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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Bild-Zeitung und der „Neid auf Super-Deutschland“
Datum: 1. Februar 2012 um 9:08 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wichtige Wirtschaftsdaten
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Unter dieser Schlagzeile betreibt die Bild-Zeitung einmal mehr platte Regierungspropaganda und bejubelt Merkels „Meisterleistung“ auf dem EU-Gipfel in höchsten Tönen: „Starke Kanzlerin, starkes Deutschland“.
Dabei werden die Deutschen – leider nicht nur von Bild – wieder einmal an der Nase herumgeführt. Da werden einige willkürlich ausgewählte, durchaus zweifelhafte und dann auch noch geschönte Daten* für Deutschland zusammengestellt, die besser aussehen als in anderen Ländern. Doch selbst wenn die zitierten Statistiken zuträfen, muss man sich fragen, was haben die Deutschen vom „Super-Deutschland“, wenn es ihnen persönlich nichts bringt und mit dieser chauvinistischen Großmannssucht noch der Ast abgesägt wird, auf dem sie sitzen. Von Wolfgang Lieb.
Was zwar nicht den Neid aber den berechtigten Zorn anderer europäischer Länder auf das sich aufplusternde „Super- Deutschland“ weckt, das wird leider verschwiegen. Die Tatsache nämlich, das die deutsche Volkswirtschaft auf Kosten und zu Lasten der anderen Volkswirtschaften lebt.
Das zeigt schlaglichtartig die Entwicklung des Umsatzes im Einzelhandel in Deutschland.
Eine neueste Grafik der Deutschen Bundesbank über die Einzelhandelsumsätze des letzten Jahrzehnts belegt bis in die jüngste Zeit hinein, dass der Konsum in Deutschland (mit einigen wenigen Ausreißern) ständig gesunken ist. Im Dezember 2011 haben die Einzelhandelsunternehmen real 0,9 % weniger umgesetzt als ein Jahr zuvor.
Die Einzelhandelsumsätze drücken zwar nicht die gesamte Binnennachfrage aus, doch sind sie einer der wichtigsten Faktoren für die gesamte Volkswirtschaft. Dass der Einzelhandelsumsatz in konstanten Preisen selbst nach dem Weihnachtsgeschäft 2011 niedriger liegt als 1998 beweist, dass der ständig hoch gelobte Aufschwung der letzten beiden Jahre eben gerade nicht von der Inlandsnachfrage, sondern nach wie vor allem vom Export gestützt wurde und wird. D.h. die 3 Prozent Wirtschaftswachstum, die Bild voller nationalem Stolz nennt, resultieren im Wesentlichen aus dem Export in die europäischen Nachbarländer (deutsche Exporte in die EU-Länder = 60%).
Die Stärke der deutschen Wirtschaft speist sich maßgeblich aus der Schwächung der anderen europäischen Volkswirtschaften: Mit den Forderungen aus den exportierten Waren hat die deutsche Wirtschaft die Schulden der importierenden Nachbarländer erhöht. Und dadurch, dass z.B. in Italien nicht Fiat-Autos sondern deutsche Karossen gekauft wurden, konnten dort auch keine neuen Arbeitsplätze entstehen, so dass die Arbeitslosenquote dort nicht gesenkt werden konnte. Was wiederum den Schuldenstand des Staates erhöhte.
In der Bild-Zeitung, wird (selbstverständlich) der Chef des Arbeitgeber-Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) als „Top-Experte“ zitiert:
„Deutschlands Stärke ist gut für Europa! Je mehr unsere Wirtschaft wächst, umso größer sind die Impulse für die anderen. Wir sind die Einzigen, die den Laden derzeit im Gang halten“,
meint Michael Hüther.
Das ist eine bewusste Verdrehung der Tatsachen oder eine glatte Lüge: Die Deutschen kaufen nicht mehr und schon gar nicht von den anderen, die deutsche Volkswirtschaft lebt nach wie vor vielmehr davon, dass die anderen Länder deutsche Produkte kaufen. Die deutsche Wirtschaftspolitik sorgt also gerade nicht dafür, dass der Laden (Europa) in Gang gehalten wird, sondern umgekehrt dafür, dass der Laden noch weiter auseinanderfliegt.
Dass die Einzelhandelsumsätze und damit die Binnennachfrage bei uns nicht steigen, hat einen einfachen Grund: Die Leute können eben nicht für mehr Geld konsumieren, als sie in der Tasche haben. Seit den Neunzigerjahren verringern sich die Reallöhne (Reallohn = Bruttolohn minus Preissteigerung) in Deutschland, die von der Binnennachfrage abhängenden Branchen sind dabei besonders betroffen.
Thorsten Hild Herausgeber des Blogs „Wirtschaft und Gesellschaft“ hat dankenswerter Weise die Entwicklung der Brutto- und Reallöhne in einer Grafik abgebildet:
Es ist gut erkennbar, dass seit 2000 selbst die Bruttolöhne meistens unter der Preissteigerung lagen, die Arbeitnehmer also unter dem Strich, real, weniger Geld im Portemonnaie hatten.
Da konnten die Pulsfühler des Konsums zum Jahresende noch so viel über den „Aufwärtstrend des Konsumklimas“ fabulieren und die Anwerber für die Kaufhauskassen konnten noch so sehr das Maul über die „Kauflaune der Verbraucher“ aufreißen, mehr als die Masse der Menschen verdient, kann sie (jedenfalls auf Dauer) eben auch nicht ausgeben. Da trifft Merkels Weltbild von der „schwäbischen Hausfrau“ wirklich einmal zu.
Wer also jetzt den Eindruck erwecken will, Deutschland würde mit seinen tollen Vergleichswerten den europäischen „Laden in Gang halten“ und wir seien geradezu die „Wachstumslokomotive“ für Europa (so Finanzminister Schäuble), der versteht entweder nichts von wirtschaftlichen Zusammenhängen oder – was wohl eher zutreffen dürfte – er betreibt systematische Irreführung. Wer nichts für die Binnennachfrage tut und nur auf die Nachfrage der anderen setzt, der kann keine Lokomotive sein.
Über diese Irreführung könnte man vielleicht noch hinwegsehen, zum Selbstbetrug wird diese allerdings, wenn man – wie die Kanzlerin – auch noch allen anderen europäischen Ländern Konsumverzicht diktiert. Indem nämlich Merkel einen Sparkurs durchsetzt, mit dem überall in Europa die Löhne gesenkt und die Steuern erhöht werden und notwendigerweise die Arbeitslosigkeit explodiert. Damit muss nämlich letztlich auch die Nachfrage auch nach deutschen Waren sinken. Der Export, der derzeit noch „unsere Stärke“ ausmacht, wird also schwächeln. Der Bundesadler mit seinen „Muckis“ (so Bild) dürfte, wenn dieser Wahnsinn weiter Methode bleibt, bald so abgemagert sein, wie die Pleitegeier, die über den anderen europäischen Ländern schweben.
Es sei denn, in Deutschland tut man endlich etwas für höhere Löhne und damit auch für eine Stärkung der Binnennachfrage auch nach Waren unserer von uns durch unser Lohndumping niederkonkurrierten europäischen Nachbarn.
*P.S.:
Quelle: Statista
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