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Titel: Von Herzen, Rheinmetall!
Datum: 11. Oktober 2024 um 12:37 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Europäische Union, Lobbyismus und politische Korruption, PR
Verantwortlich: Redaktion
Lobbyismus lohnt sich: Laut Recherchen traf die EU-Kommission seit 2019 insgesamt 356 Mal mit Vertretern der Rüstungsindustrie zusammen. Rüstung soll „nachhaltig“ werden. So will es die Wehrindustrie und bläst zu einer großen Propaganda- und Lobbyschlacht, die hier beschrieben wird. Von Ralf Wurzbacher.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die EU-Kommission lässt sich nicht lange bitten. Bald schon dürften Geldanlagen in Waffenschmieden mit dem „grünen“ Label für Friede, Freude, Eierkuchen versehen sein. Dann schlummert im Aktiendepot des Ökopazifisten neben dem Papier für Windkraft das eines Panzerbauers. Was die „Zeitenwende“ so alles möglich macht.
Fast geschafft! Ein paar Wochen noch, vielleicht auch Monate, dann wird der europäische Rüstungssektor politisch als das anerkannt sein, was er nicht ist, nie war und niemals sein wird: nachhaltig. Der Begriff Nachhaltigkeit steht für Umweltschutz, Schonung von Ressourcen, das Bewahren der Lebensgrundlagen, für Rücksicht und Fairness gegenüber Mensch, Natur und dem Planeten. Das Militärische bedeutet: Tod, Zerstörung, Vernichtung. Aber die „Zeitenwende“ verlangt ein Umdenken, tönt es aus allen Kanälen. Weil der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, wären Überzeugungen von gestern heute obsolet und Waffenproduzenten die neuen Heilsbringer. Und so postuliert die EU-Kommission, ohne rot zu werden:
„Die Verteidigungsindustrie der Union trägt entscheidend zur Resilienz und Sicherheit der Union und damit zu Frieden und sozialer Nachhaltigkeit bei.“
Der Satz findet sich so im European defence industry programme (EDIP), dem sogenannten Verteidigungsprogramm der EU, verkündet im März 2024. Verantwortlich für die Strategie ist Josep Borrell, der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik der Kommission. Er ist einer der Treiber hinter dem Schlachtplan, private Investitionen in Rüstung offiziell als nachhaltig einzustufen, um so noch mehr Geld als ohnehin schon für die Fertigung von Kriegs- und Mordwerkzeug zu mobilisieren.
Das Problem: Nicht nur in der breiten Bevölkerung, auch innerhalb der Finanzwirtschaft bestehen Vorbehalte gegenüber dem Geschäft mit dem Tod. Natürlich boomen die Aktien von Rüstungskonzernen derzeit wie nie seit dem 2. Weltkrieg und Unternehmen wie die Düsseldorfer Rheinmetall erzielen astronomische Gewinne. Allerdings verbietet es sich für Anbieter von Finanzprodukten, Wertpapiere von Waffenschmieden in „grüne“ Fonds, sogenannte ESG-Fonds mit den Labeln Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance) zu packen – eben weil Rüstung nicht im Ruf steht, nachhaltig zu sein.
Verbraucher verschaukeln
Im EDIP wird das bedauert. Darin heißt es:
„Die Bereitschaft der Finanzakteure, mit der Verteidigungsindustrie zusammenzuarbeiten, dürfte durch die Besonderheiten des Verteidigungsmarkts (…) bzw. durch Mutmaßungen in Bezug auf die Faktoren Umwelt, Soziales und Governance (ESG) beeinträchtigt sein.“
Nachzulesen ist das in aktuellen Beiträgen der tageszeitung (taz) sowie des Vereins LobbyControl, die umfangreich recherchiert haben zu den Bemühungen der EU-Führer, das schlechte Image der Wehrindustrie aufzuhübschen. Das Dilemma beschreibt die taz wie folgt:
„Die EU befürchtet also, dass die Finanzbranche keine Rüstungsunternehmen in ihre nachhaltigen Anlagen aufnehmen will, solange sie laut EU-Regeln als nicht nachhaltig gelten. Das gleiche befürchtet auch die Rüstungsindustrie.“
Solange Rüstungsaktien, so wie die von Tabak-, Alkohol- oder Glücksspielanbietern, bei ESG-Fonds ausgeschlossen bleiben, entgeht den Konzernen viel Geld. Nachhaltige Anlagen machen laut taz in diesem Jahr ein Achtel des verwalteten Fondsvermögen in Deutschland aus. Für kleine Privatinvestoren sind die in der Regel breit gestreuten Anlagen kaum zu durchschauen, sie müssen darauf vertrauen, dass keine schmuddeligen Papiere ihre Depots verschandeln. Die EU fungiert hier als Verbraucherschützer, sie legt Transparenzpflichten und Kriterien fest, die die Nachhaltigkeit der Investments sicherstellt. Die Regeln sind in der sogenannten EU-Taxonomie und der „EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzsektor“ festgelegt.
