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Titel: Autoland ist abgebrannt

Datum: 4. September 2024 um 12:51 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ökonomie, Verkehrspolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Deutschlands größter Industriekonzern schwächelt. Auch wenn der Gesamtkonzern nach wie vor sagenhafte Gewinne erwirtschaftet, ist die Rentabilität der Kernmarke VW in den letzten Jahren förmlich erodiert. Nun sind zum ersten Mal in der Konzerngeschichte Werkschließungen in Deutschland und Kündigungen an deutschen Standorten geplant. Auch wenn Managementfehler ein Grund für die Krise sind, waren es vor allem politische Entscheidungen in Berlin und Brüssel, die dem Autobauer nachhaltig zusetzen. Doch VW ist nicht der einzige Autobauer, der massive Probleme hat. Dem Automobilsektor, einst ein Zugpferd der deutschen Volkswirtschaft, drohen am Standort Deutschland, die Lichter auszugehen. Die Deindustrialisierung des Landes nimmt Fahrt auf. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer den einen Grund sucht, warum der einst hochprofitable Autobauer VW seine Renditeziele nicht mehr erreichen kann, der sucht vergebens. Die Gründe für den Niedergang des alten Geschäftsmodells sind vielschichtig und größtenteils direkte und indirekte Folgen politischer Fehlentscheidungen. Werfen wir doch mal einen Blick auf drei maßgebliche Faktoren, die sowohl auf der Angebots-, als auch auf der Nachfrageseite eine wichtige Rolle für die Krise spielen.

Faktor 1: Elektromobilität

Das wohl größte Problem, mit dem sich deutsche Automobilhersteller derzeit konfrontiert sehen, ist die Elektromobilität. 2034 soll nach Vorgaben der EU der letzte Verbrenner vom Band laufen, ab 2035 sollen in der EU nur noch Autos verkauft werden dürfen, die im Betrieb klimaneutral sind. Das ginge – zumindest theoretisch – mit alternativen Brennstoffen, die in modifizierten Verbrennermotoren eingesetzt werden. Dazu zählen neben Wasserstoff (Brennstoffzelle) auch die sogenannten E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, die mit Strom hergestellt wurden. Das Problem: Diese alternativen Brennstoffe weisen im Vergleich zu direkt mit Strom betriebenen Autos einen deutlich schlechteren Wirkungsgrad auf und sind wohl bis 2035 meist noch nicht marktreif. Es gibt aber auch Vorteile, da alternative Brennstoffe über das traditionelle Tankstellennetz vertrieben werden könnten und in puncto Rohstoffsicherheit und Lieferketten dem massenhaften Einsatz von Batterien in reinen E-Autos überlegen sind. Doch um diese sehr vielschichtige Debatte mit zahlreichen Pros und Contras soll es an dieser Stelle nicht gehen[1]. Die derzeitigen Richtlinien der EU-Kommission samt ihrer Deadlines lassen den Automobilbauern keine Alternative, als bereits jetzt voll auf die baldige Ausmusterung ihrer Verbrennermotoren und den Umstieg auf Elektroantriebe mit Batteriespeichern zu setzen. Und das ist gerade für deutsche Hersteller ein großes Problem.

