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Titel: Europarat stuft Julian Assange als „politischen Gefangenen“ ein – Was sagt die Bundesregierung?
Datum: 7. Oktober 2024 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
Verantwortlich: Florian Warweg
Am 2. Oktober hatte die Parlamentarische Versammlung des Europarats mit großer Mehrheit den Journalisten Julian Assange als politischen Gefangenen anerkannt. Zuvor hatte dieser vor dem Europarat über seine Erfahrungen in den letzten 14 Jahren und insbesondere über die Verfolgung durch die CIA und die Folgen seiner Inhaftierung in Großbritannien berichtet. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Bundesregierung die Einstufung des Europarats teilt. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Hintergrund
Am 1. Oktober hielt Julian Assange auf Einladung des Europarats in Straßburg eine viel beachtete Rede über den mit den USA ausgehandelten Deal, den Preis, den er für seine Freiheit zahlen musste („Um frei zu sein, musste ich mich des Journalismus schuldig bekennen“), die Arbeit von WikiLeaks, die Auswirkungen des US-Spionagegesetzes auf die Pressefreiheit in Europa und weltweit, die Vergeltungsaktionen der CIA gegen ihn und die Unterdrückung des Journalismus im Namen angeblicher westlicher Werte. Die NachDenkSeiten hatten diese Rede auch in deutscher Übersetzung dokumentiert.
Einen Tag danach stand eine Resolution mit dem Titel „Die Inhaftierung und Verurteilung von Julian Assange und ihre abschreckende Wirkung auf die Menschenrechte“ zur Abstimmung, in welcher Julian Assange von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, denen Vertreter von 46 nationalen Parlamenten des europäischen Kontinents angehören, als „politischer Gefangener“ eingestuft werden sollte.
Im Wortlaut hieß es in der Resolution dazu:
„Die Versammlung ist der Ansicht, dass die unverhältnismäßig schweren Anklagen, die von den Vereinigten Staaten von Amerika gegen Julian Assange erhoben wurden, sowie die hohen Strafen, die im Spionagegesetz für journalistische Tätigkeiten vorgesehen sind, den Kriterien der Resolution 1900 (2012) „Definition des politischen Gefangenen“ entsprechen.“
Diese Resolution, die zudem eine rechtliche Aufarbeitung der Haftumstände von Assange in Großbritannien fordert und auch die CIA-Mordpläne gegen ihn erwähnt, wurde mit deutlicher Mehrheit (65 Ja- zu 31 Nein-Stimmen bei 23 Enthaltungen) angenommen.
Von den deutschen Vertretern stimmten die SPD, die Grünen, BSW und AfD für die Resolution, FDP und CDU blieben der Abstimmung ganz fern.
Die fragwürdige Darstellung des Regierungssprechers
Die Darlegungen von Regierungssprecher Steffen Hebestreit in der Bundespressekonferenz, dass „Herr Assange mit einer für alle Beteiligten ja offenbar guten Lösung aus der Haft freigekommen ist“ sowie dass sich angeblich „die Außenministerin wiederholt und auch immer wieder für Herrn Assange eingesetzt und das auch öffentlich kundgetan“ hätte, ist so nicht haltbar.
Es war Assange höchstpersönlich, welcher vor dem Europarat am 1. Oktober erklärt hatte:
„Ich möchte eines ganz klarstellen. Ich bin heute nicht frei, weil das System funktioniert hat. Ich bin heute frei, weil ich mich nach Jahren der Inhaftierung des Journalismus schuldig bekannt habe. Ich habe mich schuldig bekannt, Informationen von einer Quelle eingeholt zu haben“.
