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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 18. Januar 2012 um 8:49 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB/WL)
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Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Und Springers Bild-Zeitung zieht natürlich gleich nach: Hände weg von „Made in Germany“
Anmerkung WL: Man beachte, dass die „Welt“ die Darstellung des IW gleich zur Tatsache erklärt. Es hat lange gedauert bis das Arbeitgeber-Institut IW auf das Kernproblem der europäischen Ungleichgewichte reagierte. Entkräften konnte das IW das Argument allerdings nicht, dass das deutsche Lohndumping zu Lasten Europas ging. Und eigentlich schieß das IW ein Eigentor: Wenn sich die Exporte der deutschen Industrie tatsächlich – wie Hüther sagt – vor allem durch die Qualität ihrer Produkte und die Kundenorientierung der Unternehmen erklärt, dann gibt kaum noch Gründe, die Löhne und damit die Lohnstückkosten nicht (deutlich) zu erhöhen. Das belegt auch die positive Handelsbilanz mit den USA, die nach den Berechnungen des IW deutlich niedrigere Lohnstückkosten verzeichnen.
Siehe zur Widerlegung der IW-Behauptung nochmals:
Quelle: Friederike Spiecker
Paul Krugman meinte dazu: Sorry that it’s in German — but it shows unit labor costs, with 1999=100. The red line is Germany; the black line is France; the green line is the ECB’s 2 percent inflation target; the blue line is southern Europe. The point is that the introduction of the euro led to a period of low interest rates in southern Europe, triggering an inflationary boom; when the boom ended, they were left uncompetitive with northern Europe.
Dass Springers „Welt“ ein Verlautbarungsorgan der Unternehmerseite ist, zeigte sich auch in dem Artikel:
„Franzosen arbeiten 225 Stunden weniger als Deutsche“
In dem Welt-Beitrag heißt es einleitend: “In der Angleichung an Deutschland haben Frankreichs Arbeitnehmer eine Menge nachzuholen. Sie arbeiten sechs Wochen weniger im Jahr als die Deutschen.”
Hält die argumentative Stoßrichtung der Welt auf einer ökonomischen Analyse stand?
Unser Leser G.K. merkt dazu an:Dieser Beitrag der Springer-Zeitung “Die Welt” reiht sich nahtlos ein in die von unseren neoliberalen Politikern, Medien und Wirtschafts-“Experten” betriebene propagandistische Schönfärberei der deutschen Arbeitsmarkt-“Reformen” und des dadurch mit forcierten Lohn- und Sozialdumpings. War es bis vor wenigen Jahren gängige Masche dieser Kreise, durch den penetranten Verweis auf angeblich ökonomisch erfolgreichere Staaten (so z.B. die heute unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten leidenden Staaten Japan, USA oder Irland) die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland zurückzufahren und die Arbeitnehmer von der Zunahme des erarbeiteten Volkseinkommens nahezu vollständig abzukoppeln, so drehen diese Kreise heute – nach Umsetzung der neoliberalen “Reform”-Politik hierzulande – den Spieß um: “Deutschland ist wirtschaftlich erfolgreich.” “Die übrigen Staaten müssen dem deutschen Vorbild nacheifern.” Das unausgesprochene Leitmotto der deutschen Neoliberalen erinnert an schlechte alte Zeiten: “Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.” Hand in Hand mit den neoliberalen “Eliten” der übrigen europäischen Staaten soll die deutsche “Reform-Agenda” nun europaweit ausgerollt werden.
Der Welt-Beitrag zitiert Daten des den französischen Unternehmerverbänden nahe stehenden Wirtschaftsforschungsinstituts COE-Rexecode, nach denen französische Festangestellte wegen der 35-Stunden-Woche 225 Stunden im Jahr weniger als ihre deutschen Kollegen arbeiten würden.
