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Titel: US-Präsidentenwahl: Kampf zweier Kapital-Fraktionen – Teil 1
Datum: 16. August 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, PR, USA, Wahlen
Verantwortlich: Redaktion
Der Republikaner Donald Trump hat Multimilliardäre der zweiten Liga hinter sich sowie zunehmend junge, aggressive Silicon-Valley-Investoren. Die Demokratin Kamala Harris hat Wall Street und die Globalkonzerne hinter sich, dazu Milliardärsfrauen und Hollywood. In der Krise des US-Kapitalismus sind beide möglichen Präsidenten gefährlich – für die Bevölkerungsmehrheit in den USA und vor allem für die Weltgesellschaft, für Völkerrecht und Menschenrechte. Lesen Sie heute den ersten Teil einer dreiteiligen Serie zum US-Wahlkampf von Werner Rügemer.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Attentat auf Trump: Endlich Dynamik im Wahlkampf
Die Wahl des nächsten US-Präsidenten findet im November 2024 statt. Der gegenwärtige Präsident Joe Biden von der Demokraten-Partei hatte sich im April 2023 zum Kandidaten erklärt. Dabei hatte er schon mit Beginn seiner Präsidentschaft schrittweise an Zustimmung verloren. Und obwohl dann bald auch seine stotternde, stolpernde Senilität sichtbar wurde, hielten er, seine Partei, seine Sponsoren und ihre Leitmedien an seiner Kandidatur fest.
Bidens hilflos-peinlicher Auftritt bei der TV-Debatte mit Trump am 27. Juni machte seinen Unterstützern eigentlich klar: So geht das nicht. Aber er blieb trotzdem Präsidentschaftskandidat. Sogar, als er am 11. Juli beim NATO-Gipfeltreffen in Washington den Präsidenten der Ukraine Wolodymyr Selenskyj als „Präsident Putin“ ankündigte, wurde das heruntergespielt; ebenso, als er seine Vizepräsidentin Harris mit Trump verwechselte.
Nur „der Allmächtige“ könne ihn von einer weiteren Kandidatur abhalten, erklärte Biden. US-Präsidenten stehen ja nach Staatsverständnis in direkter Beziehung zum Allmächtigen, der „God’s Own Country“ vor allen anderen Staaten schützt und führt. US-Präsidenten sind deshalb eine besondere Mischung: Sie haben im Vergleich zu anderen parlamentarischen Demokratien eine extreme, autoritäre Machtfülle – und zugleich sind sie Frühstücksdirektoren, die auch dann „regieren“, wenn sie senil sind und Freund mit Feind verwechseln: Das komplexe US-Imperium funktioniert trotzdem wie zuvor.
Dann aber erhörte der Allmächtige die Demokratische Partei und überhaupt die westliche Demokratie: Der Allmächtige kam in Gestalt des 20-jährigen Highschool-Absolventen Thomas Crooks. Der hatte, beobachtet vom Secret Service, am 13. Juli mithilfe einer Drohne noch zwei Stunden vor Trumps Wahlkampfauftritt den Veranstaltungsort und die Bühne in Butler/Pennsylvania auskundschaften können. Crooks hatte von seinem Vater das schwere halbautomatische AR-15-Gewehr gekauft, kaufte sich Munition und eine Leiter, konnte dann am Veranstaltungsort in aller Ruhe auf ein nahes Dach klettern und von dort auf Trump schießen – vorbei an den bewaffneten Männern des Secret Service.
Aber Crooks’ Kugel erwischte Trump nur am Ohr, denn auch Trump als Ex-US-Präsident steht unter dem Schutz des Allmächtigen. Der Attentäter wurde vom Secret Service zielgenau sofort erschossen, konnte nichts mehr sagen, die langjährige Chefin des Secret Service trat zurück.[1] So weit die US-Normalität, die auch bei den sonstigen Freunden der westlichen Demokratie nicht zu besonderer Aufregung führt.
