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Titel: Neue Entwicklungen im Fall des Telegram-Chefs Pawel Durow
Datum: 28. August 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
Verantwortlich: Redaktion
Die Verhaftung des russischen Unternehmers, Telegram-Gründers und -Chefs Pawel Durow am vorigen Samstag, 24. August, hat weltweit Wellen geschlagen. Auch in den letzten Tagen und Stunden gab es viele Meldungen, Stellungnahmen und natürlich auch Gerüchte über die Hintergründe und Bedeutung dieses Vorgangs. Hier eine Übersicht über einige der interessantesten Beiträge und Entwicklungen von Maike Gosch.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Am Montag teilte die französische Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung mit, dass Pawel Durow im Rahmen einer „am 8. Juli eingeleiteten gerichtlichen Untersuchung“ in Gewahrsam genommen wurde. Hier wird interessanterweise nicht von einer Verhaftung gesprochen. Die Staatsanwaltschaft teilt auch zwölf verschiedene Vorwürfe mit, wegen denen Durow in Gewahrsam genommen wurde, darunter: Beihilfe zum Besitz von kinderpornografischen Bildern, Drogenhandel und organisierter Betrug. Weitere Anklagepunkte sind die Verschwörung zur Begehung eines Verbrechens oder Vergehens, das mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren geahndet wird, sowie Geldwäsche.
Außerdem wird Telegram vorgeworfen, sich zu weigern, den Behörden „Informationen oder Dokumente zur Verfügung zu stellen, die für die Durchführung und Verwertung gesetzlich genehmigter Abhörmaßnahmen erforderlich sind“. Darüber hinaus gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass Durow bis Mittwoch in Untersuchungshaft bleiben werde. Interessanterweise wird in der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft als Datum der Eröffnung der Ermittlungen gegen Durow der 8. Juli 2024 genannt, also der Tag nach den vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich, die am 30. Juni und 7. Juli in zwei Runden stattfanden.
Telegram selbst hatte noch am Montagabend auf X (früher Twitter) erklärt, dass das Unternehmen sich an die EU-Gesetze einschließlich des Digital Services Act halte und die Moderation den Branchenstandards entspräche und ständig verbessert würde.
Parallel veröffentlichte der Ausschuss für Rechtsfragen des US-amerikanischen Repräsentantenhauses am Dienstag auf X einen Brief von Mark Zuckerberg, dem CEO von Meta (dem Facebook und WhatsApp gehören), in dem dieser vom Druck der Biden-Regierung auf seine Mitarbeiter berichtete, im Rahmen der Corona-Krise Zensur auszuüben, auch bei Fällen von Humor und Satire. Er berichtet weiter davon, wie seine Mitarbeiter aufgrund von Fehlinformationen über die Hunter-Biden-Laptop-Geschichte durch Geheimdienstinformationen und Faktenchecker (die fehlerhaft behaupteten, es würde sich hierbei um eine russische Desinformationskampagne handeln) diese zensiert und unterdrückt hätten. Zuletzt sagt er, er habe bei der letzten Präsidentschaftswahl über Spenden versucht, die Wahlinfrastruktur zu unterstützen. Alle seine Bemühungen seien politisch neutral gewesen. Aber da diese Unterstützungen Misstrauen geweckt hätten, würde er das bei der kommenden Wahl nicht wieder tun.
Mit diesem Brief bestätigt Mark Zuckerberg, was viele Kommentatoren und Analysten schon lange vermutet haben, nämlich wie groß der Druck auf Meta (und damit Facebook und auch WhatsApp) war und ist, nicht erwünschte Inhalte zu zensieren. Diese Bestätigung könnte auch in Hinblick auf die Festnahme des Telegram-Gründers relevant sein, da es nur zwei marktbeherrschende Anbieter von Messaging-Diensten gibt, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbieten, WhatsApp und eben Telegram.
Auch der Präsident Venezuelas, Nicolás Maduro, äußerte sich kritisch zur Festnahme:
🇻🇪🇫🇷 Maduro calls for Durov’s release!
“Durov's arrest fits into the policy of maximum pressure and arm-twisting of alternative communication networks.”
— Venezuela President Maduro pic.twitter.com/8qcDgAAMBJ— Lord Bebo (@MyLordBebo) August 26, 2024
Kurz nachdem die Verhaftung von Durow bekannt wurde, wurde auf X spekuliert, dass Durow nur Tage zuvor mit Präsident Putin über seine Rückkehr nach Russland verhandelt habe und er daher festgenommen wurde, um seine Rückkehr nach Russland und eine eventuelle Zusammenarbeit von Telegram mit der russischen Regierung zu verhindern. Über eine mögliche engere Zusammenarbeit mit der russischen Regierung hinter den Kulissen wird auch auf besonders ukrainischen oder russischen oppositionellen X-Konten spekuliert und darüber berichtet, dass Durow sich zwischen 2015 und 2021 50-mal in Russland aufgehalten haben soll, woraus diese Kommentatoren schließen, dass es zumindest eine engere Verbindung zwischen Durow und russischen Stellen gegeben habe als allgemein bekannt.
Allerdings hat laut Meldungen in der deutschen und internationalen Presse der russische Präsident Wladimir Putin ein Treffen mit Durow in Baku kurz vor dessen Reise nach Paris abgelehnt.
