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Titel: Überraschender Machtwechsel in Colombo: Sri Lanka wählt einen Marxisten zum Staatsoberhaupt

Datum: 28. September 2024 um 12:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Länderberichte, Wahlen
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In Sri Lanka, der Inselrepublik, die eingehüllt vom Indischen Ozean in unmittelbarer Nachbarschaft des indischen Subkontinents liegt, hat sich ein markanter Machtwechsel vollzogen. Die Strategen in der EU und der NATO haben die Region des Indopazifiks, zu der Sri Lanka zweifelsohne gehört, als ihr Aufmarschgebiet auserkoren – als Ausdruck einer immensen geostrategischen Überdehnung, ja als das drohende Scheitern eines strategischen Entwurfs, von denen der Westen in den letzten Jahren einige hinnehmen musste. Von Ramon Schack.

Am Montagmorgen (Ortszeit) ist der Marxist Anura Kumara Dissanayake als neunter Präsident des südasiatischen Inselstaates Sri Lanka vereidigt worden. Überraschend deutlich hatte er als einer von 38 Kandidaten die Wahlen gewonnen.

Die Amtszeit des bisherigen Präsidenten Ranil Wickremesinghe wurde von den ökonomischen Problemen belastet, die zum Sturz der Vorgängerregierung führten. Wickremesinghe führte die Regierung, nachdem sein Amtsvorgänger Gotabaya Rajapaksa gezwungen war, das Land zu verlassen. Zuvor hatten wütende Demonstranten vor zwei Jahren im Zuge der schweren Wirtschaftskrise dessen Rücktritt gefordert. Wickremesinghe, der bereits sechsmal Premierminister war, galt als Experte, um die Wirtschaft zu sanieren.

Als Verkünder eines politischen Neuanfangs wurde er weder in seinem Land noch im Ausland betrachtet, eher als Mann der alten Regierung. Wickremesinghe erhoffte sich, wie er dem Verfasser dieses Beitrages bei einem Besuch in Berlin im vergangenen Jahr erklärte, eine Rückkehr der Touristen und warb diesbezüglich für Kooperationen in der deutschen Hauptstadt. In Berlin blickt man aber durch die amerikanische Brille auf den Inselstaat und vor allem auf dessen Verhältnis zu Peking.

Neustart im Präsidentenpalast

Das Amt des Präsidenten ist in Sri Lanka mit umfangreichen Vollmachten (executive presidency) ausgestattet, weshalb sich ein markanter Politikwechsel anzubahnen scheint. AKD, wie der neue Präsident in Sri Lanka gerne in den Medien genannt wird, kündigte am Sonntag schon zeitnah Parlamentswahlen an. Dies scheint aus seiner Sicht sinnvoll, denn sein Bündnis aus 21 linken und Mitte-links-Parteien, die sogenannte National People’s Power, verfügt bisher nur über drei von 225 Sitzen im Parlament. Andernfalls wäre die Präsidentschaft von Anfang an belastet.

Linksrutsch

Anura Kumara Dissanayake, der 1968 geboren wurde, ist schon seit dem Jahr 2000 Abgeordneter im Parlament. 2019, als er zum ersten Mal für das Präsidentenamt kandidierte, landete er auf dem dritten Platz. Dissanayake ist Vorsitzender der Janatha Vimukthi Peramuna (JVP – Volksbefreiungsfront), einer marxistisch-leninistischen Partei, die in der jüngeren Geschichte Sri Lankas zweimal mit revolutionären Umsturzversuchen in Erscheinung trat.

Quelle: Rohana Rezel

Sri Lanka zwischen China und Indien

Für die außenpolitische Orientierung Sri Lankas sehen Beobachter aufgrund des ideologischen Hintergrunds des neuen Präsidenten eine verstärkte Hinwendung zur Volksrepublik China eingeläutet, zumal seine Partei häufig den „indischen Expansionismus” kritisierte, welcher besonders unter der singhalesisch-buddhistischen Bevölkerungsmehrheit für Unbehagen sorgt.

Allerdings bleibt Indien aufgrund seiner wirtschaftlichen, räumlichen und kulturellen Beziehungen ein wichtiger strategischer Partner. Pekings Position allerdings, welche bisher schwerpunktmäßig auf Fristverlängerungen oder die Eröffnung neuer Kreditlinien ausgerichtet war, wird für die Umstrukturierung der Schulden Sri Lankas von existenzieller Bedeutung sein, und die Umstrukturierungsverhandlungen könnten durch mögliche Abweichungen von Vereinbarungen mit dem IWF belastet werden.

Sri Lanka liegt in jener Region, welche von den Strategen der westlichen Politik im asiatischen, vor allem aber süd- und südostasiatischen Raum pauschal als „Indopazifik” bezeichnet wird. Das Land liegt also prominent im Zentrum dieser Region, welche für die Strategen in Berlin angeblich an Bedeutung gewinnt.

Viel eher ist es aber so, dass man im Auswärtigen Amt brav die geopolitischen Pfade der USA austrampelt – völlig unabhängig davon, ob diese für die geopolitische Zukunft Europas sinnvoll erscheinen. Dadurch wird sich auch in dieser Region der Einfluss Berlins verringern.

Titelbild: Acute Tomato


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