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Titel: Das (blaue) Wunder von Hiddenhausen?

Datum: 26. September 2024 um 12:15 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik
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Den Kauf von Altbauten fördern, damit begann die ostwestfälische Gemeinde Hiddenhausen bereits 2007 und erlangte damit bundesweit einen gewissen Bekanntheitsgrad. Im März 2019 berichtete die Welt unter der Überschrift „Das Wunder von Hiddenhausen“ über das Förderprogramm der kleinen Gemeinde, in der 5.000 Wohngebäude stehen. In Zeiten von Heizgesetz und Klimaschutz stellt sich die Frage, ob aus dem „Wunder von Hiddenhausen“ für die Käufer ein blaues Wunder werden könnte. Von Heiko Link.

Im Gegensatz zu manch anderem Förderprogramm ist der Antrag für „Jung kauft Alt – Junge Menschen kaufen alte Häuser“ der Gemeinde Hiddenhausen dermaßen schlank gehalten, dass man sich eine Behörde als Urheber kaum vorstellen kann. Mit dem Eintragen der aktuellen Adresse, der Adresse des gekauften Objekts und – je nach beantragter Förderung – ein bis zwei Kreuzchen ist der Drops gelutscht. „Es gibt Förderprogramme, vor denen die Leute zurückschrecken. Bei uns ist das nicht so“, berichtet der Leiter des Amtes für Gemeindeentwicklung, Jan Westerhold. Und er staunt selbst, dass weder Corona noch steigende Kreditzinsen noch höhere Bau- und Energiekosten zu einem Rückgang der Anträge geführt haben: „Die Entwicklung ist nach wie vor gut. Stand Februar haben wir 822 Altbauerwerbe gefördert.“ Auf Bundesebene stellte Anfang September die Bauministerin Klara Geywitz (SPD) ein gleichnamiges (allerdings deutlich komplizierteres) Förderprogramm vor, das in Zeiten von Heizgesetz und Klimaschutz ebenfalls dazu animieren soll, das Abenteuer Altbausanierung zu wagen.

Als der ehemalige Hiddenhauser Bürgermeister Ulrich Rolfsmeyer (SPD) das Jung-kauft-Alt-Programm vor fast 20 Jahren mitinitiierte, konnte von Habecks „Heiz-Hammer“ noch niemand etwas ahnen. Das Programm startete mit einem Fördertopf von 20.000 Euro pro Jahr und wurde sozusagen der Renner. Erst 2019 wurde der Topf per Ratsbeschluss ein weiteres Mal auf die noch heute gültigen 330.000 Euro erhöht, die ganz ohne finanzielle Unterstützung von Land und Bund aus rein kommunalen Mitteln aufgebracht werden. Für die Erhöhung gab es zwei Gründe: die anhaltende Nachfrage und die Erweiterung des Förderprogramms, das jetzt auch Zuschüsse zur energetischen Sanierung und auch zum Abriss des Altbaus mit Neubau an gleicher Stelle bietet. Die Förderung der energetischen Sanierung ist wohlgemerkt freiwillig. Antragsteller können einen Altbau auch einfach so kaufen, wie er ist, und in Sachen Wärmepumpe und der damit verbundenen hohen Kosten erstmal davon ausgehen, dass die nächste Bundesregierung den Heiz-Hammer wieder zurücknehmen wird.

Konkret schickt die Gemeinde Hiddenhausen Antragsteller mit einer Fördersumme von 600 Euro pro Jahr für sechs Jahre in das Altbau-Abenteuer. Für maximal drei Kinder gibt es pro Kind weitere 300 Euro pro Jahr. Der jährliche Höchstbetrag beläuft sich damit auf 1.500 Euro. Das Geld muss nicht zwingend fürs Haus verwendet werden. 600 Euro bieten sich als Finanzspritze für die Gebäudeversicherung an, aber es wäre auch möglich, das Geld (nach einem anstrengenden Umzug mit Tapezieren, Bodenverlegen, Möbelschleppen, …) in die Urlaubskasse zu legen. Für Antragsteller, die energetisch sanieren wollen, gibt es ein 7-Stufen-Modell. Es reicht von der Einstufung „Effizienzhaus Denkmal“ am unteren Ende bis hin zu „Effizienzhaus 40“. Pro erreichte Stufe gibt es eine Einmalzahlung von 600 Euro, also maximal 4.200 Euro. Die gleiche Förderung gibt es auch für einen Neubau, wenn vorher ein Altbau an gleicher Stelle abgerissen wurde. Der Neubau muss dann allerdings mindestens dem Standard „Effizienzhaus 70“ entsprechen. „Wobei die Abriss-Option so gut wie nie beantragt wird – seit 2019 erst fünfmal. In der Regel sanieren die Leute“, sagt Westerhold. Die geförderten Altbauten müssen mindestens 25 Jahre alt sein. Die „jungen Leute“ im Namen des Programms sind dagegen nicht wörtlich zu nehmen. Auch ältere Käufer dürfen den Antrag stellen.