Ähnlich unhaltbar ist auch die Darstellung des Kanzler-Sprechers, Annalena Baerbock hätte sich als Außenministerin „wiederholt und öffentlich“ für Assange eingesetzt. Das Gegenteil ist der Fall. Richtig ist, dass Baerbock als Kanzlerkandidatin im September 2021 noch sehr explizit und öffentlich „die sofortige Freilassung von Julian Assange“ gefordert hatte. Doch seit Amtsantritt als Außenministerin am 8. Dezember 2021 hörte man von ihr in der Angelegenheit nichts mehr. Bei Nachfragen in der Bundespressekonferenz, das letzte Mal im Februar 2024, erklärte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes:
„Herr Warweg, ich kann Ihnen sagen, dass wir als Bundesregierung und Außenministerin keine Zweifel an einem in den Vereinigten Staaten jetzt laufenden rechtsstaatlichen Verfahren haben und im Moment keinen Anlass haben, diesen Zweifel zu äußern. Die Position der Bundesregierung und der Außenministerin, dass es eine inhaltlich unterschiedliche Bewertung in der Sachfrage gibt, habe ich klargemacht.“
Andrej Hunko, Vertreter des BSW im Europarat und einer der Abgeordneten, die sich maßgeblich für die Einladung von Assange nach Straßburg eingesetzt hatten, erklärte auf Nachfrage der NachDenkSeiten, wie er die Vorgänge im Europarat und die entsprechende Reaktion der Bundesregierung bewertet:
„Assange ist nicht auf Grundlage eines funktionierenden britischen Rechtssystems freigekommen, sondern auf Grundlage eines Deals mit den USA, in dem er sich für journalistische Tätigkeiten schuldig bekennen musste. Bei aller Freude über seine Freiheit würde ich hier nicht von einer ‘guten Lösung’ sprechen. Die Resolution fordert deshalb auch explizit eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge in Großbritannien.
Der Umgang mit dem Fall verdeutlicht anschaulich die Unterschiede zwischen dem Europarat und der EU. In der Anhörung des Rechtsausschusses in Straßburg mit Assange als Gast habe ich darauf hingewiesen, dass leider das EU-Parlament sich nicht für seine Freilassung eingesetzt hat, anders als die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg. Assange kommentierte schmunzelnd, es fehle wohl an geopolitischer Diversität im EU-Parlament. So ist es. Die Anbindung an die NATO ist leider in der EU noch stärker als im Europarat in Straßburg, wo immerhin Assange als Gast empfangen und als politischer Gefangener anerkannt wurde.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 2. Oktober 2024
Frage Warweg
Heute hat der Europarat mit großer Mehrheit eine Resolution angenommen, die Julian Assange als politischen Gefangenen eingestuft hat. Folgt die Bundesregierung dieser Einschätzung des Europarats?
Fischer (AA)
Herr Warweg, ich fürchte, ich muss noch einmal präzisieren: Es war die Parlamentarische Versammlung des Europarates, nicht der Europarat. Der Parlamentarischen Versammlung gehören Abgeordnete von Parlamenten aus 46 Europaratsmitgliedstaaten an. Sie haben dort eine beratende Funktion.
Wir haben natürlich zur Kenntnis genommen, was die Abgeordneten dort verabschiedet haben, und schauen uns das jetzt genau an. Aber gleichzeitig gilt natürlich auch, dass wir Entscheidungen anderer Verfassungsorgane – dazu gehören nun einmal Abgeordnete des Deutschen Bundestages – nicht kommentieren.
Zusatzfrage Warweg
Jetzt haben allerdings auch die, wenn man es denn so sagen will, Ampelvertreter, also zumindest die anwesenden SPD- und Grünen-Mitglieder des Parlamentarischen Rats des Europarats, für diese Resolution gestimmt. War denn diese Abstimmung zuvor mit dem Kanzler besprochen, also auf Fraktionsebene?
Regierungssprecher Hebestreit
Nein. Das würde auch dem Selbstverständnis eines selbstbewussten Abgeordneten nicht entsprechen. Herr Fischer hat ja eingeordnet, worum es dabei geht, und insofern ist es jetzt erst einmal so, dass die Bundesregierung zur Kenntnis genommen hat, was dort entschieden worden ist. Gleichzeitig hat die Bundesregierung begrüßt, dass Herr Assange mit einer für alle Beteiligten ja offenbar guten Lösung aus der Haft freigekommen ist und in seine Heimat ausreisen konnte. Insofern ist das jetzt erst einmal das, was im Vordergrund steht. Gleichzeitig hat sich die Außenministerin wiederholt und auch immer wieder für Herrn Assange eingesetzt und das auch öffentlich kundgetan. Insofern, glaube ich, sind das jetzt Fragen, die an anderer Stelle zu stellen sind. Es gibt ja auch den Deutschen Bundestag. Der hat auch eine Pressestelle, und dann kann man dort nachfragen. Die einzelnen Abgeordneten haben sicherlich eine Meinung.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 02.10.2024
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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