Aber Regeln lassen sich ändern, und wie plump und radikal das vonstatten gehen kann, hatte die Kommission erst vor zwei Jahren bewiesen. Damals streifte sie auf Drängen Deutschlands und Frankreichs Atomstrom und Erdgas handstreichartig das „grüne“ Mäntelchen über. Seither profitieren mithin beinharte Kernkraftgegner im falschen Vertrauen auf das Nachhaltigkeitsversprechen von Wertpapieren, die sie bei besserem Wissen niemals gezeichnet hätten.
„Diffuses Reputationsrisiko“
Ein Dammbruch von noch weitreichenderer Dimension zeichnet sich jetzt beim Thema Rüstung ab. Dabei wird auf sprachliche Verrenkungen der Sorte Neusprech gesetzt, die George Orwell hätten erschaudern lassen. Den Vogel – die Friedenstaube – schießt dabei der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) mit einer im Gefolge des Ukraine-Kriegs aufgelegten Kampagne ab. Motto: „Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit.“ In einer Erklärung vom März 2022 beklagte Verbandshauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien, ein früherer Manager von ThyssenKrupp, fehlende „Leitplanken“ für Banken und Versicherungen und dass sie „subjektiv (…) alle Kunden, die sich mit der Ausrüstung unserer Streitkräfte und Sicherheitsorgane befassen, einfach aus ihrem Geschäft ausgrenzen, um ein diffus befürchtetes Reputationsrisiko im Zusammenhang mit ‚Rüstung‘ und ‚Waffen‘ zu vermeiden“. Geboten wären hingegen Investitionen „in unsere Sicherheit (…), um unsere Freiheit und unsere Demokratie, damit auch zugleich auch die Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu schützen“. Dies sei der „eigentliche Kern von Nachhaltigkeit“.
LobbyControl und taz zeigen auf, wie Rüstungslobbyisten seit Jahren darauf hinarbeiten, ihre Sicht der Dinge durchzusetzen. Ein weiteres BDSV-Papier gibt etwa das Ziel „Positive Inklusion von Rüstung in Nachhaltigkeitsregulatorik“ aus und setzt hinzu: „Wir fordern ein bindendes Regelungsvorhaben, das Rüstung für EU- und NATO Streitkräfte als positiv nachhaltig kategorisiert“. Tatsächlich finden sich Formulierungen in nahezu identischem Wortlaut inzwischen in offiziellen EU-Dokumenten wieder, etwa in besagter EU-Verteidigungsstrategie. Die EU-Bürokraten geben sich offenbar nicht einmal mehr die Mühe zu verhehlen, welchen Einflüsterern sie dienen.
Selbstredend gibt es auch seitens der Bundesregierung Flankenschutz. Im Entwurf ihres Strategiepapiers zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) steht geschrieben: „Die Anforderungen der Zeitenwende einerseits und die Signalwirkung von Environmental, Social and Corporate Governance (ESG)-Kriterien auf den Zugang der SVI zum Finanzmarkt andererseits müssen in Einklang gebracht werden.“
Beste Bekanntschaften
Für all den Reformeifer lieferte die „Zeitenwende“ augenscheinlich die Initialzündung, um richtig durchzustarten. Und erste greifbare Erfolge stellen sich ein: So änderte im Mai die europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) ihre Bestimmungen dahingehend, nur noch Unternehmen, die völkerrechtlich geächtete Waffen herstellen, aus den ESG-Fonds auszuschließen. „Firmen wie RollsRoyce – der zweitgrößte Hersteller von militärischen Triebwerken, Airbus – die Firma, die an der Herstellung des Eurofighter beteiligt ist oder Leonardo – der Konzern, der mit über 15 Milliarden Euro Umsatz einer der größten Rüstungsproduzenten der Welt ist, könnten damit nun plötzlich in nachhaltigen ESG-Fonds landen“, folgerte die taz. Außerdem revidierte die Europäische Investitionsbank (EIB), die einen Großteil ihrer Investitionen in die grüne Transformation steckt, im Mai ihre Vorgaben zu sogenannten Dual-Use-Gütern. Die Leitlinie, dass EIB-finanzierte Projekte nur zur zivilen Nutzung bestimmt sein sollen, ist damit entfallen.
