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Titel: Neuigkeiten zum Nord-Stream-Anschlag bringen das Land zum Brodeln

Datum: 19. August 2024 um 10:47 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache, Terrorismus
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Am Ende der letzten Woche erschütterten einige Meldungen und Artikel zur Sprengung der Nord-Stream-Pipelines die Medienlandschaft und die Bevölkerung in Deutschland und der Welt. Nachdem es lange erstaunlich ruhig um dieses ungeheure Ereignis geworden war, scheint jetzt wieder Leben in die Sache zu kommen. Kommen wir der Wahrheit und einer Aufklärung langsam näher? Die Reaktionen waren auf jeden Fall von allen Seiten heftig und zeigten einmal mehr, in was für einer ausgesprochen gespaltenen politischen Landschaft wir uns zurzeit befinden. Von Maike Gosch.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Explosive News zum Nord-Stream-Anschlag

Nachdem zunächst am 14. August 2024 die Meldung in mehreren deutschen Medien die Runde machte, dass deutsche Ermittler einen ukrainischen Tauchlehrer (lustigerweise mit dem Namen Wolodymyr Z.) identifiziert hätten, der Nord Stream gesprengt haben soll und dann aber leider durch die mangelnde Kooperation von polnischen Stellen einer Festnahme entkommen sei (ZEIT, ZDF), folgten am gleichen Tag weitere brisantere Enthüllungen des Wall Street Journals (WSJ). Danach wurde der Anschlag vom damaligen Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte und jetzigen ukrainischen Botschafter in Großbritannien, Walerij Saluschnyj, geleitet und auch Präsident Selenskyj habe der Operation zunächst grünes Licht gegeben. Dann habe der holländische Militärgeheimdienst MIVD davon erfahren, die CIA informiert und diese habe daraufhin wiederum Präsident Selenskyj angehalten, die Operation zu stoppen. Der habe dann Saluschnyj einen entsprechenden Befehl erteilt, der von diesem aber ignoriert wurde. Angeblich habe bereits im Oktober, also einige Tage nach dem Anschlag am 26. September 2022, die CIA das deutsche Außenministerium über die ukrainische Verschwörung („plot“) informiert. Von ukrainischer Seite wurden diese Angaben bereits zurückgewiesen, wie im Artikel berichtet wird.

Vieles an diesem Bericht erscheint unglaubwürdig (Näheres dazu im ausführlichen Überblick von Jens Berger auf den NachDenkSeiten), sodass ich den Artikel eher für einen „Limited Hangout“ halte als für die Aufklärung dieses Terroranschlags auf unsere industrielle Infrastruktur.

„Limited Hangout“ ist ein Begriff aus der Welt der Geheimdienste für einen häufig verwendeten Trick von Geheimdienstprofis: Wenn die Wahrheit langsam ans Licht zu kommen droht oder die Öffentlichkeit zu misstrauisch und ungeduldig wird, und sie nicht länger schweigen oder sich auf eine konstruierte Coverstory verlassen können, um die Öffentlichkeit zu täuschen, wird ein Teil der Wahrheit zugegeben – manchmal sogar freiwillig –, während dennoch die wesentlichen und wirklich riskanten Fakten in dem Fall zurückgehalten werden. Die Öffentlichkeit soll von den preisgegebenen Informationen abgelenkt und mit ihnen beschäftigt werden, sodass der durch sie ausgeübte Druck (zumindest für eine Weile) nachlässt.

Einen Tag später, am 15. August 2024, veröffentlichte die WELT ein Interview mit dem ehemaligen BND-Chef August Hanning, das ebenfalls für einigen Gesprächsstoff sorgte. Herr Hanning spricht davon, dass der Anschlag, wenn er von ukrainischer Seite durchgeführt wurde, nur mit starker logistischer Unterstützung von Polen möglich gewesen sein kann und dass es für ihn offenkundig eine Verabredung zwischen den höchsten Spitzen in der Ukraine und Polen gegeben haben muss und nennt namentlich Präsident Selenskyj und Präsident Duda. Näheres hierzu ebenfalls im Artikel von Jens Berger.