Ins Leben gerufen wurde das Programm seinerzeit allerdings schon, um eine Überalterung der Gemeinde zu verhindern. „Inzwischen gibt es in den mit Jung-kauft-Alt gekauften Häusern so viele Kinder, dass man damit eine Grundschulklasse füllen könnte“, freut sich Westerhold. Zusätzlich gab es aber auch ein Flächenproblem, da in der dicht besiedelten kleinen Gemeinde damals schon keine weiteren Neubaugebiete ausgewiesen werden konnten. Höhere Einwohnerzahlen beleben nicht nur die Gemeinde, sondern sorgen auch dafür, dass ein Teil der Fördermittel wieder zur Kommune zurückkommt. Das geschieht über die Einkommenssteuer, die im Gegensatz zur Grund- und Gewerbesteuer nicht direkt in die Kasse der Gemeinde fließt. „Je mehr Einwohner wir haben, umso mehr Anteile bekommen wir aus der Einkommenssteuer“, berichtet Westerhold. Vom finanziellen Aspekt mal ganz abgesehen, verursachen Abriss und Neubau laut dem Leiter des Amtes für Gemeindeentwicklung ja auch einen CO2-Ausstoß, der bei der Sanierung eines Altbaus vermieden wird.

Förderung eines „finanziellen Totalschadens“ ist kein Problem

232 leerstehende Gebäude gab es im vergangenen Jahr in der Gemeinde, und dass die (außer vielleicht ein paar „Lost-Place-Fotografen“) niemand haben möchte, liegt auf der Hand. Das Bestreben der Gemeinde, den Leerstand so gering wie möglich zu halten, ist absolut nachvollziehbar. Ob der ein oder andere Käufer zur Erreichung dieses hehren Ziels allerdings eine Immobilie erwirbt, die sich bei der Umrüstung laut Heizgesetz in den kommenden Jahren sozusagen als „wirtschaftlicher Totalschaden“ erweist, darauf wird im Hiddenhauser Rathaus (noch?) nicht geachtet.

Laut einer Bank in der Region kommt zu den hohen Sanierungskosten, die sich schnell mal im sechsstelligen Bereich bewegen, dass sich die Preise der „finanziellen Totalschäden“ unter den Immobilien noch nicht den aktuellen Gegebenheiten angepasst haben. Eine gar nicht oder nur zu horrenden Kosten sanierbare Immobilie kann immer noch mit 200.000 Euro zu Buche schlagen. Am Preis ist der geplatzte Traum vom Eigenheim von morgen also heute noch nicht unbedingt zu erkennen. Wenn ein Altbau zur privaten Eigennutzung gekauft wird – und darauf zielen sowohl das Förderprogramm der Gemeinde Hiddenhausen als auch das des Bundes ab – gibt es unter Umständen auch beim Kreditinstitut keinen Hinweis auf das finanzielle Abenteuer, auf das sich Käufer einlassen.

Mit dem guten Glauben, dass das Heizgesetz am Ende sowieso zurückgenommen oder nicht durchgesetzt wird, könnten private Käufer problemlos durch das Finanzierungsgespräch bei ihrer Hausbank kommen. Ganz anders sieht das bei Objekten aus, die vermietet werden sollen: Da zwingt der Staat die Banken schon heute, energetische Punkte genau zu erfassen. In privat genutzten Immobilien wird dieses Thema, das im Moment noch keine große Rolle spielt, in den nächsten Jahren vermutlich Fahrt aufnehmen. Was man bei den Banken – im Gegensatz zum Hiddenhauser Rathaus – heute schon feststellt, ist, dass die Käufe zurückgehen. Der Grund dafür scheint weniger ein besorgter Blick in die „Sanierungszukunft“ zu sein, sondern eher, dass die Leute sich das einfach nicht mehr leisten können.

Bahnt sich ein Fördermittel-Desaster à la Corona-Hilfen an?

Es stellt sich die Frage, wie gut es in die aktuell unsicheren Zeiten passt, weiterhin Anreize und Signale zum Kauf von Altbauten zu setzen – und das natürlich auch für junge Familien mit Kindern, um einer Überalterung in Gemeinden entgegenzuwirken. Jan Westerhold verweist darauf, dass die Gemeinde ja – wenn der Käufer das möchte – auch ein Altbaugutachten fördert und dass der Notar im Kaufvertrag einen Sanierungsvermerk einfügt. Wobei der 35-jährige Amtsleiter einräumt, dass der Notar-Vermerk zu einem Zeitpunkt kommt, an dem es wahrscheinlich schon zu spät ist. (Ein „Ehe-Vermerk“ vom Standesbeamten vor versammelter Familie hätte vermutlich eine ähnliche Wirkung.)

