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Titel: Stolz auf das Vorurteil – Die Manipulation der Wahrnehmung durch „Pre-Bunking“
Datum: 8. August 2024 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Was ist „Pre-Bunking“ und warum liegt darin eine Gefahr? Es ist eine Methode der Wahrnehmungsteuerung, die der „Impfung“ gegen Desinformation dienen soll. Aber wer legt überhaupt fest, was Desinformation ist? Und wie funktioniert diese Methode? Leider sehr gut, wie in diesem Artikel anhand von Beispielen aus der Corona-Krise und dem Ukraine-Konflikt gezeigt wird. Ein neuer Beitrag aus der Reihe Propaganda-Taktiken von Maike Gosch.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Zur Einführung in diese Propaganda-Methode möchte ich als großer Jane-Austen-Fan mit einem Beispiel aus ihrem Klassiker mit dem – zu diesem Thema hervorragend passenden – Namen „Stolz und Vorurteil“ beginnen:
In diesem Roman lernt die junge Elizabeth Bennet den kühl und arrogant erscheinenden Mr. Darcy kennen. Bevor sie ihm aber näherkommt und mehr über ihn erfährt und sich ein eigenes Bild von seinem Charakter machen kann, trifft sie bei einer Party einen anderen jungen Mann namens Mr. Wickham, der sehr charmant und freundlich wirkt. Er gewinnt durch seine Art sehr schnell ihr Vertrauen und erzählt ihr von seinem Schicksal, dass er nämlich der Pflegesohn von Mr. Darcys Vater war und nach dessen Tod eigentlich von der Familie unterstützt und mit einer Stelle als Pfarrer versorgt werden sollte. Aber Mr. Darcy habe ihm ohne Angabe von Gründen aus reiner Hartherzigkeit diese Stelle versagt und ihn somit einem Leben in Abhängigkeit und Armut ausgesetzt. Elizabeth ist entsetzt und die Geschichte verbreitet sich in ihrer Familie und der ganzen Ortschaft, sodass alle Mr. Darcy für einen bösen und kalten Mann halten, der dem warmherzigen und lebenslustigen Mr. Wickham großes Unrecht angetan hat.
Diese Geschichte stellt sich erst sehr viel später als sehr unvollständig und grob verzerrt heraus. Tatsächlich hat Mr. Wickham die minderjährige Schwester von Mr. Darcy verführt und ist mit ihr durchgebrannt und nur das beherzte Eingreifen von Mr. Darcy hat sie vor der Schande, die das damals für ein junges Mädchen bedeutete, retten können. Das war der Grund dafür, dass Mr. Darcy Mr. Wickham keine Pfarrersstelle angeboten und ihn nicht finanziell unterstützt hat. Durch das Weglassen dieser Umstände hat Mr. Wickham die Geschichte umgedreht. Tatsächlich war er der Bösewicht in der Geschichte und Mr. Darcy der Held. Elizabeth aber, und auch später ihr Umfeld, ist so beeinflusst von dieser falschen Geschichte, dass sie ab diesem Moment Mr. Darcy wie durch eine Zerrbrille sieht und Anzeichen von Kälte, Egoismus, Hartherzigkeit in allen seinen Äußerungen und Handlungen findet und nichts wohlwollend oder verständnisvoll interpretiert. Dieses böse Gerücht, diese falsche Geschichte, hat ein bestimmtes (falsches) Bild seines Charakters gezeichnet und damit die Rezeption aller kommender Eindrücke von ihm und Erfahrungen mit ihm gesteuert und geformt.
Diese Manipulationstechnik erinnert stark an die moderne Propaganda-Methode des „Pre-Bunking“.
Was ist Pre-Bunking?
Was genau ist „Pre-Bunking“? „Pre-Bunking“ ist eine Wortschöpfung, abgeleitet von dem englischen Wort „Debunking“, was auf Deutsch „Entlarven“ oder „Widerlegen“ bedeutet. „Debunking“ beschreibt den Prozess, bei dem falsche oder irreführende Informationen aufgedeckt und widerlegt werden.
