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Titel: RIMPAC und der Pazifik-Swing des Mr. Pistorius oder China im Fokus „regelbasierter” Welt(un)ordnung
Datum: 5. August 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Am vergangenen Freitag (2. August) endete mit RIMPAC 2024 das bis dato weltweit größte Flottenmanöver, das alle zwei Jahre von der U.S. Third Fleet mit Sitz auf Hawaii ausgerichtet wird. RIMPAC steht für „Rim of the Pacific”, was so viel wie „Randzone des Pazifiks” bedeutet. An den diesjährigen Manövern, die am 29. Juni begannen, waren nicht weniger als 29 Nationen beteiligt. Mit gigantischer Hardware – darunter 40 Schiffen, drei US-U-Booten, 150 Flugzeugen und Hubschraubern. Unter den an RIMPAC 2024 beteiligten 25.000 Soldaten befanden sich auch die Besatzungen der deutschen Fregatte „Baden-Württemberg” und des Einsatzgruppenversorgers „Frankfurt am Main”, die erstmals an einer solchen Übung teilnahmen. Ein Beitrag von Rainer Werning.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Hawaii – Südkorea – Philippinen: Stationen einer Dienstreise
Mit von der Partie war mit Boris Pistorius diesmal auch ein deutscher Verteidigungsminister, der den deutschen Besatzungen und Unterstützungskräften dreier Euro-Fighter, die in Pearl Harbor und der Hickam Air Force Base stationiert waren, einen Besuch abstattete. Eine Visite, die unmissverständlich unterstreichen sollte, dass zumindest das deutsche Verteidigungs- und Außenministerium in der Region deutlich stärker als zuvor Flagge zu zeigen gedenken. Für den zeiten- und prinzipiengewendeten Pistorius, der ja in seinem früheren Leben immerhin mal von November 2006 bis Februar 2013 Oberbürgermeister der Friedensstadt Osnabrück war, bedeutet die Mission der deutschen Marine einen Beitrag
„zur Stabilität, Sicherheit und Offenheit der wichtigen Transitstrecken für internationale Waren- und Rohstofftransporte (…) auch, weil es uns unmittelbar betrifft.”
Oder in der Lesart der Außenministerin:
„Der Indopazifik ist die Schlüsselregion für die Ausgestaltung der internationalen Ordnung im 21. Jahrhundert.”
Bevor sich Pistorius aus Hawaii verabschiedete, um seine Reise gen Südkorea und die Philippinen fortzusetzen, hatte er angekündigt, dass die Bundeswehr bald auch dauerhaft einen Verbindungsoffizier im Hauptquartier des U. S. Indo-Pacific Command (USINDOPACOM) im US-Bundesstaat Hawaii stationieren werde.
In Seoul, der südkoreanischen Metropole, besiegelte der Verteidigungsminister den formalen Beitritt der Bundesrepublik zum United Nations Command (UNC), das – bereits 1950 zu Beginn des Koreakriegs vom UN-Sicherheitsrat eingesetzt – laut offiziellem Auftrag den Waffenstillstand an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea zu überwachen hat.
In Manila schließlich hatten der deutsche Gast und sein philippinischer Kollege Gilberto Teodoro und Präsident Marcos jr. starren Auges ein Thema im Visier, um das es bei RIMPAC 2024 eigentlich ging – die Politik der VR China in der Region. Die Philippinen bilden eine sensible Nahtstelle im regionalen Großmachtpoker, da sie als traditionell engster Verbündeter der USA mit ihrer ehemaligen Kolonialmacht (1898-1946) durch ein Geflecht bilateraler Verträge und Exekutivabkommen verbandelt sind. Erst vor einer Woche kam Manila in den Genuss einer außergewöhnlich hohen Militärhilfe von 500 Mio. US-Dollar. Um angeblich die Streitkräfte der Inseln (AFP) zu modernisieren und zu stärken. Zu Recht fragte da der Kolumnist der in Manila erscheinenden Tageszeitung Philippine Star, Satur C. Ocampo, ob das nicht letztlich den Interessen der Filipinos zuwiderläuft.
Umtriebige „Nato-Barbaren“
Die „westliche Fürsorge“ mit Blick auf eigene politische Gestaltungsmöglichkeiten der indo-pazifischen Region speist sich aus imperialer Überheblichkeit. Man stelle sich nur vor, welches Gezeter und Mordio herrschte, würden chinesische Kreuzer und Fregatten mit Verve und Gusto im Nordatlantik auftauchen und gar ihre eigenen Flottenmanöver mit Selbstverständlichkeit auf das Gebiet rund um die Nord- und Ostsee ausdehnen!
Im Folgenden sei der stets alerte Zeitgenosse und eine spitze Feder führende Journalist Alex Lo zitiert, der am 14. Juli 2024 seine Kolumne in der in Hongkong erscheinenden Tageszeitung South China Morning Post mit „Die Nato-Barbaren breiten sich aus und versammeln sich vor den Toren Asiens“ betitelte:
„Amerika mag die Globalisierung des Handels zerstören. Aber täuschen Sie sich nicht, es globalisiert auf jeden Fall den Krieg. Das ist es, was die Leute konventioneller den Beginn eines Weltkriegs nennen. Eines dritten. All dieser Wahnsinn war letzte Woche (Mitte Juli – RW) in vollem Umfang in Washington zu erleben – anlässlich der Feier von Tod und Zerstörung im Rahmen des Nato-Gipfels zum 75. Jahrestag ihres Bestehens. Ein Verteidigungsbündnis, das sein Verfallsdatum längst überschritten hat und zu einem Instrument des westlichen – präziser: des amerikanischen – militärischen Expansionismus geworden ist.