Diese Aussagen klingen schon plausibler, aber es erstaunt, dass Herr Hanning am Anfang davon spricht, dass nur die Ukraine und Polen ein Interesse und eine Möglichkeit gehabt hätten, die Pipelines zu sprengen, und von anderen möglichen Tätern, wie den USA, aber auch Großbritannien oder den skandinavischen Anrainerstaaten, nicht die Rede ist. Interessanterweise bezieht er aber bei der Einordnung der Anschläge ganz klar Stellung und kommt dabei zu einem sehr anderen Ergebnis als die meisten Stimmen der deutschen politischen Landschaft, zu denen wir weiter unten noch kommen werden:

Es ist ja ein erheblicher Schaden entstanden an den Pipelines. Die Folgeschäden… ich habe mal mit externen Experten gesprochen von den Betreibern, die belaufen sich auf bis zu 20 bis 30 Milliarden Euro. Ein Riesenschaden, der entstanden ist durch Staatsterrorismus, man muss das so deutlich benennen und ich erwarte auch von der Bundesregierung, dass hier deutlich gemacht werden muss, dass hier Schadensersatz gefordert werden muss. Auch von den Betreibern. Ich meine, es sind Riesenschäden entstanden durch Aktivitäten von ukrainischen und polnischen Regierungsdienststellen.“

Diese erstaunliche Häufung von Nachrichten innerhalb von einigen Tagen in dem Ermittlungsverfahren, das seit zwei Jahren läuft, hat bei einigen den Verdacht genährt, dass es sich hierbei um eine gesteuerte Aktion handelt, die sich gegen Selenskyj richtet und Teil der Vorbereitung der Öffentlichkeit darauf ist, dass dieser die Unterstützung des Westens verlieren wird und ausgetauscht werden soll. Dies vermutet zum Beispiel der italienische Journalist Thomas Fazi.

„Thank you, Ukraine“

Die Reaktionen auf diese explosiven Neuigkeiten ließen jedenfalls nicht lange auf sich warten und bewiesen einmal mehr, in was für einer gespaltenen Informationslandschaft wir uns befinden.

Die FAZ legte vor. In einem Artikel, der direkt auf die „Enthüllungen“ des WSJ folgte, erklärt Reinhard Müller, dass die Pipeline ein legitimes militärisches Ziel gewesen sei (so die Überschrift), im Text wird etwas vorsichtiger formuliert: „sich als legitimes Ziel betrachten ließe“. Seine Argumente: Sie stehe im Eigentum eines russischen Staatskonzerns und trage auch zum Moskauer Angriffskrieg gegen die Ukraine bei. Zusätzlich argumentiert er wie viele der Kommentatoren, deren Loyalität deutlich bei der Ukraine liegt: Zur Zeit ihrer Sprengung diente sie nicht mehr der Energieversorgung Deutschlands.

Jetzt fragt man sich natürlich sofort: Wenn sie nicht mehr der Energieversorgung Deutschlands (und übrigens auch Europas) diente, wie konnte sie dann zum Moskauer Angriffskrieg beitragen? Aber lassen wir das erst einmal beiseite. Und zu den Besitzverhältnissen kommen wir noch später im Text.

Weiter ist er der Meinung, dass, sollte der ukrainische Präsident oder ein anderer Befehlshaber sie in Auftrag gegeben haben, man darin auch eine völkerrechtlich zulässige Verteidigungshandlung sehen könne. Müller nutzt die Gelegenheit, wo er gerade bei steilen völkerrechtlichen Thesen ist, um noch einen ähnlich eigenwilligen Seitenhieb in Richtung der Kritiker der Bundesregierung zur Haltung im Gaza-Krieg loszuwerden:

Hier gibt die mit dem Rücken zur Wand stehende Ukraine wenig Anlass zur Sorge, was die Auswahl der Ziele, die Behandlung von Kriegsgefangenen und auch die Verfolgung von Kriegsverbrechen sowie die internationale Beobachtung angeht.