Die neoliberale “Ursachenanalyse” des von der Welt zitierten unternehmernahen französischen Wirtschaftsforschungsinstituts für die dortigen Wirtschftsprobleme wird von der Welt ohne kritisches Hinterfragen übernommen:
“Seit Wochen predigt Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die „Angleichung“ an Deutschland als Heilslösung für die lahmende französische Wirtschaft. (…) Unter den 27 Ländern der Europäischen Union hat Frankreich damit die zweitgeringste Jahresarbeitszeit. Nur die Finnen arbeiten noch weniger als die Franzosen. (…) „Deutschland ist der Prototyp eines Landes, dem es gelungen ist, die Arbeit zu verteilen, obwohl es sich demografisch im Niedergang befindet“, urteilt der Direktor von COE-Rexecode, Michel Didier. (…) Doch die erzwungene Aufteilung der Arbeit (Anmerk. G.K.: wegen der 35-Stunden-Woche) habe nicht funktioniert, glaubt Didier. Stattdessen habe die generelle Reduzierung der Arbeitszeit die Einstellungsschwelle erhöht und zugleich die Kaufkraft reduziert. (…) Nicolas Sarkozy kommen die Ergebnisse der Studie im Wahlkampf gerade recht. (…) Er will vor allem die Gewerkschaftsvertreter überzeugen, sich auf „Wettbewerbsvereinbarungen“ einzulassen, die den Firmen erlauben würden, Arbeitszeit und Bezahlung der Konjunktur anzupassen.”
Dieser stark simplifizierenden Sichtweise des französischen unternehmernahen Forschungsinstituts sowie der Welt widerspricht jedoch selbst das ebenfalls den Wirtschaftsverbänden nahestehende Handelsblatt. Unter der Überschrift “Deutsche sind fleißig, doch die Franzosen sind effektiver” heißt es dort:
“Bevor man nun völlig in Klischees abgleitet, gilt es aber, in Erinnerung zu rufen: Die Zahl der gearbeiteten Stunden ist zwar wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg. In Deutschland wird, wenn Eurostat richtig gerechnet hat, soviel gearbeitet wie in keinem anderen hochentwickelten Land der EU. Die baltischen Staaten hauen stärker rein als wir, Spitzenreiter mit jährlich 2095 Stunden aber ist Rumänien. Griechische Arbeitnehmer, um auch dieses hartnäckige Vorurteil zu knacken, sind im Jahr 70 Stunden länger aktiv als deutsche. Laut Statistik.
Aber noch wichtiger als die Zahl der geleisteten Stunden ist eben, was aus der einzelnen Stunde an produktiver Tätigkeit herausgeholt wird – was übrigens Hauptgegenstand auch der beißend ironischen Schrift des Marx-Schwiegersohns Lafargue war. Und da stehen die Franzosen plötzlich viel besser da als ihre rechtsrheinischen Kollegen: Während ein deutscher Arbeitnehmer im Schnitt in einer Stunde 36,80 Euro erwirtschaftet, bringt es der französische auf 42,60. Der Holländer bringt es auf 47,30 Euro.”
Die vom Handelsblatt genannte Kenngröße Produktivität ist neben der Arbeitszeit ein wesentlicher Bestimmungsfaktor dafür, ob der Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit in einer Volkswirtschaft im internationalen Vergleich ökonomisch angemessen ist. Nur unter Beachtung dieser relevanten Daten kann beurteilt werden, ob der Produktionsfaktor Arbeit im Leistungserstellungsprozeß einer Volkswirtschaft ökonomisch angemessen zum Einsatz kommt.
