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Titel: Die reale Welt ist kein Hollywood-Blockbuster

Datum: 18. September 2024 um 10:06 Uhr
Rubrik: Terrorismus
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Es hört sich an wie der Plot eines Hollywood-Actionthrillers – gestern um 15.00 Uhr Ortszeit explodierten im Libanon gleichzeitig tausende Pager. Schnell wird klar, dass diese Pager von Mitgliedern der Hisbollah getragen werden; ein Großteil der gestern getöteten und teils schwerstverletzten Opfer gehörte demnach offenbar zur islamistischen Miliz, die den Libanon als „Staat im Staate“ regiert. Verantwortlich zeichnet der israelische Geheimdienst, der laut New York Times erst vor wenigen Wochen die Pager-Lieferung abfing und Hochleistungssprengstoff in den Geräten verbaute. In den sozialen Netzwerken wurde der filmreife Coup sogleich vor allem von der politischen Rechten in Deutschland gefeiert. Doch die reale Welt ist kein Film. Die zugegebenermaßen spektakuläre Anschlagsserie war Staatsterrorismus, die Zahl der zivilen Opfer dürfte hoch sein. Vor allem: Mit dieser Aktion hat Israel einmal mehr die Gefahr einer außer Kontrolle geratenen Eskalation in der Region erhöht. Ein Kommentar von Jens Berger.

Erst vor wenigen Wochen lief auf Netflix der Spielberg-Film „München“. In diesem Film werden die Anschläge der Mossad-Einheit „Caesarea“ erzählt. Die Israelis wollten damals, in den 1970ern, Vergeltung für das Münchner Olympia-Attentat üben, bei dem elf israelische Olympiateilnehmer von der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ ermordet wurden. Unter anderem wird im Film ein PLO-Repräsentant, der einer der Planer der Anschläge von München gewesen sein soll, von den Mossad-Agenten mit einem präparierten Telefon in die Luft gesprengt. Wer „München“ gesehen hat, dürfte gestern ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben.

Doch „München“ ist kein tumber Heldenfilm mit Happy End. Mit der Zeit steigt im Film die Zahl der vom Mossad getöteten Unschuldigen, die als „Kollateralschaden“ verbucht werden, und es wird immer unklarer, ob und in welcher Form die Getöteten überhaupt für den Anschlag in München verantwortlich waren. Am Ende verlässt der von Eric Bana gespielte Protagonist von Zweifeln geplagt den Mossad und landet selbst auf dessen Abschussliste.

Derartige Zweifel sind auch bei den gestrigen Pager-Anschlägen im Libanon dringend angebracht. Eines der ersten Todesopfer soll libanesischen Medien zufolge ein 10-jähriges Mädchen gewesen sein. Wie viele der fast 3.000 zum Teil schwerstverletzten Zivilisten Frauen und Kinder sind, ist zurzeit unmöglich zu sagen. Die wenigen Filmaufnahmen und Bilder, die gestern die Folgen der Anschläge zeigten, lassen Schlimmes erahnen. Da sind Explosionen auf Marktplätzen zu sehen und Autos, deren Fahrer offenbar so schwer verletzt wurden, dass sie in dichte Menschenmengen rasten. Meldungen zufolge sind die ohnehin nur prekär ausgerüsteten Krankenhäuser im Libanon am Rande ihrer Leistungsfähigkeit angelangt – Verletzte wurden offenbar bereits zur Notfallversorgung ins Ausland gebracht. Mit einem Heldenmärchen á la Hollywood hat das nichts zu tun. Die Anschläge waren ein Akt des Terrorismus – Staatsterrorismus.

Doch nicht nur das. Die derzeitige Situation im Nahen Osten gleicht der eines Pulverfasses. Erst vor ziemlich genau einem Monat konnte durch Verhandlungen durch das Emirat Katar ein Explodieren dieses Pulverfasses noch einmal abgewendet werden. Ob die gestrigen Anschläge der Funke sind, der das Pulverfass explodieren lässt, ist zurzeit ebenfalls schwer zu sagen. Fest steht jedenfalls, dass Israel einmal mehr durch seinen Staatsterrorismus zündelt und die Gefahr eines großen Krieges, bei dem auch zahlreiche Israelis sterben würden, durch die Anschläge deutlich gestiegen ist. Erst vorgestern hatte der US-Sondergesandte Amos Hochstein die Israelis davor gewarnt, den Konflikt mit der Hisbollah zu esklarieren. Wer solidarisch mit Israel ist, sollte diese Anschläge daher aufs Schärfste verdammen.

Doch gerade bei der deutschen politischen Rechten konnte man gestern das genaue Gegenteil beobachten. Hier dominierten Schadenfreude und offene Begeisterung über die Anschläge. Tonangebend waren hier einmal mehr Politiker der Grünen (wie Volker Beck, der seinen Beitrag auf X mittlerweile gelöscht hat) und der AfD (wie Georg Pazderski und Sven Tritschler).

Aber auch Journalisten, allen voran von Springers WELT, freuten sich offen darüber, dass tausende Pager inmitten von Zivilisten explodierten.

Was sind das nur für Menschen?

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Titelbild: Screencap AlJazeera


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