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Titel: Zwischen 9/9 und 9/11: Eine Erinnerung an Ahmad Shah Massoud und eine Warnung der Geschichte

Datum: 11. September 2024 um 13:01 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Terrorismus
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Die Taliban und die USA, eine verhängnisvolle Affäre, die erst einige Jahre zurücklag, als 2001 vor dem Hintergrund der Anschläge vom 11. September der sogenannte Krieg gegen den Terror begann. Von Ramon Schack.

In seinem lesenswerten Buch „Die Saudi-Connection“ schreibt der ehemalige CIA-Agent Robert Baer:

„Das State Departement verschloss nicht nur die Augen vor der radikal-islamischen Außenpolitik, die Saudi-Arabien betrieb – gelegentlich leistete es dieser Politik sogar noch Vorschub. Es wusste, dass der Plan der Saudis, Erdgas- und Erdöl-Pipelines von Zentralasien bis nach Pakistan quer durch Afghanistan hindurchzuführen, den Taliban dabei helfen würde, an der Macht zu bleiben – und auf diese Weise zugleich dafür zu sorgen, dass Osama bin Laden ein sicheres Schlupfloch behielt. Trotzdem ermunterte es sogar noch die amerikanische Gesellschaft United Oil of California (UNOCAL), sich daran zu beteiligen.“

Zwei Tage vor 9/11 geschah in Afghanistan Folgendes, kaum vermerkt vom Lauf der Welt: Es ist der 9. September 2001. Ein arabisches Fernsehteam hat im nordafghanischen Tachar ein Interview mit Ahmad Shah Massoud verabredet, dem Anführer der afghanischen Nordallianz. Massoud, seine Begleiter und sein Dolmetscher betreten den Raum. Plötzlich explodieren die Kameras, Massoud wird in Fetzen gerissen. Der Raum füllt sich mit Blut, Körperteile fliegen umher. Die arabischen Reporter waren Al-Qaida-Agenten, die von Osama bin Laden geschickt worden waren, um dessen größten Widersacher zu beseitigen.

In den internationalen Medien findet die Tat nur wenig Beachtung. Wer wusste damals schon, wer Massoud oder bin Laden waren?

Massoud hatte mit seiner Nordallianz den Taliban verzweifelten Widerstand geleistet. Von den Afghanen wurde er als „der wahre Vater Afghanistans“ verehrt, besonders von den Tadschiken. Noch heute ziert sein Porträt die Wände vieler Wohnzimmer in Afghanistan und in der weltweiten Diaspora. Massouds Ermordung fand dagegen nur einen geringen Widerhall in den Agenturmeldungen der Welt.

Massouds Warnungen in Europa verhallten

Massouds Aufstieg begann mit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan. Das Wall Street Journal rühmte ihn „den Afghanen, der den Kalten Krieg“ gewann. Zeitweise war er Verteidigungsminister der Regierung Burhānuddin Rabbani. Zu jener Zeit hatte Washington sein geostrategisches Interesse an Afghanistan schon verloren, konzentrierte sich dafür auf Pakistan. Islamabad plante, den Politiker Gulbuddin Hekmatyar in Kabul als Marionette der pakistanischen Interessen zu installieren, und begann dafür einen blutigen Bürgerkrieg, welcher in die Machtergreifung der Taliban mündete.

Massoud gelang es, eine Allianz gegen die Taliban zu schmieden. Allerdings zog der beginnende Bürgerkrieg sich über einen langen Zeitraum hin, Afghanistan versank erneut in Blut und Tränen. Die Taliban bauten ihren Herrschaftsbereich sukzessive aus. Schließlich beherrschten sie fast das ganze Land – bis auf einen schmalen Streifen im Norden. Afghanistan verwandelte sich in einen Stützpunkt des dschihadistischen Terrors.

Noch im Frühjahr 2001 warnte Massoud bei einem Besuch im Europaparlament vor Osama bin Laden und dessen Terrorplänen. Er fand kaum Gehör, die erhoffte internationale Unterstützung blieb aus. Washingtons Hilfe für die Nordallianz blieb lau.