Innerhalb des “Volkswirtschaftlichen Datenkranzes” existiert eine Kenngröße, welche die ökonomische Wirkung der Höhe der Jahres- und Wochenarbeitszeit, der Produktivität sowie des Lohn- und Gehaltsniveaus (einschließlich Lohnnebenkosten) sehr gut abbildet: Die Lohnstückkosten. Die Frage, ob die Arbeitnehmer eines Staates wegen zu kurzer Arbeitszeiten, zu niedriger Produktivität oder zu hoher Lohnsteigerungen “über ihre Verhältnisse” leben, lässt sich somit anhand der zeitlichen Entwicklung der Lohnstückkosten beantworten. Friederike Spieckers NachDenkSeiten-Beitrag “Welche Verantwortung kommt der Lohnpolitik bei der Lösung der Euro-Krise zu?” zeigt anhand Grafik 3 die Entwicklung der Lohnstückkosten in Deutschland, Frankreich und Südeuropa (Griechenland, Portugal, Spanien, Italien) für den Zeitraum 1999 bis 2011.
Die wesentlichen Erkenntnisse dieser Grafik zur Enwicklung der Lohnstückkosten:
Trotz dieser nahezu perfekten Lohnstückkosten-Entwicklung hat Frankreich wegen der deutschen Dumpingpolitik massiv an preislicher Wettbewerbsfähigkeit sowohl gegenüber Deutschland als auch gegenüber den Staaten außerhalb der Eurozone (wegen des Einflusses des sehr hohen deutschen Außenhandelsüberschusses auf den Euro-Umtauschkurs) eingebüßt. Auch Frankreich wurde seit der Fixierung der Euro-Umtauschkurse der ehemals eigenständigen europäischen Währungen im Jahre 1999 von der deutschen Dumpingpolitik gegen die Wand konkurriert.
Die Auswirkungen dieser divergierenden Lohnstückkostenentwicklungen werden von Friederike Spiecker anhand der zeitlichen Entwicklung der Außenhandelssalden (d.h. der Differenz von Exporten und Importen) in Grafik 2 aufgezeigt:
Das Fazit aus diesen Entwicklungen:
Die neoliberal motivierte Schuldzuweisung des arbeitgebernahen französischen Wirtschaftsforschungsinstituts, des konservativen französischen Präsidenten und der Springerzeitung “Die Welt” an die Adresse der – so wird suggeriert – arbeitsfaulen Franzosen lenkt von den negativen Folgewirkungen der deutschen Dumpingpolitik sowie der neoliberalen Arbeitsmarkt- und Struktur-“Reformen” in Deutschland (“Agenda 2010”, “Rente mit 67”, Reallohnsenkungen etc.) ab und bereitet den Boden, diese europaweit auszurollen. Nutznießer dieser Entwicklung wären die europäischen “Eliten”. Die Einkommens- und Vermögensverteilung würde sich europaweit zunehmend ungleich entwickeln. Auch hier ist Deutschland in den vergangenen Jahren bereits mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Dem “internationalen Spielcasino” würde auf diesem Wege zusätzliches Spekulationskapital zufließen, dies auch zum Schaden der Realwirtschaft. Neue Spekulationsblasen und damit die Verlängerung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise wären die möglicherweise negativen Begleiterscheinungen dieser Entwicklung.
Anmerkung WL: Interessant für alle, die sich mit dem Thema intensiver beschäftigen möchten oder für diejenigen, die sich die teilweise unsäglichen Argumente der Gegner antun wollen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Ein interessantes Interview mit einem, der als Inbegriff des französischen “Patron” gelten kann und der nicht aus theoretischer Sicht, sondern als Praktiker das Kurzfristdenken und die heutige Form des Finanzkapitalismus kritisiert. Interessant z.B. sein Vorschlag, Anreize zu schaffen Aktionäre langfristig zu binden, indem sowohl Stimmrecht als auch Dividende von der Dauer des Aktienbesitzes abhängig gemacht wird: “Man sollte drei-, viermal so viel auszahlen dürfen an jene, die Aktien lange halten! Schauen Sie, was mit Pensionskassen passiert ist: Vor zehn Jahren hielten diese Aktien im Schnitt 7 Jahre – heute sind es 7 Monate! Wieso? Es gibt Leute, die verdienen, wenn viel gehandelt wird. Wenn ich der Pensionskasse dreimal so viel Dividende zahlen kann, überlegt sie zweimal, ob sie verkaufen soll. Vor allem muss sie den Verkauf besser erklären.”
