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Titel: Andi im Funkloch – Wie ein Digitalminister Deutschlands Digitalisierung ausbremste

Datum: 30. August 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Drehtür Politik und Wirtschaft, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Lobbyismus und politische Korruption
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Die Vergabe der 5G-Frequenzen im Jahr 2019 war rechtswidrig. Das hat das Kölner Verwaltungsgericht entschieden. Das Verfahren sei Ziel direkter politischer Einflussnahme und Vertreter der eigentlich unabhängigen Bundesnetzagentur wären befangen gewesen, urteilten die Richter. Ins Visier nehmen sie im Speziellen Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer: Der hat demnach alles darangesetzt, dass die drei Riesen Telekom, Vodafone und O2 das Rennen machen – zum Nachteil kleiner Anbieter und der Verbraucher. Das passt zu ihm, findet Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Mann ist ein Phänomen. Schon lange nicht mehr in Amt und Würden, Anfang April aus dem Bundestag ausgeschieden, und dennoch: Andreas Scheuer wirkt immer noch, quasi post officium und wie immer zum Schaden der Allgemeinheit. Da bleibt er sich und den Millionen von ihm Angeschmierten treu, der wackere Niederbayer, dessen verkorkste „Ausländermaut“ den Steuerzahler an die 300 Millionen Euro gekostet und für die er allerhand Prügel bezogen hat, wenngleich keine, die ihm wirklich wehgetan hätte. So etwas steckt er weg, der Andi, so wie die zig anderen Watschen wegen der zig anderen Skandale, Peinlich- und Schäbigkeiten, die er sich in all den Jahren geleistet hat.

Nun setzt es also die nächste „schallende Ohrfeige“, die nächste „unglaubliche Klatsche“ für den CSU-Bundesverkehrsminister a. D., dessen plötzliches Ade zum Politzirkus ihn den Menschen im Land irgendwie doch nicht erspart hat. Diesmal geht es gar um 6,6 Milliarden Euro, die er in seiner ministeriellen Schaffenszeit der Telekom, Vodafone, Telefónica und Drillisch abgetrotzt hat – bei der Versteigerung der 5G-Mobilfunkfrequenzen anno 2019.

Stolz wie Bolle

Selbstredend war Scheuer damals stolz wie Bolle, dem Staat so viel Zaster beschafft zu haben. Wen scheren da die paar verdaddelten Mautmilliönchen? Jedenfalls hatten Fachleute seinerzeit mit einem Erlös von drei, höchstens fünf Milliarden Euro gerechnet. Was freute sich da der „Digitalminister“ aus Passau: Das Geld werde den Netzausbau „entscheidend voranbringen“, schwärmte er damals. Und die Auflagen, die man den Bietern gemacht hätte, kämen vor allem dem ländlichen Raum zugute.

Zum Beispiel verpflichteten sich die Sieger dazu, bis Ende 2022 jeweils 98 Prozent der Haushalte in jedem Bundesland mit mindestens 100 Megabit pro Sekunde im Download zu versorgen. Nun ja. Fast zwei Jahre später sind die Vorgaben natürlich nicht umgesetzt. Gewuppt haben die Anbieter zwischen 92 und 96 Prozent. Was die Fläche angeht, schwanken die Werte der großen Drei zwischen 66 und 81 Prozent. Das ist nicht viel, aber immer noch besser als die Performance von 1&1 (Drillisch). Dessen 5G-Netz deckte im April 0,3 Prozent des Bundesgebiets ab – Chapeau! Seinen Hut musste von den politischen Wegbereitern deshalb noch keiner nehmen, schon gar nicht Scheuer. Wie auch? Der hat sich ja eh schon mit Zielrichtung Wirtschaft verdünnisiert.

Platz frei für die Platzhirsche

Dabei war die Entwicklung absehbar beziehungsweise hausgemacht. Bei der Auktion ging nämlich nicht alles mit rechten Dingen zu, oder eigentlich so gut wie gar nichts, wie das Verwaltungsgericht (VG) Köln am Montag in einem krachenden Urteil festgestellt hat. Darin ist die Rede von „Befangenheit“, „Einflussnahme“ oder „massivem Druck“, der ausgeübt worden sei. Namentlich geschah dies seitens des früheren Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) auf die Bundesnetzagentur (BAetzA), die qua Gesetz eigenständig und selbstbestimmt über die Vergabe der Mobilfunkfrequenzen hätte beschließen müssen.

