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Titel: „Wir sind gut beraten, unsere Vorbereitung zu beschleunigen und kriegsnah auszubilden“ – ein journalistisch unverantwortliches Interview
Datum: 6. August 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Redaktion
„Ein Angriff ist nicht ausgeschlossen“ – da steht sie, diese Überschrift auf dem Portal t-online. Worum es geht, ist schnell klar: Die Dachzeile über der Überschrift verrät es. „Bedrohung durch Russland“, heißt es. Wenn schon das erste Wort in einem Interview mit dem deutschen Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart, das als „journalistisch“ verstanden werden will, so eklatant falsch ist, was kann dann noch folgen? Richtig, ein vor Realitätsverzerrung nur so strotzendes Interview. Russland als Feindbild – das Märchen von einem Land, das „uns“ alle „bedroht“, erzählt in jenem Modus, den die Kalten Krieger unserer Zeit beklatschen. Das ist journalistisch unverantwortlich – und gefährlich. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Zur Umsetzung der militärischen Aufrüstung ist ein Feindbild unersetzlich. Die zunehmende Militarisierung muss der Gesellschaft verkauft werden. Dazu braucht es ein Feindbild und eine Bedrohung. Das Feindbild lautet: Russland. Die Bedrohung lautet: Russland könnte uns jederzeit angreifen. Beides hat nichts mit der Realität zu tun. Weder für Putin, weder für Russland noch für die russische Gesellschaft ist Deutschland ein Feind. Ein Angriff Russlands auf Deutschland, das heißt: einen NATO-Staat, ist allein schon deshalb fern der Realität – von den Ausmaßen einer sich bei einem Angriff Russlands auf Deutschland abzeichnenden militärischen Kettenreaktion ganz zu schweigen. Dennoch ist diese Situation gefährlich. Kalte Krieger, Russlandhasser genauso wie Akteure, die in völliger Fehlinterpretation der Realität unaufhörlich das Märchen von einem „uns“ bedrohenden Russland erzählen, manipulieren die Realität. Wir alle kennen das Phänomen der Scheinrealitäten. Wenn die eigenen Gedanken unter falschen Annahmen oder gar einem Wahn davon ausgehen, dass ein „Feind“ Böses plant, endet das bisweilen blutig. Was zählt, ist schließlich nicht die objektive, sondern die angenommene „Realität“, also die Scheinwirklichkeit.
Seit geraumer Zeit ist zu beobachten, wie diese Scheinwirklichkeit nicht nur lediglich im Kopf einer unter Schizophrenie leidenden Person vorhanden ist. Zu sehen ist außerdem, wie in zunehmendem Maße ein Bündnis aus Politikern, Medienvertretern und gefälligen Experten ihre Realitätsvorstellung auf ebendiese Scheinwirklichkeit baut. Mittlerweile sind wir so weit, dass der Bundestag die gesamte Politik Deutschlands, in Bezug auf Russland, auf eine Pseudo-Realität baut. Das ist folgenreich. Eine einzelne Person, die vielleicht aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung in einer Scheinwirklichkeit lebt, kann in der Regel nur einen begrenzten Schaden anrichten. Wenn aber das Parlament erstmal seine Entscheidungsgrundlage auf die Scheinrealität stützt, kann es mit den gesamten Ressourcen des Landes die Scheinrealität weiter aufbauen. Und das passiert. Die „Zeitenwende“, die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Aufrüstung, die Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen usw. sind Zeichen für einen eklatanten Bruch mit der Realität. Es gibt keinen äußeren Feind. Es gibt keine äußere Bedrohung – doch die Politik tut so, als ob.
Der gerade veröffentlichte Beitrag auf dem Portal t-online kann als weiterer unverantwortlicher publizistischer Baustein zum Aufbau der Pseudorealität verstanden werden. Allein schon die Tatsache, dass hier überhaupt ein Journalist einer Aussage wie: „Ein Angriff ist nicht ausgeschlossen“ Raum verschafft, zeigt, wie weit die Ausbreitung der Scheinwirklichkeit bereits fortgeschritten ist.
Unter normalen Umständen fänden Stimmen, die von einem Angriff Russlands auf Deutschland sprechen, allenfalls in verwinkelten Internetplattformen Gehör. In einer Pseudorealität, in der allerdings Russland längst das große, bedrohliche Monster ist, verhält es sich anders. „Der Rückschluss für uns muss lauten: Wir sind gut beraten, unsere Vorbereitung zu beschleunigen und kriegsnah auszubilden“, sagt der Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich aus den falschen Annahmen einer Scheinrealität echte Realität formt. Und an dieser Stelle wird auch deutlich, warum nicht Russland die Bedrohung ist, sondern – auf eine geradezu irre Weise – eine wahnhafte Politik. Von Sandrart spricht davon, dass es für Russland ein „Zeitfenster“ gebe, das sich „mit jedem Tag weiter“ schließt, mit dem die NATO weiter Fahrt aufnimmt.“ Soll heißen: Aus russischer Sicht wäre es besser, die NATO anzugreifen, bevor sie maximal aufgerüstet ist. Der Generalleutnant gebraucht tatsächlich auch noch den Begriff „logisch“. Und so betrachtet findet sich da in der Tat eine gewisse Logik. Nur: Selbst in dieser Logik würde Russland deshalb zum Angreifer, weil die NATO immer weiter aufrüstet – wofür es keinen Grund gibt – und das Bündnis zunehmend als Bedrohung wahrnimmt. Das heißt, die bizarren Annahmen der Verfechter der Scheinrealität würden erst durch ihr eigenes, der Scheinrealität verfallene Handeln zur tatsächlichen Realität. Und über 80 Millionen Bundesbürger sind diesem Wahnsinn ausgeliefert. Gibt es, irgendwo, noch Realitätssinn in Politik und Medien?
Titelbild: Screenshot T-Online mit Bild von Vyacheslav Prokofyev/Pool Sputnik Kremlin
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