Anmerkung WL: Wirklich erschreckende Grafiken und Daten, wie sich ein Land durch einen politisch-ökonomischen Leitbildwechsel verändern kann. Dies zeigt allerdings auch, wie sich durch einen Kurswechsel die Situation auch wieder verbessern ließe.
Anmerkung H.J.: Es ist unglaublich, dass diese “Industrieumlage” keinen Proteststurm auslöst.
“Die im Herbst 2011 von der Bundesregierung beschlossene Industrieumlage soll energieintensive Großbetriebe schützen. Seit Jahresbeginn wird solchen Großkunden auf Antrag die Zahlung von Netzgebühren erlassen. “
Dafür wird den privaten Haushalten wieder in die Tasche gegriffen. Ob Banken oder energieintensive Großbetriebe, ihnen wird das Geld von dieser Regierung hinterher geworfen.
Anmerkungen WL: Die WSI Mitteilungen beschäftigen sich im neuen Heft 01/2012 mit dem Thema Minijobs.
Passend dazu: Spät-Niebelsche Dekadenz
Munter bläht Dirk Niebel sein Entwicklungsministerium weiter mit FDP-Personal auf. Die zur unguten Gewohnheit gewordene Nachricht von der Vergabe von Leitungsposten an fachfremde Parteifreunde hat etwas Ermüdendes. Aber Vorsicht! Niebel schafft mit seiner Politik etwas Neues: Nie zuvor hat ein Minister so dreist über eine gesamte Legislaturperiode hinweg ein Ministerium zu einem verlängerten Arm der Parteizentrale und seiner persönlichen Karriereplanung gemacht.
Quelle: taz
Anmerkung JB: Und dabei wollte Niebel doch früher mal das Entwicklungshilfeministerium abschaffen. Wahrscheinlich ahnte er da noch nicht, dass es sich ganz prima für die Bereicherung seiner Parteifreunde eignen könnte.
Ergänzende Anmerkung Orlando Pascheit: Niebel schafft es, die theoretische Gestalt des nutzenmaximierenden “homo oeconomicus’ Realität werden zu lassen.
Siehe dazu auch:
Heribert Prantl: Unwort, Untat, Ungeist
Viele Jahre bezeichnete der Ausdruck “Döner-Morde” auf vermeintlich griffige Art und Weise Verbrechen an türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Doch in diesem Wort wird alltäglicher Rassismus greifbar. Verstanden hat man das jedoch erst jetzt.
Quelle: SZ
Anmerkung WL: Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn eine Presseagentur sich ihre Leistungen vom Bundespresseamt bezahlen lässt. Wenn sich das Budget der betreffenden Agentur aber durch diese Bezahlung um mehr um das zweieinhalbfache (150 Prozent) erhöht, dann besteht ein direktes ökonomisches Abhängigkeitsverhältnis.
Vielleicht braucht dpad durch diese „Staatshilfe“ dann wenigstens nicht mehr ihr Geld mit der Androhung von Schadensersatzklagen wie z.B. gegen die NachDenkSeiten zu machen.
Siehe dazu: “Der ORF gehört nicht den Parteien”
Quelle: SZ
Anmerkung WL: Einen solch mutigen Protest hätte man sich z.B. von ZDF-Journalisten gewünscht als der damalige hessische Ministerpräsident Koch den ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender aus parteipolitischen Motiven abservierte.
Anmerkung Orlando Pascheit: Ein interessantes Detail: Viele Medien, auch die junge Welt, berichten von Lohnsteigerungen in China. Li Qiang stellt klar, dass die Reallöhne, Nettoentgelte nach Abzug der Inflation, nicht gestiegen sind.
Anmerkung JB: Der Film ist sieben Tage in der Arte-Mediathek zu betrachten und wird am Mittwoch, den 25. Januar um 01:20 (!) auf arte wiederholt.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=11933