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Titel: Die Verhaftung von Pawel Durow – Warum gerade jetzt?
Datum: 26. August 2024 um 11:04 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Länderberichte, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
Verantwortlich: Redaktion
Am Freitag wurde der Gründer und Chef der Messenger-Plattform Telegram in Frankreich festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, nicht ausreichend mit Strafverfolgungsbehörden kooperiert zu haben und durch seine liberale Haltung kriminelle Aktivitäten auf der Plattform zu ermöglichen. Was ist der Hintergrund dieses martialischen Vorgehens und warum geschieht es gerade jetzt? Von Maike Gosch.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Gerade hatten sich die ersten Empörungswellen über die Verhaftung des britisch-syrischen Journalisten Richard Medhurst am Flughafen Heathrow aufgrund seiner Berichterstattung und Kommentare über den Gaza-Krieg etwas gelegt (hier ein kritischer Kommentar vom ehemaligen britischen Botschafter Craig Murray dazu, und eine solidarische Stellungnahme vom U.S.-amerikanischen Journalisten Chris Hedges), da folgte der nächste Einschlag mit der Verhaftung des Chefs der Messenger-App Telegram, Pawel Durow, am Freitag auf einem Flughafen in der Nähe von Paris, direkt beim Ausstieg aus seinem Privatjet. Die französische Justiz wirft Durow vor, zu wenig zu unternehmen, um gegen die Nutzung seines Messengerdienstes für kriminelle Aktivitäten vorzugehen und nicht mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren.
Die russische Botschaft in Paris beschwerte sich, dass sie keinen konsularischen Zugang zu dem Verhafteten (der sowohl die russische als auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt) bekommen hat, wie es nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) vorgeschrieben ist.
Das reiht sich ein in das Vorgehen bei der Festnahme von Richard Medhurst, der nach eigenen Aussagen informiert wurde, dass er das Recht habe, jemanden über seine Verhaftung zu informieren, und dann im zweiten Schritt hinzugefügt wurde, dass ausnahmsweise in diesem Fall wegen des besonderen Tatvorwurfs auf dieses Recht „verzichtet“ wird. Wenn diese beiden Schilderungen zutreffen, werden hier grundlegende Rechtsgrundsätze immer mehr zur Disposition gestellt.
Dieser Schritt der französischen Behörden wurde von vielen, auch prominenten, Stimmen scharf kritisiert. So meldeten sich (natürlich) Elon Musk, aber auch der Whistleblower Edward Snowden …
First they came for Tiktok, and I did not speak out—
Because I was not twelve years old. Then they came for the Telegram, and I did not speak out—
Because I was using some other app or sth idk. Then they came for literally every other platform for dissent, and I did not…— Edward Snowden (@Snowden) August 25, 2024
übersetzt:
„Zuerst wollten sie Tiktok, und ich habe mich nicht gewehrt – weil ich nicht zwölf Jahre alt war. Dann kamen sie wegen Telegram, und ich habe mich nicht geäußert – weil ich irgendeine andere App oder etwas anderes benutzte, ich weiß nicht. Dann kamen sie für buchstäblich jede andere Plattform für Dissens, und ich habe mich nicht geäußert, weil Bruder, wo zur Hölle kann ich das, verstehst du jetzt, aufwachen wachen wa..“
… und der U.S.-amerikanische konservative Journalist Tucker Carlson mit folgendem Kommentar und postete dazu ein langes Interview, dass er im April 2024 mit ihm geführt hatte:
Pavel Durov left Russia when the government tried to control his social media company, Telegram. But in the end, it wasn’t Putin who arrested him for allowing the public to exercise free speech. It was a western country, a Biden administration ally and enthusiastic NATO member,… https://t.co/F83E9GbNHC
— Tucker Carlson (@TuckerCarlson) August 24, 2024
also
„Pawel Durow verließ Russland, als die Regierung versuchte, sein Unternehmen für soziale Medien, Telegram, zu kontrollieren. Aber letztendlich war es nicht Putin, der ihn verhaftete, weil er der Öffentlichkeit die freie Meinungsäußerung ermöglichte. Es war ein westliches Land, ein Verbündeter der Regierung Biden und begeistertes NATO-Mitglied, das ihn einsperrte. Pavel Durov sitzt heute Abend in einem französischen Gefängnis, eine lebende Warnung an alle Plattformbetreiber, die sich weigern, die Wahrheit auf Geheiß von Regierungen und Geheimdiensten zu zensieren. Die ehemals freie Welt gerät immer mehr ins Zwielicht. Hier ist unser Interview mit Durov von vor einigen Monaten:“
