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Titel: Leserbriefe zu „Börsenkauderwelsch“

Datum: 11. August 2024 um 13:00 Uhr
Rubrik: Leserbriefe
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Jens Berger thematisiert in diesem Beitrag die Börsenberichterstattung. Man habe sich an die „esoterische Sprache und Denke der ‘Finanzprofis’ gewöhnt“. Daher sei es an der Zeit, sich an ein paar Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften zu erinnern. Das geschieht beispielhaft anhand der Begriffe Gewinne und Verluste sowie an der Bedeutung des Kaufs von Aktien. Beim Schauen der „Börse vor Acht“ oder beim Lesen des Finanzteils einer Zeitung solle das bedacht werden. Wir haben hierzu interessante Zuschriften bekommen und danken dafür. Es folgt nun eine Auswahl der Leserbriefe, zusammengestellt von Christian Reimann.


1. Leserbrief

Hallo Herr Berger,

danke für diesen Artikel, schön, dass man so was auch mal wo lesen kann.

Ich hab mich auch schon immer über das Kauderwelsch geärgert, weil ich als gelernter Bankkaufmann es als solches identifizieren konnte. Als ich meinen Beruf in den 60er Jahren gelernt habe, hat man mir auch noch das Leitbild des “ehrbaren Kaufmanns” beigebracht und ich war immer stolz auf meinen Beruf, wenn ich auch “nur” in einer Landesbausparkasse gearbeitet habe und nie mit den großen Geldschiebereien zu tun hatte.

Vor allem die Tatsache, dass “Kursgewinne” bzw. “Kursverluste” nur auf dem Papier stehen und nur bei Verkauf des Papiers realisiert werden, ist kaum jemandem zu erklären – ich habs oft genug vergeblich versucht. Jeder schwadroniert von den riesigen “Gewinnen”, die er angeblich “an der Börse” erzielt oder jammert über die “Verluste”, die er erlitten hat, dabei ist gar nichts passiert, weil er ja beides nicht durch den Verkauf realisiert hat.

Auch der Hinweis, dass der Kauf einer Aktie keineswegs eine Investition im volkswirtschaftlichen Sinn darstellt, sondern nur eine Spekulation, ist von Ihnen sehr treffend und verständlich ausgeführt.

Vielleicht begreifen jetzt auch noch einige, welchen Unfug die viel gepriesene “aktienbasierte” Rente darstellt. Als ob wir das ohnehin mehr als schäbige deutsche Rentenniveau durch haltlose Spekulationen verbessern oder auch nur halten könnten! Leider habe ich die Befürchtung, dass diese Spiegelfechterei, an der letztendlich nur wieder die Finanzindustrie verdienen wird, durchgezogen wird.

Mit hoffnungslosen Grüßen
Heinz Kreuzhuber


2. Leserbrief

Hi Jens,

Danke für den Super-Beitrag!  Sie sind einer der wenigen, die finanztechnische Zusammenhänge auf Grund Ihrer Ausbildung kennen, richtig einordnen und beschreiben. Ich werde Ihre Bücher und die Veröffentlichungen von Norbert Häring lesen.  Wenn ich das alltägliche Geschwurbel höre, wird mir jedes mal schlecht. Deutschland steckt in einer schweren Rezession fest und die Bundesregierung schaut einfach weg. Wir haben eine vollständig dilettantische Regierung, die keine Verantwortung mehr tragen kann. Zum Glück gibt es noch Web-Sites, wie NDS und andere, auch verbotene, über die man sich informieren kann.

Macht bitte weiter so. Nehmt keine Rücksicht mehr!

Grüße
von unserem Leser R.O.


3. Leserbrief

Sehr geehrter Hr. Berger,

Im Grund haben sie schon recht mit ihren Ausführungen, aber trotzdem verbleibt ein unangenehmer Geschmack von iTipfelreiterei. Wenn sie eine klassische Investition wie von ihnen beschrieben tätigen, dann erwarten sie doch auch eine Rendite in irgendeiner Form. Wenn sie mit ihrem Geld also ein Unternehmen gründen, dann erwarten sie als Ertrag ein Dividende, nicht wahr. Man würde doch nie von einer Investition sprechen, wenn das keinen Ertrag verspricht, in so einem Fall spräche man ja von Schenken oder Spenden oder Liebhaberei. Haben sie nun ihr Geld in ein Unternehmen investiert und benötigen sie aus irgendeinem Grund dringend Kapital, dann ist es doch sehr hilfreich, wenn sie an einer Börse sofort jemanden finden, der ihnen ihre Investition abkauft. Dieser jemand hat dann also ihre ursprüngliche Investition übernommen, in diesem Sinne also an ihrer Stelle (nach)investiert. Eine Altersvorsorge durch Ankauf von dividendenversprechenden Aktien ist natürlich eine Möglichkeit, aus einer Investition einen Ertrag zu lukrieren, daran ist nichts falsch. Anders, wenn man Bitcoin kauft, o.ä., also Werte, die keinen Ertrag, sondern lediglich mögliche Kursgewinne versprechen, dann bin ich wieder bei ihnen.