„Pre-Bunking“ ist dagegen zeitlich vorgeschaltet und beschreibt eine präventive Kommunikationsstrategie, bei der versucht wird, die Menschen im Vorfeld auf die Rezeption von falschen Informationen oder schädliche Narrative vorzubereiten, und sie so gegen Falschinformationen quasi zu „immunisieren“ oder zu „impfen“ (mit diesem Framing haben sie schon die Hälfte der Bevölkerung verschreckt, würde ich vermuten). Diese Methode wird oft von Regierungen, Medien und sozialen Plattformen eingesetzt, um die Verbreitung von Desinformationen zu verhindern. Das klingt erstmal sehr „aufklärerisch“: Durch präventive Aufklärung sollen Menschen besser gerüstet sein, um später Lügen und Manipulationen zu erkennen und ihnen zu widerstehen.
Das Interessante daran ist, dass die Anwendung dieser Methoden gar nicht geleugnet wird, sondern stolz darüber berichtet wird, wie die Bevölkerung durch „Pre-Bunking“ oder „Inoculation“ (also Impfung) vor der Gefahr von Falschinformationen und Verschwörungstheorien gewarnt werden wird.
Das Problem mit dieser Methode liegt, wie so oft in den letzten Jahren, in der unsichtbaren Prämisse, die ihr vorgeschaltet ist, die aber nicht offengelegt und damit auch nicht begründet wird oder diskutiert werden kann. Und das ist die sehr einfache Frage: Wer entscheidet, was eine „falsche Information“ und was ein „schädliches Narrativ“ ist?
Beziehungsweise, wir wissen, wer das entscheidet, nämlich in der Regel die Regierung oder staatliche Stellen. Und da sind wir beim Kern des Problems. Der freie öffentliche Diskurs in einer Demokratie, in der Wissenschaft und in allen anderen öffentlichen Bereichen, dient ja gerade dazu, gemeinsam zu einer Wahrheit zu gelangen und nicht dazu, eine Wahrheit zu präsentieren und dann alles wegzudiskutieren und wegzuargumentieren, was es wagt, diese Wahrheit infrage zu stellen oder sie zu widerlegen versucht.
Dieser Punkt ist eigentlich so offensichtlich, dass ich mich wundere, dass er in den vielen Artikeln und Veröffentlichungen zu den Themen „Kampf gegen Desinformation“ und „Pre-Bunking“, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, fast nie vorkam und diskutiert wurde. Wie kann dieser ganz grundsätzliche Geburts- und Webfehler niemandem aufgefallen sein?
Sind sie nicht so klug (das möchte ich nicht unterstellen) oder wurde diese wichtige Vorfrage aus sehr gutem Grund weggelassen, weil es eigentlich bei diesen Methoden darum geht, Widerspruch zu unterdrücken und die öffentliche Meinung zu kontrollieren?
Oder ist es eine Art übertriebene Überzeugung von sich selbst bei den Akteuren, also die Sicherheit: Wir sind die, die Bescheid wissen und die anderen sind die dummen, verblasenen Verschwörungstheorie-Anhänger (Querdenker, Schwurbler, etc.)? Auch das ist ja in gewisser Weise schon das Ergebnis eines Propaganda-Narrativs: Das „otherizing“ der Kritiker und die verzerrte Darstellung von ihnen als „Verrückte“ hat ja wiederum dazu geführt, dass so viele Menschen, wie Journalisten, Wissenschaftler und Wissenschafts-Influenzer, Politiker, etc., diese überhaupt nicht mehr auf Augenhöhe, nicht mehr als „intellektuell satisfaktionsfähig“ wahrgenommen haben und es auch jetzt noch nicht tun, sondern nur noch als quasi lästige, unqualifizierte Zwischenrufer aus dem Volk, die es von der einzigen Wahrheit zu überzeugen gilt. Darin liegt auch eine große Arroganz: Was könnten sie mir schon sagen? Wie könnte ich falsch liegen? Es ist eigentlich das Ende jeder Debatte.
Ich glaube, dass – ähnlich wie von Mr. Wickham gegenüber Elizabeth Bennet – in Bezug auf die Coronakrise, aber auch in Bezug auf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine von staatlicher Seite, mithilfe von Geheimdiensten und NGOs gegenüber der Bevölkerung vorab ein umfangreiches Pre-Bunking geplant und umgesetzt wurde, damit der Boden in der Öffentlichkeit dafür bereitet war, jedwede von der Regierungslinie abweichende Meinungen und Tatsachenbehauptungen durch einen bestimmten Filter wahrzunehmen und sie abzulehnen, ja geradezu „abzustoßen“.