Es gab allerdings auch Zustimmung zu dem Schritt. Besonders deutliche Worte fand der belgische Politiker und EP-Abgeordnete Guy Verhofstadt, bekannt für seine Pro-Ukraine-Position, der kommentierte:
Telegram sits at the centre of global cyber crime…
Free speech is not without responsibilities !https://t.co/UrCL3AQnGp
— Guy Verhofstadt (@guyverhofstadt) August 25, 2024
„Telegram steht im Zentrum der weltweiten Internetkriminalität…
Freie Meinungsäußerung ist nicht ohne Verantwortung!“
Noch vor einigen Jahren war Durow bei westlichen Medien und Politikern beliebt und wurde insbesondere dafür gelobt, dass er sich dem russischen Präsidenten Wladimir Putin entgegenstellte und dem russischen Geheimdienst FSB keinen Zugang zur verschlüsselten Kommunikation auf seinen Plattformen gewährte, mit der zum Beispiel der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny seine Korruptionsenthüllungen veröffentlichte oder mit der Proteste gegen die Regierung z.B. zum Thema Wahlfälschung organisiert werden konnten.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, wies darauf hin, dass noch im Jahr 2018 eine Gruppe von 28 NGOs, darunter Human Rights Watch, Amnesty International, Freedom House und Reporter ohne Grenzen, eine russische Gerichtsentscheidung zur Sperrung von Telegram in Russland verurteilten. Diese NGOs forderten damals, dass Moskau „aufhört, Hindernisse für den Betrieb von Telegram zu schaffen“ und die Rechte der Nutzer zu garantieren, Informationen online zu veröffentlichen und anonym zu konsumieren.
Warum dieser Kurswechsel jetzt? Wie wurde Pawel Durow vom Liebling und oppositionellen Medienunternehmer, der sich gegen den Autokraten Putin und seine Zensur- und Ermittlungsversuche wehrte, zum Staatsfeind der EU?
Mike Benz, US-amerikanischer Jurist, Cyber-Experte und ehemaliger Mitarbeiter im US-Außenministerium unter Donald Trump, hat hierzu folgende Theorie: Zunächst einmal vermutet er, dass dieser Schritt nicht ursprünglich auf Initiative Frankreichs geschieht, sondern auf Initiative des Außenministeriums der USA. Er ist der Ansicht, und hat hierzu ausführliche Recherchearbeit geleistet, dass die Messenger-App Telegram (und die anderen Dienste wie die russische Facebook-Version VKontakte) eine wesentliche Rolle bei der ausländischen Einmischung in innere Angelegenheiten durch die Finanzierung, Organisation, Ausbildung und Beeinflussung von Regierungsgegnern in Russland, der Ukraine und Weißrussland durch US-amerikanische und westliche Geheimdienste und andere Akteure gespielt hat. Deswegen wurde gegen diesen Dienst bisher nicht massiver vorgegangen. Aber jetzt, da dieser Dienst immer mehr auch Dissidenten und Regierungskritikern im Westen als Plattform für Austausch dient, gerät er in die Schusslinie und ist ein Hindernis in der kompletten Kontrolle der Informationslandschaft, die das erklärte Ziel der politischen und juristischen Bestrebungen ist, wie durch den Digital Services Act auf EU-Ebene.
Seine These ist, dass das Ziel des Vorgehens gegen Durow nicht ist, Telegram zu schließen oder zu vernichten, sondern genug Druck auf Durow auszuüben, um ihn zu bewegen, den Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten Zugang zu den verschlüsselten Daten zu gewähren, wie es ihnen es bei dem Messenger-Dienst WhatsApp durch Druck auf den in den USA ansässigen Konzern gelungen ist. Benz sieht den Grund dafür, warum dieser massive Schritt gegen Durow gerade jetzt erfolgt, in der aktuellen Situation im Ukrainekrieg. Da fast alle Russen Telegram benutzen, vermutet er, dass der Zugang zu den Inhalten und Daten des Messenger-Dienstes es den westlichen Regierungen und Geheimdiensten und natürlich auch dem Militär erlauben soll, die russische Kommunikation in Bezug auf Kriegshandlungen abzuhören und dadurch der Ukraine und ihren westlichen Partnern in dem aktuellen Konflikt einen taktischen Vorteil zu verschaffen. Es wird sich sicher nach und nach herausstellen, ob Mike Benz (und andere Kommentatoren, die seine Einschätzung teilen) hiermit recht haben oder nicht.
Offensichtlich ist auf jeden Fall, dass der Grund für seine Festnahme nicht nur in der Bekämpfung von Organisierter Kriminalität, Drogenhandel, Terrorismus, und was noch zu Begründung angeführt wurde, liegt. Denn dann hätte die Strafverfolgung auch schon Jahre früher erfolgen können.
Titelbild: Pavel Durov/Instagram
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