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Titel: Zweiter Jahrestag Nord-Stream-Anschlag: Rolle der Ukraine und Schlussfolgerungen der Bundesregierung
Datum: 26. September 2024 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gedenktage/Jahrestage, Ressourcen, Terrorismus
Verantwortlich: Florian Warweg
Am 26. September jährt sich zum zweiten Mal der terroristische Anschlag gegen die zivile Energieinfrastruktur Nord Stream. Seit August 2024 ist bekannt, dass die Beweislage so deutlich ist, dass ein Richter am Bundesgerichtshof (BGH) einen Haftbefehl gegen einen ukrainischen Staatsbürger und Profitaucher ausgestellt hat, der sich seiner Verhaftung durch Flucht in einem ukrainischen Diplomatenwagen entzogen hat. Zwei weitere ukrainische Staatsbürger gelten als dringend tatverdächtig. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Bundesregierung noch immer von einem „staatlichen Akteur“ bei dem Anschlag ausgeht und welche Schlüsse der Kanzler aus dem aktuellen Wissensstand in Bezug auf die Rolle und den Umgang mit der Ukraine zieht. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Hintergrund
In den frühen Morgenstunden des 26. Septembers 2022 um 02:03 Uhr mitteleuropäischer Zeit erfassten seismologische Institute in Dänemark, Schweden und Norwegen zwölf Seemeilen südwestlich der dänischen Insel Bornholm Erschütterungen, die jenen eines leichten Seebebens mit einer Stärke von 2,2 bis 2,3 auf der Richterskala entsprachen. Kurz danach wurde ein massiver Druckverlust in Strang A der Nord-Stream-2-Pipeline in 70 Meter Tiefe festgestellt. Auf deutscher Seite fiel der Druck schlagartig von 105 auf etwa 7 Bar. Fast auf die Minute genau 17 Stunden später, um 19:04 Uhr, wurden erneut schwere Erschütterungen identischer Stärke registriert, diesmal nordöstlich von Bornholm, gefolgt von Druckverlust in beiden Strängen der seit 2011 in Betrieb befindlichen Ostseepipeline Nord Stream 1 in 88 Meter Tiefe.
In Reaktion auf die erste registrierte Explosion (ein natürliches Beben war zu diesem Zeitpunkt bereits als Ursache ausgeschlossen worden) entsandte das dänische Militär nach eigener Darstellung von Bornholm aus F-16-Kampfjets, um das betroffene Gebiet zu fotografieren. Dabei sollen die Kampfflieger um die Mittagszeit erstmals die aus dem Wasser aufsteigenden großflächigen Methan-Blasen entdeckt haben. Rund acht Stunden später, um 20:41 Uhr, sprach die schwedische Seefahrtsbehörde dann eine Warnung vor weiteren Gaslecks aus, nachdem mehrere Schiffe von Blasenteppichen auch nordöstlich von Bornholm berichtet hatten. In der Folge verhängten die dänische und schwedische Schifffahrtsbehörde sogenannte Befahrensverbote (nautical warnings) im Umkreis von fünf Seemeilen um die Lecks. Auch der Flugverkehr unterhalb von 1.000 Meter Höhe wurde in diesem Gebiet untersagt.
Bundesregierung: „Gezielter Anschlag eines staatlichen Akteurs“
Weitere Untersuchungen ergaben, dass es sich insgesamt um vier Lecks handelte, wobei zwei auf die Nord-Stream-1-Pipeline entfielen, welche auf einer Länge von 250 Metern zerstört worden war, und zwei auf den Strang A der Nord-Stream-2-Pipeline. Ein Unfall gilt als ausgeschlossen, sowohl NATO-Staaten wie auch Russland gehen von einem „gezielten Sabotageakt“ aus. Der russische Regierungschef Wladimir Putin bezeichnete die Ereignisse als „internationalen Terrorismus“. In einem gemeinsamen Brief vom 29. September 2022 an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sprachen Schweden und Dänemark vom Einsatz „einer Sprengladung von mehreren Hundert Kilogramm TNT-Äquivalent“ – wohlgemerkt pro Leck. Die deutsche Bundesregierung erklärte unter anderem am 7. Oktober 2022 in Reaktion auf eine parlamentarische Anfrage, dass sie „vor dem Hintergrund der Komplexität der Tatausführung“ von einem „staatlichen Akteur“ als Täter ausgeht.
