschnitten von den individuellen oder kollektiven Emotionen, die solche Verbrechen sonst meist nach sich ziehen. Die bisher beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung erscheinen flach, verwirrt, unscharf und alles in allem eher unentschlossen. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Wucht der Provokation durch den Terror der Neonazis nicht annähernd in der Reaktion von Politik und Gesellschaft spiegelt. Stattdessen werden Rassismus und Antisemitismus externalisiert: Das Zwickauer Trio war’s, so die allgemeine Meinung, vielleicht auch noch die NPD, die mit einem Verbot dann auch verschwinden würde.
    Quelle: ZEIT

    Anmerkung unseres Lesers G.B.: Man stelle sich nur mal vor, was hier los wäre, wenn die zehn NSU-Opfer nicht türkischstämmige Migranten, sondern Mitglieder der Oberschicht gewesen wären…

    Ergänzende Anmerkung MB: Man stelle sich vor, in Istanbul, Ankara und in den Touristenzentren an der türkischen Küste wären zehn deutsche Kleinunternehmer/innen mit der selben Waffe erschossen worden. In Berlin wäre neun mal der türkische Botschafter einbestellt worden.

  13. Verschwesterung mit Ex-Feindin
    Frauenministerin Kristina Schröder hilft ihrer Ex-Feindin Alice Schwarzer dabei, den Feminismus museumsreif zu halten: Sie rettet den Kölner „FrauenMediaTurm“ – den rot-grüne Kürzungen sonst den „Todesstoß“ versetzt hätten.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung MB: So schlimm kann es mit der Feindschaft ja nicht gewesen sein. Alice Schwarzer ist der Bundeskanzlerin nicht abgeneigt – Hauptsache Frau – und arbeitet als Werbemaskottchen und Gerichtskorrespondentin für die BILD und kommt sogar auf die Idee, kostengünstige Mitarbeiterinnen nach dem Ein-Euro-Job Modell eben für dieses spezielle Projekt zu bekommen.

  14. ARD + ZDF und Verleger: Online-Frieden?
    Es war das Wochenende der Online-Journalisten. Freitag der Rücktritt von Christian Wulff und Sonntagabend bereits der neuen Bundespräsidenten-Kandidat. Das ging flott. Für die gedruckte Presse zu flott, unmöglich das noch groß ins Blatt zu kriegen. Aber im Internet, da war alles zu Joachim Gauck sofort abrufbar: Portraits, Hintergründe, Bilder. Da merkte man mal wieder: Das ist der Markt der Zukunft. Und deswegen gibt es darum Streit. Seit Jahren rangeln die Verleger mit den öffentlich-rechtlichen Sendern darum, wer die Macht im Internet hat. Wer was wie veröffentlichen darf. Eine Narretei, die nur zum Nachteil der Leser und der online-Journalisten ausgehen kann.
    Quelle: ZAPP

    passend dazu: Appell an die Intendantinnen und Intendanten
    Quelle: Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse


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