Kandidatin Harris: gefeiert von Wall Street bis Hollywood
Erst das Attentat und Trumps kämpferische Reaktion führten zu Bidens Rücktritt von der Kandidatur. Er ging nicht auf die Rücktrittsgründe ein, sondern beschwor gebetsmühlenartig seine „bescheidene Herkunft“. Er beschwor wie schon Barack Obama den amerikanischen „Exzeptionalismus“, also die „liberale“ Version von „America First“. Er beschwor „Amerika als die mächtigste Idee in der Weltgeschichte“. Er beschwor „die Familie“ und „die Demokratie“ als amerikanische Werte und ernannte seine Vizepräsidentin Kamala Harris zur Kandidatin für den Wahlkampf. Und seine eigene Familie wurde nach der Rede für die Nation und die Welt im Weißen Haus von den Leitmedien gefühlig mit Umarmungen und Tränen in Szene gesetzt.[2]
Das Partei-Establishment war wie erlöst. In wenigen Stunden nach dem Rücktritt flossen über 100 Millionen Dollar für den bisher stagnierenden, lustlosen Wahlkampf, nach zwei Wochen schon 300 Millionen Dollar. Und endlich konnte das Thema gewechselt werden: Harris ist jünger – im Gegensatz zu Trump, dessen Alter nun plötzlich als Problem inszeniert wird, und Harris ist eine Frau – im Gegensatz zum Macho-„Trumpel“.
So flossen als Erste die hohen Spenden von superreichen Frauen:
So wurde Harris nach der überschwänglichen internen 99-Prozent-Abstimmung auch die Präsidentschaftskandidatin. Nach Zahl und Kapital der Unterstützer dominieren allerdings Männer:
Harris und ihr Vize Tim Walz haben mit der „liberalen“ New York Times (NYT) die beim Druck wie digital größte „liberale“ Zeitung des US-geführten Westens hinter sich. Die NYT berichtet jeden Stimmenzuwachs für Harris und erteilt ihr Ratschläge für die Verbesserung des Wahlkampfs: „Harris muss überzeugen, nicht Kritik einfach abtun“.[5] Der Nobelpreisträger für Wirtschaft Paul Krugman wirbt jede Woche in der NYT für Harris/Walz. Und die NYT geißelt Trump als Lügner, Verschwörungstheoretiker, Realitätsverleugner und Geistesverwirrten.[6]
Die NYT ist mit 9,6 Millionen meist akademischen Abonnenten eng mit der Partei der Demokraten verbunden, das heißt auch mit den führenden US-Kapitalorganisatoren BlackRock, Vanguard & Co., die nicht nur die wichtigsten Aktionäre der etablierten Silicon-Valley-, Rüstungs-, Pharma-, Fracking-, Agrobusinesskonzerne und der Wall-Street-Banken sind, sondern eben auch der NYT.[7]
Harris-Wahlkampfteam mit 1.300 Mitgliedern
Harris übernahm das Wahlkampfteam von Biden: 1.300 bezahlte Mitglieder, dazu 370.000 Freiwillige, die von Haustür zu Haustür rennen. Als Top-Berater holte Harris sich allerdings die Leiter der erfolgreichen Obama-Wahlkämpfe: David Plouffe, Mich Stewart, Jen O’Malley Dillon, dann David Binder, Obamas obersten Meinungsforscher, schließlich Stephanie Cutter, die im Weißen Haus Obamas Leiterin für Kommunikation war: Sie bereitet mit ihrer eigenen Beratungsfirma die Inszenierung des Parteitags vom 19. bis 22. August 2024 vor.
Zur Inszenierung gehören prominente Sängerinnen, Influencer, Schauspieler, Sportler. So gab Weltstar und Pop-Ikone Beyoncé ihren erfolgreichsten Song „Freedom“ als Leithymne der Harris-Wahlkampagne frei. Darin singt sie von ihrer diffus-verzweifelten Suche nach Freiheit und bittet Gott dafür um Vergebung („Freedom where are you? Too I break chains all by myself. Lord forgive me“: Freiheit wo bist du? Ich breche meine Ketten alle selbst. Herr, vergib mir).