In solchen extremen Lagen erweist sich der Wert der westlichen Wertegemeinschaft. Der Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel – das gilt auch für das ebenfalls in einem Existenzkampf steckende Israel. Die Bindung an Menschenrechte auch im Kampf gegen jene, die sich nicht darum scheren, macht den entscheidenden Unterschied aus. Jede weitsichtige Regierung sollte auch erkennen, dass das in ihrem ureigenen Interesse liegt. Nur wer unter der Flagge der Humanität kämpft, wird langfristig mit seinen Nachbarn in Frieden jederzeit leben können.“

Also nochmal, weil das vielleicht missverständlich ist, seine Aussage ist: Die Ukraine und Israel halten die Menschenrechte ein, anders als ihre Gegner, und kämpfen damit unter der Flagge der Humanität und jetzt erweist sich der Wert der westlichen Wertegemeinschaft darin, dass wir sie in diesem edlen Kampf unterstützen (auch gegen unsere eigene industrielle Infrastruktur), weil wir (nur) so langfristig mit unseren Nachbarn in Frieden leben können. Ich möchte hierfür gerne den Preis für den abwegigsten Take verteilen. Aber lesen Sie am besten den gesamten Artikel selbst, der auch noch die Pflicht (!) aller Verbündeten behauptet, der überfallenen Ukraine jederzeit auch mit eigenen Soldaten zu Hilfe zu eilen. Juristisch würde man von einer „Mindermeinung“ sprechen, ich würde gern stärkere Worte wählen, aber beherrsche mich, um die Spaltung nicht noch weiter voranzutreiben.

Einige Tage später kam dann die Meldung in der FAZ, dass Deutschland die Militärhilfe für die Ukraine einschränken werde und nach der aktuellen Haushaltsplanung der Bundesregierung dafür ab sofort kein neues Geld zur Verfügung gestellt wird. Was zunächst wie eine mögliche Reaktion auf die Enthüllungen und ein Zugeständnis an den großen Teil der Bevölkerung, die dem NATO-Kurs der Bundesregierung kritisch gegenübersteht, wirkt (wegen der anstehenden Wahlen?), entpuppt sich aber beim näheren Hinsehen als eine weniger große Politikwende. In diesem Jahr geht alles noch unverändert weiter, im nächsten Jahr soll die militärische Unterstützung halbiert werden und dann 2027 auf weniger als ein Zehntel der heutigen Summe zusammenschmelzen. Die meisten geopolitischen Analysten erwarten aber ein Ende des Krieges allerdings spätestens im Jahr 2025. Und danach soll die Unterstützung nach Plänen von Christian Lindner künftig nicht mehr aus dem Bundeshaushalt kommen, sondern aus den Erträgen (Zinsen) des von den G7-Staaten eingefrorenen russischen Zentralbankguthabens finanziert werden.

Auch aus dem Ausland gab es Kommentare, die für Aufruhr sorgten. So kommentierte der polnische Premierminister Donald Tusk die Enthüllungen in einem Tweet folgendermaßen:

To all the initiators and patrons of Nord Stream 1 and 2. The only thing you should do today about it is apologise and keep quiet.“

also

An alle Initiatoren und Unterstützer von Nord Stream 1 und 2. Das Einzige, was ihr heute tun solltet, ist, euch zu entschuldigen und zu schweigen.“

Der Tweet ging viral und wurde bisher 2,6 Millionen Mal angesehen, was kein Wunder ist, da er maximal provokant war und entsprechend emotionale Reaktionen auslöste. Wir sollten also nicht nur die Sprengung der Pipelines schweigend akzeptieren, sondern uns auch schämen, sie überhaupt gebaut und unterstützt zu haben.

Was aber wie die reinste Wahlwerbung für AfD und BSW wirkt, hat vielleicht auch noch andere wirtschaftliche und geopolitische Hintergründe:

Man wundert sich ja schon seit dem Beginn des Ukraine-Krieges über die immer aggressiver und militanter werdende Rhetorik gegen Deutschland aus unserem Nachbarland und wird das Gefühl nicht los, dass da das neue Lieblingskind der USA und Großbritanniens mit geborgtem Mut es endlich einmal dem oft als übermächtig empfundenen Nachbarn heimzahlen will.

