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Titel: Allen wohl und niemand weh: Kurt Becks Rede über die „Kraft der Erneuerung“ – Kraftlos, eine Rede bei der man in jedem Satz die Angst spürt, irgendwo anzuecken.
Datum: 27. April 2006 um 16:01 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, SPD
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Nach Lektüre der Rede des designierten Parteivorsitzenden zur Eröffnung der Diskussion um ein neues Grundsatzprogramm der SPD wollten wir diese nicht kommentieren. Denn da war nichts zu kommentieren, jedenfalls nichts Inhaltliches. Es wäre leichter einen Pudding an die Wand zu nageln.
Einige unserer Leser haben angemahnt, dass wir Kurt Becks Rede nicht kommentiert haben, deshalb haben wir uns entschlossen Ihnen einfach ein paar einschlägige Passagen daraus zu dokumentieren und beschränken uns auf einige kurze Anmerkungen.
Eine verschwurbelte Sprache, nahezu jeder Satz mit Interjektionen, Einschränkungen oder Relativierungen. Fast jeder konkreteren Aussage wird gleich ihre Rücknahme hintangesetzt. Bloß nirgendwo hintreten, aus Sorge, er könnte ja irgendjemand auf das Hühnerauge treten. Wie beim Negativ eines Scherenschnittes bleiben die eigentlichen Motive ausgespart. Reflexartig weicht der Redner davor zurück, irgendwo Anstoß zu nehmen, weder ein weiterführendes oder kritisches Wort zur Agenda-Politik, noch ein sozialdemokratischer Akzent zur Politik der großen Koalition, noch ein ausgreifender Vorschlag zu irgendeinem wichtigen Thema.
„Allen wohl und niemand weh“, dieses Motto des (ziemlich konservativen) Mainzer Carneval Clubs scheint der designierte SPD-Vorsitzenden zu seinem Leitmotto gemacht zu haben.
Kurt Becks Rede hatte ja wohl zweierlei Funktionen: Erstens sollte sie den Anstoß zur Debatte um das neue Grundsatzprogramm der SPD geben. Zweitens war sie so eine Art Kandidatenrede für die Wahl Becks zum SPD-Vorsitzenden.
Beides war für den Redner sicherlich eine große Herausforderung, der sich allerdings Kurt Beck entweder nicht gewachsen zeigte oder aber vor der er auswich.
Vielleicht wollte er es wie Matthias Platzeck bei seiner Antrittsrede zur Wahl im November machen und mit „weichen Themen“, denen jeder nur zustimmen kann, vor der nüchternen politischen Realität ausweichen. Während Platzeck viel sagend, nichts sagend aber wenigstens „die Seele“ der Partei ansprach, ist Kurt Beck noch nicht einmal das gelungen. Die einzige Leistung bestand wohl eher darin, dass jeder in diese Rede hineinlesen oder hineindenken konnte, was er wollte. Beck nahm nirgendwo Anstoß und deshalb nahm auch niemand Anstoß an seiner Rede.
Lesen Sie doch einfach selbst, was ein so kräftiger Mann wie Kurt Beck über „Die Kraft der Erneuerung“ zu sagen hat:
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kraft der Erneuerung das ist zunächst einmal auch ein Anspruch an uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten selber, diese Kraft aufzubringen. Ich bin mir sehr sicher, dass wir sie aufbringen werden. Es ist aber auch ein Anspruch an unser Handeln, diese Kraft im Interesse unseres Vaterlandes, im Interesse eines geeinten Europas und im Interesse einer friedlichen Welt einzusetzen – einer Welt, in der wir für diejenigen, die in Afrika Hunger und Not leiden, uns genauso verantwortlich wissen, wie für die alte Dame, die neben uns wohnt und die niemanden mehr hat, der sich um sie kümmert.
Das ist wirklich alles, was dazu gesagt wird.
Was soll „erneuert“ werden, wozu „Erneuerung“? Hauptsache „neu“!