Bundesregierung zeigt null Komma null Aufklärungsinteresse
Doch danach hüllte sich die Bundesregierung für fast zwei Jahre in Schweigen, entsprechende Anfragen der Opposition (nur AfD und Linkspartei stellten überhaupt entsprechende Anfragen; nach seinem parlamentarischen Aktivwerden später auch das BSW) wurden ebenso mit Verweis auf „Staatswohl“ abgewehrt wie die Fragen der NDS in der Bundespressekonferenz. Dort jedoch zumeist mit dem Verweis auf die alleinige Zuständigkeit der Generalbundesanwaltschaft. Sinnbildlich für die Haltung der Ampelkoalition in den letzten zwei Jahren ist die Aussage des SPD-Bundestagsabgeordneten Timon Gremmels, der am 28. September 2022 im Namen der Koalition anlässlich einer einberufenen „Aktuellen Stunde“ wegen der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines erklärte:
„Es ist völlig gleichgültig, ob Nord Stream 1 und Nord Stream 2 nun Lecks haben, wie diese Lecks entstanden sind, ob das Anschläge waren, wer hinter den Anschlägen steckt, weil aus der einen Pipeline noch nie Gas gekommen ist und es aus der anderen seit Wochen kein Gas mehr gegeben hat. – Das ist völlig irrelevant.“
Das muss man erstmal sacken lassen. Der Vertreter der größten Regierungspartei erklärt im Rahmen einer extra einberufenen Aktuellen Stunde im Bundestag wegen eines Terroranschlags gegen zivile Infrastruktur wortwörtlich:
„Es ist völlig gleichgültig, wer hinter den Anschlägen steckt.“
Eines der teuersten Energie-Infrastrukturprojekte aller Zeiten
Diese völlig indifferente Haltung der Ampel erfolgt(e) wohlgemerkt angesichts eines Terroranschlags, der auf eines der teuersten und größten Energie-Infrastrukturprojekte Europas zielte. Allein der Bau von Nord Stream 1 schlug mit 7,4 Milliarden Euro zu Buche, der jüngere Pipelinebruder Nord Stream 2 mit 10 Milliarden. Beide Pipelines mit ihren je zwei Strängen erstrecken sich über je 1.224 Kilometer. Im Falle von Nord Stream 1 trugen rund die Hälfte der Bauinvestitionen (51 Prozent) der russische Erdgaskonzern Gazprom und zu je 24,5 Prozent die beiden deutschen Konzerne BASF (Wintershall) sowie E.ON (Ruhrgas). Zumindest Nord Stream 1 gilt folglich als ein rein russisch-deutsches Projekt.
Bei Nord Stream 2 wurden die Beteiligungen etwas breiter gestreut, hier waren neben den genannten Konzernen noch die niederländisch-britische Shell, die französische Engie-Gruppe sowie der österreichische Gaskonzern OMV, wenn auch mit weniger Anteilen, involviert. Alle genannten westeuropäischen Konzerne haben durch das Ende von Nord Stream nach eigenen Angaben mindestens je eine Milliarde Euro verloren.
Mit einer Transportkapazität von jährlich bis zu 110 Milliarden Kubikmetern Erdgas hätten allein die vier Stränge von Nord Stream 1 und 2 ausgereicht, den gesamten Erdgasverbrauch Deutschlands als Industrienation zu sichern. 2021 betrug der gesamte bundesdeutsche Erdgasverbrauch 90,5 Milliarden Kubikmeter.
Das bis heute andauernde Desinteresse der Bundesregierung an der Aufklärung erklärt sich über die mutmaßlichen Täter dieses Terroranschlags. Denn wie der SPIEGEL am 25. September berichtete, gehen die deutschen Geheimdienste und Ermittlungsbehörden mittlerweile davon aus, dass es sich um eine ukrainische Kommandoaktion handelte, abgesegnet vom damaligen Oberbefehlshaber der Ukraine, Walerij Saluschny. Die USA seien über die Operation informiert gewesen:
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 25. September 2024
Frage Warweg
Am 26. September jährt sich ja zum zweiten Mal der Terroranschlag gegen die zivile Energieinfrastruktur Nord Stream. Mich würde interessieren: Geht die Bundesregierung, wie bisher schon mehrmals kundgetan, nach wie vor von einem staatlichen Akteur dieses Angriffs aus?
Regierungssprecher Hebestreit
Wenn ich es richtig weiß, haben wir uns zu den Akteuren hier überhaupt nie erklärt, sondern zu Ihrer Frustration habe ich immer wieder auf den Generalbundesanwalt verwiesen, der die Ermittlungen in diesem Fall führt. Das würde ich auch in diesem Fall tun, ohne mir hier irgendetwas von dem, was Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, zu eigen zu machen.
Zusatzfrage Warweg
So viel war das ja nicht. Aber das hat die Bundesregierung – nicht hier, sondern in Antworten auf Kleine Anfragen – durchaus zu verstehen gegeben. Dann zu meiner Nachfrage: Seit August 2024 wissen wir ja, dass die Beweislage – Sie haben ja gerade vom Generalbundesanwalt gesprochen – nach zwei Jahren intensiver Ermittlungen zumindest so klar ist, dass ein Richter am Bundesgerichtshof einen Haftbefehl gegen einen ukrainischen Staatsbürger und Profitaucher ausgestellt hat, der sich dann der Haft durch Flucht in die Ukraine entzogen hat – nach aktuellem Wissensstand in einem Auto mit diplomatischem Kennzeichen ebenfalls ukrainischer Provenance. Bei zwei weiteren Tatverdächtigen, die auch schon entsprechend vom Generalbundesanwalt kommuniziert wurden, soll es sich ebenfalls um ukrainische Staatsbürger handeln. Mich würde generell interessieren: Welche Schlüsse zieht der Kanzler aus diesem aktuellen Status quo in Bezug auf Rolle und Umgang der Ukraine in dieser Causa?
Hebestreit
Ich glaube, der Kanzler hat sich zum Sabotageanschlag auf die Nord-Stream-Pipeline immer einheitlich eingelassen, nämlich indem er gesagt hat, dass er wissen will, wer diejenigen sind, die diesen Anschlag verübt haben. Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass Haftbefehle ausgestellt worden sind. Das ist in einem Rechtsstaat so üblich. Dann muss es ein Verfahren geben. Am Ende dieses Verfahrens steht ein Urteil. Dann tut man gut daran, sich nach diesem Urteil dazu zu äußern.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 25.09.2024
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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