Überhaupt spielt Polen eine interessante und bisher sehr wenig beleuchtete Rolle im ganzen Komplex der Nord-Stream-Pipelines. Denn auch Polen (nicht nur die Ukraine) verlor sowohl einen Hebel/ein Druckmittel, als auch erhebliche Transiteinkommen durch den Bau und die Inbetriebnahme der Pipelines, die eine direkte Lieferung russischen Erdgases nach Deutschland und den Rest von Europa erlaubten. Und sie arbeiteten gemeinsam mit den USA, Dänemark und Norwegen an einer Alternative zu Gaslieferungen aus Russland und wollten sich auch als Transitland für Gaslieferungen von anderen Herkunftsländern nach Deutschland und Europa wieder ins Spiel bringen. Solange Nord Stream 1 und dann auch Nord Stream 2 aber zur Verfügung standen, waren die wirtschaftlichen Aussichten dieser Pläne schlecht. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass die Baltic Pipe (Baltische Röhre), die Erdgasleitung, die von Dänemark nach Polen führte, gerade am 27. September 2022 (also einen Tag nach Sprengung der Nord-Stream-Pipelines) eröffnet wurde. Aber zurück nach Deutschland, wo noch weitere Politiker und Journalisten klar machten, dass auch ein möglicher Terroranschlag durch die Ukraine an ihrer Nibelungentreue nichts ändern würde.

CDU-Politiker Roderich Kiesewetter erklärte in einem Video-Interview mit der WELT zunächst, dass der Betrieb von Nord Stream 1 und 2 keine Einkünfte für Russland generierte, da durch sie zur Zeit des Anschlags kein Gas floss.

Hier hofft er vielleicht auf das schlechte Gedächtnis der Zuschauer, aber ich denke, die meisten Deutschen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, haben die Zusammenhänge aus dem Herbst 2022 noch in guter Erinnerung und wissen sehr wohl, dass die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 von Russland nach eigenen Aussagen wegen Problemen mit den Sanktionen und der Wartung von Turbinen nur kurzzeitig gestoppt wurden, eventuell ging es hier auch um den Versuch von Russland, die Sanktionen zu mildern oder abzuwenden im Austausch gegen die Wiederaufnahme der Lieferung des Gases, oder es war ein Versuch Russlands, die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu forcieren.

Klar ist jedenfalls, dass Russland ausdrücklich gewillt und auch in der Lage war, die Gaslieferung über Nord Stream 2 jederzeit zu beginnen und dies aus politischen Gründen von Seiten der Ampel-Regierung blockiert wurde (Stichwort: Zertifizierungsverfahren) und der Druck der Bevölkerung in diese Richtung gerade in der Zeit kurz vor der Sprengung erheblich anwuchs (Stichwort: Heißer Herbst, wir erinnern uns).

Diese Zusammenhänge lässt Herr Kiesewetter hier weg, um den Eindruck zu erwecken, die Pipelines wären eigentlich schon zum Zeitpunkt der Sprengung irrelevant gewesen, was leider – im Interesse der Wahrheit – auch viele andere Kommentatoren behaupten. Man wünscht sich hier wie in so vielen Punkten heutzutage neutrale Faktenchecks, die wir ja leider selten bekommen.

Wenn Herr Kiesewetter weiter davon spricht, dass viele Elemente des Artikels nicht sehr glaubwürdig erscheinen, gebe ich ihm sogar recht, aber dann versucht er im Verlauf des Interviews mehrmals, den Verdacht doch noch einmal auf Russland zu lenken und von einer „False flag“-Operation zu sprechen, allerdings gänzlich ohne Hinweise, Argumente oder Belege, sodass hier einmal das Wort „raunen“, das gern auf sogenannte Verschwörungstheoretiker angewendet wird, gut zu passen scheint.

