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Titel: Die Netzwerke unserer Eliten

Datum: 23. Juni 2006 um 14:31 Uhr
Rubrik: Veröffentlichungen der Herausgeber
Verantwortlich:

Albrecht Müller, Auszug aus „Machtwahn“, Kapitel VII.

Vornehmer Klüngel

Als Normalbürger begegnen wir dem politischen Raum vornehmlich in Fernsehen und Presse, in Nachrichten und Talkshows. Dort gibt es zwei Sorten von Menschen: Die einen treten mit Kürzeln wie CDU, SPD, FDP auf, man kann sie sofort einem Lager zurechnen. Die anderen sind Menschen ohne Kürzel, aber dafür oft mit einem Titel. Sie werden gern als Experten und Denker eingeführt, so zum Beispiel: »Er gilt als einer der profiliertesten Wirtschafts- und Sozialforscher Deutschlands, jongliert mit Daten und Fakten, die Gesellschaft und ihre Veränderungen dabei immer vor Augen. Selten spart er mit Kritik – über Parteigrenzen hinweg. Gerne tritt er Besitzstandswahrern auf die Füße und mahnt zu gravierenden Änderungen in unseren Sozialsystemen. Herzlich willkommen, Meinhard Miegel.«

Die Vorschusslorbeeren sind mit Bedacht gewählt. Als »Mahner und Warner«, der »ohne Parteibrille«, mit »harten Daten und Fakten« argumentiert, so werden in diesen Zeiten die Eliten des neoliberalen Mainstreams angekündigt: Sie werden inszeniert als Denker, die jenseits von kleinlicher Parteipolitik die Interessen der Bürger wahrnehmen. Miegel verkündet seine Botschaften zum Beispiel oft als Chef des sogenannten BürgerKonvents. Welcher Zuschauer würde vor soviel Unabhängigkeit und Kompetenz noch Widerworte wagen.

Wie anders würde sich die Lage darstellen, wenn man Meinhard Miegel so präsentieren würde: »Der langjährige hochran gige CDU-Mitarbeiter ist einer der einflussreichsten Männer im Hintergrund der Politik. Er leitet ein privates Forschungs institut in Bonn, das einen unabhängigen wissenschaftlichen Eindruck macht, aber über Beratungsleistungen Miegels eng mit dem Deutschen Institut für Altersvorsorge (DIA) verbunden ist, das wiederum zum Umkreis der Deutschen Bank gehört. Miegel mischt sich immer wieder in die Debatte ein. Dabei hat er stets ein Ziel vor Augen: die gesetzliche Rente auf eine Grundsicherung zu beschränken und den großen Rest der privaten Altersvorsorge zu überlassen. ›Rente kann nur noch Grund sicherung leisten‹, lautet die Schlagzeile seines letzten Interviews.«101

Kaum ein Zuschauer wäre von den Äußerungen des so eingeführten Herren übermäßig beeindruckt. Hätten die Zuschauer dann noch gelesen, was das Handelsblatt am 14. Dezember 2005 über das Institut von Meinhard Miegel schrieb, dann wären ihnen vollends die Augen aufgegangen: »Es finanziert sich zu zwei Dritteln aus Mitgliedsbeiträgen, die ihm meist von großen Unternehmen zufließen. Der Rest sind Einnahmen aus Auftragsforschungen, etwa für das ›Deutsche Institut für Altersvorsorge‹, das der Deutschen Bank nahesteht.«

Der Mann wäre mit einem klaren Interessenhintergrund markiert, der die Glaubwürdigkeit seiner Thesen erheblich schmälern würde.

Das Fatale ist, die zweite Version entspricht den Tatsachen: Meinhard Miegel war in den Siebzigern Leiter Hauptabteilung Politik bei der CDU-Bundesgeschäftsstelle, Mitarbeiter von CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf. Zusammen mit Kurt Biedenkopf gründete er das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) in Bonn, dem er seit knapp dreißig Jahren vorsteht. Dieser Think-Tank versucht Miegels radikale Sozialstaatskritik mit Auftragsstudien wissenschaftlich zu untermauern.

Praktisch niemand in den Medien gibt solche Benutzerhin weise für diesen und andere neoliberale Multiplikatoren. Sie alle treten im Gewand des unabhängigen Professors und Experten auf, die eigentlichen Absender ihrer Botschaften, das große Geld, bleiben im dunkeln.

Genau dies ist Sinn und Zweck all der vielen Zirkel und Netzwerke mit mehr oder weniger den gleichen Inhalten: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder BürgerKonvent, berlinpolis oder Du bist Deutschland – der wirkliche Absender soll verschleiert werden. Würde man diese Schleier lüften, so bliebe eine schlichte und traurige Wahrheit: Arbeitgeberverbände, große Firmen, Banken und Versicherungen machen Stimmung für einen gesellschaftspolitischen Systemwechsel weg vom sozialen Staat hin zum angeblich schlanken Staat. Zu diesem Zweck bedient man sich Prominenter, Wissenschaftler und Politiker aller Lager, die den unmittelbaren Interessen von Konzernen und Banken den Charakter überparteilicher historischer Notwendigkeit verleihen sollen. Nur so ist überhaupt zu erklären, warum die Ideologie des neoliberalen Markts weiterlebt, obwohl sie im über zwanzigjährigen Praxistest längst gescheitert ist.

Ein Einzelinteresse als Gesamtinteresse erscheinen zu lassen ist die rhetorische Grundformel jeder Lobbyarbeit. Neu ist hin gegen die Art und Weise, wie Netzwerke wie beispielsweise die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) dieses Ziel ver folgen. An der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft lässt sich beispielhaft zeigen, wie das Netzwerk funktioniert. Nicht der Arbeitgeberverband Gesamtmetall selbst wird aktiv, sondern er erfindet eine Zwischenorganisation – eben die INSM –, die für eine neue politische Staatsräson, eine im Sinne der Arbeitgeber erneuerte Marktwirtschaft wirbt.

Die ganze Grundkonstruktion ähnelt dem Vorgehen von Konzernen, die durch Ausgründung von Subunternehmen versuchen, Marktsegmente zu erschließen, die sie unter ihrem etablierten Markennamen nur schwerlich geknackt hätten. Das »major label« Gesamtmetall hätte, um im Bild zu bleiben, bei der einfachen Bevölkerung wenig »street credibility«, also muss ein neues Label her, die weithin gut beleumundete »soziale Marktwirtschaft« als hundertprozentige Tochter. Unter ihrem Namen lässt sich besser für die eigenen Ziele werben.


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