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Titel: Christian Drosten: Harte Kritik „hinterhältig“ und Schulschließungen weiter kein Tabu
Datum: 22. Juli 2024 um 14:26 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Tobias Riegel
Christian Drosten ist mit neuem Buch auf „Comeback-Tour“ durch die Medien und hat dabei in jüngster Zeit immer wieder fragwürdige Standpunkte vertreten. Das aktuell öffentlich präsentierte Selbstbewusstsein von so manchen Verteidigern der Lockdownpolitik ist eine Flucht nach vorn, die bisher erfolgreich verläuft: Die Corona-Aufarbeitung bewegt sich zwischen Farce und Trauerspiel. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Eine von vielen Verteidigern der Corona-Politik momentan vertretene Sichtweise geht so: Es gibt anscheinend einen „Konsens“, nach dem „man“ oder „die Wissenschaft“ sich darüber einig sei, dass „die nächste Pandemie“ nur eine Frage der Zeit sei. Und dass auf das dann wieder „völlig neue Virus“ wieder mit Zwangsmaßnahmen reagiert werden könnte, weil das habe sich ja „bewährt“ – schließlich sind wir in Deutschland ja „relativ gut durch die Pandemie gekommen“ und darauf solle man „als Lehre“ aufbauen. Nach dieser falschen Deutung war die deutsche „Pandemie-Bekämpfung“ bis auf einige „Fehler“ sehr gut – wenn da nicht die „schlechte Kommunikation“ gewesen wäre: Deswegen haben viele Bürger bis heute „nicht verstanden“, wie richtig das alles war.
Darum: Bei der „nächsten Pandemie“ machen wir vieles vielleicht wieder genauso, aber wir werden es besser „erklären“ und auch Mechanismen finden, damit nicht wieder „alle durcheinander quatschen“ und dadurch „die Wissenschaft“ in Erklärungsnot bringen. Dadurch, dass die Lockdownmaßnahmen für die Zukunft nicht eindeutig ausgeschlossen werden, werden sie auch indirekt in der Rückschau weichgezeichnet: Da man kaum etwas wiederholen würde, das destruktive Wirkungen entfaltet hatte, erscheinen die Maßnahmen durch die Perspektive einer möglichen Wiederholung weniger destruktiv. Durch diesen irrationalen Zirkelschluss erscheint auch eine „Aufarbeitung“ von Maßnahmen nicht so dringend, schließlich möchte man ihren Einsatz ja nicht mal für die Zukunft ausschließen – was gibt es da also aufzuarbeiten?
Weißwaschung durch Normalisierung
Es kann meiner Meinung nach Situationen geben, in denen auch Zwangsmaßnahmen wie Lockdowns unvermeidlich sind, um größeren Gefahren zu begegnen. In diesen Situationen muss die individuelle Freiheit und in echten Extremfällen sogar das Recht auf Bildung dann vorübergehend zurückstehen. Das Entscheidende ist aber, dass die Maßnahmen dann der realen Stärke einer Gefahr angemessen sind und dass sie wirksam und geeignet sein müssen, diese betreffende Gefahr auch tatsächlich zu mindern, ohne dabei noch viel größere gesellschaftliche Schäden anzurichten – diese Verhältnismäßigkeit war bei der Corona-Politik auf vielen Gebieten oft nicht gegeben. Darum muss diese Politik streng aufgearbeitet werden und es muss ausgeschlossen werden, dass erneut auf einer ungenügenden Datenbasis so weitreichende Maßnahmen so lange verteidigt werden können.
Beispielhaft für aktuelle Versuche der Verteidigung der Corona-Politik vonseiten zahlreicher Corona-Akteure stehen einige öffentliche Auftritte von Drosten – darum wird hier auf diese Auftritte eingegangen. Er betreibt meiner Meinung nach in seinen jüngsten öffentlichen Äußerungen eine Weißwaschung durch Normalisierung, die momentan auch andernorts zu beobachten ist: Dadurch, dass die unangemessenen Corona-Maßnahmen wie Lockdowns (und teils sogar Schulschließungen) von ihm wie ganz normale Elemente auch einer künftigen „Gesundheitspolitik“ genannt werden, soll ihr unangemessener Einsatz während der Corona-Jahre rückwirkend weißgewaschen werden.
„Die Schulschließungen waren sehr effektiv“
Hier folgen zwei Beispiele von jüngeren Auftritten von Drosten, bei denen er die hier beschriebene Haltung teils umsetzt. Zum einen geht es um eine Talkshow beim NDR und zum anderen um ein Interview mit der Apotheken Umschau. In diesem Interview mit der Apotheken Umschau geht Drosten (ab ca. 1:00 Stunde) auch auf die Schulschließungen ein und sagt: „Die Schulschließungen waren sehr effektiv im Verhindern der Weitergabe der Infektion.“ Und überhaupt, so Drosten: Ausgangssperren, „Kontaktmaßnahmen“ etc.: „Das lässt sich alles belegen, das war sehr effektiv. Alles hatte aber eben einen Preis.“ Und er ergänzt Selbstverständliches: „Wenn in der gesellschaftlichen Debatte gesagt wird, es war falsch, die Schulen zu schließen, dann wird erstmal gesagt, der Preis war zu hoch dafür.“ Drosten erweckt für mich beim Interview eher den Eindruck, als sei für ihn aber dieser Preis nicht zu hoch gewesen (auf die schlimmen Folgen der Lockdownpolitik für Schüler und Kinder sind die NachDenkSeiten in zahlreichen Artikeln eingegangen, unter anderem etwa hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier.)