Zusätzlich sagt er dann, es wäre kein deutsches Eigentum beschädigt, denn die Tat erfolgte in internationalen Gewässern. Der Ort des Anschlags ist erstmal für die Eigentumsverhältnisse irrelevant, aber das weiß Herr Kiesewetter sicher. Und tatsächlich gehört Nord Stream 2 der Nord Stream 2 AG, die zu 100 Prozent der Gazprom gehört, die wiederum ein staatseigener Betrieb ist. Allerdings wurden aus Deutschland ca. 3,9 Milliarden Euro Investitionen in Waren und Dienstleistungen in Nord Stream 2 getätigt. Und die Nord-Stream-1-Pipeline, die ja ebenfalls beschädigt wurde, wird von der Nord Stream AG gehalten, von der nur 51 Prozent der Gazprom über ihre Tochterfirma Gazprom International Projects North 1 LLC gehören, während die anderen 49 Prozent von deutschen, holländischen und französischen Unternehmen aus dem Bereich Energieinfrastruktur gehalten werden. Insofern wurde sowohl deutsches als auch europäisches Eigentum zerstört. Außerdem sind die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse nicht das Entscheidende bei der Einordnung einer Zerstörung wichtiger Energieinfrastruktur als Bedrohung für die nationale Sicherheit, da es darum geht, wie wichtig für Deutschlands Wirtschaft und Bevölkerung diese ist, und nicht darum, wem die Pipelines zivilrechtlich gehörten. Auch das weiß Herr Kiesewetter natürlich alles, er ist ein erfahrener Politiker, der schon lange im politischen Geschäft ist (etwas Hintergrund zu seiner Karriere hier).

Am Schluss dann der Satz, der für den meisten Aufruhr sorgte:

Außerdem ist die Ukraine die Angegriffenen (sic!), die Sicherheit der Ukraine, egal, ob sie das zerstört haben sollen oder nicht, ist in unserem Interesse.“

Also im Klartext: Die Sicherheit der Ukraine ist in unserem (also deutschem) Interesse, auch wenn diese unsere Sicherheit durch einen solchen massiven Anschlag gefährdet.

Zuletzt noch Julian Röpcke, hauptberuflich Redakteur bei der Bild-Zeitung, nebenberuflich anscheinend so etwas wie ein Kriegsberichterstatter für die ukrainische Armee und nach eigener Bezeichnung „Waffenlieferungsultra“: Er repostete einen eigenen Tweet vom November 2023 (also kurz nach dem Anschlag) mit dem Hinweis „Aus aktuellem Anlass“, in dem er sich für die Zerstörung der Pipelines bedankte:

Just to make this clear again: If Ukraine attacked Nord Stream: thank you very much. It was a Russian infrastructure project that made us dependent on their gas. Thanks a lot for ending that dependency, no matter who did it.“

Um das nochmal klarzustellen: Falls die Ukraine Nord Stream angegriffen hat: Vielen Dank. Es war ein russisches Infrastrukturprojekt, das uns von ihrem Gas abhängig gemacht hat. Vielen Dank dafür, dass diese Abhängigkeit beendet wurde, egal wer es getan hat.“

Mit anderen Worten: „Thank you, Ukraine!“ (in Abwandlung des berühmten Tweets des polnischen Politikers Radek Sikorski, kurz nach dem Anschlag selbst).

Die narrative Verschiebung

Was die Reaktionen auch aufzeigen, ist eine spannende Verschiebung der Begriffe und Bewertungen bei den Vertretern und Unterstützern der aktuellen Ukraine-Politik der Bundesregierung. Als anfangs die eher unwahrscheinliche These einer Täterschaft Russlands vertreten wurde, hieß es noch zum Beispiel durch Ursula von der Leyen:

„Any deliberate disruption of active European energy infrastructure is unacceptable & will lead to the strongest possible response.“

also:

Jede absichtliche Störung der aktiven europäischen Energieinfrastruktur ist inakzeptabel und wird zu der stärkstmöglichen Reaktion führen.“