Pre-Bunking in der Corona-Krise
Inwiefern lag bei der Kommunikationsstrategie während der Coronakrise ein „Pre-Bunking“ vor? Nun, am 18. Oktober 2019, also einige Monate vor Ausbruch der Krise, hatte ein sogenanntes „Event 201“ in New York stattgefunden, organisiert von dem Johns Hopkins Center for Health Security, dem World Economic Forum und der Bill und Melinda Gates Foundation, in der die Reaktionen und insbesondere die Kooperation von Regierungen, internationalen Organisationen, privaten Unternehmen und Medienvertretern bei der Reaktion auf eine globale Corona-Virus-Pandemie durchgespielt wurden. Was wie das Hirngespinst von Verschwörungstheoretikern klingt, hat nachweislich stattgefunden.
Hier wurden auch „Empfehlungen“ erarbeitet, unter anderem die folgende (Nr. 7):
Regierungen und der private Sektor sollten der Entwicklung von Methoden zur Bekämpfung von Fehl- und Desinformationen vor der nächsten Pandemie-Reaktion eine höhere Priorität einräumen. Die Regierungen müssen mit traditionellen und sozialen Medienunternehmen zusammenarbeiten, um flexible Ansätze zur Bekämpfung von Fehlinformationen zu erforschen und zu entwickeln. Dies erfordert die Fähigkeit, Medien mit schnellen, genauen und konsistenten Informationen zu überfluten. Gesundheitsbehörden sollten mit privaten Arbeitgebern und vertrauenswürdigen lokalen Meinungsführern wie religiöse Führungspersönlichkeiten zusammenarbeiten, um den Angestellten und Bürgern sachliche Informationen zu vermitteln. Vertrauenswürdige, einflussreiche private Arbeitgeber sollten die Kapazität schaffen, um öffentliche Botschaften schnell und zuverlässig zu verstärken, Gerüchte und Fehlinformationen zu verwalten und glaubwürdige Informationen zu verbreiten, um die öffentliche Notfallkommunikation zu unterstützen. Nationale Gesundheitsbehörden sollten in enger Zusammenarbeit mit der WHO die Fähigkeit entwickeln, schnell konsistente Gesundheitsbotschaften zu entwickeln und zu veröffentlichen. Medienunternehmen sollten ihrerseits sicherstellen, dass autoritative Botschaften priorisiert und falsche Botschaften unterdrückt werden, einschließlich des Einsatzes von Technologie.“
Ich habe mir die Videos der Diskussionen im Rahmen dieses Events angesehen und es ist sehr interessant, was für eine intellektuelle und psychologische Dynamik hier am Werk war und sich durch die Debatten und Beiträge zog. Die unsichtbare Prämisse, dass jeglicher Dissens zur offiziellen Regierungslinie und zu den Empfehlungen der mit der Regierung und der WHO zusammenarbeitenden wissenschaftlichen Institutionen Fehl- oder Desinformation sein muss, wird so geschickt im „Off“ gesetzt, dass sie später nicht mehr diskutiert wird, ja, fast nicht mehr diskutiert werden kann, weil die narrativen Strukturen dazu nicht vorhanden sind. Es passt einfach nicht in die Geschichte, weil abweichende Meinungen und wissenschaftliche Einschätzungen, ebenso wie zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen die Maßnahmen, nur noch als Bedrohung, als etwas Abzuwehrendes und zu Unterdrückendes gesehen werden. Und genauso lief es dann auch ab, wie ein Uhrwerk, als die Pandemielage wirklich im Januar 2020 erklärt wurde.
Es wurde in der Konstruktion der Übung sehr geschickt erreicht, dass nur noch über das „Wie“ (wie bekämpfe ich Desinformation?) und nicht mehr über das „Ob“ (ist es überhaupt Desinformation und wer entscheidet das?) gesprochen wird.
Man muss die Entwickler dieser Methoden schon loben. Das ist ein sehr geschickter Taschenspielertrick, auf den ein Großteil der Angehörigen von Führungs- und Meinungs-Eliten hereingefallen ist. Aus dem kognitiven Nebel, den diese Technik geschaffen hat, arbeiten sie sich jetzt erst langsam wieder heraus, z.B. aktuell unterstützt durch die Veröffentlichung der RKI-Leaks.
