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Titel: Die Olympischen Sommerspiele in Paris beginnen – schon steht fest: Es wird gigantisch. Nachhaltig, ganz anders wird es sicher nicht. Hauptsache, die Bilder sind schön

Datum: 26. Juli 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innere Sicherheit, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen, Wertedebatte
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Im Frühjahr wurde in diesem Artikel hier bei den NachDenkSeiten darauf hingewiesen, wie brachial die Organisatoren und politischen Verantwortlichen das Projekt Olympiade in Paris umsetzen, Ausnahmezustand inklusive soziale Säuberungen. Nun, da die Spiele beginnen, berichten mehr und mehr Medien ebenfalls über die Schattenseiten des schönen Scheins des größten Sportereignisses der Welt, über den Zweifel, über die Kritiken, über den Frust, die Wut von nicht wenigen Parisern auf die Machtdemonstration über die Köpfe der Bürger hinweg. Bei aller ehrlichen Freude und Begeisterung für den Sport, bei allem Daumendrücken für die Athleten und bei aller Faszination für Olympia ist zu beobachten, dass auch die diesjährigen Olympischen Sommerspiele das Versprechen, das Vorhaben, die Idee, besser, anders, bürgernah und freundlich, ja frohe Spiele zu sein, in vielen Belangen nicht einlösen werden – wohl auch, weil die Herangehensweise der Macher das gar nicht vorsieht. Von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Paris ist sauber, chic und für drei Wochen eine schöne heile Olympiawelt

Für Olympia wurde einiges getan. Die Bilder der intensiven Vorbereitung sind bleibende: Busse, in denen Obdachlose aus Paris gefahren werden. Polizeikommandos, die deren Zeltsiedlungen an der Seine, in Parks und Nebenstraßen räumen, unter Brücken angehäufte große Steinhäufen, auf dass kein Mensch sich mehr unter diesen aufhalten kann. Sauber. Die Seine wurde auch immer wieder gereinigt, weil sich die Organisatoren ausgedacht haben, die Schwimmwettbewerbe in dem berühmten Pariser Fluss durchzuführen. Gewagt.

Ja, der Gründervater der Olympiade, Pierre de Coubertin, würde sicher staunen: Paris als Austragungsort seiner Olympiade, das weltberühmte Areal entlang der Seine stellt eine beeindruckende Arena dar. Die Stirn runzeln würde de Coubertin wohl auch, wenn er erführe, welchen Preis dieser Gigantismus kostet – monetär, ideell, menschlich. Man könnte das alles in den nächsten Olympiawochen einmal wegwischen, indem man sagt, dass wir uns erstmal freuen, statt zu meckern. Das größte Sportereignis der Welt beginnt heute. Die Olympischen Sommerspiele und die Paralympischen Spiele finden in der französischen Hauptstadt Paris statt, und gern würde man mitgehen, dass es schöne Spiele werden, dass alles gut wird – und doch herrschen Zweifel.

Die schönste Stadt der Welt wurde eben in einer Art und Weise „herausgeputzt“, dass einem der Atem stockt: Die Metropole ist in eine Hochsicherheitszone mit viel Polizei, Militär, Kontrollposten überall in der Stadt, Überwachung und Sperren umfunktioniert worden, der einfache Alltag der Pariser hat Sendepause – in den nächsten Wochen herrscht schlicht Ausnahmezustand. Es stimmt, die Bedrohungslage ist real, Anschläge sind zu befürchten, die Politik setzt ebenfalls auf Eskalation.

Die Macher des gigantischen Unternehmens fuhren sinnbildlich mit Bulldozern durch Paris, um ihre ehrgeizigen, eitlen, überzogenen Konzepte durchzusetzen. Schneller, höher, weiter – das olympische Motto, es wurde umgedeutet in mehr, größer, teuer, elitär, chic. Reaktionen darauf zeigen, dass diese Art Olympia gerade bei den einfachen Parisern, die nicht oder kaum beteiligt oder gefragt worden sind, keine Euphorie und Begeisterung nach sich zog, auch wenn in den folgenden Tagen überaus schöne, gute Laune bereitende Fernsehbilder in alle Welt hinaus gesendet werden.

In Saint Denis lässt man es schleifen

Vergessen könnte damit für einige Zeit werden, dass vielfach wie erwähnt beklagt wurde, dass die Menschen der Hauptstadt, gerade die einfachen Bürger übergangen wurden. So, wie es Marc Poulbot erging. Die ARD-Sendung „Weltspiegel“ hat in einem Beitrag aus Paris über die Stadt, die Spiele, die Menschen berichtet. Und wie bei den Obdachlosen wurde auch bei anderen Bevölkerungsschichten der Metropole offenbar, wie das Projekt „Olympia“ umgesetzt wurde und wird, Versprechen hin und her, dass Olympia bewirken soll, dass danach vieles besser werden würde.