Es war allen klar und wurde von niemandem bestritten (außer vielleicht von den deutschen Grünen, aber das ist eine so extreme Position, dass ich sie hier weglasse), dass es sich hierbei um einen massiven Terroranschlag gegen die Energieinfrastruktur Russlands, Deutschlands und auch Europas handelte, die ja über diese Pipelines auch mit Energie versorgt wurden und werden sollten. Ebenso war es weitgehend unumstritten, dass dies völkerrechtlich einen „casus belli“ darstellte, also einer Kriegserklärung gleichkam und eigentlich einen NATO-Verteidigungsfall nach Art. 5 des Nordatlantik-Vertrags auslösen würde.

Aber was schert das Geschwätz von gestern. Jetzt, wo die Hinweise vorliegen, dass die Ukraine diese Tat zumindest mitbegangen haben sollen, klingt es ganz anders. Die Pipelines waren irrelevant (warum wurden sie dann überhaupt gesprengt?), die Sprengung war gerechtfertigt und überhaupt, Deutschland solle sich schämen, sie überhaupt gebaut zu haben.

Empörung

Auf der anderen Seite wurde viel Empörung über die Neuigkeiten laut.

Alice Weidel von der AfD kommentierte sie folgendermaßen:

Der wirtschaftliche Schaden für unser Land, der durch die mutmaßlich von #Selenskyj – und nicht etwa #Putin, wie man uns weismachen wollte – angeordnete Sprengung von #Nordstream entstanden ist, sollte der #Ukraine “in Rechnung” gestellt werden. Jegliche den deutschen Steuerzahler belastende “Hilfszahlungen” sind einzustellen.“

Sahra Wagenknecht vom Bündnis Sahra Wagenknecht schrieb:

Sollten deutsche Stellen vorab von dem Anschlagsplan auf Nord Stream 1 und 2 gewusst haben, dann hätten wir einen Jahrhundertskandal in der deutschen Politik.“

Aber auch viele private Kommentatoren waren fassungslos:

Niemand verdient eine Regierung, die sich in vollkommener Gelassenheit kritische Infrastruktur wegsprengen lässt.“

Einigen genügten erboste Kommentare nicht und sie wollten Taten sehen, so wie der „Corona“-Rechtanwalt Markus Haintz:

Strafanzeige wegen des Verdachts der Billigung von Straftaten gegenüber Kiesewetter (CDU) erstattet haintz.media/artikel/recht/strafanzeige-wegen-des-verdachts-der-billigung-von-straftaten-gegenueber-kiesewetter-cdu-erstattet/… Der Kölner Rechtsanwalt Markus Haintz hat Kiesewetter heute wegen dessen Äußerungen in Bezug auf die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines in einem Interview in der Welt bei der Staatsanwaltschaft Ellwangen angezeigt.“

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Zum Glück für die Seele gab es aber auch viele lustige und satirische Reaktionen:

Der Berliner AI-Künstler und Satiriker snicklink postete diese Video:

Aber auch andere X-Nutzer hatten Spaß mit Bildern und Fotos, die sich über die – aus ihrer Sicht – unglaubwürdigen Schilderungen im WSJ-Artikel lustig machten:

Wie geht es weiter?

Bislang (zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels) hat kein Regierungsvertreter die WSJ-Recherche oder das WELT-Interview kommentiert, was an sich schon unglaublich ist. Ich nehme an, es gibt an diesem Wochenende einige Eilsitzungen, in denen gerade die Kommunikationslinie besprochen wird und wir können sehr zeitnah mit einer Stellungnahme rechnen. Wir können gespannt sein, wie sie sich hier positionieren.

Sahra Wagenknecht fordert jetzt einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Rolle der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines.

Das scheint dringend nötig – denn das ist der richtige Ort, um all diese Fragen aufzuklären. Denn so interessant und auch teilweise unterhaltsam die Reaktionen und Diskussionen in den regulären Medien und den sozialen Medien sind, kann eine solche Staatsaffäre nicht über die Schwarmintelligenz gelöst werden.

Titelbild: Omurali Toichiev/shutterstock.com


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