Überhaupt: Was soll dieses Motto sagen. Es ist wohl entlehnt von Matthias Platzecks Wahlslogan „Erneuerung aus eigener Kraft“ aus dem Jahre 2004, also noch nicht einmal originell. „Kraft der Erneuerung“ das kann alles sein, auch der liebe Gott. Und hat die SPD unter Schröder nicht schon genug „erneuert“, hat sich etwas gebessert?
Die SPD will offenbar ihrem Motto treu bleiben: ich weiß nicht, ob sich etwas bessert, wenn wir etwas erneuern, aber es muss sich etwas erneuern. Das erinnert an die tiefe philosophische Einsicht (so Manni Breuckmann) des Profikickers Andreas Möller: „Egal, ob Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien.“
Beck zur Frage der sozialen Gerechtigkeit:
Wir werden nicht zulassen – auch nicht in der innenpolitischen Debatte in Deutschland -, dass Freiheit und soziale Gerechtigkeit in falsche Bezüge gesetzt werden. Es gibt nicht das eine oder das andere, es gibt nur ein Sowohl-als-Auch.
Zur Europäischen Einigung:
Wir haben eine weitere riesige Chance, nämlich ein Europa miteinander zu gestalten, das Frieden als etwas genauso Selbstverständliches versteht, wie wir gelernt haben, dass die angebliche Erbfeindschaft zwischen den Franzosen und den Deutschen ein Wahnsinn war. Eine solche Selbstverständlichkeit im Denken, im Fühlen müssen wir für ganz Europa miteinander hinbekommen. Deshalb gehören Ost- und Mittelosteuropa in unsere Betrachtung mit hinein. Ich bin mir sehr bewusst, dass sich damit so manche soziale Frage, etwa im Hinblick auf Verwerfungen am Arbeitsmarkt, verbindet. Und dennoch: Die Dimension dieser Chance, ein gemeinsames, auf Dauer friedlich zusammenlebendes Europa zu schaffen, ist unglaublich. Es ist eine große Herausforderung, Europas Zukunft gemeinsam zu gestalten. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen diese Herausforderung als Chance ergreifen, meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde.
Zum Verhältnis zu den USA und zur Welt:
In bleibender Freundschaft und Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten wollen wir, was die Veränderungen in der Welt angeht, dieses Europa stärken, damit es seinen Platz auf dieser Welt einnehmen kann nicht gegen andere Kontinente, sondern in dem Selbstbewusstsein, dass Europa einen eigenen Beitrag leisten muss zu einer verantwortlichen ökonomischen, ökologischen und nicht zuletzt sozialen Kultur auf dieser Welt.
Zum Terrorismus:
Konflikte stellen sich – ich erinnere an ein Wort von Erhard Eppler – heute in vielfacher Weise nicht mehr nur als nationale und ethnische dar, sondern sind in vielfältiger Weise gestaffelt und können ihren Ausdruck in Formen des Terrorismus finden, die wir in der Vergangenheit kaum für möglich gehalten hätten. Auch das ist eine Realität unserer Zeit. Keine Frage, jedes Volk der Welt – auch wir! – hat das Recht und die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Aber es ist zu wenig, wenn wir nur daran denken, uns mit den Möglichkeiten der Geheimdienste und sonstigen Sicherheitsmaßnahmen zur Wehr zu setzen.
Vielmehr müssen wir versuchen, an die Wurzeln dessen heranzukommen, was letztlich die Ursache dafür ist, dass Familienväter und -mütter dazu aufgehetzt werden können, ihren Kindern Sprenggürtel um den Bauch zu binden und sie bei Demonstrationen öffentlich vorzuführen. Die dahinter stehende Verunsicherung und Spaltung der Welt muss überwunden werden! Das wird nicht einfach sein, aber wir müssen daran arbeiten, andere Menschen, andere Kulturen, andere Religionen ernst zu nehmen.