Von wegen: „Das BMVI versuchte während des gesamten Vergabeverfahrens im Jahr 2018 in erheblicher Weise, auf die Entscheidungen der Präsidentenkammer Einfluss zu nehmen, indem es sich für strengere Versorgungsverpflichtungen einsetzte“, befanden die VG-Richter. Der Vorwurf klingt nur scheinbar löblich, denn das Dringen auf bindende Ausbauziele – die in der Rückschau ohnedies verfehlt wurden – war für das Scheuer-Ministerium nur ein Hebel, kleinere Bieter aus dem Spiel zu nehmen. Tatsächlich wollte die Regierung ganz gezielt nur die Platzhirsche zum Zug kommen lassen, die zum damaligen Zeitpunkt bereits über eine eigene Netzinfrastruktur verfügten und den Markt weitgehend unter sich aufgeteilt hatten, also Telekom, Vodafone und O2 (Telefónica).

Wettbewerbsverzerrung mit Ansage

Kleine Firmen hätten aber durchaus auch ohne Netz mitmischen können, indem sie Kapazitäten mieten und dabei, weil das weniger Kapital erfordert, in der Regel sogar für den Verbraucher günstigere Angebote als die Großen auflegen können. Tatsächlich hatte die BNetzA dafür im Jahr 2000 die sogenannte Dienstanbieterverpflichtung ins Leben gerufen – mit der ausdrücklichen Ansage, dadurch den Wettbewerb und die Zahl der Anbieter zu erhöhen. Im Zentrum steht dabei ein Diskriminierungsverbot, das es den Netzbetreibern untersagt, Markteilnehmer schlechterzustellen als den Eigenvertrieb. Zu diesem Zweck müssen die Netze zu regulierten Großhandelspreisen zur Verfügung gestellt werden und eben nicht zu willkürlichen Mondpreisen, um sich die Konkurrenten vom Leib zu halten.

Zur 5G-Auktion vor fünf Jahren wurde diese Bestimmung allerdings kurzerhand kassiert. Übrig blieb eine „Diensteanbieterregelung“, die die Big Player bloß noch dazu anhält, mit Wettbewerbern ohne Netzinfrastruktur über die Mitnutzung von Funkkapazitäten verhandeln zu müssen, mehr aber nicht. In der Konsequenz kommen kleine Anbieter in Sachen 5G bis heute kaum vom Fleck, weil sie der Preispolitik der Netzbeherrscher ausgeliefert oder komplett aus dem Netz ausgesperrt sind. Hierin liegt sowohl die Ursache für die im internationalen Vergleich sehr hohen Mobilfunkosten in Deutschland als letztlich auch den schwächlichen Netzausbau. Wo der Druck durch die Konkurrenz fehlt, fehlt auch der für teure Investitionen.

Sachwidriges Nebenverfahren“

Bemerkenswert ist einmal mehr die Rolle, die Scheuer bei all dem spielte. In der Gerichtsmitteilung ist dieser zweimal namentlich aufgeführt, einmal im Zusammenhang mit diversen Treffen zwischen Mitgliedern der Präsidentenkammer der Netzagentur, ihm selbst sowie seinen Kabinettskollegen Peter Altmeier und Helge Braun (beide CDU). Dabei sollen die BNetzA-Vertreter „nachdrücklich“ zu Änderungen des ursprünglichen Konsultationsentwurfs aufgefordert und ein „Fünf-Punkte-Plan“ zur Sicherstellung der im Koalitionsvertrag der Großen Koalition enthaltenen Ziele im Bereich Mobilfunk übergeben worden sein. Die „mangelnde Transparenz“ dieser und anderer Vorgänge, „ließ für die am Vergabeverfahren beteiligten Kreise den Eindruck eines politischen und damit für die Frequenzversteigerung sachwidrigen ‚Nebenverfahrens‘ entstehen“, heißt es weiter.