Pre-Bunking im Ukraine-Krieg
Auch im Kontext des Ukraine-Kriegs sehen wir die problematische Anwendung von Pre-Bunking. Seit Beginn des Konflikts wurden bestimmte Narrative von westlichen Regierungen und Medien vorab festgelegt, um die öffentliche Meinung zu formen und abweichende Perspektiven zu diskreditieren.
Ein Beispiel ist die Darstellung des Konflikts als ein klarer Kampf zwischen Gut und Böse, wobei die Ukraine als unschuldiges Opfer und Russland als alleiniger Aggressor dargestellt wird. Diese vereinfachte Sichtweise lässt wenig Raum für die komplexen historischen und geopolitischen Hintergründe und den Verlauf des Konflikts. Stimmen, die auf die Rolle des Westens bei der Eskalation der Spannungen hinweisen oder die legitimen Sicherheitsbedenken Russlands in Betracht ziehen, werden oft als Verbreiter (oder Opfer) von prorussischer Propaganda abgetan oder sogar als demokratiegefährdend bezeichnet.
Wie kam es zu dieser Struktur des Meinungsfeldes und war das eine organische Entwicklung? Ich glaube nicht. Eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung dieser Narrative spielten NGOs und andere Organisationen und Medienprojekte in der Ukraine, die großzügig von der U.S.-Regierung und privaten Financiers wie der Soros-Stiftung und anderen Stiftungen aus seinem Umfeld finanziert wurden und das sogar weit vor dem ukrainischen Regierungswechsel im Jahr 2014.
So gab die damalige Unterabteilungsleiterin im Außenministerium, Victoria Nuland, auf einer Veranstaltung im Dezember 2013 damit an, dass die US-Regierung zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Milliarden Dollar in die postsowjetische Ukraine investiert habe, um „Bürgerbeteiligung und gute Regierungsführung zu fördern“.
Jetzt muss man recht naiv sein und keine Ahnung von den Realitäten der U.S.-amerikanischen Außenpolitik haben, wenn man glaubt, dass es sich hierbei tatsächlich um eine rein altruistische Investition in den Aufbau der Zivilgesellschaft handelt. Was nicht heißen soll, dass es das nicht auch war, d.h. sicher gab es Elemente, die dem Aufbau der Zivilgesellschaft dienten und noch sicherer wissen viele der jungen Menschen, die dort arbeiten, nichts von den recht manipulativen Motiven der Finanziers im Hintergrund (ich weiß, dass das wieder wie eine Verschwörungstheorie klingt, aber was soll man machen, wenn es eben tatsächliche Verschwörungen gibt, die man beschreibt). Ich selbst habe noch vor etwa 10 Jahren für die Open Society Foundation in Budapest und Warschau gearbeitet und dort Workshops gegeben und habe zunächst auch gar nicht gemerkt, inwieweit es sich hierbei um einen „Wolf im Schafspelz“ handelte, beziehungswiese, wie sehr kalte geopolitische und auch wirtschaftliche Interessen verwoben sind mit den Aktivitäten und Narrativen zur Einführung einer „modernen, westlichen, demokratischen“ Gesellschaft.
Ein Beispiel von vielen dieser Aktivitäten in der Ukraine war die Gründung der von dem Atlantic Council, westlichen Regierungen und Philantrophen wie George Soros finanzierten Organisation „StopFake“, bei der auch die später als „Scary Poppins“ (wegen ihrer etwas unheimlichen Version eines Mary-Poppins-Liedes über Desinformation) bekannt gewordene Nina Jankowicz gearbeitet hat. Größere Bekanntheit erreichte Jankowicz, als sie im Jahr 2022 zur Leiterin eines neuen „Disinformation Governing Boards“ in den USA ernannt wurde, das von Kritikern sofort – in Anlehnung an Orwells Roman „1984“ – als „Ministry of Truth“ bezeichnet wurde. Der U.S.-amerikanische Präsident Joe Biden nahm in Reaktion auf die große Welle des Widerstands kurze Zeit später von diesem Projekt Abstand. Von einigen U.S.-amerikanischen Medien wurde dies so erklärt, dass das „Disinformation Governing Board“ ironischerweise aufgrund von Desinformation wieder aufgelöst werden musste.
