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Titel: Der Vertrag zur Rettung der Welt – gebrochen und vergessen
Datum: 19. August 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Aufrüstung
Verantwortlich: Redaktion
Im Jahr 1968 wurde ein Vertrag zur Rettung der Welt auf den Weg gebracht. Zug um Zug verpflichteten sich im Laufe der Zeit die Staaten, die Atomwaffen besaßen, unter internationaler Kontrolle vollständig abzurüsten. Die Staaten, die keine Atomwaffen hatten, versprachen im Gegenzug, auf den Erwerb von Atomwaffen zu verzichten. Heute gibt es 191 „teilnehmende Parteien“, 95 haben den Vertrag ratifiziert. Vier Staaten – Indien, Pakistan, Israel und der Südsudan – unterzeichneten den Vertrag nicht, und Nordkorea trat 2003 wieder aus. Von Oskar Lafontaine, mit freundlicher Genehmigung der Weltwoche.
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Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) verteilen sich die 12.100 Atomsprengköpfe auf neun Staaten. Russland und die USA haben den Löwenanteil und besitzen 10.200 Atombomben.
Ob es uns bewusst ist oder nicht, wir leben mehr denn je in einer verrückten Welt. Einige wenige Menschen haben die Macht, die Welt in die Luft zu jagen und Milliarden von Menschen zu töten. Wieder einmal bestätigt sich, was der Philosoph des Atomzeitalters Günther Anders als das prometheische Gefälle bezeichnet hat. Die Menschheit kann sich nicht mehr vorstellen, was sie herstellt. Wir sind unfähig, die unvorstellbar große Gefahr kognitiv und gefühlsmäßig wahrzunehmen und zu verarbeiten.
Aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass nichts passiert, zumal viele Rüstungskontrollverträge, die unser Leben sicherer gemacht haben, gekündigt wurden. Zwei waren besonders wichtig, der ABM-Vertrag und der INF-Vertrag. Der Erstere verbot die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen. So wusste jede Großmacht: Wer als Erster Interkontinentalraketen startet, stirbt als Zweiter. 2002 kündigte US-Präsident George W. Bush diesen Vertrag unter Verweis auf den Terrorismus. Mittlerweile stehen Abwehrraketen der USA in Polen und Rumänien, und selbstverständlich mussten die Russen davon ausgehen, dass solche Systeme auch in der Ukraine aufgestellt würden. Die Russen wissen, dass diese Raketenabwehrsysteme schnell so umgerüstet werden können, dass man von ihnen Angriffsraketen starten kann.
„Eine Option“
Und als wäre das nicht genug, kündigte US-Präsident Trump 2019 den für die Europäer so wichtigen INF-Vertrag, nachdem beide Großmächte einander vorgeworfen hatten, den Vertrag zu verletzen. Auf dem NATO-Gipfel 2024 erklärte US-Präsident Biden, dass die USA ab 2026 wieder landgestützte Raketen in Deutschland aufstellen würden, die in wenigen Minuten Moskau erreichen können. Der devote deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und sein ebenso unterwürfiger Kriegsminister Boris Pistorius stimmten diesem Plan der USA zu, ohne dass der Deutsche Bundestag damit befasst worden wäre. Man muss davon ausgehen, dass sie die Tragweite dieser Entscheidung nicht verstanden haben. Zu den Raketen, die in Wiesbaden aufgestellt werden sollen, gehören auch Hyperschallraketen, die aus technischen Gründen für Moskau noch gefährlicher sind als die Pershing 2, deren drohende Aufstellung in den Achtzigerjahren zu den großen Friedenskundgebungen in Westdeutschland geführt hatte.
Sollten die Russen in den kommenden Jahren einmal glauben, ein Raketenangriff der USA stünde kurz bevor, dann müssten sie als Erstes die in Deutschland aufgestellten Raketen ausschalten. Landgestützte Raketen ohne Vorwarnzeit sind das Messer am Hals des Rivalen. Es geht um die Fähigkeit zum Enthauptungsschlag, also darum, die Kommandozentralen der gegnerischen Atommacht auszuschalten. Der Verweis auf russische Raketen in Kaliningrad, der oft von deutschen „Sicherheitsexperten“ wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter, Roderich Kiesewetter oder Norbert Röttgen vorgebracht wird, liegt völlig daneben. Die für das Überleben der USA entscheidenden Kommandozentralen befinden sich auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans, viele Tausend Kilometer entfernt. Nur wenn russische oder chinesische Raketen auf Kuba, in Mexiko oder in Kanada aufgestellt würden, wäre Washington in ähnlicher Weise mit der Gefahr eines Enthauptungsschlages konfrontiert.
Statt atomar abzurüsten, entwickeln die Atommächte neue, „bessere“ Atombomben. Wahnsinnig gewordene Militärplaner faseln von der Führbarkeit eines Atomkrieges. Der israelische Minister für das Kulturerbe Amichai Elijahu nannte den Einsatz der Atombombe im Gazastreifen „eine Option“.
Die Gefahr eines Atomkrieges wächst. Daher müssen die gekündigten Rüstungskontrollverträge aktualisiert und wieder in Kraft gesetzt werden. Der UNO-Generalsekretär sollte jährlich eine UNO-Vollversammlung einberufen, auf der die Atommächte Rechenschaft darüber ablegen müssen, welche Schritte sie zur Erfüllung des Atomwaffensperrvertrages unternommen haben. Die Klimabewegung, in der sich besonders junge Menschen engagieren, sollte sich endlich auch für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt einsetzen. Ein Atomkrieg, der morgen durch menschliches oder technisches Versagen ausgelöst werden könnte, wäre die größte vorstellbare Klimakatastrophe.
Titelbild: DesignRage/shutterstock.com
Dieser Artikel erschien zuerst in der Weltwoche Nr. 33.24.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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