Drosten, der gerne eine Debatte von Spezialisten bevorzugt, äußert sich bezüglich der Schulschließungen, mit Berufung auf Bildungsexperten, fachfremd und fragwürdig: „Diese Bildungsschäden, die sind eigentlich nicht im Wesentlichen in der Zeit entstanden, als die Schulen geschlossen wurden. (…) Diese Experten sagen mir, dass die eigentlichen Schäden in Bildungsbiografien eigentlich später entstanden sind, in der Zeit, wo die Schulen immer auf und zu gingen, wo Klassen zuhause bleiben mussten, wo es dann hieß: Der Schüler hat das eingeschleppt, ja, diese Stigmatisierung beispielsweise.“ „In anderen Ländern, wo das (Schulschließungen) stärker gemacht wurde, waren auch bessere Grundvoraussetzungen: Digitalisierung in den Schulen beispielsweise war dort viel besser, die Ausstattung der Schulen ist dort viel besser.“
Die schwerwiegenden Probleme für viele Kinder, die mit der „Digitalisierung“ des Unterrichts im Allgemeinen und während der Corona-Jahre im Besonderen einhergehen, haben die NachDenkSeiten etwa hier oder hier thematisiert. Indirekt zu sagen, wenn nur jeder Schüler seinen Tablet-Computer hat, dann könne man auch die Schulen länger schließen, offenbart pädagogische Unwissenheit, Ignoranz gegenüber Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen und eine große gesellschaftliche Leichtfertigkeit.
„Wo gehen wir ran: Arbeitsstätten? Schulen?“
Als könne man aus der Geschichte ableiten, dass die Zukunft eine Abfolge von virusbedingten Lockdowns sein könne, sagt er: „Und das nächste Virus wird nicht so sein wie dieses Virus.“ Die oben beschriebene Taktik, die „nächste Pandemie“ als gegeben darzustellen und auch, dass „wir“ darauf wieder mit extremen Maßnehmen reagieren „müssen“, setzt Drosten mit dem folgenden Satz um – dabei enttabuisiert er für die Zukunft auch erneute Schulschließungen, indem er sie mal eben als Bereich aufzählt, an den man zumindest theoretisch „ran“ gehen könne:
„Wir werden ja in Zukunft auch wieder ein Problem haben, wo wir entscheiden müssen, wo gehen wir ran: Arbeitsstätten? Schulen?“
Zur Kommunikation über eine künftige Viruspolitik und wer sich daran beteiligen „darf“, hat sich Drosten bereits vor einiger Zeit sehr fragwürdig geäußert, wir sind darauf im Artikel „Drosten und seine schräge Vorstellung von der Meinungsfreiheit: Es darf sich doch nicht jeder einfach äußern!“ eingegangen. Im aktuellen „Umschau“-Interview gehen manche Äußerungen Drostens in eine ähnliche Richtung, wenn er mit Begriffen wie Verhaltenskodex, Mehrheitsmeinung, „die Wissenschaft“, „Community-Consens“, nicht „alle durcheinanderquatschen“ oder „False Balance“ jongliert. Fast schon lustig ist, wenn Drosten wegen der wenigen gegenüber der Corona-Politik kritisch formulierten Artikel sagt, dass manche Medien sich „unethisch“ verhalten hätten: Sie hätten „bewirken“ wollen, anstatt zu „berichten“. Hier soll natürlich nicht pauschal jede Form der formulierten Kritik an der Corona-Politik verteidigt werden – aber Drostens Urteil müsste selbstverständlich viel eher die Journalisten treffen, die geholfen haben, die nicht angemessene Corona-Politik so lange aufrecht zu erhalten.
„Ich find’s einfach hinterhältig“
In einer Talkshow des NDR hatte Drosten sich kürzlich zu fundamentalen Kritikern der Corona-Politik geäußert und gesagt: „Im Nachhinein zu behaupten, das wäre ja alles gar nicht nötig gewesen – ich find’s einfach hinterhältig.“ Wer das mache, handelt laut Drosten wie eine extreme Gruppe: „Es gibt ja extreme politische Stimmen und Gruppen, die dieses Thema gerne kochen.“ Hier folgen Ausschnitte aus der Talkshow:
Jetzt zieht Drosten auch noch die Nazi-Keule. Der Mann ist so unendlich peinlich. pic.twitter.com/AZOK9ldVSu
— TheRealTom™ 🌞 (@tomdabassman) July 12, 2024
Ich nehme dieses Verhalten als Flucht nach vorn wahr – und die verläuft bisher erfolgreich: Die Corona-Aufarbeitung bewegt sich zwischen Farce und Trauerspiel.
Titelbild: Screenshot Apotheken-Umschau
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