Aber zurück in die Ukraine im Jahr 2014: Im Februar 2014 kam es zu einem gewaltsamen Sturz der Regierung von Viktor Janukowitsch, auf den Arsenij Jazenjuk als neuer Ministerpräsident folgte, der von westlichen Mächten, insbesondere den USA, sehr stark unterstützt und wahrscheinlich auch an die Macht gebracht wurde. Wir erinnern uns an das „Fuck the EU“-Telefonat von Victoria Nuland, in dem sie gemeinsam mit dem damaligen U.S.-amerikanischen Botschafter in Kiew entschied, wer der neue Regierungschef werden sollte: „Yatz is the guy“.
In der Folge brach ein Bürgerkrieg aus und Russland annektierte die Krim nach einem umstrittenen Referendum, in dem sich eine große Mehrheit der Bevölkerung für eine Abspaltung entschieden hat. Lassen wir das TIME Magazine – aus natürlich sehr pro-U.S.-amerikanischer Sichtweise – erzählen, was dann passierte:
„Während der Konflikt in der Ukraine andauert, tobt weit weg von den Frontlinien ein weiterer Kampf – ein Kampf zwischen russischen Nachrichtenwebsites und einer Gruppe von Journalisten aus Kiew, die sagen, dass die Websites Nachrichtenfotos aus der Ukraine missbrauchen und sogar fälschen. Um dem, was sie als Betrug ansehen, ein Ende zu setzen, haben die Journalisten – die Alumni und Studenten der Mohyla-Schule für Journalismus in Kiew sind – Stopfake.org ins Leben gerufen, ein „Faktenprüfungsprojekt, das den Menschen helfen soll, die Wahrheit von der Lüge in den Medien zu trennen“, wie der Mitbegründer und Chefredakteur der Gruppe, Oleg Shankovskyi, gegenüber TIME erklärt.“
Für diese NGO (wobei „Non-Governmental“, also „nicht-staatlich“, bei überwiegend von staatlichen und NATO-Geldern finanzierten Organisationen, seien es auch ausländische Staaten, eigentlich keine korrekte Bezeichnung mehr ist) arbeitete also Nina Jankowicz, die später den in unserem Zusammenhang interessanten Satz sagen sollte:
„The free speech versus censorship framing is a false dichotomy.“
„Das gedankliche Modell, dass Meinungsfreiheit gegen Zensur stellt, ist eine falsche Dichotomie.“
Das ist interessant. Eine „falsche Dichotomie“ ist ein logischer Fehlschluss, bei dem zwei Optionen als die einzigen Möglichkeiten dargestellt werden, obwohl in Wirklichkeit weitere Alternativen existieren. Es wird also eine künstliche Zweiteilung geschaffen, die die Komplexität der Situation oder des Themas nicht vollständig erfasst. Da hat sie natürlich nicht ganz unrecht, dennoch ist es spannend, wie sehr wir uns damit einer Relativierung der Meinungsfreiheit nähern und wie sehr hier schon eine positive Rahmung von „Zensur“ vorbereitet wird (s. dazu auch: Wie aus „Zensur“ der „Kampf gegen Desinformation“ wurde: Eine deutsche Geschichte in sechs Schritten).
Jetzt ist es natürlich nicht falsch oder verwerflich, Desinformation und „Fake News“ der „Gegenseite“ – von der es sicherlich viele gab und gibt – in einem zunächst Bürgerkrieg und später Krieg zu bekämpfen. Was problematisch ist, und hier beginnt die Propaganda und das „Pre-Bunking“ durch den Westen meiner Meinung nach, ist, dass jede Information der Gegenseite per se als „Lüge“ gesehen und bezeichnet wird und dass die Desinformationen und „Fake News“ der eigenen Seite natürlich nicht untersucht und aufgedeckt werden. Ganz zu schweigen davon, dass diese Organisationen von ausländischen Regierungen, der NATO und ausländischen Oligarchen/Philantrophen finanziert wurden, was an sich schon sehr problematisch ist.
Was daran deutlich wird: Anders als die Selbstbeschreibungen und das Selbstverständnis von StopFake und vielen ähnlichen Organisationen vorgeben, handelt es sich bei diesen Organisationen und Medien gerade nicht um einen neutralen Dienst im öffentlichen Interesse zur Aufklärung der nationalen und internationalen Bevölkerung, sondern um klassische Propaganda-Arbeit, wie seit jeher in Kriegszeiten. Es geht nicht darum, die Wahrheit herauszufinden, sondern die Schlacht auf dem Feld der Information zu gewinnen.