Da der Antrag in Hiddenhausen so schnell und unkompliziert über die Bühne geht, lernt der Leiter des Amtes für Gemeindeentwicklung weder die Antragsteller noch die Immobilie gut genug kennen, um selbst eine Einschätzung treffen zu können. Nun wäre es natürlich völlig fehl am Platze, einer Behörde vorzuwerfen, dass sie zu schnell und unkompliziert arbeitet. Im Gegenteil: Applaus ist angebracht! Und doch kommt in der Post-Corona-Zeit irgendwie der Gedanke an den Deal „Bratwurst für Impfung“ auf. Immerhin könnte sich die heizgesetzkonforme Sanierung des gekauften Altbaus auch als ein gehöriger Schuss nach hinten herausstellen, der die Eigentümer finanziell zur Strecke bringen kann. Hohe Sanierungskosten könnten bereits nach wenigen Jahren auftreten, wenn von dem ursprünglichen Hauskredit erst ein kleiner Teil zurückgezahlt wurde. Im schlimmsten Fall lohnt sich die Sanierung gar nicht mehr, und Hauskäufer würden mit einer Art „an sich noch gut bewohnbaren Ruine“ zurückgelassen.

Weitere Fördermittel könnten hohe Sanierungskosten etwas abfedern. Damit sollten Käufer von Altbauten laut einem Energieberater der Verbraucherzentrale NRW aber auch nicht zu lange warten, da der Bund die Förderung ab nächstem Jahr kürzen wird. Der Focus berichtet von erheblichen Kürzungen beim Klima- und Transformationsfonds (KTF), während der Bayerische Rundfunk Entwarnung gibt, indem er eine namentlich nicht genannte Sprecherin des Habeck-Ministeriums zitiert, die sagt, dass von Kürzung keine Rede sein könne: „Sollte im kommenden Jahr noch Geld gebraucht werden, dann kann jederzeit nachjustiert werden.“ In diesem Falle stellt sich die Frage, ob man Robert Habeck und seinen Sprechern überhaupt noch irgendwas glauben kann. Und bahnt sich hier vielleicht gerade ein ähnliches Fördermittel-Desaster an wie bei den sogenannten Corona-Hilfen?

Die „Heizungs-Pistole“ – noch – nicht auf die Brust setzen

Wie viele der 5.000 Häuser in der Gemeinde Hiddenhausen wahrscheinlich nicht in die neue Zeit gerettet werden können, kann Jan Westerhold nicht sagen. Sein Kollege Johannes Poida vom Amt für Klimaschutz und Gebäudemanagement hat darauf auch (noch) keine Antwort: „Aktuell laufen die Ausschreibungen, welches Unternehmen uns bei der kommunalen Wärmeplanung begleiten wird. Wir hoffen, dass wir mit der Wärmeplanung im Oktober beginnen können.“ Die Erstellung – bei der dann unter Umständen auch solche Häuser identifiziert würden – soll ungefähr ein Jahr dauern und könnte damit sogar noch zur nächsten Bundestagswahl fertig werden: „Ob das Ergebnis vom Rat dann auch so beschlossen wird, das ist natürlich noch mal eine andere Sache.“ Grundsätzlich plädiert Poida auch beim aktuellen Bürgermeister Andreas Hüffmann (SPD) dafür, den gesetzlichen Spielraum für die Erstellung der Wärmeplanung bis 2028 voll auszunutzen, um den Bürgern die „Heizungs-Pistole“ nicht schon in einem Jahr auf die Brust zu setzen. Vom Bürger mal ganz abgesehen stelle sich natürlich auch die Frage, ob man die Wärmeplanung ausgerechnet im Wahlkampf auf den Tisch bringen möchte.

In den aktuell mehr als unsicheren Zeiten ist man versucht, bei Förderprogrammen wie Jung-kauft-Alt (egal ob von Bund oder Gemeinde) die Frage zu stellen: Was ist das Gegenteil von gut? Gut gemeint! Selbstverständlich sollen Leerstand und Überalterung vermieden werden, aber wer bezahlt am Ende dafür die Zeche? Denn Anreize und Signale zum Altbau-Kauf können durchaus auch so verstanden werden, dass in Sachen Heizung und Sanierung schon alles gut werden wird; dass alles halb so schlimm ist; dass es doch noch (beziehungsweise wieder) rote Linien gibt und die Regierung nicht zulassen wird, dass Menschen wegen CO2-Abgaben oder falscher Heizung ihr Dach über dem Kopf verlieren. Vor diesem Hintergrund spielt sicherlich auch Symbolpolitik für die angezählte SPD eine Rolle. Hausbesitzer wie (SPD-)Politiker klammern sich anscheinend mit aller Kraft an ihren jeweiligen Strohhalm, und was folgt, ist dann … das blaue Wunder???

Titelbild: © Heiko Link


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