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Titel: „Ein Liebesbrief an Sahra W.“: Ost-Politiker irritieren die Kriegs-Fraktion

Datum: 8. Oktober 2024 um 11:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Militäreinsätze/Kriege
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Sogar ein sanfter und mehrdeutiger Text von drei ostdeutschen Politikern zum Ukrainekrieg ist bereits zu viel für zahlreiche Journalisten und Politiker – weil in ihm mehr diplomatische Anstrengung gefordert wird. Das bedeute „Kotau“, „Unterwerfung“, „Diktatfrieden“. Die Wut richtet sich gegen die Erklärung und gegen Sahra Wagenknecht. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat in ostdeutschen Ländern zur Vorbedingung für Koalitionen eine Positionierung gegen die geplante Stationierung weitreichender US-amerikanischer Raketen in Deutschland und ein Eintreten für einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine verlangt. Wagenknecht hatte dazu kürzlich eine Präambel für Koalitionsverträge vorgeschlagen, wie Medien berichten.

„…um weiteres Blutvergießen und Zerstörungen zu vermeiden…“

Vor einigen Tagen haben die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Kretschmer und Woidke, sowie der Thüringer CDU-Vorsitzende Voigt in einem Text in der FAZ geschrieben:

Wir wollen, dass das Leid der Menschen durch diesen verheerenden Krieg ein Ende hat und setzen uns für einen Waffenstillstand und Verhandlungen unter Wahrung der Charta der Vereinten Nationen und im Geist des Budapester Memorandums zwischen der Ukraine und Russland ein, um weiteres Blutvergießen und Zerstörungen zu vermeiden.

Um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen, brauche es eine starke und geschlossene Allianz, so der Text. Deutschland und die EU hätten diesen Weg noch zu unentschlossen verfolgt. Es gehe darum, einen Waffenstillstand zu erreichen und der Ukraine belastbare Sicherheitsgarantien zu bieten. Und weiter:

Die Bundesregierung muss ihre außenpolitische Verantwortung durch mehr erkennbare Diplomatie aktiver wahrnehmen.“

Deutschland könne und solle – wie in früheren Jahrzehnten durch Politiker wie Helmut Kohl, Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher – stärker als Vermittler auftreten. Die Politiker wollen „eine aktivere diplomatische Rolle Deutschlands in enger Abstimmung mit seinen europäischen Nachbarn und Partnern“.

Ich finde einige Absätze des Textes und die Initiative der drei Politiker gut. Man kann einerseits einwenden, die zum Teil friedenspolitisch gefärbte Rhetorik sei vielleicht ein Akt von nicht ernst gemeintem Opportunismus, nur um an die Macht in den Landesparlamenten zu kommen. Andererseits können die guten Stellen des Textes einen wichtigen Effekt in der öffentlichen Debatte haben.

„Wir müssen uns verteidigungsfähig aufstellen“

Es gibt aber auch fragwürdige Passagen. In dem Artikel steht auch, Deutschland sei unverbrüchlich Teil der Europäischen Union, der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Mitglied der NATO und der OSZE. Es reiche nicht aus, das eigene Glück zu managen, „wir müssen uns verteidigungsfähig aufstellen“. Das gehe „wie auch in der Zeit des Kalten Krieges nur aus einer starken Position heraus“.

Die Pläne für eine Stationierung von Mittelstreckenraketen in den westlichen Bundesländern hätte man besser erklären und breiter diskutieren müssen, so die Politiker – die Pläne selbst scheinen für sie aber akzeptabel zu sein. Handelt es sich also mal wieder nur um schlechte Kommunikation einer eigentlich guten Sache?

Auch das Zitieren der Floskel „regelbasiert“ sowie der Aufruf, sich an den baltischen Staaten zu orientieren, klingt nicht besonders friedfertig:

Nur die regelbasierte internationale Ordnung garantiert die Freiheit. Wir Deutsche tun gut daran, in diesen grundlegenden Fragen von Sicherheit und Frieden auf unsere östlichen Partner wie Polen und die baltischen Staaten zu hören.“

Ein „Liebesbrief an Sahra W.“

Trotzdem gibt es viele erboste Reaktionen: Der Merkur schreibt: „Ministerpräsidenten lösen mit Ukraine-Gastbeitrag Entsetzen aus“.

Auf einen Artikel im Spiegel zum Thema ist Oskar Lafontaine bereits in diesem Text eingegangen. Die Rheinische Post nennt den Beitrag der Politiker einen „Liebesbrief an Sahra W.“.