Harris I: „Ein unbeschriebenes Blatt“ und „Niete“
Als Vize von Biden hatte Harris in der Wahl 2020 kritische Themen besetzt und damit Stimmen geholt: als Frau überhaupt, auch „als erste schwarze Frau“ in dieser Position. Sie verteidigte die Abtreibung, sie kritisierte das umweltschädliche Frackinggas und die allzu mächtigen Digitalkonzerne. Als Trump Präsident war, gab sie sich besonders kritisch: „Die Gier und der Missbrauch an der Wall Street haben unsere Wirtschaft 2008 zum Einsturz gebracht. Ich werde gegen jede Gesetzgebung kämpfen, die die großen Banken dereguliert.“
Doch dann als amtierende Vizepräsidentin blieb davon nichts übrig. Bei ihren Auftritten produzierte sie ihr standardisiertes breites Lachen. Es blieben die symbolisch-folgenlosen Soft-Themen Frau und „erste schwarze Frau“ als Vizepräsidentin. Sogar die sympathisierende NYT charakterisierte Harris jetzt als „unbeschriebenes Blatt“.[8]
Ähnlich fühlt das deutsche Harris-Werbemedium Der Spiegel mit: „Kamala Harris galt als Niete der amerikanischen Politik. Nun ist sie die Hoffnung der Demokraten und soll Amerika vor Donald Trump retten.“[9]
Harris II: „Die lachende Freudenbringerin“
So inszenieren die Wahlkampfberater das unbeschriebene Blatt Harris jetzt gegen Trump als ehemalige Staatsanwältin, die in Kalifornien 1.900 Kriminelle zur Verurteilung gebracht, für Recht und Ordnung gesorgt hat – als Gegenbild zum vielfachen Rechtsbrecher Trump. Da blüht Harris auf.
Aber die Staatsanwältin Harris hat sich an Kleinkriminellen abgearbeitet, die dann wegen Konsumbetrug und wegen des Besitzes und Handels von Haschisch verurteilt wurden. Silicon-Valley-Promis mit ihren Drogen-Partys wurden von Harris nie angeklagt. Da liegt sie brav im herrschenden US-Standard: Die Justiz verfolgt Kriminelle aus den armen Milieus und der people of color, die füllen dann die überfüllten, privaten Gefängnisse und arbeiten billigst für Microsoft.
So wird das „unbeschriebene Blatt“ jetzt von ihren hochbezahlten Beratern situationsbezogen neu beschrieben. Ihr typisches breites Lachen wurde, zu ihrem Kampagnen-Logo hochgestylt, allerdings leicht abgeändert (battletested version). Sie führt nun eine Kampagne der Fröhlichkeit, Harris als „lachende Kämpferin“ (smiling trooper) gegen die rückwärtsgewandte Trostlosigkeit, die auf den Konkurrenten Trump projiziert wird. „Unser nächster Präsident bringt die Freude“ – so die zentrale Botschaft.[10]
Und die große Politik, die steigende und regulär nicht mehr rückzahlbare Staatsüberschuldung, die Verarmung und Erkrankung der arbeitenden Mehrheit und ihre sinkende Lebenserwartung, die Obdachlosigkeit, die illegalen ausgebeuteten Migranten, der Rassismus, die Kriege der USA und der von ihnen ausgehende, mögliche Weltkrieg – alles fehlt bei der lachenden Freudenbringerin.
Harris-Vize Tim Walz I: Waffenträger seit der Schulzeit
Harris holte sich als Vize Tim Walz, den Gouverneur von Minnesota, vorher Kongressabgeordneter. Vor allem musste der Vize eine weiße Hautfarbe haben. Und er durfte nicht mit dem „liberalen“ und von Trump als „links“ angeprangerten urbanen Milieu San Franciscos und Kaliforniens assoziiert werden, wo Harris aufstieg. Unter den möglichen Kandidaten war Walz der Unbekannteste – also mit Harris ein zweites „unbeschriebenes Blatt“, das nun neu beschrieben werden kann.
Den Ausschlag bei der schnellen Entscheidung für Walz hat wohl ein TV-Interview gegeben: Walz hatte die Konkurrenten Trump und Vance als „seltsam“ und „gruselig“ bezeichnet (weird, creepy). Diese bescheidene Kritik hatte eine Riesenresonanz in den Medien und wurde blitzartig zum Schlagwort, der Gegner schien überrumpelt.