Andere Kommentatoren vermuteten dagegen, Durow habe sich absichtlich in den „Schutz“ des Westens begeben und sei nach Paris geflogen, um sich festnehmen zu lassen, um einer möglichen „Zwangsumarmung“ durch Russland zu entkommen.
Am Nachmittag des 27. August 2024 veröffentlichte die französischen Satirezeitschrift Le Canard Enchainé die Meldung (keine Satire), dass Durow den Polizisten, die ihn festnahmen, mitgeteilt habe, dass er vom französischen Präsidenten Macron zum Abendessen erwartet würde. Dies wurde von der französischen Regierung dementiert. Das heißt, entweder hat Durow hier gelogen oder die Polizisten oder Zeugen, die diese Aussagen gemacht haben, oder Präsident Macron hat ihm eine Falle gestellt, was ein unglaublicher Skandal wäre. Für die Version von Durow spricht, dass bisher unklar ist, warum Durow überhaupt freiwillig nach Paris einreiste.
Es gab sogar Spekulationen, dass (auch) Israel hinter der Verhaftung von Durow steckte. Begründet wurde dieser Verdacht mit Informationen aus diesem Artikel der israelischen Zeitung Ha’aretz, in der von Hacking-Angriffen auf israelische Daten und den vergeblichen Versuchen Israels berichtet wird, Inhalte und Nutzer, die mit palästinensischen Terrororganisationen in Verbindung stehen, von Telegram entfernen zu lassen.
Die Vereinigten Arabischen Emirate verlangten in einer Presseerklärung vom 27. August 2024 ebenfalls (wie zuvor schon Vertreter Russlands) Zugang zu Durow, der offensichtlich nicht nur zwei (die russische und die französische), sondern drei Staatsbürgerschaften hat.
Dies ist soweit erkennbar ebenfalls bisher nicht geschehen.
Auffallend ist das Schweigen in dieser Sache von Seiten der westlichen Regierungen (EU und den USA) sowie von den meisten NGOs und Organisationen, die sich traditionellerweise für Meinungsfreiheit und Pressefreiheit oder ein freies Internet einsetzen.
Ein sehr interessantes Detail recherchierte ein weiterer X-User:
„According to a report by the EU Disinfo Lab, Telegram has processes in place for reporting child abuse, pornography, copyright infringements, violence, span, drugs, and leaking of personal information.
But it does not report on one (so called) offense: „disinformation“.
This is because Telegram refused to sign the „Code of Practice on Disinformation – future Code of Conduct under DSA“.
As the EU Disinfo Lab states:
„Overall, at the EU level, the only policy on disinformation enforceable on Telegram consists of the general DSA obligations applicable to all online platforms. Hence, it is entirely up to Telegram to decide if and how it wants to tackle the disinformation challenge.“ Quelle disinfo.eu
also:
„Laut einem Bericht des EU-Disinfo-Labors verfügt Telegram über Verfahren zur Meldung von Kindesmissbrauch, Pornografie, Urheberrechtsverletzungen, Gewalt, Spanne, Drogen und Weitergabe von persönlichen Informationen.
Aber ein (sogenanntes) Vergehen wird nicht gemeldet: „Desinformation“.
Das liegt daran, dass Telegram sich geweigert hat, den „Code of Practice on Disinformation – future Code of Conduct under DSA“ zu unterzeichnen.
Wie das EU Disinfo Lab feststellt:
„Insgesamt besteht auf EU-Ebene die einzige interne Regelung in Bezug auf Desinformation, die bei Telegram durchsetzbar ist, aus den allgemeinen DSA-Verpflichtungen, die für alle Online-Plattformen gelten. Daher ist es allein Sache von Telegram, zu entscheiden, ob und wie es die Herausforderung der Desinformation angehen will.“
Quelle disinfo.eu
Geht es also, wie viele vermuten, bei der Verhaftung auch darum, Telegram im Rahmen der allumfassenden Kampagne bei der sogenannten „Bekämpfung von Desinformation“ auf (EU-)Linie zu bringen? Dann ließe sich die Repression gegen Telegram in eine größer angelegte Kampagne einordnen, zu der auch die aktuellen Drohungen von Seiten der EU gegen Elon Musk und X gehören. Von Desinformation ist allerdings in den 12 Punkten, die die Staatsanwaltschaft ausgelistet hat, nicht die Rede.
Der französische Anwalt und Aktivist Juan Branco machte, ebenfalls auf X, auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Er erinnert daran, dass im Jahr 2021 Pawel Durow die französische Staatsbürgerschaft auf direkte Anweisung des Elysée-Palastes (also der französischen Regierung und Macrons) verliehen wurde, obwohl er ein Ausländer war, der nicht in Frankreich lebte, und das aufgrund seiner besonderen Verdienste um die französischen Nation, und zwar als Anerkennung für denselben Messenger-Dienst und dieselbe Arbeit, für die er jetzt festgenommen wurde.
Wir beobachten gespannt, wie es weitergeht. Nach den Angaben der französischen Staatsanwaltschaft müsste Pawel Durow spätestens am Mittwochabend (28.8.2024) aus dem Polizeigewahrsam entlassen werden oder einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden. Hoffentlich lichtet sich der Nebel bald etwas in diesem in vielerlei Hinsicht unglaublichen Fall, der wie unter einem Brennglas all die Herausforderungen, Möglichkeiten und Risiken unseres aktuellen Internet-Informations-Zeitalters klar in ein scharfes Relief bringt.
Titelbild: Pavel Durov/Instagram
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