Das Alleinstellungsmerkmal deutscher Hersteller war stets deren großes Know-How in der Antriebstechnologie. Für Konkurrenten aus Ländern wie China wäre es schwer bis unmöglich, den technischen Vorsprung in kürzerer Zeit aufzuholen. Bei E-Autos sieht dies jedoch anders aus. Hier ist die Konkurrenz aus China den deutschen Anbietern in vielen Bereichen – vor allem bei Autos im unteren Preissegment – bereits voraus. Nun kann man sagen, dass es ein strategischer Fehler des Managements deutscher Autokonzerne war, zu spät und zu halbherzig auf das Thema E-Mobilität zu setzen. Doch das wäre zu kurz gesprungen. In der deutschen Politik gibt es spätestens seit der Regierungsbeteiligung der Grünen zwar den unbedingten Willen zur Mobilitätswende – der dafür nötige Umbau der Infrastruktur ist jedoch nicht erfolgt. Wo man auch hinschaut, es fehlen Ladesäulen und sowohl im städtischen als auch im ländlichen Bereich ist das Stromnetz ohnehin nicht in der Lage, die nötigen Kapazitäten für einen flächendeckenden Betrieb von Schnellladesäulen, die mindestens 300 kW Ladeleistung haben, zu gewährleisten. Zur Erinnerung – die diesbezügliche DIN-Norm sieht für Haushaltsanschlüsse eine Leistung von 14,5 bzw. 34kW vor und vereinzelte Schnellladesäulen auf ein, zwei Supermarktparkplätzen reichen nicht aus, wenn das ganze Land auf E-Mobilität umstellen soll.

Die nicht vorhandene Infrastruktur und die bauartbedingt höheren Preise sind auch der Grund, warum sich E-Autos in Deutschland so schleppend verkaufen. Trotz hoher Rabatte wurden im Juli in Deutschland nur 30.762 E-Autos verkauft – das ist mehr als ein Drittel weniger als im Vorjahresmonat. Im August lag der Rückgang – wie es gerade eben über den Ticker lief – sogar bei 69 Prozent. Zum Vergleich: Im Juli wurden 43.107 Fahrzeuge mit Dieselantrieb, 79.870 Fahrzeuge mit Hybridantrieb und 83.405 Benziner zugelassen.

Nun haben aber Konzerne wie VW viele Milliarden Euro in die E-Mobilität investiert. Da die daraus entstandenen Produkte sich aber kaum – und wenn, dann nur mit sehr hohen Rabatten – verkaufen, drücken sie natürlich auf die Gesamtmargen und das Konzernergebnis. Dass VW also vergleichsweise schlechte Ergebnisse erzielt, liegt auch – und vor allem – an der schleppend verlaufenden Mobilitätswende, und dass die Mobilitätswende so schleppend verläuft, ist auch – und vor allem – Schuld der Politik.

Faktor 2: Energiekosten

Ein weiteres Kernproblem deutscher Automobilhersteller sind die steigenden Kosten. Deutsche Autos waren schon immer auch in der Herstellung etwas teurer als die Konkurrenz aus anderen Ländern, aber der „Deutschland-Aufschlag“ war immer noch im Rahmen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Durch die Russlandsanktionen sind die Energiekosten massiv gestiegen. Vor allem der Industriestrompreis spielt hier eine entscheidende Rolle. Lag der vor den Sanktionen noch bei 15 bis 18 Cent pro kWh, explodierte er 2022 auf ganze 43,20 Cent und lag im letzten Jahr bei 24,46 Cent pro kWh. In diesem Jahr ist der Preis übrigens wieder auf Vorkriegsniveau – jedoch nur, weil er derzeit durch den Wegfall der EEG-Umlage und der Stromsteuer massiv subventioniert wird. Doch diese Subventionen werden irgendwann auslaufen. Auf das Betriebsergebnis der Automobilhersteller drücken die hohen Energiepreise gleich doppelt – direkt durch die höheren Kosten bei der eigenen Produktion und indirekt, da sie Preisbestandteil der zugekauften Teile sind, die man von Zulieferern bezieht.

Der Standort Deutschland ist damit noch teurer geworden und es wird immer attraktiver, die eigene Produktion und die Produktion der Zulieferer in Länder zu verlagern, in denen die Energiekosten niedriger sind. Der „Deutschland-Aufschlag“ ist durch die Sanktionen erheblich gestiegen und lässt sich immer schwerer auf dem Markt über den Verkaufspreis wieder reinholen. Das betrifft vor allem den Massenhersteller VW, dessen Produktionsanteil aus deutscher Herstellung immer noch sehr hoch ist und der sich zudem in einem Marktumfeld bewegt, in dem die Konkurrenz durch Hersteller, die in Ländern mit niedrigeren Energiepreisen produzieren, besonders groß ist. Daher ist es auch kein Wunder, dass die Kernmarke VW im Gesamtkonzern besonders ertragsschwach ist.