Harris lobt ihren Vize als langjährig gut verheiratet, als guten Ehemann und Vater zweier Kinder, als Highschool-Lehrer für Sozialkunde, der auch die Fußballmannschaft der Schule trainiert und zum Sieg geführt hat. In der Schule hat er dafür gesorgt, dass auch in Jungentoiletten Tampons ausgelegt wurden – gendergerecht. Und Harris lobt, dass er davor die längste Zeit – 24 Jahre – in der Nationalgarde gedient hat, dort zum Commander aufstieg und deshalb dann der ranghöchste Soldat war, der je Kongressabgeordneter wurde.
Walz ist Waffenbesitzer und Jäger, er jagt mit Vorliebe Truthähne und Fasanen. Schon als Jugendlicher ließ ihn sein Vater mit Gewehr in die Schule gehen und nach dem Fußballspiel mit Freunden noch eine Jagd auf Truthähne anschließen – der Vater, ein stolzer Veteran, hatte im USA-Korea-Krieg gedient. Walz hält privaten Waffenbesitz für notwendig, „um unsere Kinder zu schützen“. Er setzte sich für bessere Behandlung von Irak- und Afghanistan-Veteranen ein. So bekam er für mehrere seiner früheren Wahlkämpfe das A-Rating der National Rifle Association (NRA).[11]
Harris-Vize Walz II: Mitläufer, soll Arbeiterstimmen holen
So wird Walz, gewiss zutreffend, als gesichert Nicht-Linker inszeniert, soll aber zugleich Arbeiterstimmen holen, auch im ländlichen Raum, denn er vertritt einen ländlichen Wahlbezirk in einem Bundesstaat, der von Landwirtschaft geprägt ist.
Dafür wird hervorgeholt, dass er als Lehrer Gewerkschaftsmitglied und kein Absolvent einer Elite-Universität war. Walz als Politiker hat sich dann in Minnesota für die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns eingesetzt, auch für bezahlte Elternzeit und erweiterten bezahlten Urlaub von Arbeitnehmern, für das Recht auf Abtreibung. Das prädestiniere ihn, „um für Mittelklasse-Familien und für Arbeiterfamilien zu kämpfen“.[12]
Doch sogar die freundliche New York Times bescheinigt ihm: Als Senator war Walz ein „Mitläufer mit niedrigem Profil“, der der Parteiführung folgte – zum Beispiel, als die Regierung Obama die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns dann doch nicht landesweit weiterverfolgte. So kann er vielleicht, vielleicht ein paar Arbeiterstimmen holen, wird dann aber als Vizepräsident den Mund halten, wie es die jetzige Vizepräsidentin Harris vormacht.
Lesen Sie morgen den zweiten Teil auf den NachDenkSeiten.
Titelbild: Muhammad Alimaki/shutterstock.com
[«1] Trump gunman was often ahead of the Secret Service, New York Times 29.7.2024. Im Folgenden wird die New York Times als NYT zitiert.
[«2] The beginning of Biden’s long goodbye, NYT 26.7.2024
[«3] Wealthy women stockpile for Harris, NYT 24.7.2024
[«4] Harris Team drawn from Hollywood to Wall Street, Financial Times 27.7.2024
[«5] Harris must persuade, not dismiss, NYT 12.8.2024
[«6] Trump lies about Harris and crowds, NYT 14.8.2024
[«7] Werner Rügemer: BlackRock & Co. enteignen! Frankfurt/Main 2023, 3. Auflage, Seite 58
[«8] Tim Walz will be a potent weapon, NYT 8.8.2024
[«9] Euphorie des Anfangs, Der Spiegel 27.7.2024
[«10] Joy is fueling the Harris campaign, NYT 10.8.2024
[«11] Tim Walz – Lehrer, Jäger, Waffenbesitzer, dpa 6.8.2024; A politician’s extraordinarily ordinary life, NYT 9.8.2024
[«12] Harris bets Walz as running mate to draw in more working-class voters, Financial Times 7.8.2024
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