Angesichts seines offensichtlichen geistigen Verfalls mag man US-Präsident Joe Biden verzeihen, als er gegenüber dem ABC-Nachrichtenmoderator George Stephanopoulos behauptete, er sei unentbehrlich: ‚Wissen Sie, ich mache nicht nur Wahlkampf, ich regiere auch die Welt.‘ Die Nato und andere westliche Führer können Demenz nicht als Entschuldigung anführen, aber sie hegen immer noch die Illusion, sie regierten die Welt. Und darin besteht die wahre existenzielle Gefahr – für uns alle. Beunruhigend das Statement von US-Außenminister Antony Blinken, der die Nato als eine ‚Brücke‘ zwischen dem euro-atlantischen und dem indo-pazifischen Raum bezeichnet. Das ist das neue Mandat, das Washington der Nato erteilt hat. Doch warum? Die USA verfügen bereits im Pazifik über eine größere maritime Macht als nirgendwo sonst.“
Und Lo konstatiert weiter:
„Nun, die Nato und eine Handvoll asiatischer Verbündeter werden dazu beitragen, den Schein zu wahren und den alten amerikanischen Neoimperialismus zu legitimieren. Das ist der Grund, weshalb westliche Experten und Politiker unablässig behaupten, Wladimir Putin habe Nato-Länder wie Polen und darüber hinaus ins Visier genommen, während China den Indopazifik erobern will. Wenn es keine Nachfrage nach einer Dienstleistung gibt, muss man sie halt schaffen; daher das ständige Wiederholen von Bedrohungen sowie Drohszenarien seitens der Nato. Aber ist es Blinken jemals in den Sinn gekommen, dass der Großteil Asiens, einschließlich des indischen Subkontinents, nicht will, dass der Nato-Militarismus auch seine Teile der Welt wie eine Plage infiziert? (…)
Erst letzte Woche erklärte der scheidende Nato-Chef Jens Stoltenberg stolz, die westlichen Verbündeten werden eng mit ihren vier indo-pazifischen Partnern (Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland — RW) kooperieren, um ‚unsere Zusammenarbeit bei der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen weiter zu vertiefen‘. Warum diese neuerliche Aggression? Ich kann mir mindestens zwei Gründe vorstellen. Einer besteht in dem Fehlschluss der Nato bezüglich des Krieges in der Ukraine. Ursprünglich dachte man, das Putin-Regime samt der russischen Wirtschaft zerstören zu können. Das aber klappte nicht, und jetzt wirft die Nato in der Ukraine gutes Geld dem schlechten hinterher. Der andere Grund ist, dass China schon immer das eigentliche Ziel war. Aber die westlichen Verbündeten dachten, sie könnten sich den Luxus leisten, erst Russland zu beseitigen, bevor sie sich China zuwenden. Jetzt müssen sie es mit beiden aufnehmen.
Was aber ist mit der Möglichkeit, dass Moskau und Beijing einfach nur ihre unmittelbare Nachbarschaft aus der westlichen Umzingelung befreien wollen, z. B. eine neutrale Ukraine und ein Südchinesisches Meer im Rahmen einer Art von Détente? Seien Sie nicht so naiv, sagen westliche Kritiker. Nun, ich sage: Seid nicht naiv, denn der Westen glaubt immer noch, er beherrschte die Welt.“ (Eigene Übersetzung – RW)
„Ich sage nur Kina, Kina, Kina“
Dieser Originalton aus dem Munde des stramm-antikommunistischen Recken und westdeutschen Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger Ende der 1960er Jahre nährte sich aus der Verteufelung der damals in der VR China virulenten Großen Proletarischen Kulturrevolution zu Zeiten Mao Zedongs. Heute sind Politiker artikulierter in ihrer ideologischen Abwehr des Sozialismus und zeihen die Volksrepublik unlauterer Geschäfts- und Handelspraktiken. Oder sie pochen auf „werte- und regelbasiertes“ Verhalten im Namen freier Schifffahrtsrouten, womit nichts anderes gemeint ist, als sich der Führungsmacht des „freien Westens“ unterzuordnen. Mit Blick auf den Pazifik haben die USA seit dem Amerikanisch-Spanischen Krieg im Jahre 1898 und der gleichzeitigen Kolonialisierung der Philippinen den riesigen Ozean stets als „mare nostrum“, als ihr ureigenes Meer betrachtet.
Je mehr sich aber im Westpazifik sowie in Ost- und Südostasien partielle Gebietsansprüche verschiedener Länder überlappen und Konfrontationen unterschiedlicher Intensität zunehmen, wird ein Showdown zwischen Washington und seinen Vasallen in dieser Region und Beijing immer wahrscheinlicher. Länger wird gleichzeitig auch die Litanei von (Zweck-)Lügen, derer man sich bei uns seit Jahr und Tag bedient, um gänzlich andere als die vorgeblichen Ziele zu verfolgen. Seit Mitte der 1960er Jahre hieß es, die „Freiheit und Demokratie Westberlins“ werde am Mekong beziehungsweise in Vietnam verteidigt. Der gleiche Un-Sinn musste herhalten im Rahmen von Bundeswehreinsätzen in Afghanistan und Mali. Und gegenwärtig soll über die „Ruinierung Russlands“ (Baerbock) hinaus unser aller Freiheit in Kiew verteidigt werden …
Mit Blick auf China und angesichts allseits und allerorten wabernder Amnesie verweise ich hier auf die (nochmalige) Lektüre eines Texts, den ich zu Pfingsten 2023 auf diesen Seiten verfasste mit dem Titel: „Daß (…) kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen“ – Randnotizen zum Umgang mit China
Titelbild: U.S. Navy photo by Chief Mass Communication Specialist Keith Devinney/RELEASED – Official U.S. Navy Page, Gemeinfrei, commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20472371
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