Faktor 3: Absatzmärkte

All diese Probleme wären ärgerlich, aber nicht existenzbedrohend, wenn VW beim Verkauf an der Preisschraube drehen und damit die Margen halten könnte. Doch das ist nicht so. Auf dem heimischen Markt fehlt den Kunden schlicht das nötige Geld. Die Inflation – vor allem durch steigende Energiekosten durch die Sanktionen – und auch die gestiegenen Zinsen – eine Fehlentscheidung der EZB wegen der steigenden Energiekosten – lassen vielen Kunden ganz einfach nicht den finanziellen Spielraum, sich einen teuren Neuwagen von VW zu kaufen. Man greift zur preiswerteren Konkurrenz oder schiebt die Investition noch hinaus und fährt seinen alten Wagen halt länger. Und wenn VW Autos verkauft, dann müssen die Händler meist hohe Rabatte einräumen. Wir haben es mit Überkapazitäten auf dem Markt zu tun und die führen nun einmal zu niedrigeren Margen. Das ist nicht überraschend.

Gerade für VW kommt verschärfend hinzu, dass auch viele traditionelle Absatzmärkte im Ausland schwächeln. Die Kaufkraft in der gesamten EU und auch in den USA ist zurückgegangen und der ehemalige Umsatz- und Margenretter China schwächelt ebenfalls und hier kommt verschärfend hinzu, dass VW gerade bei den E-Autos im mittleren Preissegment, die ja das Portfolio der Konzernmarke VW bilden, gegen die chinesische Konkurrenz immer weiter zurückfällt. Da haben es Marken, die im Hochpreissegment angesiedelt sind, leichter, da die Wohlhabenden sowohl in Deutschland als auch in anderen Absatzmärkten durchaus in der Lage und gewillt sind, die Margen der Hersteller zu sichern. So kann es auch nicht verwundern, dass die zum VW-Konzern gehörende Marke Porsche die margen- und ertragsstärkste Tochter ist. Aber das nutzt den Arbeitern in den deutschen VW-Werken wenig, da der Gesamtkonzern eine Querfinanzierung kritisch sieht und gerne auch die Kernmarke VW wieder in höhere Gewinnzonen bringen würde.

Die Politik interveniert wieder einmal genau auf der falschen Seite

Die Krise von VW ist ein Politikum. Der Konzern ist nicht nur Deutschlands größter Industriekonzern, sondern auch das Aushängeschild des Standortes. Hinzu kommt, dass das Land Niedersachsen mit 20 Prozent VWs größter Einzelaktionär ist und gerade in Niedersachsen die Wirtschaftskompetenz der Landesregierung auch und vor allem daran bemessen wird, wie es VW und den vielen Zulieferern im Umfeld des Konzerns geht. Nun könnte die Politik VW nachhaltig helfen, indem sie auf die oben genannten drei Probleme eingeht. Sie könnte die Mobilitätswende samt Verbrennerverbot abschwächen oder einen realistischeren zeitlichen Rahmen definieren, der die Marktreife alternativer Brennstoffe und Antriebskonzepte als Alternative zur reinen E-Mobilität vorsieht. Das wird ohnehin kommen, da 2035 ein viel zu ambitioniertes Ziel ist, und die offenen Probleme mit der Infrastruktur und den Lieferketten eine Verschiebung sehr wahrscheinlich machen.

Die Politik könnte auch auf der Kostenseite Hilfestellung bieten – indem sie dafür sorgt, dass die Energiekosten sinken. Das wäre problemlos möglich, wenn man die Sanktionen gegen Russland aufhebt und wieder preiswertes Erdgas importiert, wodurch auch der Strompreis deutlich sinken würde. Das hätte den – auch für VW – angenehmen Nebeneffekt, dass dies auch bei den möglichen Käufern das Budget verbessern würde und man mehr Autos mit geringeren Rabatten verkaufen könnte.