Auch daran ist per se nicht so viel auszusetzen, das hat eine lange Tradition und ist in Kriegszeiten vielleicht nicht zu vermeiden. Wo es problematisch wird, ist, wenn ausländische Politiker und Medien, wie die deutschen und die gesamten europäischen, die Informationen und Einschätzungen dieser Organisationen und Medien als objektive und richtige Berichterstattung und Aufklärung über „russische Desinformation“ übernehmen und nicht mehr kritisch hinterfragen. Dann befinden wir uns im (Informations-)Krieg, bevor wir einen einzigen Helm geliefert haben. Beziehungsweise, so wird die heimische Bevölkerung in einem eigentlich neutralen Drittland auf psychologischer Ebene „kriegstüchtig“ gemacht, wie es aktuell wieder so schön heißt.
Was weiterhin problematisch ist, ist, dass viele dieser sehr offensichtlich parteiischen Organisationen wiederum von westlichen, meist U.S.-amerikanischen Medienunternehmen als „objektive“ Fact-Checking-Organisationen anerkannt werden und diese bei der Content Moderation (inhaltliche Moderation), Neudeutsch für die Zensur von Inhalten, beraten.
Und sehr offensichtlich dienen sie auch westlichen Journalisten als Quellen, die scheinbar deren Aussagen und Einschätzungen oft zu unkritisch und ungefragt übernehmen.
Es wird also auch hier, wie in der Corona-Krise, durch die unzähligen Organisationen, deren Aufgabe es ist, „russische Desinformation“ zu bekämpfen, das Feld so vorbereitet, dass keinerlei Raum mehr bleibt für möglicherweise wahre und richtige Informationen, die von russischer Seite gegeben werden, oder solche, die dem westlichen Narrativ widersprechen.
Die reine Möglichkeit von abweichenden Meinungen oder Tatsachen wird damit negiert, ebenso wie die Möglichkeit von Irrtümern, komplexeren Zusammenhängen und auch, ganz entscheidend, von einer Annäherung, von Diplomatie oder sogar, wenn man das Wort noch aussprechen darf, von einem Verhandlungsfrieden.
Denn das ist das Problem dieses „Pre-Bunkings“ und der gesamten Entwicklung der „Moderation“ der Informationslandschaft, die wir seit einigen Jahren vermehrt erleben: Es blockiert den Prozess einer gemeinsamen Untersuchung der Wirklichkeit, mit abweichenden Meinungen, Narrativen und verschiedenen Informationen und Fakten. Diese können nicht mehr im Gespräch miteinander ausgetauscht werden und damit durch einen Prozess der Meinungsbildung zu einem einigermaßen mehrheitsfähigen Ergebnis oder Kompromiss geführt werden. Indem die eine Seite der anderen Seite per se böse Absicht und Lügen unterstellt und alles unterdrückt, was eine andere Perspektive bieten könnte, blockiert sie diesen „organischen“ Prozess, was zu einer Spaltung der Informationslandschaft in immer mehr voneinander isolierte und aufeinander wütende Lager führt.
Wie kommen wir da wieder heraus? Ich glaube, die Meta-Ebene, die ich versucht habe, in diesem Artikel aufzuzeigen, ist hier sehr wichtig. Also, nicht mehr nur über die Inhalte zu sprechen, sondern auch über die Methoden und Strukturen, mittels denen heute mit Meinungen und Informationen umgegangen wird. Und mit einer Emanzipation der Bürger. Je autoritärer und repressiver die Meinungslandschaft geformt und gestaltet wird, desto freier, vielfältiger und selbstbewusster müssen wir reagieren. Und dabei auch nicht in die Falle geraten, nur unser eigenes Lager zu verfestigen und zu starr in unseren eigenen Narrativen zu bleiben.
Die beste „Impfung“ gegen Desinformation ist nicht ein starres vorgegebenes Narrativ, sondern Neugierde, Offenheit und Flexibilität im Denken und die Bereitschaft, sich selbst ein Bild zu machen – die Elizabeth Bennet leider im Roman zunächst nicht hat. Aber am Ende erlangt sie diese Fähigkeit doch und erlebt ihr Happy End und das wünsche ich uns auch.
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