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Titel: Leserbriefe zu „Die Deutschen und ihre Staatsräson“
Datum: 13. Oktober 2024 um 13:00 Uhr
Rubrik: Leserbriefe
Verantwortlich: Redaktion
Oskar Lafontaine thematisiert hier einen im Spiegel veröffentlichten Aufsatz des Historikers Heinrich August Winkler. Der habe darin CDU und SPD ermahnt, „sich nicht auf die Forderung des BSW nach Friedensverhandlungen zur Beendigung des Ukrainekrieges und eine Ablehnung der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland einzulassen“. Solange jedoch die „kriegerischste Nation der Weltgeschichte“ an ihrem „Größenwahn der Weltbeherrschung“ festhalte, müsse „das demokratische Europa sich selbst behaupten und als Mittler zwischen den USA, China und Russland zum Weltfrieden beitragen“. Wir haben dazu interessante Leserbriefe erhalten, in denen auch andere Meinungen enthalten sind. Danke dafür. Es folgt nun eine Auswahl. Zusammengestellt von Christian Reimann.
1. Leserbrief
Sehr geehrtes Nachdenkseiten-Team, sehr geehrter Herr Lafontaine,
Der “Westen ” an sich ist wohl nicht mit den USA gleichzusetzen, dieser, unser aktueller-, Westen schon, wird er doch von den USA dominiert und diktiert.
Die wirtschaftliche, kulturelle und politische Bindung an einen imperialistisch orientierten Fremdstaat zur Staatsräson zu machen und sich dadurch die eigene Autonomie zu zerstören, ist verantwortungslos genug, repressive Maßnahmen gegen Andersdenkende sind wohl als faschistoid einzustufen.
Warum es so unmöglich sein sollte mit der Westbindung zu brechen und sich stattdessen mehr am Osten zu orientieren, dem von der Propaganda alles nur erdenklich Schlechte angedichtet wird, liegt auf der Hand, es wäre der Bruch mit dem Dollarimperium.
Ich persönlich würde dies begrüßen nach einem Leben voller Beobachtung dieser unserer verlogenen Transatlantikpolitik.
Mit freundlichen Grüßen
M. Häusler
2. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Lafontaine!
Normalerweise teile ich Ihre Einschätzungen, so auch im Falle Ihres oben genannten Artikels auf den Nachdenkseiten.
Allerdings würde ich schon gerne von Ihnen erfahren, was Sie unter einer “europäischen NATO” verstehen. Die NATO ist ein US-amerikanisches geostrategisches Konstrukt, das Europa als Vasallen behandelt (bisher mit Zustimmung der Europäer). Was soll da eine “europäische NATO”?
Brauchen wir nicht eher eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur aller europäischen Nationalstaaten einschließlich Russlands sowie unter Ausschluss der USA?
Mit freundlichen Grüßen,
Markus Weidmann
3. Leserbrief
zu nachdenkseiten.de/?p=122608
Karlheinz Deschner fasst die Aufgabe des Historikers einmal in dem Aphorismus zusammen:
„Wer Geschichte nicht als Kriminalgeschichte schreibt, macht sich zu ihrem Komplizen.“
Staatlich alimentierte Geschichts(ver)fälscher wie Winkler kann man also getrost wohl zu den Schreibtischtätern unter den Komplizen des kriegsgeilen, mörderischen „Wertewesteins“ zählen.
Von Propaganda-Mietmäulern wie ihm attackiert zu werden, gehört eigentlich zum guten Ton aller aufrechten, friedliebenden Demokraten und sollte sich von diesen zur Ehre angerechnet werden!
MfG
Bernd Kulawik
4. Leserbrief
Liebe Redakteure,
Natürlich ist Oskar Lafontaine zuzustimmen, wenn er Heinrich August Winkler widerspricht.
Allerdings stellen sich mir einige Fragen, die unbeantwortet bleiben.
Wenn Lafontaine so eindeutig von einem „völkerrechtswidrigen Krieg“ spricht, dabei das Urteil des Europäischen Gerichtshofes unerwähnt lässt, das dem unprovozierten brutalen Angriffskrieg der NATO auf Serbien den Artikel 51 der UN-Charter zubilligt, müsste zumindest geklärt werden, wie weit das auf den russischen Angriff auf die Ukraine ebenfalls zutreffen könnte!