Lobbyismus lohnt sich augenscheinlich und je penetranter das passiert, desto größer ist der Ertrag. Gemäß der Recherchen traf die EU-Kommission seit der vorangegangenen EU-Wahl 2019 insgesamt 356 Mal mit Vertretern der Rüstungsindustrie zusammen. Allein in den Jahren 2023 und 2024 haben sich in 44 Fällen Waffenlobbyisten und hohe Vertreter der Kommission zum Thema Verteidigung ausgetauscht. Dabei ging es sieben Mal explizit um Fragen der EU-Taxonomie, „Sustainable Finance“ oder „Defense Industry Policy“. Immer mit am Tisch saßen Emissäre der Konzerne Leonardo, Airbus, Patria Oyj, RollsRoyce sowie der AeroSpace and Defence Industries Association of Europe (ASD), in der alle europäischen Branchenriesen organisiert sind.
Peanuts und Megaprofite
Die Zahlen umfassen lediglich die offiziell bestätigten Treffen auf Basis des EU-Transparenzregisters. Dazu kommen gewiss allerhand informelle Plauderstündchen, über die nicht Buch geführt wird. Übrigens: Mit Abgesandten der Zivilgesellschaft haben Politgrößen wie Borrell, Thierry Breton, Ex-EU-Kommissar für Verteidigung, oder Margrethe Vestager, Kommissarin für Digitales, in diesem und im vergangenen Jahr nicht ein einziges Mal über Krieg und Frieden geredet. Einflussmacht und Geld sind im Umfeld der politischen Schaltzentralen hochgradig ungleich verteilt. Jährlich schütten Rüstungsverbände und -unternehmen zwischen elf und 15 Millionen Euro dafür aus, auf EU-Ebene für ihre Belange zu werben. Das hört sich nach viel Geld an. Setzt man es ins Verhältnis zu den exorbitanten Gewinnen, die insbesondere seit nunmehr zwei Jahren mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten erzielt werden, erscheinen die Summen wie Peanuts.
Das Geschäft ist vor allem deshalb so rentabel, weil ganze Staaten und Staatenverbünde (EU, NATO) als Kunden auftreten. Daraus erwächst eine quasi natürliche Deckungsgleichheit zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen, wie es sie in anderen Feldern nicht gibt. Wer, wie Deutschland, seine Armee und Bevölkerung „kriegstüchtig“ machen will, ist freilich darauf bedacht, für die Wehrindustrie optimale Produktions- und Finanzierungsbedingungen zu schaffen. „Entsprechend geht es zwischen Rüstungslobby und Politik oft besonders intransparent zu und andere dürfen kaum mitreden“, konstatiert LobbyControl. Das lässt sich zuspitzen: Hier wirkt ein System institutionalisierter Korruption mit einer Eigendynamik, die nicht nur der Demokratie erheblich schadet, sondern mithin ins Verderben führen kann.
Denn Kriegsprofite machen einfach niemals satt. Das weiß auch die Vorstandsprecherin der GLS Bank, Aysel Osmanoglu. „Die Idee, dass nur so viele Waffen produziert werden, wie es zur Verteidigung braucht, wird ad absurdum geführt“, bemerkt sie in einem lesenswerten Beitrag, mit dem sie sich vehement dagegen positioniert, Rüstungsgüter als nachhaltig zu salben. „Durch diese Entwicklung wird Nachhaltigkeit ein Buzzword der Beliebigkeit“, moniert sie und weiter: „Die Produktion von Waffen, ihr Export und ihr Einsatz sind nicht nachhaltig! Krieg ist nicht nachhaltig. Und Dividenden aus zur Kriegsführung hergestellten Gütern können nicht nachhaltig sein.“
Kein Kapital für Kriegsgegner
Aber noch sind die Protagonisten nicht am Ziel. Dieses lautet: Aufnahme der Rüstungswirtschaft in die EU-Taxonomie, also die Verordnung zur Definition von Nachhaltigkeit, nach dem Vorbild von Kernkraft und Gas. Damit wären Investitionen in Waffen nicht nur prinzipiell vereinbar mit amtlich verbrieften Nachhaltigkeitskriterien. Mehr noch hätten Aufwendungen für „Verteidigung, Resilienz und Sicherheit“ damit sogar an sich das Attribut Nachhaltigkeit inne, indem sie vermeintlich Frieden sichern und so erst Nachhaltigkeit ermöglichen.
Und jetzt wird es bizarr: Sobald solche Aktivitäten erst einmal zum Katalog der ESG-Kriterien gehören, drohen Akteure, die diesen auf „signifikante Weise“ entgegenstehen, am Kapitalmarkt leer auszugehen. „Es ist gut denkbar, dass dann Organisationen mit einem Fokus auf Abrüstung der Zugang zu Geldern aus ESG-Fonds erheblich erschwert würde“, schreibt dazu LobbyControl. Schöne neue Welt: Krieg ist Frieden, Frieden ist Krieg. Big Brother hätte seine Freude daran …
Titelbild: Vladimir Sukhachev / Shutterstock
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