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Titel: Kirchen-Verbot in der Ukraine – sind das die westlichen Werte, die wir verteidigen wollen?

Datum: 23. August 2024 um 10:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Kirchen/Religionen, Länderberichte, Medienkritik
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Das ukrainische Parlament hat mit überwältigender Mehrheit am Dienstag die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) verboten. Offiziell wird das Verbot laut Tagesschau mit „dem Schutz der nationalen Sicherheit und der Religionsfreiheit“ begründet. Eine Religion verbieten, um die Religionsfreiheit zu schützen? Das ist Orwell’sches Neusprech in Reinkultur. Das Verbot der UOK ist vielmehr ein weiterer Akt des ukrainischen Nationalismus und richtet sich vor allem gegen die russischsprachige Minderheit im Süden und Osten des Landes, wo die UOK die vorherrschende Kirche ist. Der Westen glänzt auch in diesem Fall wieder einmal durch eklatante Doppelmoral. Religionsfreiheit ist gut, solange sie „unseren“ Interessen gilt. Tut sie dies nicht, wird sie auf dem Altar der Verteidigung westlicher Werte geopfert. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Jahrhundertelang unterstand die orthodoxe Kirche in der Ukraine dem Moskauer Patriarchat. Dies änderte sich 2018, als der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko im Wahlkampf voll auf antirussischen Nationalismus setzte und zusammen mit zwei aus den USA stammenden Exarchen die sogenannte Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) gründete, die fortan als eine Art ukrainische Staatskirche fungierte und neben der UOK vor allem im ethnisch ukrainischen Westen des Landes ihre Hochburgen hat. In der Ukraine gibt es rund 12.000 orthodoxe Gemeinden, im Juli 2022 gehörten davon rund 7.600 der UOK und rund 4.400 der neuen OKU an. Versuche der UOK, das Schisma zu überwinden, blieben erfolglos und nach der Invasion russischer Truppen nahm der politische Druck auf die UOK Stück für Stück zu, obgleich sich die UOK nach der Invasion vom Moskauer Patriarchat losgesagt hat, den Krieg verurteilt und sich für Friedensverhandlungen stark macht. Die OKU vertritt 1:1 die ukrainische Regierungslinie.

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Glaubt man der ukrainischen Propaganda, ist die UOK trotz formaler Trennung immer noch ein Befehlsempfänger des Moskauer Patriarchen Kyrill I., der Wladimir Putin nahesteht und im Ukrainekrieg klar russische Positionen vertritt. Es gab wohl auch 23 aktenkundige Fälle, in denen Anklage gegen UOK-Geistliche erhoben wurde, die angeblich prorussische Propaganda verbreitet oder für Russland spioniert haben sollen. Wie begründet diese Fälle sind, ist von außen nicht zu sagen. 23 Fälle bei 7.600 Gemeinden der UOK wirken jedoch wie ein Vorwand – seit der Gründung der OKU ist es schließlich ein offenes Geheimnis, dass die Kiewer Nationalisten die unabhängige UOK lieber heute als morgen verbieten und sich den weltlichen Besitz der Kirche unter den Nagel reißen wollen. Bislang schreckte man davor jedoch trotz Krieg immer noch zurück, da ein offenes Verbot der UOK selbst von US-Thinktanks als „zweiter Krieg“ bezeichnet wird – ein Krieg gegen die mehrheitlich russisch geprägte, der UOK nahestehende, Bevölkerung im Süden und Osten der Ukraine. Dieser „zweite Krieg“ wurde nun erklärt.

Ukrainische Orthodoxe Kirche oder Orthodoxe Kirche der Ukraine – das erinnert oberflächlich an den Streit zwischen der Volksfront von Judäa und der judäischen Volksfront in Monty Pythons Kultfilm „Das Leben des Brian“. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Egal wie man nun zur Kirche und zu Religionen im Allgemeinen steht – gerade in gläubigen Ländern wie der Ukraine sind die Kirchen zweifelsohne vor allem im ländlichen Raum ein Ankerpunkt im sozialen und gesellschaftlichen Leben. Vor allem im Krieg. Die UOK hat es zumindest geschafft, hier einen Freiraum vor dem seit Jahren von der Regierung in Kiew forcierten Nationalismus zu bieten und sich den schon lange vor der Invasion immer stärker propagierten antirussischen Ressentiments zu widersetzen. Das und nicht die angebliche prorussische Propaganda einzelner Geistlicher war wohl auch der Grund für das Verbot der UOK.

Das Kirchenverbot passt also nahtlos ins Bild einer nationalistischen und chauvinistischen Ukraine – und widerspricht damit diametral dem realitätsfernen, idealisierten Bild einer Ukraine, die von westlichen Werten beseelt ist, das Politik und Medien im Westen so gerne zeichnen. Und da das Kirchenverbot nicht ins idealisierte Bild dieses geopolitischen Konflikts passt, wird es hierzulande auch nicht groß thematisiert.

Seltsam, nicht wahr? Wie groß wäre der Aufschrei von Politik und Medien, wenn beispielsweise Wladimir Putin die katholische Kirche in Russland verbieten würde? Wie viele hochmoralische Leitartikel gäbe es, wenn die AfD den Islam in Deutschland verbieten wollte? Ja, Religionsfreiheit zählt zu unseren westlichen Werten. Doch wenn es um den Krieg gegen Russland geht oder es den Interessen des Westens ansonsten in den Kram passt, gehört die Religionsfreiheit offenbar zu den ersten Werten, die im höheren Interesse geopfert werden können. Doppelmoral? Natürlich, was denn sonst.

Titelbild: rospoint/shutterstock.com


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