Wo ich mit ihnen d’accord bin ist, wenn bei einem Kursrutsch von “der Vernichtung von Milliardengewinnen” gesprochen wird. Sehr lustig, richtiger wäre Milliardenwerte, zwar auch polemisch nur im Prinzip nicht falsch, weil ja Buchwerte auch „Werte” sind, sonst würden sie ja nicht so heißen, halt nur Buchwerte.

Mit freundlichen Grüßen
Heinz G. Kaiser


4. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,

ich habe „vor vielen, vielen Jahren“ zwar nicht „Wirtschaftswissenschaften studiert“, aber ich traue mir durchaus zu, zu erkennen, dass nicht alle Aussagen in ihrer Stellungnahme korrekt, sondern teilweise irreführend sind.

  1. Ihre Aussage „Sie investieren somit nicht in das Unternehmen, sondern geben das Geld einer anderen Person“ ist kein Widerspruch.

    Zwar gebe ich mein Geld nicht dem Unternehmen, sondern einer anderen Person, bin als Konsequenz aber trotzdem anschließend Teilmiteigentümer des Unternehmens geworden und hoffe, dass es in Zukunft zu meinem Vorteil prosperiert. Das nenne ich Investor sein.

  2. Durch „streng genommen“ relativieren Sie Ihre Aussage selbst: „sind die realisierten Gewinne und Verluste jedoch streng genommen ein Nullsummenspiel“.

    Sie verschweigen, dass die Bewertungen, z.B. der Unternehmen im DAX (Kurs: 1987=1000, 2024=18000) und anderer Indizes trotz aller Schwankungen langfristig regelmäßig angestiegen sind.

    Der Grund für diesen Anstieg ist vielleicht nicht nur, aber auch, die gestiegene Produktivität der Unternehmen.

    Das gilt selbstverständlich nicht für jedes einzelne Unternehmen, aber für den Durchschnitt.

    Das bedeutet, dass die meisten Beteiligten zwangsläufig Gewinne aus ihren Investitionen/Spekulationen nach dem Verkauf/der Realisierung erzielen konnten.

    Die Erwartung, dass z.B. der DAX irgendwann wieder auf 1000 fallen könnte, dann wäre es tatsächlich ein Nullsummenspiel gewesen, ist m.E. unrealistisch.

Trotzdem lese ich Ihre Texte meistens sehr gerne!

Mit freundlichen Grüßen
Manfred Marggraf

Anmerkung Jens Berger: Sehr geehrter Herr Marggraf,

das mag jetzt ein wenig beckmesserisch klingen – aber wenn sie die Buchwerte außer Acht lassen und sich auf die realen Gewinne/Verluste beschränken, haben wir es hier zweifelsohne mit einem Nullsummenspiel zu tun. Das heißt ja nicht, dass keiner der Spieler reale Gewinne erzielen kann. Wenn ich eine Aktie für 100 Euro kaufe, verkauft sie ein anderer Spieler für 100 Euro. Wenn ich sie später für 1000 Euro verkaufe, habe ich natürlich einen sehr realen Gewinn erzielt. Ich kann die Aktie aber nur verkaufen, wenn sie ein anderer Spieler zu diesem kauft, also 1000 Euro zahlt. Systemtisch ist das ein Nullsummenspiel. Ich habe Zahlungsströme von -100 und +1000 also in der Summe +900. Der Rest der Spieler hat Zahlungsströme von +100 und -1000 also -900. 900 – 900 = 0.

Beste Grüße
Jens Berger


5. Leserbrief

Guten Tag Herr Berger,

die ausführliche Berichterstattung vom täglichen Börsengeschehen im ÖRR ist dem Zeitgeist geschuldet. Garniert mit volkswirtschaftlichem Unsinn, der dort regelmäßig verlautbart wird, es sei nur an die viel gepriesene schwäbische Hausfrau erinnert, oder was mit sich ändernden Leitzinsen alles passieren wird.