Doch diese Lösungen – so einfach und logisch sie sind – stehen natürlich nicht auf der Agenda der Ampel. Stattdessen wird die Bundesregierung heute beschließen, Steuervorteile von mehr als 600 Millionen Euro als Subventionen an Unternehmen auszuschütten, die E-Autos als Dienstwagen einsetzen. Hinzu kommt eine Anhebung des Preisdeckels bei der Dienstwagenbesteuerung für E-Autos – hier wird der alte Listenpreis von 70.000 auf 95.000 Euro angehoben. So kommen nun auch Manager und leitende Angestellte in den Genuss von Steuererleichterungen, die sich von ihrem Arbeitgeber ein besonders hochpreisiges E-Auto spendieren lassen. Bezahlt werden diese Subventionen vom Steuerzahler. Der Hilfsarbeiter mit seinem alten Diesel zahlt, der Manager mit seinem Tesla kassiert – so sieht es wohl aus, wenn Grüne und FDP zu einem Kompromiss kommen.

Schwarze Wolken am Horizont

VW wird nicht der letzte deutsche Automobilhersteller sein, der Werke schließt und Arbeiter entlässt. Trotz (noch) guter Geschäftsergebnisse zieht sich der Himmel über dem Automobilstandort Deutschland schon länger zu. Neben BMW und Mercedes haben eigentlich alle Automobilhersteller mit sinkendem Absatz und noch stärker sinkenden Margen zu kämpfen. Bislang konnte man dies zumindest zum Teil einfach an die Zulieferer weiterreichen, die ihrerseits bereits seit Jahren in eine existenzbedrohende Krise rutschen. Continental und ZF haben bereits angekündigt, Werke in Deutschland zu schließen und sie werden nicht die letzten sein. Autoland ist abgebrannt.

Diese Entwicklung kann jedoch nicht überraschen. In der allgemeinen Deindustrialisierung waren die Automobilhersteller wohl die letzten Dinosaurier des „alten Deutschlands“. Ihre Produkte sind zwar beim Kunden beliebt, aber auch sehr teuer und gerade bei der finanzkräftigen Klientel, die sich derlei Produkte leisten könnte, aber auch rein statistisch überproportional häufig grün wählt, mehr und mehr verpönt. Ja, es gibt sie immer noch – die „Soccer Moms“ vom Prenzlauer Berg, die grün wählen und ihre Kinder mit dem E-SUV zur Schule bringen. Die Zeiten, in denen man als Besserverdiener mit seinem hochpreisigen und noch höher motorisierten Gefährt in der Peer Group angeben kann, sind jedoch vorbei. Und dem gemeinen Volk, das seinen wirtschaftlichen Status immer noch gerne über schicke Autos präsentiert, fehlt mehr und mehr das Geld. Wärmepumpen und hohe Energiepreise lassen da oft keinen Spielraum mehr für neue Autos aus deutscher Produktion. Die Zeiten für VW und Co. werden hart. Die nun angekündigten Werkschließungen werden sicher nicht die letzten bleiben.

Die Zukunft ist düster. Als das Auto erfunden wurde, waren Pferde das Transportmittel Nummer Eins – bei den Eliten und dem einfachen Volk. Pferde werden heute immer noch gezüchtet und verkauft; aber nicht als Transportmittel und schon gar nicht für das einfache Volk, sondern als kostspieliges Hobby für meist Wohlhabende. Ähnlich wird es dem Verbrennungsmotor wohl auch ergehen.

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Titelbild: Ilari Nackel/shutterstock.com


[«1] * Anmerkung Jens Berger: Ich weiß, dass dieses Thema einige unserer Leser von „beiden Seiten“ besonders triggert. In diesem Artikel will ich die technischen Details zu E-Autos und E-Fuels sowie Wasserstoff nur sehr grob anreißen. Sie müssen mir also keine ausführlichen Leserbriefe dazu schreiben; können das aber, wenn Sie mögen, natürlich dennoch tun.


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