Zur Gestaltung der Globalisierung:
Auf der gerade stattfindenden Hannover-Messe ist Indien unser zentraler Partner. Ich bin sehr dafür, dass wir mit Indien enge Beziehungen knüpfen. Aber es darf niemand übersehen, dass vieles, was dort geschieht, nicht mit unseren ethischen Grundsätzen vereinbar ist. Wir können es nicht einfach als gottgegeben hinnehmen, dass es dort ein Kastenwesen gibt. Wir wollen nicht akzeptieren, dass Kinderarbeit scheinbar nicht abzuschaffen ist. Das muss hinzugefügt werden, damit die wirtschaftliche Globalisierung, die uns positiv in einer offenen und freien Welt begleiten soll, ihre ethische und moralische Begleitung erfährt.
Und:
Es kann nicht sein, dass Demokratie ihr Ende dort hat, wo ökonomische Interessen ihren Anfang haben. Und wir müssen uns in internationalen Verhandlungen um Regelungen bemühen, die dazu beitragen, die Ungleichheiten zwischen Oben und Unten auf dieser Welt nicht wie gottgegeben hinzunehmen.
Über Solidarität:
Genauso klar muss aber auch sein, dass wir von denen, die Solidarität benötigen, auch einfordern, dass sie den Beitrag, den sie selber zu leisten vermögen, auch erbringen. Denn ansonsten wird dies eine schiefe Art der Solidarität. Diese können und dürfen wir nicht wollen, weil sie gegenüber der Mehrheit der Menschen, die sich abmühen, um für sich selber und ihre Familien aufzukommen und gerade zu stehen, ungerecht wäre.
Deshalb: Hilfe zur Selbsthilfe ist ein wichtiger Grundsatz, zu dem wir stehen. Fördern und Fordern ist eine wichtige Herausforderung, von der nicht ein Teil abgeschnitten werden darf.
Zur demografischen Entwicklung und ihre Auswirkung auf die sozialen Sicherungssysteme:
Es ist natürlich auch wahr, dass wir nicht allein bei den aktuellen Fragen, sondern insbesondere auf der Zeitschiene, wenn wir die Veränderung in der Alterszusammensetzung der Gesellschaft betrachten, immer wieder überprüfen müssen, wo Sozialversicherungsbeiträge noch die richtige Antwort sind und wo eher Steuern ein geeigneter Ansatz sind, um die soziale Absicherung der Menschen auch in Zukunft zu gewährleisten. Es kann doch keine Todsünde sein, darüber nachzudenken. Es ist eine Notwendigkeit, zu der ich ausdrücklich stehe.
Zu Finanzen und Steuern:
Wir können doch bei einer solchen Debatte, in der wir 30 Jahre in die Zukunft blicken wollen, nicht außer Acht lassen, dass es kaum jemanden gibt – nur ganz wenige Kommunen, kein Land und auch nicht der Bund -, dessen Finanzsituation so einfach fortgeschrieben werden kann. Ich will nicht missverstanden werden: Wir müssen weiter hart sparen. Doch es ist auch richtig: Wenn wir elementare Ansprüche der Zukunftsfähigkeit nicht aufgeben wollen, können wir diese Aufgaben mit der Steuerlastquote, wie wir sie bisher haben, schlicht und einfach in den kommenden Jahrzehnten nicht erfüllen. Dabei bleibe ich ausdrücklich.
Wobei Kurt Beck schon am gleichen Abend in den Tagesthemen „klargestellt“ hat, dass er mit der Erhöhung der Steuerlastquote natürlich nicht an Steuererhöhungen gedacht habe. Die BILD-Zeitung hätte ja sonst weiter daran Anstoß nehmen können.
Kurt Beck wird nachgesagt, dass er mit Programmen und Theorien nicht viel anfangen könne, dass er aber dafür „bodenständig“ sei. Dagegen wäre noch nicht einmal viel einzuwenden, wenn man wenigstens erfahren hätte, auf welchem Boden er denn nun steht.
Diese Rede wollen wir nicht im einzelnen kommentieren, solche Sprachblüten und solche sprachlichen Wattbäuschchen lassen sich nicht kommentieren. Es hieße einen Pudding an die Wand nageln. (Siehe unsere Auswahl) Aber wir appellieren an die SPD Beck einen neuen Redenschreiber zu finanzieren.
Und ernsthaft:
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