Die Zustimmung zur NATO ist für mich das Problematische am BSW. Wie sollte eine neue Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands möglich sein, wenn die NATO, die zu einer Angriffsorganisation mutiert ist, bestehlen bleibt??
Eine weitere Frage, die vom BSW beantwortet werden muss, ist die Haltung zu EU, die unter der autokratischen Leitung Frau von der Leyen sich immer mehr in Richtung einer Diktatur entwickelt, die die Souveränität der Mitgliedsstaaten einschränkt!
Hat sich das BSW nicht für mehr nationale Rechte der Länder ausgesprochen?
Joachim Groß
5. Leserbrief
Oskar Lafontaine ist wohl die letzte herausragende Figur der SPD, die sich in “diesem unserem Lande” (Kohl) aufhält. Der Wahrheit muss die Ehre gegeben werden: Es gibt ihn noch – aber nicht mehr als SOZI! Immer wieder darf man ihn vernehmen, wenn er in den NDS seine Meinung kundtut. Als Uraltpauker und gewesener Sozialdemokrat der ich bin, habe ich die gesamte traurige Entwicklung dieser wahrlich ruhmreichen Partei in den letzten Jahren miterleben müssen.
Wenn das ehedem gewesene “Sturmgeschütz der Demokratie” einen Historiker Winkler zu den bedeutendsten seiner Zunft zählt, sollten die Alarmglocken läuten und es gilt Albrecht Müllers Spruch “Hinterfrage alles”. Oskar hat das getan und es gibt daran wenig herumzudeuteln. Ganz wenig: Papa Heuss hat er zitiert und an Golgatha erinnert. Dort sei ja Christus gekreuzigt worden – auf dem “Ort der Schädel”! Dazu passt doch das Zitat von Jimmy Carter: Die USA sind die kriegerischste Nation der Weltgeschichte! Der Schädel liegen Abermillionen auf den Böden dieses Planeten.
Es wird gewählt in diesem machtversessenen Land und Jimmy Carter wird 100! Er will durchhalten, so geht die Mär – durchhalten um Harris zu wählen! Die Demokraten -insbesondere Biden und Sohn in der Ukraine- haben massive Interessen in diesem Land, in dem täglich Tausende von Schädeln liegen bleiben. Der Hegemon hat schließlich Anspruch auf Land und Ressourcen, was dessen regelbasierten Prinzipien entspricht. Israel lasse ich besser außen vor.
Eine Anmerkung muss indes gemacht werden. Oskar Lafontaine drückt sich recht “verdruckst” aus: “……und von Moskau GLEICHWOHL völkerrechtswidrig begonnenen Krieges”. Dazu sei auf das “Manifest für den Frieden” verwiesen, wo Sarah Wagenknecht in ihrer Rede -eine große und wichtige Rede- auf den “brutalen Angriffskrieg Russlands” so ganz nebenher einging. Lafontaine hat die 251 militärischen Interventionen der USA in aller Welt erwähnt. Man darf versichert sein, dass “Moskau” das auch weiß und über alle Schritte des Hegemonen inklusive 8 Jahre völkerrechtswidriger Donbass-Verbrechen der Ukraine informiert war. Und Lafontaine weiß auch, dass Merkel und Hollande in aller Öffentlichkeit zugegeben haben, dass sie die Minsk-Verträge sabotiert haben. Sie haben Putin belogen und betrogen! Historiker werden wohl in ziemlich naher Zukunft anders urteilen – nur ob auch verurteilt wird, das sei dahingestellt.
Dieter Münch
6. Leserbrief
“… von Moskau gleichwohl völkerrechtswidrig begonnenen Krieges in Europa.”
Warum schreibt Oskar Lafontaine immer und immer wieder, dass Russland VÖLKERRECHTSWIDRIG den Krieg begonnen hat?
Russland wurde von den Donbass Republiken, nach ACHT Jahren völkerrechtswidrigen(!!) Beschuss durch Kiew, um Hilfe gebeten und diese hat es, ganz im Einklang mit dem Völkerrecht, gewehrt!
Oder hatte Russland auch Syrien völkerrechtswidrig im Kampf geholfen als es um Hilfe gebeten wurde?
Man kann es drehen und wenden wie man will, aber Russland hat nie gegen die UN-Charta verstoßen, ob es einigen nun passt oder nicht!
