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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Totaler Fehlschlag der Sanktionsaggression
Datum: 29. August 2024 um 14:09 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Albrecht Müller
Der folgende Text stammt von Dmitrij Ljubinskij, dem Botschafter Russlands in Österreich. Lesenswert. Zur Einführung zitieren wir den letzten Absatz: „Sämtliche Analysen, auch westliche, belegen, dass Sanktionen ihre Ziele in jeglicher Hinsicht verfehlen. Nichtsdestotrotz scheint der Westen mit einer Beharrlichkeit, die eine bessere Anwendung verdient hätte, daran festzuhalten. Die Verantwortung liegt bei einem engen Kreis von Entscheidungsträgern, für die die Folgen der scheinbar endlosen Sanktionsspirale irrelevant zu sein scheinen. Einfache Bürger und die Geschäftswelt sind dabei aber immer die Leidtragenden. Am Ende werden aber sie es sein, die für die gescheiterte, gedankenlose Politik die Rechnung ausstellen werden.“ Albrecht Müller.
Beitrag von Dmitrij Ljubinskij, Botschafter Russlands in Österreich
In seinem Bestreben, der Weltgemeinschaft seinen Willen aufzusetzen, greift der kollektive Westen stets aggressiv auf seine geliebte Peitsche zurück – völkerrechtswidrige Sanktionen. Dabei wird Internationales Recht durch nationale, administrative oder gerichtliche Systeme eines oder mehrerer Länder ausgehebelt und Entscheidungen minderheitlicher Staatenvereinigungen de facto über das Völkerrecht gestellt.
Die USA nennen es „regelbasierte Weltordnung“ – ein dreister Versuch der Unterminierung der multilateralen Diplomatie. Großangelegte Desinformationskampagnen, die Schaffung restriktiver und attributiver Mechanismen unter dem Deckmantel von „Multikulturalismus“ sind Merkmale eines solchen Systems. Der Rest der Weltgemeinschaft wird dann aufgefordert, solchen „abgestimmten“ Entscheidungen stumm zu folgen, die als „einheitliche Meinung“ ausgegeben werden. Diejenigen, die sich weigern, haben Sanktionen bzw. andere Strafmaßnamen zu entnehmen. Die Ziele einer solchen Politik sind klar: den Übergang zur gerechten multipolaren Weltordnung zu verhindern.
Sanktionen, die ohne den Beschluss des UN-Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII der UN-Charta verhängt werden, sind völkerrechtswidrig und gefährden die allgemein anerkannten Prinzipien der internationalen Zusammenarbeit. Dies ist besonders in den Bereichen sensibel, wo ein koordiniertes Zusammenwirken der Weltgemeinschaft essenziell ist (Terrorismusbekämpfung, Nichtverbreitung von Nuklearwaffen, Bekämpfung von Cyberkriminalität u s.w.).
Die Anwendung von rechtswidrigen einseitigen Einschränkungen, besonders im Fall „sekundärer Sanktionen“, oder die exterritoriale Anwendung von nationalen Regelungen, stellen eine Verletzung der Staatenhoheit souveräner Länder dar und sind eine klare Einmischung in deren inneren Angelegenheiten. Zu erinnern ist dabei an die Erklärung der UN-Generalversammlung über die Unzulässigkeit der Intervention in die inneren Angelegenheiten der Staaten und über den Schutz ihrer Unabhängigkeit und Souveränität (21. Dezember 1965), die festlegt, dass „kein Staat das Recht hat, wirtschaftliche, politische Maßnahmen oder Maßnahmen anderen Charakters zum Zwang eines anderen Staates zur Ausübung seiner souveränen Rechte anzuwenden oder zu unterstützen“. Punkt 4 dieser Erklärung besagt, dass die strikte Einhaltung dieses Prinzips eine essenzielle Bedingung der Gewährleistung eines friedlichen Zusammenlebens der Nationen darstellt.
Rechtswidrige einseitige Sanktionen sind auch ein äußerst gefährliches Mittel des unlauteren Wettbewerbes. Sie richten sich gegen empfindliche Sektoren der Wirtschaft, erschweren den Zugang zu Finanzressourcen, Dienstleistungen und Technologien. Sie bremsen die Entwicklung eines offenen und gerechten Systems der wirtschaftlichen Beziehungen.
So bewirkten die präzedenzlosen komplexen antirussischen Sanktionen eine Verlangsamung der globalen Wirtschaftsentwicklung. Die restriktiven Maßnahmen der westlichen Länder gegen Russland führten zu einem Ungleichgewicht in den internationalen Produktionsketten, sie verursachen die Umleitung von Investitions- und Produktionsströmen, erschwerten vielen Ländern den Zugang zu Waren, Finanzen und Technologien.
Die negativen Folgen der Einschränkungen des kollektiven Westens haben sich selbst gegen die Anwendenden gerichtet. Das Wirtschaftswachstum der westlichen Länder wird 2024 nicht 1,5% überschreiten. Besonders schwer trifft es Europa. Nach Einschätzungen des IWF wird das BIP der EU 2024 um nicht mehr als 1,1% wachsen. Die Stagnation der europäischen Wirtschaft hängt mit dem erschwerten Zugang zu Kreditressourcen vor dem Hintergrund hoher Prozentsätze, dem Exportrückgang und den hohen Preisen für Energieträger zusammen.