Eine der Botinnen ist Anja Kohl, die dank ihres Geltungsdrangs, gepaart mit Wissenslücken, weitere Plattformen geboten bekommt. So ist sie regelmäßiger Gast beim „Sonntags-Stammtisch“ im BR. Immer feste druff.

Letzten Endes darf die Komponente des Glücksspiels nicht vergessen werden, die dem Ganzen innewohnt. Nicht wenige Bundesbürger, vor allem männlichen Geschlechts, sind mit Halbwissen zum Thema Geldordnung und Merkmalen einer Suchtpersönlichkeit geschlagen. Für jene heißt es, das regelmäßige Handeln an der Börse entwickelt sich zu einem Verlustgeschäft. Es gibt auch genügend Börsenweisheiten, die dieses Verhalten anschaulich beschreiben, wie z. B.  hin und her macht Taschen leer. Man bekommt als neugieriger Zuhörer meist nur geglückte Aktivitäten erzählt. Meine lakonische Antwort, wenn alle Stricke reißen, sollte noch reich geheiratet werden. Silvio Berlusconi gab im März 2008 diesen rustikalen Rat:

Der italienische Oppositionsführer Silvio Berlusconi hat jungen Frauen dazu geraten, einen Millionär zu heiraten – und damit bei seinen politischen Gegnern für Empörung gesorgt. Auf die Frage einer Studentin in der Fernseh-Show “Punto di Vista”, wie junge Paare ohne sichere Arbeitsplätze in Italien eine Familie gründen könnten, antwortete der Medienmogul: “Als Vater rate ich Ihnen, einen Sohn Berlusconis oder einen ähnlichen Mann zu heiraten, der nicht solche Probleme hat. Mit Ihrem Lächeln können Sie sich das ja leisten.”

Der Neoliberalismus hat das gesamte Leben durchdrungen, und Selbstoptimierung steht ganz oben. Wer es nicht schafft, hat versagt. Margaret Thatcher mit ihrer Krämerseele brachte es auf den Punkt:
“I think we’ve been through a period where too many people have been given to understand that if they have a problem, it’s the government’s job to cope with it. ‘I have a problem, I’ll get a grant.’ ‘I’m homeless, the government must house me.’ They’re casting their problem on society. And, you know, there is no such thing as society. There are individual men and women, and there are families. And no government can do anything except through people, and people must look to themselves first. It’s our duty to look after ourselves and then, also to look after our neighbour. People have got the entitlements too much in mind, without the obligations. There’s no such thing as entitlement, unless someone has first met an obligation.”
Mein Mitleid hält sich mit sich selbst überschätzenden Mitmenschen, deren geistige Reifung längst abgeschlossen ist, in Grenzen. Der drohende Gesichtsverlust verunmöglicht oft einen Lerneffekt (Erkenntnis plus Umsetzung). Und so dauert der Aufenthalt länger, als es einem guttut, im Casino Finanzmarkt. Zum Druckabbau dient ein verächtlicher Blick auf die meist männlichen Migranten, die in den Wettbüros und Spielotheken der Republik ihr Geld versenken. Nicht jeder konnte so gut darüber schreiben, wie  Fjodor Dostojewski in seinem autobiographisch gefärbten Roman „Der Spieler“.

Ich möchte von einer Teilnahme am Finanzmarkt keinesfalls abraten, doch neben einer umfassenden Bildung, gefestigter Persönlichkeit und Erfahrung, gehört auch Glück dazu. Wer sein Leben auf spekulative Einkünfte ausrichtet ohne festen Unterbau, ist dem nahezu sicheren Untergang geweiht. Und da gibt der Staat eine arme Figur ab, wenn er der Spekulation, ob bewusst oder nicht, das Feld bereitet. Je mehr einflussreiche Bürger mit ihrer Ersparnis in risikobehafteten Anlageformen stecken, desto wahrscheinlicher ist eine staatliche Rettungsaktion (bail out), wenn es wieder abwärts geht an den Märkten. Dass es irgendwann wieder abwärts geht, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Hyman Minsky liefert(e) mit seinen Thesen eine plausible Erklärung. Von ihm hörte ich allerdings nichts während meines VWL-Studiums. Da musste erst die Weltfinanzkrise 2007 – 2008 kommen. Honi soit qui mal y pense.

Liebe Grüße
Jan Schulz


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