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Titel: Israels Hilfe für Guatemala: „Behandelt die Indigenen so, wie wir die Palästinenser behandeln“
Datum: 13. Oktober 2024 um 12:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Innere Sicherheit, Länderberichte
Verantwortlich: Redaktion
Die herrschenden Klassen Guatemalas und Israels verbindet eine lange Freundschaft. 36 Jahre, von 1960 bis 1996, tobte in Guatemala der Bürgerkrieg. Die rechten (Militär)Regierungen jener Jahre konnten sich die meiste Zeit der Unterstützung durch die USA sicher sein. Diese hatten tatkräftig am Sturz des progressiven Präsidenten Jacobo Árbenz mitgewirkt und damit den Bürgerkrieg ausgelöst. Die Unterstützung war allerdings nicht uneingeschränkt. 1977 musste US-Präsident Jimmy Carter nach öffentlichem Druck aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in dem mittelamerikanischen Land die Militärhilfen vorübergehend einstellen. Israel sprang mit Waffen und Militärberatern ein. Die Verbindung hält bis heute. Von Thorben Austen.
Waffen und Militärberater aus Israel für die Kriegsverbrechen der Militärdiktatur
Im September 1980 machte Elías Barahona ein erstes Ausmaß der israelischen Militärhilfe öffentlich. Barahona war Mitglied der Guerillaorganisation Guerillaarmee der Armen (EGP), hatte seit 1976 als Sprecher von Innenminister Donaldo Álvarez Ruiz das Ministerium infiltriert und Informationen über geplante Militäraktionen an die Guerilla weitergegeben. 1980 floh er außer Landes. Laut Barahona sollen in Absprache mit den USA seit 1977 50.000 Galil-Gewehre, eine Million Patronen, 15 Arava-Flugzeuge, fünf Hubschrauber, 1.000 Maschinengewehre und 100 Dreibein-Maschinengewehre aus Israel geliefert worden:
„Während der Regierungszeit von Rios Montt kam es zu mehreren Massakern, die auf staatlich geförderte Gewalt zurückzuführen waren. Das berüchtigtste fand im Dorf Dos Erres statt. Während des Massakers töteten Soldaten brutal alle Einwohner bis auf vier, die entkommen konnten. Die Leichen der Dorfbewohner wurden im Dorfbrunnen entsorgt. Während einer 1999 von der UN-Wahrheitskommission angeordneten Untersuchung des Massakers entsprachen alle ballistischen Beweise, die sichergestellt wurden, Geschosssplittern von Schusswaffen und Patronenhülsen von Galil-Gewehren, die in Israel hergestellt wurden.”1
Des Weiteren hat Israel Guatemala nach Presseberichten mit einem elektronischen Überwachungssystem ausgerüstet, das Anfang der 1980er-Jahre 80 Prozent der Bevölkerung Guatemalas erfasste. Mittels Computertechnik konnten die Sicherheitskräfte den Strom- und Wasserverbrauch erfassen und überdurchschnittlich hohen Verbrauch feststellen, was Rückschlüsse auf Unterkünfte von Guerillaeinheiten im Großraum der Hauptstadt gab. Angeblich sollen Sicherheitskräfte auf diese Weise im Juli und August 1981 30 „sichere Häuser” der Guerilla ausfindig gemacht haben.
„Die indigene Bevölkerung so behandeln, wie wir die Palästinenser behandeln”
1982 sollen sich bis zu 300 israelische Militärberater im Land aufgehalten haben. Diese sollen insbesondere zu einem konsequenten Vorgehen der Armee gegen die indigene Bevölkerung geraten haben, die so „zu behandeln sei, wie wir die Palästinenser behandeln, niemandem ist zu trauen”. Diese und vergleichbare Aussagen sind als Ratschläge aus jenen Jahren überliefert.
Die Beratertätigkeit soll Schulungen in Geheimdiensttätigkeit und Überwachung sowie städtische Aufstandsbekämpfung umfasst haben. Des Weiteren sollen israelische Spezialisten mit Mitteln der US-Entwicklungsbehörde USAID „Folter-Workshops” gegeben haben, neben Teilnehmern aus Guatemala auch für Personen aus Honduras und Contras aus Nicaragua. Auch sollen hochrangige Offiziere aus Guatemala Verhörkurse in Tel Aviv besucht haben, ebenfalls mit Mitteln der USAID.
Strittig ist in Guatemala, welchen Charakter die Militäraktionen spätestens ab 1982 annahmen. Offiziell ging es um die Bekämpfung der Guerilla, unstrittig ist, dass es ab spätestens 1982 zu groß angelegten Massakern an der indigenen Bevölkerung gekommen war. Fraglich ist daher, ob das Motiv der Armee noch eine Aufstandsbekämpfung war mit dem Ziel, der Guerilla die Basis zu entziehen, oder ob es sich um einen kalkulierten Völkermord gehandelt hat.
Ein Mitarbeiter des Gedenkmuseums Casa de la Memoria in Guatemala-Stadt erklärte Anfang des Jahres gegenüber dem Autor, von 1978 bis 1985 hätten die Militäraktionen das Ausmaß eines geplanten Völkermordes angenommen mit dem Ziel, die indigene Bevölkerung „auszurotten oder zumindest zahlenmäßig stark zu schwächen”. Vorangegangen waren „soziologische Untersuchungen und Umfragen unter der weißen Oberschicht des Landes”. Überwogen habe die Forderung nach einer „Ausrottung” der indigenen Bevölkerung – aus rassistischen Motiven und aus Angst vor einer massenhaften militanten Erhebung der „Indios”.