Nach Eurostat-Berechnungen hat die EU nach Einführung der Russland-Sanktionen rund 200 Milliarden Euro für Gas überbezahlt. Heuer müssen die Europäer im Schnitt pro Monat für Gas 15,2 Milliarden Euro hinblättern, waren es 2021 nur 6 Milliarden. Der Gesamtschaden im Zusammenhang mit der Abkehr von russischem Gas für die EU übersteigt bereits nach einigen Einschätzungen 1,5 Billion US-Dollar. Die Energiekrise und Dekarbonisationspolitik wird für Europa bald auch die Deindustrialisierung bedeuten. Österreich ist hier keine Ausnahme. Seit mehr als einem Jahr erwirtschaftet der produzierende Bereich hierzulande Monat für Monat weniger Umsatz als im Vorjahr – und der Abwärtstrend hält weiter an. Z.B. im März 2024 lag der Umsatz in Industrie und Bau einer ersten Schätzung zufolge um 17,2 % unter dem des Vorjahresmonats.
Die Hauptnutznießer dieser Situation sind zweifellos die USA. Geschickt nutzen sie die „Solidarität“ der Europäer zu ihren Gunsten aus. Nicht nur an den milliardenschweren Waffenverträgen, auch an den Verkäufen von überteuertem LNG-Gas (für inzwischen insgesamt 53 Milliarden Euro) an ihre „Verbündeten“ verdienen sie sich eine goldene Nase. Die hohen Energiekosten wiederum stimulieren die Umsiedlung der Produktionsstandorte aus dem konkurrenzschwachen Europa in die USA und Drittländer.
Experten gehen davon aus, dass die bestehenden geopolitischen Risiken zu einem weiteren Anstieg der Energiepreise in der EU führen und auch die Lebensmittelpreise noch weiter in die Höhe schnellen lassen könnten. Diese Teuerung spürt der österreichische Endverbraucher bereits jetzt beim Einkaufen im Supermarkt. Ein Kilo Erdäpfel kostete hierzulande etwa im Dezember 2023 ganze 46% mehr als ein Jahr zuvor, ein Liter Sonnenblumenöl 99%, ein Kilo Mehl 88% – so die trockenen Zahlen.
Einen beträchtlichen Beitrag zu diesem Preisanstieg leisten die von der EU eingeführten Einschränkungen gegenüber der russischen Landwirtschaft und Düngemittelindustrie. Restriktionen im Transport und Versicherungswesen, dem Finanzsektor führten zu einem Rückgang der russischen Exporte nach Europa.
Am meisten leiden darunter die einfachen Bürger. Bereits im Juni und Juli 2022 bei einer in Österreich durchgeführten Umfrage zu den Auswirkungen der Russland-Sanktionen gaben insgesamt 82% der Befragten an, unter diesen zu leiden. Bei einer anderen Umfrage vom Juli 2024 sagten 35%, dass Ihrer Meinung nach die Sanktionen der EU mehr schaden würden als Russland und nur 13% behaupteten das Gegenteil.
Die starken Leistungen der russischen Wirtschaft bestätigen das. Dank eines grundlegenden Umdenkens unserer Wirtschaftspolitik mit dem Schwerpunkt Innovationen und Eigenproduktion strategisch wichtiger Güter, Umorientierung der Handelsströme auf neue Märkte, dem Umstieg auf sichere Zahlungsmittel steht unsere Wirtschaft zur Verwunderung vieler auf festem Boden. Stand Mai 2024 ist das BIP Russlands um 5,4% gewachsen, das der EU um nur 0,4%. Dabei weist Russland eine rekordniedrige Arbeitslosenquote von 2,4% (die EU 6,5%, Österreich 6,9%) auf. Nach Einschätzung des IWF wird unsere Wirtschaft trotz umfangreicher Sanktionen spürbar wachsen – doppelt so hoch wie in der gesamten Euro-Zone.
Infolge der Sanktionen verlieren auch die europäischen Geschäftsleute viel: ihre früheren Positionen auf dem russischen Markt werden zügig von Firmen und willigen Partnern aus anderen Ländern neubesetzt, deren Regierungen mehr Vernunft und Weitsicht haben. Diese lukrativen Nischen wären irgendwann, wenn überhaupt, nur mit großer Mühe zurückzuerobern. Nach Reuters-Einschätzungen haben ausländische Firmen infolge ihres Rückzugs aus Russland insgesamt mehr als 107 Milliarden US-Dollar verloren.
Sämtliche Analysen, auch westliche, belegen, dass Sanktionen ihre Ziele in jeglicher Hinsicht verfehlen. Nichts desto trotz scheint der Westen mit einer Beharrlichkeit, die eine bessere Anwendung verdient hätte, daran zu halten. Die Verantwortung liegt bei einem engen Kreis von Entscheidungsträgern, für die die Folgen der scheinbar endlosen Sanktionsspirale irrelevant zu sein scheinen. Einfache Bürger und die Geschäftswelt sind dabei aber immer die Leidtragenden, am Ende werden aber sie es sein, die für die gescheiterte, gedankenlose Politik die Rechnung ausstellen werden.
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