In der Süddeutschen Zeitung heißt es, Sahra Wagenknecht verstehe viel von der Macht und wenig von der Welt. Insofern könne sie das Papier der drei ostdeutschen Ministerpräsidenten in spe als Coup verbuchen, es sei „ein Unterwerfungssignal in Sachen Krieg und Frieden“. Und weiter:

Wagenknecht will den Keil in die Mitte-Parteien treiben und das Ukraine- und Raketenthema aufwärmen wie ein schimmeliges Reste-Essen. Zur Landespolitik hat sie offenbar wenig beizutragen, das überlässt sie ihren Leuten in den Ländern. Aber sie will mit ihrem schaumigen Friedensbegriff und dem versteckten Antiamerikanismus einen politischen Markenkern etablieren.“

Der Focus schreibt mit Bezug auf die Koalitionsfragen und zur Friedensdemo am 3. Oktober:

Dass Landesregierungen für Außenpolitik nicht zuständig sind, weiß Wagenknecht sehr wohl. Ihr geht es vielmehr darum, CDU und SPD in Potsdam, Erfurt und Dresden zu einer Distanzierung von ihren eigenen außenpolitischen Vorstellungen zu zwingen. Die friedenspolitische Strategie von Wagenknecht ist nach dieser Kundgebung deutlicher denn je: Sie will CDU und SPD in den neuen Ländern zu einem Diktatfrieden zwingen. Mit anderen Worten: zur politischen Unterwerfung.“

„Putins Pressesprecherin in Deutschland“

Und Politiker? Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) sprach von einem „rückgratlosen Kotau der Ministerpräsidenten aus Brandenburg und Sachsen, assistiert von der BSW und CDU in Thüringen“. Sie fügte hinzu, dass sie das Gefühl habe, „die freiheitlichen Werte unseres Landes werden gerade für ein bisschen Machterhalt und Wahlkampf auf dem Ramschtisch verscherbelt“.

Auch der scheidende Grünen-Chef Omid Nouripour hat den Artikel der Politiker laut Medien scharf kritisiert. Dass „unsere Friedensordnung“ auch und zuerst vom aggressiven grünen Militarismus bedroht ist und diese Ordnung mutmaßlich vorsätzlich US-Interessen untergeordnet wurde, soll mit dieser Flucht nach vorne vermutlich verdeckt werden:

„Die Vorschläge des Trios sind ein taktisches Manöver, um koalieren zu können mit Putins Pressesprecherin in Deutschland. Es ist unsere Friedensordnung, die dabei jetzt verscherbelt werden soll. (…) Das Fundament unserer Freiheit wird jetzt zur Ware bei Koalitionsverhandlungen auf Landesebene.“

Weitere kritische Reaktionen von Politikern der CDU und anderer Parteien werden in diesem Artikel zitiert. Das Konrad-Adenauer-Haus sei vorab über die Veröffentlichung informiert worden, berichtete die FAZ. Aus der CDU heißt es laut Medien, die Initiative für den Gastbeitrag sei von Kretschmer ausgegangen. Danach hätten die drei Politiker das zu dritt besprochen. Der Text sei als „Positionsbestimmung“ gedacht.

Die Frage ist nun, ob Wagenknecht das reicht“

Was bedeutet das für das BSW und die Koalitionen auf Landesebene? Wagenknecht sagte laut Medien, der Beitrag hebe sich wohltuend ab von einer Debatte, „die sich mit großer moralischer Attitüde immer nur um die Frage dreht, welche Waffen als nächste geliefert werden sollten, ohne irgendeine Perspektive für ein Ende des Krieges aufzuzeigen“.

Die Süddeutsche Zeitung stellt zum Text der ostdeutschen Politiker aber auch zutreffend fest:

An keiner Stelle betreten sie ganz neue Positionen, fordern kein Ende von Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Frage ist nun, ob dieser Beitrag Türen öffnet und ob Wagenknecht das reicht. Sie hatte mit Erfolg auch darauf bestanden, die drei Politiker vor möglichen Sondierungen erst einmal persönlich zu treffen.“

Die Frontfrau des Thüringer BSW, Katja Wolf, nannte den Text der Politiker laut Berichten „ein wichtiges Signal“. Eine Präambel in einem Koalitionsvertrag ersetze das aber nicht, „da braucht es schon eine schriftliche Festlegung“. Wolf weiter:

Anders ausgedrückt: Nein, das reicht natürlich nicht, aber das Signal war wichtig.

Die Debatte um die Koalitionen in den Bundesländern bleibt also spannend.

Titelbild: Matthias Wehnert / Shutterstock


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