Parallelen der Situation im Westjordanland
Heute ist der Bürgerkrieg in Guatemala seit 28 Jahren beendet. Zwar konnte die Guerilla in den Friedensverhandlungen Rechte für die indigene Bevölkerung durchsetzen, zentrale Fragen wie die extrem ungleiche Landverteilung konnten aber maximal partiell verändert werden. Auch unter dem sozialdemokratischen Präsidenten Bernardo Arévalo hat sich daran bisher nichts geändert, gewaltsame Vertreibungen gehen weiter.
Im Landraub und im mühsamen Kampf für Land lassen sich durchaus Parallelen zur Situation im Westjordanland erkennen. Die Arte-Dokumentation „Farkha-Ein palästinensisches Dorf kämpft um seine Zukunft” zeigt eindrucksvoll, wie die Einwohner vor dem Hintergrund immer weiter vorrückender israelischer Siedlungen versuchen, juristisch Eigentumstitel für ihr Land vorzuweisen.
Vergleichbares spielt sich auch in Guatemala ab. Immer wieder vertreiben Sicherheitsdienste privater Unternehmen, vor allem der prosperierenden Palmölindustrie, Menschen von ihrem Land. In anderen Fällen gibt es juristische Auseinandersetzungen, in mehreren „Wellen” wurde Gemeindeland enteignet und privatisiert. Den Anfang machen die „liberalen Reformen” der 1870er-Jahre, auch während des Bürgerkrieges eigneten sich Militärs Länder an, von denen die Bewohner vertrieben wurden oder vor den Massakern geflohen waren.
Guatemala immer an der Seite Israels
Die Freundschaft zwischen den herrschenden Klassen Israels und Guatemalas hält derweil an. 2018 folgte Guatemala unter Präsident James Morales dem Beispiel von Donald Trump und verlegte seine Botschaft in Israel nach Jerusalem – ein Affront gegen die arabische Welt, in der (Ost)Jerusalem als Hauptstadt des Staates Palästina angesehen wird. Die Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten erkennen Jerusalem nicht als israelische Hauptstadt an.
Nach der militärischen Eskalation in Gaza nach dem 7. Oktober 2023 stimmte Guatemala unter Präsident Alejandro Giammattei in der UNO mit jeweils wenigen anderen Staaten zweimal gegen einen Waffenstillstand.
In der UN-Generalversammlung am 27. Oktober 2023 stimmte Guatemala als eines von 14 Ländern gegen die Forderung nach einer „Einstellung der Feindseligkeiten im Gazastreifen mit einem sofortigen und dauerhaften humanitären Waffenstillstand”.
Ebenso am 12. Dezember 2023: Guatemala gesellte sich zu den zehn Staaten, die in der UN-Vollversammlung die Resolution für einen „sofortigen humanitären Waffenstillstand” im Gazastreifen, die „sofortige Freilassung aller Geiseln” sowie die „Gewährleistung des humanitären Zugangs” ablehnten.
Der aktuelle Staatspräsident Bernardo Arévalo traf sich am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz mit der israelischen Delegation. Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza, von anderen progressiven Staatschefs Lateinamerikas deutlich geäußert, kam von ihm nicht. Arévalo betonte lediglich seine „pazifistische Grundhaltung”.
Im Mai 2024 stimmte Guatemala bei der UN zwar für die Vollmitgliedschaft Palästinas in dem Gremium, mit 142 anderen Ländern weltweit, darunter nahezu allen lateinamerikanischen. Diese vergleichsweise harmlose Ja-Stimme brachte der Regierung Arévalo sofort die Kritik aller relevanten Parteien des rechten Parteienspektrums ein: Auf keine innenpolitische Maßnahme Arévalos wurde bisher von „rechts” so geschlossen und aggressiv reagiert.
Bei einer Abstimmung am 18. September 2024, in der Israel aufgefordert wurde, die besetzten Gebiete zu räumen, enthielt sich Guatemala, obwohl die meisten anderen lateinamerikanischen Staaten dafür stimmten.2
In diesem Klima ist in Guatemala die Solidaritätsbewegung für die Rechte des palästinensischen Volkes klein. Gingen und gehen in anderen lateinamerikanischen Staaten regelmäßig Zehntausende gegen den Völkermord in Gaza auf die Straßen, gab es bisher in Guatemala nur einige kleinere Veranstaltungen in der Hauptstadtregion, die von der ehemaligen Guerilla URNG, der palästinensischen Gemeinde und kleineren Organisationen durchgeführt werden. Auch die Landarbeiterorganisation Codeca hat sich mehrfach öffentlich gegen „Völkermord” positioniert.
Insgesamt bleibt das Engagement in diesem Bereich aber schwierig. Studentische Aktivisten einer kleinen, kulturellen Solidaritätsaktion in geschlossenen Räumen in Quetzaltenango berichteten gegenüber dem Autor, auf die Ankündigung sei in der Universität sofort aggressiv und beleidigend reagiert worden, weshalb die Aktivisten öffentliche Aktionen nur für „schwer durchführbar” halten.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.
Titelbild: Am 16. Mai 2018 weihten Guatemalas Präsident Morales und Israels Premier Netanjahu völkerrechtswidrig die Botschaft in Jerusalem ein – Quelle: MINEX.GOB.GT
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