Marc Poulbot wohnt in der Banlieue, in Saint-Denis. Dort, unweit des Sportstadions Stade de France, haben große Baustellen das Stadtbild verändert, zum Beispiel für das Olympische Dorf. Was hier gebaut wird, soll diesem lange vernachlässigten, sozial schwachen Teil des Großraums Paris Fortschritt bringen. Marc Poulbot und seinen Nachbarn allerdings haben die Spiele erst einmal ein neues Autobahnkreuz vor der Haustür beschert, und die Grundschule im Viertel ist nun von Autobahnauf- und Ausfahrten eingekreist. „Wir zahlen hier den Preis für die neuen Stadtviertel, für die Vorzeigeprojekte, bei denen alle darauf geachtet haben, dass alles gut wird“, meint er.
(Quelle: ARD)

Im Fernsehbeitrag kommen Menschen wie Poulbot zu Wort, der kritisiert, dass Olympia eher Frust einbringe und ätzend sei. Dass man so rücksichtslos Autobahnzubringer für die Spiele einfach ins Wohnviertel baut und Häuser wie Menschen zwischen diese neuen Straßen „einklemmt“, kommentiert der Pariser so: „Wir sind in Saint Denis, hier lassen sie es schleifen.“ An einer Schule, wo vorher Ruhe herrschte, fahren nun täglich 300.000 Fahrzeuge vorbei. Viele Eltern haben gegen die neue Straße gekämpft, umsonst.

Kasse macht eine kleine Gruppe des reichen Bürgertums

Bei Großereignissen scheint es üblich zu sein, dass beim Kasse Machen stets wenige Leute profitieren, und das auf Kosten vieler. Gerade ist die Fußball-EM in Deutschland zu Ende gegangen, ein Riesenumsatz wurde konstatiert, an die 2,5 Milliarden Euro. Die Profiteure jubeln – die UEFA und weitere Player. Den Spielbetrieb sicherten hingegen über 16.000 Ehrenamtliche, Volontäre genannt, ohne Bezahlung ab, lediglich Trikots und Arbeitskleidung bekamen sie gestellt und Freifahrten zum Arbeitsort. Ihnen war dann der allseits bekannte Spruch der Honoratioren gewiss: „Ohne Euch wäre das alles nicht möglich gewesen.“ So wie in Deutschland läuft das nun auch in Frankreich. Wiederum leisteten und leisten vor allem die vielen Ehrenamtlichen die wichtige, unbezahlte Arbeit, während sich die Großen lukrative Aufträge und Posten sicherten, die überhöht dotiert sind. Egal, dabei sein ist alles, frei nach de Coubertin.

Zu erinnern wäre erneut auch an eine Gruppe von Menschen, die die neuen Olympischen Anlagen mit erbaut haben: die Papierlosen. In einem Beitrag der TAZ wurde der Skandal thematisiert:

Viele Migranten arbeiten dort ohne Papiere. Doch sie wollen raus aus der Illegalität.

Eigentlich sollte es ein Pressetermin im kleinen Kreis werden, kein großes Ding: Die Eröffnung der Adidas Arena, einer Art Mehrzweckhalle für Sport-Events und Konzerte, eigens für die Olympischen Spiele im Norden von Paris errichtet.

Guckt sie euch an, sie tragen Anzüge und Krawatten“, ruft ein junger Mann mit erhobenen Armen und deutet abwechselnd auf die Gäste am Eingang und das Gebäude. „Die können hier eine Besichtigung machen, aber wir, wir haben das hier aufgebaut!“ Wenige Meter neben ihm steht eine Gruppe von etwa 30 Menschen mit Bannern. „Keine Papiere? Keine Olympischen Spiele!“, skandieren sie. Ein Stück Papier, beziehungsweise ein Stück Plastik – darum geht es hier. „Papierlose“ nennen sich in Frankreich diejenigen, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, denen also die entsprechenden Papiere fehlen.
(Quelle: TAZ)

Der Sehnsuchtsort vieler Sportler: Olympia. Ob der dereinst ein wirklich guter Ort wird?

Nun läuft sie also, die Olympiade 2024. In Paris. In unfriedlichen Zeiten. Die Sportwelt sieht auf diese Stadt. Dieser Sehnsuchtsort beherbergt die immer noch wundervolle Idee von Pierre de Coubertin, der einst davon sprach, dass dies alles nicht so wichtig sei: Medaille, Platzierung, Ruhm, Geld. Er nannte stattdessen einen anderen, einfachen Grund, begeistert zu sein, bei Olympia zu starten: Teilnahme ist alles. Ich glaube, dass nicht wenige Teilnehmer, gerade von kleinen Nationen, und/oder die Sportler, die keine Podiumsambitionen hegen, dieses Motto zu ihrem Motto auserkoren haben.

Machen wir uns nichts vor: Die Olympischen Spiele als Teil unserer Gesellschaften sind so intakt und so kaputt wie unsere Gesellschaften. Sie zu einem besseren Ort werden zu lassen, ist eine bleibende Aufgabe. Und vielleicht ziehen wir Sportfreunde nach Paris ein Fazit derart: Paris war gut. Aber so groß, gigantisch, so chic und eitel machen wir das nicht wieder, wir versuchen es mal anders. Schön wäre es.

2028 sollen die nächsten Olympischen Sommerspiele in Los Angeles stattfinden. Ob die Amis es etwas kleiner angehen? 2030 finden die Winterspiele in Frankreich statt. Man hört, dass lediglich bestehende Wettkampfstätten genutzt werden sollen, das wäre ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit.

Titelbild: Svet foto/shutterstock.com


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