Mit besten Grüßen
Kerstin Tremper
7. Leserbrief
Was soll bitte “Westbindung” bedeuten? – Warum bindet sich der Westen nicht erst einmal an internationale Normen?
Zu den ungeschriebenen Gesetzen des öffentlichen Diskurses gehört es in Deutschland offenbar, dass es verboten ist die sog. “Westbindung” in Frage zu stellen. Selbst der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine schrieb daher jüngst, dass das “BSW für die Westbindung, für ein geeintes, selbstbewusstes Europa souveräner Demokratien und für eine europäische NATO” sei.[1]
Aber die Frage stellt sich doch: Wieso sollte man sich an Mächte wie die USA und Großbritannien binden, die gewohnheitsmäßig in der ganzen Welt Menschenrechte verletzen, insbesondere was die Überwachung der internationalen Kommunikation angeht, und die keinerlei Bindung des staatlichen Handelns an das Völkerrecht kennen, insbesondere was das humanitäre Völkerrecht angeht?
Wenn überhaupt müssten sich die USA/UK erst mal einmal an international selbstverständliche Normen binden, bevor man sich für eine sog. “Westbindung” entscheidet, denn sonst bindet man sich an Unrechtsstaaten, wie im folgenden erklärt wird.
Konkret müsste ein Beitritt der USA zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zum Römischen Statut gefordert werden, damit der Internationales Strafgerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte grundlegende Rechte durchsetzen kann. Weiterhin müsste von den USA eine Abschaffung der (Militär-)Sondergerichte auf Guantanamo gefordert werden. Ein Staat, der Sondergerichte unterhält ist kein Rechtsstaat.
Erst, wenn die USA der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Römischen Statut beigetreten ist, kann man überhaupt von “gemeinsamen Werten” sprechen!
Weiterhin müsste man fordern, dass in den USA überhaupt erst einmal die Demokratie eingeführt wird! Das Wahlmännersystem bei den US-Präsidentschaftswahlen, sowie der Filibuster im US-Senat, um nur die offensichtlichsten Demokratieverstöße zu nennen, müsste jeweils abgeschafft werden. Vor allem, die USA kennen noch nicht einmal ein bundesweit einheitliches Wahlrecht! Ohne demokratische Wahlrechtsgrundsätze, wie der Unmittelbarkeit und der Gleichheit der Wahl, kann man nicht von einem Rechtsstaat sprechen.
Um mal etwas sehr positives an den USA zu erwähnen: Umgekehrt müsste in Deutschland und Europa erst einmal ein umfassender Schutz der Meinungsfreiheit eingeführt werden, wie es ihn in den USA durch den Ersten Zusatz zur Verfassung der USA gibt, bevor man von “gemeinsamen Werten” sprechen kann. Demokratiefeindliche Zensurgesetze wie der Digital Services Act (Gesetz über digitale Dienste) wären damit Geschichte.
Großbritannien ist noch nicht einmal ansatzweise eine Demokratie, sondern eine Monarchie mit scheinbar demokratischen Elementen. Großbritannien hat nicht nur die EU verlassen und sich somit von der EU-Grundrechtecharta gelöst, Großbritannien will auch immer wieder die Europäische Menschenrechtskonvention verlassen, zuletzt mit einer sog. “Bill of Rights”. Das ist wahrhaftig eine orwellsche Bezeichnung für ein Gesetz! Großbritannien hat nicht einmal eine Verfassung, in der man unumstößliche Grundrechte kodifizieren könnte, daher ist es wichtig, dass die EMRK dort gilt.
Israel hat weder eine Verfassung, noch ist Israel ein Vertragsstaat der EMRK, noch Mitglied beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Zahlreiche private Menschenrechtsorganisationen sowie UN-Organisationen berichten fast täglich von neuerlichen Menschenrechtsverletzungen Israels, sowie von neuerlichen Kriegsverbrechen Israels. Und das schon seit Jahrzehnten!
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, all das steht im Falle Israels im Raum, wie nicht nur die Sondermittlerin der UN Francesca Albanese in ihrem Bericht “Anatomie eines Völkermordes” feststellte,[2] sondern zuletzt auch der Internationale Gerichtshof[3] und der Chefankläger beim IStGH.[4]
Es gab bereits ein Strafverfahren gegen einen Medienbesitzer vor dem IStGH, der nur wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit eingestellt wurde. Der ruandische Geschäftsmann Félicien Kabuga saß wegen Völkermords und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der Anklagebank des IStGH, weil er dazu beigetragen hat den Völkermord in Ruanda anzuzetteln.[5] Das heißt also, nicht nur Journalisten, sondern auch die Besitzer der großen Medienkonzerne des Westens könnten eines Tagegs wegen dem Völkermord in Palästina auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs landen. Dass die großen westliche Medien Israels Vorgehen befürworten und Israels Völkermord leugnen dürfte ja bekannt sein.
