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Titel: Ausblenden, was nicht passt: Journalistische Bankrotterklärung bei „Maischberger“
Datum: 4. Oktober 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Manchmal offenbart der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Sekunden, wie kaputt er ist. „Journalismus“ – das sollte seine Kernkompetenz sein, geliefert wird stattdessen „Zombie-Journalismus“. An einer Stelle der Talkshow „Maischberger“ zeigte sich am Mittwoch wie unter einem Brennglas, wie ein journalistischer Totalausfall aussieht. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Beim Aufeinandertreffen von Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Oskar Lafontaine wollte die Moderatorin Sandra Maischberger eine sehr unangenehme Wahrheit nicht hören (ab Minute 15:30). Dann sprechen wir sie eben hier an.
Soll der Krieg nach Russland getragen werden? Das ist eine furchtbare, geschichtsvergessene Frage. Über sie muss allerdings diskutiert werden, wenn ein bekannter Politiker eine derartige Auffassung in der Öffentlichkeit vertritt. Gesagt hat es der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter in einem Interview mit der Deutschen Welle. Davon wollte die Journalistin und Moderatorin am Mittwochabend in ihrer Sendung aber nichts hören.
Folgendes hat sich zugetragen.
Oskar Lafontaine war als Gast geladen. Ihm gegenüber saß die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Lafontaine sagte: „Herr Kiesewetter ist jemand, der sagt, wir müssen den Krieg nach Moskau tragen. Er sagt, wir müssen Raketen liefern, damit Ministerien in Moskau zerstört werden. (…). „Das ist doch nicht wahr!“, grätscht ihm Strack-Zimmermann in die Ausführungen. „Das ist die reine Wahrheit. Jetzt lügen Sie hier nicht! (…) Das kann man einblenden, sofort“, entgegnet ihr Lafontaine.
Dann schaltet sich Maischberger ein. Sie positioniert sich auf eine „bemerkenswerte“ Weise: „Die Frage ist nicht, was er gesagt hat, sondern was Sie gesagt haben.“
Zunächst: Mit ihrer Aussage bezog sich Maischberger auf das Vorangegangene. Dem hier angeführten kurzen Diskussionsausschnitt ging der Vorwurf Strack-Zimmermanns voraus, Lafontaine habe bei einer Veranstaltung gesagt, Kiesewetter gehöre ins Gefängnis, „nur weil er nicht Ihrer Meinung ist“, so Strack-Zimmermann.
Auf diesen Angriff gegen ihn hin erklärt Lafontaine, warum er gesagt habe, Kiesewetter gehöre ins Gefängnis, nämlich aufgrund Kiesewetters Aussagen, der Krieg müsse nach Russland getragen werden.
Nun zu Maischberger. Sie richtet nicht etwa den Fokus auf die ungeheuerlichen Aussagen Kiesewetters. Sie stellt nicht etwa Strack-Zimmermann als Politikerin, die Kieswetter in der Sendung als ihren „Kollegen“ anführt und ihn verteidigt. Sie lenkt die Aufmerksamkeit, nachdem Lafontaine auf Kiesewetters Aussagen aufmerksam gemacht hat, auf den Politiker aus dem Saarland. Für Maischberger als Journalistin ist nach ihren Worten nicht „die Frage“, ob Kiesewetter gesagt hat, man müsse Ministerien in Russland angreifen, sondern vielmehr, ob Lafontaine gesagt habe, Kiesewetter gehöre ins Gefängnis.
Die journalistische Bankrotterklärung – in Sekunden abgeliefert. Sollte es beim ÖRR so etwas wie eine „Qualitätskontrolle“ geben, müsste sie am Mittwochabend vor Entsetzen im Dreieck gesprungen sein.
Erstens: Dass eine der bestbezahlten Journalistinnen des Landes offensichtlich nicht zu wissen scheint, was Kiesewetter für weitreichende Aussagen getätigt hat, ist kaum zu glauben. So ignorant kann eine Journalistin, die die „großen Diskussionen“ auf einer der zentralen öffentlichen Diskussionsplattformen führt, nicht sein. Zweitens: Wenn sie weiß, was Kiesewetter gesagt hat – und diese Aussagen von ihm konnten nicht überhört werden -, dann stellt sich die Frage, warum sie nicht interveniert hat, als Strack-Zimmermann Lafontaine unterstellte, die Unwahrheit zu sagen.
Lafontaine musste sich selbst verteidigen. Er musste Maischberger und ihre Redaktion gar auffordern, die Aussagen Kiesewetters doch einzublenden. Hinter Maischberger steht eine Redaktion. Redakteure sind bei der Aufzeichnung der Sendung zugegen. Maischberger dürfte auch einen „Mann im Ohr“ haben, der ihr gegebenenfalls sehr schnell sagen kann, ob die Aussage eines Gastes richtig oder falsch ist. Was war da also los? Warum hat Maischberger nicht gesagt, dass Lafontaine die Wahrheit sagt? Und drittens: Wie kommt Maischberger allen Ernstes dazu, die Fragen auf eine Weise zu priorisieren, die mit einem kritischen Journalismus nicht in Einklang zu bringen sind?
Was ist hier das Skandalöse? Dass ein Abgeordneter des deutschen Bundestages den Angriff der Ukraine auf Ziele tief in Russland fordert – mit all den fatalen Auswirkungen, die eine derartige Eskalation mit sich bringen würde? Oder dass ein altgedienter Politiker der Ansicht ist, wer gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes verstößt und einen Angriffskrieg will, gehöre ins Gefängnis?
Maischberger hat gezeigt, wo die „journalistischen“ Prioritäten liegen. Ein Stück „Zombie-Journalismus“ wurde sichtbar.
Anmerkung Redaktion: In diesem Video ist zu sehen, was Kiesewetter gesagt hat:
„Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände (…).“
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Titelbild: Screenshot ARD
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