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Titel: „Vasallenkanzler“ und „deutsche Vasallentreue“: Nichts verstehen mit den Öffentlich-Rechtlichen
Datum: 10. September 2024 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Medienkritik
Verantwortlich: Redaktion
Ist Olaf Scholz ein „Vasallenkanzler“? Sahra Wagenknecht hat den Bundeskanzler so bezeichnet. Für Caren Miosga ist das offensichtlich ungeheuerlich. Mehrmals ist die ARD-Moderatorin bei ihrem Gespräch mit der BSW-Politikerin auf dem Begriff herumgeritten. Dabei hat sie unfreiwillig gezeigt: Die Entkernung des Journalismus kommt bei dem milliardenschweren öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer deutlicher zum Vorschein. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Sahra Wagenknecht hat Olaf Scholz als Vasallenkanzler bezeichnet. „Und?“, fragt da jeder politisch einigermaßen auf dem Boden der Realität gebliebene Bürger. „Wo ist das Problem?“ Das Problem liegt darin, dass weite Teile des öffentlich-rechtlichen „Journalismus“ nicht wahrhaben wollen, dass Weltpolitik ein überaus dreckiges Geschäft ist. Die Sphären von Macht und Einfluss kommen bei ihnen im Wesentlichen nur in einer völlig verniedlichten, eindimensionalen Form vor. Dass die USA etwa versuchen könnten, im Sinne ihres Hegemonialmachtanspruchs andere Länder zu kontrollieren, verbietet sich im Denken des öffentlich-rechtlichen Journalismus geradezu. Da ist auch ein „Abhören unter Freunden“ längst vergessen.
Und sollten anständige Haltungsjournalisten hören, dass der Begriff „Vasall“ gegen einen Kanzler verwendet wird, dann kann es wohl nur ihre Pflicht sein, das zu tun, was sie ohnehin tun: die Politik in Schutz zu nehmen. So betrachtet, liegt es nur nahe, dass zur Prime Time des öffentlich-rechtlichen Polit-Talks der Begriff „Vasall“ den „kritischen Journalismus“ aktiviert.
„Unter welcher Knechtschaft steht Olaf Scholz angeblich?“, fragt Miosga Wagenknecht. Wagenknecht sagt, der Begriff beziehe sich darauf, dass Scholz „mal ebenso am Rande eines NATO-Gipfels mitgeteilt hat, dass demnächst in Deutschland US-Raketen stationiert werden sollen. Das ist eine sehr gefährliche Entscheidung für Deutschland. Weil das sind keine Verteidigungswaffen, das sind Angriffswaffen. Und die bringen uns erst recht in das Zielfernrohr russischer Atomraketen.“
An dieser Stelle sollte es selbst Journalisten mit Blickschutz einleuchten, dass das Verhalten der Bundesregierung viele Fragen hinterlässt. Ist der Begriff „Vasall“ tatsächlich so einfach von der Hand zu weisen? Miosga zeigt Begriffsstutzigkeit: „Darf ich nochmal fragen, wessen Vasall ist Olaf Scholz?“
Vermutlich rutschen bei dieser Frage sogar schon politisch eher unbedarfte Zuschauer auf dem Sessel vor und zurück und fragen sich ironisch: „Na, wessen ‚Vasall‘ mag Scholz wohl sein? Der von Burkina Faso? Von Costa Rica?“
Wird es nun spannend?
Wagenknecht beantwortet – wie immer mit stoischer Gelassenheit – selbst Fragen, die allenfalls in ihrer intellektuellen Unreife durch eine eigene Qualität bestechen:
„Na, diejenigen, die ein Interesse an diesen Raketen haben, sind die Vereinigten Staaten. Die Raketen sind ja auch offiziell dafür da, die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten zu verteidigen. Dass ein Bundeskanzler eine solche Entscheidung abnickt – kein anderes europäisches Land stationiert solche Raketen – finde ich wirklich empörend.“
Der Zuschauer mag aus einer Mischung aus Mitleid und Fremdscham hoffen, dass es nun bei Miosga „klick“ macht. Hat es die Frontfrau der deutschen Polit-Diskussion nun verstanden?