Washingtons Vorbehalte gegen Massoud

Im US-Außenministerium dominierten starke Vorbehalte gegenüber Massoud schon wegen seiner Verbindungen zum Iran und zu Russland. Dabei stand er kurz davor, zur wichtigsten Führungspersönlichkeit Afghanistans aufzusteigen. Seine einst engen Beziehungen zur Muslim-Bruderschaft gehörten der Vergangenheit an, er hatte sich zu einem afghanischen Patrioten gewandelt. Seine Nordallianz spiegelte die Vielzahl der von den Taliban verfolgten Gruppen und Ethnien wider. Massoud war dabei, jenseits des Taliban-Terrors und der fragilen Planspiele westlicher Strategen eine Vision für eine friedliche Zukunft Afghanistans zu entwickeln.

Im September 2001 war eine Rede Massouds vor der UN-Vollversammlung in New York geplant. Dazu sollte es nicht mehr kommen. In seinem Buch „Sturz ins Chaos“ beschreibt der pakistanische Journalist Ahmed Rashid eine Begegnung mit Massoud am Vorabend von dessen Ermordung: „Er war über Pakistan zutiefst verärgert. Er fragte mich wiederholt, warum Pakistans Präsident und Armeechef Pervez Musharraf eine selbstmörderische Politik der Unterstützung von Terroristen betreibe. Und noch ärgerlicher war er über die Vereinigten Staaten und die internationale Gemeinschaft, die Pakistans Hilfe für die Taliban nicht stoppten. Er berichtete mir, wie CIA-Agenten ihn in seiner Festung im Pandschir-Tal besucht und nach Hilfe bei der Ergreifung bin Ladens gefragt hatten. Aber er hatte über sie gelacht, als sie ihm sagten, dass sie ihm keine Waffen liefern oder sonstige Hilfe leisten könnten.“

Sicherlich handelte es sich bei Massoud um keinen Demokraten westlichen Typus, was auch immer man sich heute darunter vorstellen mag. Nein, er war ein Krieger aus dem rauen Hochland Afghanistans. Der amerikanische Journalist Sebastian Junger fand vielleicht die richtigen Worte, als er über Massoud schrieb: „Viele Leute, die ihn kannten, hatten das Gefühl, dass er die beste Hoffnung für jenen Teil der Welt darstellte.“ Der Verlauf der Weltgeschichte hätte sich wohl etwas anders vollzogen, wäre Massoud noch am Leben oder hätte man im Westen seine Warnungen ernst genommen.

Nach der Flucht der Amerikaner und ihrer Alliierten aus Afghanistan vor rund drei Jahren steht der sogenannte „War on Terror“ für das Scheitern eines der großen strategischen Entwürfe des Westens. Unsere Freiheit wird heute nicht mehr am Hindukusch verteidigt, wie damals propagandistisch von der Bundesregierung postuliert – dafür aber wohl in den Weiten des Indopazifiks oder gar in der Ukraine. Auch diese strategischen Entwürfe des Westens, eher sollte man von Abenteuern schreiben, werden scheitern. Die Folgen sind unabsehbar.

In seiner Rede in der Bundestagsdebatte zum Zwischenbericht der Enquete-Kommission Afghanistan sagte der BSW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko:

„Es ging bei der Beteiligung an diesem Einsatz nie um Afghanistan, auch das wurde bei der Enquete deutlich. Es ging ausschließlich um falsch verstandene Bündnissolidarität mit den USA nach den Anschlägen am 11. September.“

Diese falsch verstandene Bündnissolidarität ist auch heute die Triebfeder für zukünftiges Unheil, ob in der Ukraine oder andernorts.

Titelbild: Der berühmte Mudschaheddin-Kämpfer Ahmad Shah Massoud spricht mit Journalisten in seinem Hauptquartier nördlich von Kabul, Afghanistan, Oktober 1996 – Quelle: Shutterstock / Northfoto


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