Israel verstößt gegen grundlegende rechtsstaatliche Grundsätze. So wendet Israel gegen die Palästinenser die sog. Administrativhaft an. Die Administrativhaft ist praktisch wie die sog. Schutzhaft, die mit Gründung der BRD abgeschafft wurde (Art. 104, 103 GG). Israel unterhält auch (Militär-)Sondergerichte für die Palästinenser. Die Menschenrechtsanwältin Sahar Francis bezeichnet diese als einen Schandfleck der internationalen Justiz.[6] In Deutschland wurden Sondergerichte mit Gründung der BRD abgeschafft (Art. 101 GG). Ein Staat, der Sondergerichte und das Instrument der Schutzhaft für legitime Mittel hält, ist kein Rechtsstaat.
Wenn Israel ein demokratischer Rechtsstaat werden will, dann müsste zunächst einmal der Beitritt zur EMRK und zum IStGH gefordert werden, sowie die Abschaffung der Schutzhaft und der Sondergerichte für die Palästinenser!
Frankreich und die BRD haben keine “gemeinsamen Werte” mit den USA/UK/Israel, schon gar keine demokratischen, das sollte nach alldem eigentlich deutlich geworden sein.
Insbesondere haben die USA sogar ein Gesetz, das es ihnen erlaubt in Den Haag einzufallen und es zu besetzen, falls der IStGH auf die Idee kommen sollte, US-Bürger wegen ihrer internationalen Verbrechen strafrechtlich zu belangen. Das ist ja wohl eine Schande! Ein Rechtsstaat macht so etwas jedenfalls nicht, würde es auch nicht androhen.
Statt also jeden aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen, der die “Westbindung” in Frage stellt, würde ich mir wünschen, wenn erst einmal eine Bindung des Westens (USA/UK/Israel) an die Menschenrechte, an das internationale Strafrecht, sowie an die genannten rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze stattfindet. Sonst ist jedes Gerede von einer “Westbindung” einfach nur ein blamabler Kotau vor den Kriegsverbrechern und Menschenrechtsverletzern in Washington, New York, London und Jerusalem.
Die EMRK enthält ohnehin nur ein Mindestmaß an Menschenrechtsschutz. Das Römische Statut untersagt nur die allerschlimmsten der unmenschlichen Verbrechen. Von daher ist es auch keine übertriebene Forderung, dass die USA, UK und Israel sich insoweit rechtlich binden und sich auch daran halten.
Rechtsstaaten sind die USA/UK/Israel jedenfalls nicht. Wer keine Bindung an Unrechtsstaaten will, der sollte daher, statt eine sog. “Westbindung” einzufordern, lieber die Forderung erheben, dass sich umgekehrt diese Staaten erst einmal an grundlegende, rechtsstaatliche und demokratische Werte binden.
Mit freundlichen Grüßen
Ernesto Loll
[«1] Die Deutschen und ihre Staatsräson, Nachdenkseiten, 07. Oktober 2024, Oskar Lafontaine
[«2] Rights expert finds ‘reasonable grounds’ genocide is being committed in Gaza, United Nations, 26 March 2024
[«3] Israel muss IGH-Urteil umsetzen und alles tun, um einen Völkermord an den Palästinenser*innen im Gazastreifen zu verhindern, Amnesty International, 26. Januar 2024
[«4] Statement of ICC Prosecutor Karim A.A. Khan KC: Applications for arrest warrants in the situation in the State of Palestine, ICC, Source: Office of the Prosecutor, Statement: 20 May 2024
[«5] Column/Africa, International Criminal Court Addressing the 1994 Rwandan Genocide in 2022: Is it Too Late For Justice?, Posted on November 29, 2022, by Eva Kottou, The Yale Review of International Studies
[«6] Israel’s military courts for Palestinians are a stain on international justice, Sahar Francis, The Guardian, Sat 6 Mar 2021 11.00 CET
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