Ans Licht kamen die Machenschaften durch auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes offengelegte Dokumente aus dem BMVI, Wirtschaftsministerium und Bundeskanzleramt. Antragsteller waren die beiden Unternehmen EWE Tel und Freenet, die sich über Jahre durch alle Instanzen bis hoch zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geklagt haben, von wo der Fall im Oktober 2021 wieder zurück nach Köln verwiesen wurde. Dessen Entscheid lässt keine Fragen offen: „Die Präsidentenkammerentscheidung ist formell rechtswidrig. Die konkrete Verfahrensgestaltung der Präsidentenkammer begründet gegenüber allen drei Mitgliedern die Besorgnis der Befangenheit.“ Hierfür reiche schon der „böse Schein“. Dieser könne sich auch daraus ergeben, „dass sich die Verfahrensgestaltung des Amtswalters so weit von den anerkannten rechtlichen Grundsätzen entfernt, dass für den davon betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung entsteht“.

Pionierarbeiter

Für seine reichlich große Distanz zu rechtsstaatlichen und solchen Grundsätzen, die Sitte, Anstand und politische Hygiene gebieten, war Scheuer ja schon hinlänglich bekannt. Dass er nach seinen zahllosen Verfehlungen im Amt nun auch dafür mitverantwortlich zeichnet, dass in vielen Teilen der BRD noch immer riesige Funklöcher gähnen und die Preise fürs Surfen nicht fallen wollen, ist eine nette Stilblüte mehr, aber keine echte Überraschung – so wenig, wie es eine Neuigkeit ist, dass beim Regeln- und Gesetzemachen die (finanz)stärksten Interessen das Zepter schwingen. Andere wie etwa Jens Spahn (CDU), Karl Lauterbach (SPD), Volker Wissing (FDP) und viele mehr haben beim Hofieren der Lobbyisten ähnlich verlässlich abgeliefert. Scheuer war jedoch derjenige, der seine Ergebenheit gegenüber den wirklich Mächtigen mit maximaler Schamlosigkeit demonstrierte. Damit hat er für seine Brüder und Schwestern im Geiste fraglos neue Maßstäbe gesetzt – knapp über der Grasnarbe.

Bisher ist er mit seinem Treiben prächtig durchgekommen. Für die Schäden durch die vermasselte PKW-Maut nimmt ihn die Ampel nicht in Regress. Nur wegen möglicher Falschaussagen im Maut-Untersuchungsausschuss steht ihm vielleicht noch Ungemach ins Haus. Von besagtem Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft heißt es seit Monaten, es stünde „kurz vor einer Entscheidung“. Angeblich soll Scheuer sogar eine Haftstrafe drohen. Man hegt Zweifel daran.

Auf ein Altes

Und was wird aus der verschobenen 5G-Vergabe? Falls die Beklagten nicht in Revision gehen, die sie durch erfolgreiche Beschwerde gegen deren Nichtzulassung erzwingen könnten, wird der fragliche Präsidentenkammerbeschluss aufgehoben und die Bundesnetzagentur verpflichtet, „die Anträge der Klägerinnen auf Aufnahme einer Dienstanbieterverpflichtung neu zu bescheiden“. Das könnte dauern. Und während das Bundesverkehrsministerium das Urteil prüfen will und mit dem Finger auf die alte Regierung zeigt, verlautet von der Bundesbehörde, „wir erwarten keine negativen Auswirkungen auf den weiteren zügigen Ausbau der Mobilfunknetze in Deutschland“.

Wie noch lautet eine Rüge der VG-Richter? Die BNetzA habe ihre Unabhängigkeit „nicht ausreichend aktiv geschützt“, indem sie „die ministeriellen Einflussnahmeversuche weder auf Ebene der Ministertreffen noch auf Facharbeitsebene unterbunden hat“. Soso. Anfang Juli berichtete Netzpolitik.org, bei der nächsten Vergaberunde von Mobilfunkfrequenzen im Herbst werde es keine Versteigerung mehr geben. Vielmehr wolle die Netzagentur die bestehenden Nutzungsrechte gegen Erfüllung strengerer Auflagen beim Netzausbau um fünf Jahre verlängern.

Bei einem Preis von veranschlagten 600 Millionen Euro wäre das für die Marktführer ein Schnäppchen. Ach ja: Fast schon selbstredend soll die vor fünf Jahren annullierte Dienstanbieterverpflichtung nicht reaktiviert werden. Verbraucherschützer und Branchenverbände machen Front gegen die Pläne. Und ewig grüßt das Murmeltier.

Titelbild: Andreas Scheuer auf Instagram


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