Doch auch Wagenknechts weitere Ausführungen reichen Miosga nicht aus: „Sie würden ernsthaft behaupten, Olaf Scholz ist der Vasall der Vereinigten Staaten?”, hakt Miosga nach.
Wagenknecht holt daraufhin nochmal aus, spricht das Verhalten zu Nordstream an. Wir erinnern uns: Biden sagte auf einer Pressekonferenz im Beisein von Scholz, dass Mittel und Wege vonseiten der USA gefunden würden, um das deutsch-russische Energieprojekt zu einem Ende zu bringen. Scholz als Kanzler der Bundesrepublik steht da und sagt: nichts.
Miosga ignoriert Nordstream. Ihr fällt zu Wagenknechts Aussage nur eine Belehrung in Sachen Sprache ein. Im Gestus einer Oberlehrerin sagt Miosga zu Wagenknecht: „Das Wort Vasall insinuiert, dass Deutschland kein souveräner Staat ist.“ Dem Kommentator dieser Szene drängt sich ein Verdacht auf: Der Begriff „souverän“ ist für die von augenscheinlich viel Überzeugung getriebene Moderatorin „zu schwer“. Die Komplexität und Vielschichtigkeit des Ausdrucks in dem veranschlagten Rahmen erfordert die Analyse-Reife, Länder nicht nur als isolierte Einheiten, sondern als Interessensphären und Spielräume außenpolitischer Machtpolitik zu verstehen. Sich mit dem Begriff „souverän“ auf jener Ebene auseinanderzusetzen, auf der sich dieses Interview des ÖRR bewegt, heißt zu erkennen: Es gibt das Formale und es gibt das Faktische. Und zwischen der formalen und der faktischen Ebene liegen Macht-, Geo- und Tiefenpolitik.
Der französische Soziologe Michel Foucault benutzte im Hinblick auf die Grenzen des im öffentlichen Raum Sagbaren die Formulierung: „diskursive Polizei“. Vereinfacht ausgedrückt: Foucault wusste, dass auch in demokratischen Gesellschaften sehr schnell die Sprachpolizei einschreitet, wenn Akteure auf den großen Bühnen der politischen Diskussionen das „Falsche“ sagen. Miosga agiert als Sprachpolizistin. Haltekelle in der Hand und die Anweisung an Wagenknecht: Sofort rechts anhalten – wobei „rechts“ anzuhalten gar nicht gut ist.
Wagenknecht hat also ein böses Wort gebraucht: „Vasall“. Das passt nicht in die Wahrheit des Qualitätsjournalismus unserer Zeit, der sehr viel Kraft dafür aufbringt, die Öffentlichkeit glauben zu machen, die USA würden keinen Einfluss auf Deutschland nehmen. Miosga versucht, Wagenknechts Aussage zu skandalisieren. Und damit dokumentiert sie, wie intellektuell ausgehöhlt das Niveau im Mainstreamjournalismus mittlerweile ist. „Vasall“? Da gilt: Empörung.
1997 war im Spiegel übrigens noch unter der Überschrift „Die Treue des Vasallen“ Folgendes zu lesen: „Statt dessen rechnet auch Clinton lieber fest mit deutscher Vasallentreue in allen wichtigen Fragen.“ Weitere Beispiele hat Norbert Häring aktuell in diesem Artikel aufgeführt.
Deutsche „Vasallentreue“? So steht es im Spiegel. Auch wenn seitdem schon bald drei Dekaden vergangen sind: Miosga war damals alt genug, um den Spiegel gelesen zu haben. Gerade von einer der bestbezahltesten Journalistinnen des Landes darf man erwarten, dass sie Begriffe wie „souverän“ oder „Vasall“ herrschaftskritisch durchdeklinieren kann. Doch an den „Journalismus“ unserer Zeit hat man heute wohl besser gar keine Erwartungen mehr.
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